Verwaltungsrecht

Fehlender Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorherige Einholung eines Visums

Aktenzeichen  Au 1 E 20.2821

Datum:
11.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4308
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a, § 25 Abs. 5 S. 1, § 60a Abs. 2 S. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Bei der Frage der Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens ist davon auszugehen, dass die deutschen Auslandsvertretungen die Vorgaben des Art. 6 GG achten und gegebenenfalls effektiver verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung steht. (Rn. 24)
Das Visumverfahren hat eine wichtige Funktion bei der Klärung der Identität eines Antragstellers, die im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG eine generelle Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet ist. Sie liegt im öffentlichen Interesse und kann umfassend nur vor Ort im Visumverfahren erfolgen, sodass insoweit auch eine vorübergehende Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 6 GG grundsätzlich hinzunehmen ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der am …1984 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er begehrt die weitere Duldung seines Aufenthalts.
Er reiste am 3. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 20. Juni 2016 einen förmlichen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 31. Juli 2017 in vollem Umfang ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 3. Juli 2019 (Au 4 K 17.34309) ab. In der Folgezeit wurde der Antragsteller geduldet, zuletzt erteilte ihm der Antragsgegner am 27. November 2020 eine bis zum 16. Dezember 2020 gültige Duldung.
Der Antragsteller hat zusammen mit einer im … lebenden nigerianischen Staatsangehörigen zwei gemeinsame Kinder, die am … 2016 und am … 2018 geboren wurden. Die Mutter der Kinder hat ein weiteres Kind, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Aus diesem Grund sind sowohl die Lebensgefährtin als auch die beiden Kinder des Antragstellers im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen.
Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet ist der Antragsteller straffällig geworden. Mit Strafbefehl vom 30. Mai 2017 wurde wegen Urkundenfälschung eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verhängt. Aufgrund einer von der Ausländerbehörde veranlassten Überprüfung hatte sich herausgestellt, dass es sich bei dem im Nationalpass des Antragstellers befindlichen türkischen Passkontrollstempel sowie dem Schengenvisum um Totalfälschungen handelt. Beim Nationalpass des Antragstellers, der bis zum 31. Juli 2021 gültig ist, wurden keine Fälschungsmerkmale festgestellt.
Mit Bescheid vom 4. Juni 2018 lehnte das Landratsamt … einen noch während des laufenden Asylverfahrens gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der elterlichen Sorge ab. Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2019 ließ der Antragsteller durch seinen damaligen Bevollmächtigten erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen. Diesen nahm er am 14. November 2019 unter Vorlage einer beim Deutschen Generalkonsulat in Lagos erfolgten Registrierung für die Zuweisung eines Termins zur Beantragung eines Visums zurück. Am 4. Februar 2020 schlossen der Antragsteller und das Landratsamt … eine Vereinbarung dahingehend, dass der Antragsteller bis zum 15. September 2020 den genauen Termin zur Beantragung des Visums sowie das Ausreisedatum mitteilen müsse. Zudem könne er bei Vorlage des Sprachzertifikats A1 eine Vorabzustimmung beantragen. Im Gegenzug werde die Duldung übergangsweise bis zur Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens aufrechterhalten.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG stellen. Dem Antragsteller sei eine Ausreise aufgrund des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet aus rechtlichen Gründen unmöglich. Er könne sich lediglich auf die Vorschrift des § 36 Abs. 2 AufenthG berufen, der eine außergewöhnliche Härte als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis fordere. Zudem liege die Erteilung im Ermessen der Behörde. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu dieser Vorschrift forderten ein Angewiesensein auf die familiäre Lebenshilfe und wiesen beispielhaft auf das Erfordernis einer besonderen Betreuungsbedürftigkeit wie Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit und psychische Not hin. Hiernach sei die Betreuungsbedürftigkeit von minderjährigen Kindern im Bundesgebiet für sich alleine keine außergewöhnliche Härte. Im Falle einer Ausreise drohe dem Antragsteller der Verlust des Arbeitsplatzes, sodass auch die Sicherung des Lebensunterhalts im Zweifel stehe. Soweit er gezwungen sei, die Erteilung des Visums einzuklagen, sei mit einer Trennungsdauer von zwei Jahren oder länger zu rechnen. Ihm sei vom Generalkonsulat in Lagos mit E-Mail vom 12. November 2020 ein Termin am 19. November 2020 zugewiesen worden. Angesichts der kurzfristigen Benachrichtigung habe er diesen nicht wahrnehmen können, da aufgrund der COVID-19-Pandemie eine siebentägige Quarantänezeit nach der Einreise einzuhalten sei. Zudem hätte er vor dem Reiseantritt zunächst die erforderlichen Testungen vornehmen müssen. Da er den zugewiesenen Termin verpasst habe, müsse er erneut ca. ein Jahr lang auf die Vergabe eines neuen Termins warten.
Am 19. November 2020 teilte eine Bekannte des Antragstellers per E-Mail dem Landratsamt … mit, sie habe vergessen, den Termin in Lagos rechtzeitig zu stornieren. Sie hoffe, dass dem Antragsteller durch ihr Versäumnis keine Nachteile entstünden.
Am 7. Dezember 2020 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf weitere Duldung.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2020 lehnte das Landratsamt … den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Duldung vom 7. Dezember 2020 (Ziffer 1) und den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 17. November 2020 (Ziffer 2) ab. In Ziffer 3 wurde dem Antragsteller eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 16. Januar 2021 eingeräumt. Die Ausreise bzw. Abschiebung des Antragstellers sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich möglich. Der Schutz der Ehe und Familie gewähre keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorherige Durchführung eines Visumverfahrens. Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei bereits mit Bescheid vom 4. Juni 2018 rechtskräftig abgelehnt worden. Seitdem hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. Es könne auch keine weitere Verfahrensduldung erteilt werden, um die Trennung von den Kindern zur Nachholung des Visumverfahrens möglichst kurz zu halten. Es habe sich um ein Entgegenkommen der Ausländerbehörde gehandelt. Das Scheitern des Termins beim Generalkonsulat in Lagos sei dem Antragsteller zuzurechnen. Der Termin sei zwar sehr kurzfristig vergeben worden. Es wäre dem Antragsteller jedoch möglich und zumutbar gewesen, die freiwillige Ausreise nicht erst unmittelbar vor dem Termin beim Generalkonsulat durchzuführen. Er sei der Vereinbarung vom 4. Februar 2020 nicht nachgekommen und könne deshalb keine weitere Verfahrensduldung erhalten. Es sei nicht damit zu rechnen, dass er bei einer erneuten Vereinbarung zur freiwilligen Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens seiner Ausreisepflicht nachkomme, da er dies erkennbar nicht beabsichtige. Auch eine Beschäftigungsduldung komme nicht in Betracht, da er rechtskräftig zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen wegen Urkundenfälschung verurteilt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2020 ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid erheben, über die noch nicht entschieden ist (Au 1 K 20.2820). Gleichzeitig stellte er den vorliegenden Eilantrag. Er sei personensorgeberechtigter Vater zweier Kinder, welche im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen nach § 33 AufenthG seien. Er lebe mit ihnen zusammen und habe sowohl jeweils die Vaterschaft anerkannt als auch Sorgerechtserklärungen abgegeben. Er wohne zwar nicht in einem Haushalt mit den Kindern, sehe sie jedoch jeden Tag und kümmere sich liebevoll um sie. Die Kindsmutter habe ein weiteres Kind, das am 11. Januar 2015 geboren sei und die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Auch für dieses Kind nehme er tatsächlich die Sorge wahr. Der Antragsteller habe sich mit dem Antragsgegner auf die nachträgliche Einholung eines Visums verständigt und sich hierfür beim Deutschen Generalkonsulat in Lagos registriert. Allerdings sei der Termin beim Generalkonsulat so kurzfristig vergeben worden, dass er ihn angesichts der siebentägigen Quarantänepflicht in Nigeria selbst bei unverzüglicher Ausreise nicht hätte wahrnehmen können. Der Anordnungsanspruch folge aus dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig, seine Ausreise sei jedoch aus rechtlichen Gründen unmöglich. Seine Kinder seien auf die dauerhafte Anwesenheit ihres Vaters angewiesen. Zudem lebe in der Familie auch ein deutsches Kind. Die Ausreise des Antragstellers würde zu einer Verletzung dessen Rechts aus Art. 20 AEUV führen. Die einzige Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Visums zum Nachzug zum ausländischen Kind stelle unerreichbar hohe Anforderungen und stünde zudem im Ermessen der Behörde. Selbst nach Erteilung einer Vorabzustimmung des Landratsamts … sei nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage die deutsche Auslandsvertretung das Visum im vorliegenden Fall erteilen solle und ob überhaupt die Möglichkeit zum Familiennachzug bestehe. Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Vorschrift des § 36 Abs. 2 AufenthG sähen einen Härtefall nur bei Vorliegen besonderer Umstände vor. Ausweislich der Informationen des Auswärtigen Amtes seien im Jahr 2019 insgesamt 151 Visa zur Familienzusammenführung nicht erteilt worden. Es könne davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der abgelehnten Visa sich auf die Vorschrift des § 36 AufenthG bezöge. Es sei dem Antragsteller nicht zuzumuten, seine Kinder auf unabsehbar lange Zeit in Deutschland zurückzulassen. Ihm bliebe nach der Ausreise in sein Heimatland lediglich eine Klage am Verwaltungsgericht, wo mit einer Verfahrensdauer von zwei Jahren zu rechnen sei. Zudem drohe der Verlust des Arbeitsplatzes bei einem langdauernden Auslandsaufenthalt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme nach der Ausreise nicht mehr in Betracht, da die Vorschrift eine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetze. Die Familie des Antragstellers müsste diesen bei der Ausreise und nachträglichen Durchführung des Visumverfahrens nach Nigeria begleiten, da die Kinder keine Trennung von ihrem Vater in Kauf nehmen wollten. Das deutsche Stiefkind wäre infolge dessen ebenfalls zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen und dadurch in seinen Rechten aus Art. 20 AEUV verletzt. Da der Antragsgegner zu einer Vorabzustimmung bereit gewesen sei, seien offensichtlich sämtliche Erteilungsvoraussetzungen mit Ausnahme des Visumverfahrens erfüllt. Es erschließe sich nicht, weshalb ein Sprachzertifikat für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG vorgelegt werden müsse. Aufgrund der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise sei dem Antragsteller eine Duldung bis zur Erteilung der humanitären Aufenthaltserlaubnis auszustellen. Die Information des Antragsgegners, dass ein Visum zur Familienzusammenführung innerhalb von fünf Wochen erteilt werden könne, sei wertlos. Diese allgemeine Aussage lasse keine Rückschlüsse auf die Bearbeitungsdauer im Rahmen des § 36 Abs. 2 AufenthG zu. Es werde einstweiliger Rechtsschutz beantragt, damit das erstinstanzliche Gericht im Hauptsacheverfahren eine für das konkrete Verfahren des Antragstellers belastbare Stellungnahme der Auslandsvertretung anfordern könne. Damit könnten die massiven Unsicherheiten beseitigt werden.
Der Antragsteller beantragt,
I.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig und bis zur Bestandskraft der Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nicht abzuschieben und ihm eine Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG auszustellen.
II.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners bewilligt.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 20. Januar 2021:
Der Antrag nach § 123 VwGO wird abgewiesen.
Es seien keine neuen Tatsachen vorgebracht worden, welche eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise begründen könnten. Es sei fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden könne, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt seien. Die Ausreise des Antragstellers sei weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Eine Trennung zur Nachholung des Visumverfahrens sei zumutbar. Nach Rücksprache mit der Deutschen Botschaft in Lagos könne ein Visum zur Familienzusammenführung in ca. fünf Wochen erteilt werden. Voraussetzung dafür sei, dass die Wartezeit bis zum Termin bei der Botschaft zur Vervollständigung der Dokumente genutzt werde und die gegebenenfalls erforderliche Urkundenüberprüfung in der Wartezeit erfolgreich abgeschlossen werde. Mit Vorlage einer Vorabzustimmung könne die Bearbeitungszeit auf ca. fünf Wochen reduziert werden. Dem Antragsteller sei bereits ausreichend Zeit eingeräumt worden, um die erforderlichen Schritte einzuleiten. Es hätten in der Vergangenheit bereits mehrere Gespräche mit ihm stattgefunden, um die verschiedenen Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Durchführung des Visumverfahrens aufzuzeigen. Es sei davon auszugehen, dass ein Visum zum Familiennachzug im Rahmen der üblichen Bearbeitungszeit erteilt werden könne. Das Visumverfahren sei nicht schon deshalb entbehrlich, da es immer mit der Gefahr verbunden sei, einen gewissen Zeitraum von der Familie getrennt zu werden. Der Bevollmächtigte des Antragstellers verkenne, dass aufgrund des fehlenden Rechtsanspruchs die Nachholung des Visumverfahrens erst die Erteilung eines Aufenthaltstitels ermögliche. Aus den statistischen Erhebungen könne nicht auf die Erfolgsaussichten im konkreten Einzelfall geschlossen werden. Bei Vorabzustimmung der Ausländerbehörde sei sowohl von einer deutlich erhöhten Erfolgsaussicht als auch von einer zügigeren Bearbeitung auszugehen. Eine Nachfrage beim Generalkonsulat in … habe ergeben, dass im Normalfall die Bestätigung des Termins drei bis vier Wochen vor dem Termin erfolge. Im vorliegenden Fall sei der Antragsteller auf einen kurzfristig stornierten Termin eingebucht worden. Der Antragsteller habe das Generalkonsulat informiert, dass er sich noch in Deutschland befinde. Daraufhin sei ihm mitgeteilt worden, dass er sich nach Eintreffen in Nigeria erneut mit dem Konsulat in Verbindung setzen solle, sodass ein neuer zeitnaher Termin vergeben werden könne. Dies sei allerdings nach Mitteilung des Generalkonsulats bisher nicht geschehen.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Antragsgegner vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Gegenstand des Antrags ist eine einstweilige Anordnung zur Sicherung des vom Antragsteller behaupteten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorherige Einholung eines Visums.
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob derzeit ein Anordnungsgrund vorliegt. Jedenfalls kann sich der Antragsteller nicht auf einen Anordnungsanspruch berufen. Die dargelegten Gründe genügen nicht für die Annahme, dass die Ausreise bzw. Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre, wie es § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Erteilung der beantragten humanitären Aufenthaltserlaubnis bzw. Aussetzung der Abschiebung voraussetzen. Tatsächliche Gründe, die einer Ausreise entgegenstehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise oder Abschiebung wäre nur dann anzunehmen, wenn die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs des Antragstellers auf ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung der Personensorge nur bei dessen Verbleiben im Bundesgebiet gewährleistet wäre (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er ein Bleiberecht im Bundesgebiet ohne vorherige Durchführung eines Visumverfahrens beanspruchen kann und es deshalb aus Rechtsschutzgründen ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner den Vollzug der mit Bescheid des Bundesamts vom 31. Juli 2017 erlassenen Abschiebungsandrohung nach Nigeria vorläufig zu untersagen.
a) Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift unter Zugrundelegung der hier nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erfüllt sind. Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Es ist bereits fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (offengelassen BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 18 m.w.N.). Denn jedenfalls ist die Ausreise des Antragstellers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich.
b) Der Schutz des Art. 6 GG steht einer erzwungenen Ausreise des Antragstellers nicht entgegen. Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen unter Betrachtung des Einzelfalles und Gewichtung der familiären Bindungen einerseits und der sonstigen Umstände des Einzelfalles andererseits berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2016 – 10 CS 16.408 – juris Rn. 5 m.w.N.).
c) Im vorliegenden Fall ist zunächst zu beachten, dass der Gesetzgeber für den dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet zur Ausübung der Personensorge die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach Kapitel 2 Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes vorsieht. Die Feststellung allein, der Antragsteller habe (möglicherweise) einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen Daueraufenthalt zur Ausübung der Personensorge für seine Kinder, führt dabei noch nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Soweit die Nachholung des Visumverfahrens im Ausland erforderlich ist, ist dessen Durchführung nicht von vorneherein unzumutbar, auch wenn es mit einer vorübergehenden Trennung der Familie verbunden ist (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvQ 24/18).
d) Das Gericht geht zudem davon aus, dass ein eventuell bestehendes Daueraufenthaltsrecht des Antragstellers aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet auch bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und der Ausübung des Ermessens im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG durchgreifen muss, soweit eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft vorliegt und diese nur im Bundesgebiet gelebt werden kann. Die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis setzt allerdings gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG die Durchführung eines Visumverfahrens und damit die Ausreise des Antragstellers voraus. An die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 GG ist auch das deutsche Generalkonsulat in Lagos bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und bei Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 36 Abs. 2 AufenthG gebunden. Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitierten Allgemeinen Verwaltungsvorschriften stehen dabei einer verfassungskonformen Auslegung des § 36 Abs. 2 AufenthG nicht entgegen. Eine grundsätzliche Möglichkeit des Familiennachzugs besteht damit. Das Gericht sieht keinerlei Veranlassung zu der Annahme, das Generalkonsulat als deutsche Behörde beachte im Rahmen der Durchführung des Visumverfahrens nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dies kann auch nicht der Tatsache entnommen werden, dass ein Teil der Visumanträge zum Familiennachzug abgelehnt wird.
e) Im Fall des Antragstellers sind keine Umstände erkennbar, die eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens aus familiären Gründen unzumutbar erscheinen lassen. Es liegt primär in seinem Verantwortungsbereich, die Ausreisemodalitäten möglichst familienverträglich zu gestalten. In diesem Zusammenhang hat er eine Vereinbarung mit der Ausländerbehörde geschlossen, wonach er bis kurz vor dem Termin zur Beantragung des Visums auf der Basis einer Duldung in Deutschland verbleiben und damit die Zeit der Abwesenheit auf das notwendige Minimum beschränken konnte. Allerdings hat der Antragsteller die mit dieser Vereinbarung eröffnete Möglichkeit nicht genutzt. Entgegen der Vereinbarung hat er den Termin beim Generalkonsulat nicht wahrgenommen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass im Fall des Antragstellers die Terminvergabe durch das Deutsche Generalkonsulat in … zu kurzfristig erfolgt ist. Mit E-Mail vom 12. November 2020 wurde ihm ein Termin am 19. November 2020 angeboten. Da aufgrund der COVID-19-Pandemie eine siebentätige Selbstisolation nach der Ankunft in … notwendig gewesen wäre, war es dem Antragsteller faktisch nicht möglich, diesen Termin wahrzunehmen. Allerdings wurde dem Antragsteller vom Generalkonsulat mitgeteilt, dass er sich aufgrund dieses Umstands nach seinem Eintreffen in Nigeria erneut mit dem Konsulat wegen eines neuen, zeitnahen Termins in Verbindung setzen solle. Dies sei allerdings nicht geschehen. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob der Antragsteller tatsächlich ernsthaft den Termin beim Deutschen Generalkonsulat in Lagos wahrnehmen wollte. Er bemühte sich weder um seine Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens noch um den Nachweis von Sprachkenntnissen, an welchen der Antragsgegner die Zusage einer Vorabzustimmung im Visumverfahren knüpfte. Es obliegt nunmehr dem Antragsteller, das Angebot des Generalkonsulats in … zur Einräumung eines zeitnahen Termins nach dem Eintreffen in Nigeria anzunehmen. Soweit er diese Möglichkeit nicht nutzt und damit die Vereinbarung mit der Ausländerbehörde nicht einhält, kann er nicht erwarten, erneut im Bundesgebiet geduldet zu werden. Er hat es dann selbst zu verantworten, dass die familienfreundliche Gestaltung des Visumverfahrens gescheitert ist. Die dann möglicherweise längerdauernde Trennung von der Familie ist ihm deshalb zumutbar. Der Antragsteller befindet sich hier in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführen und während dieser Zeit von ihrer Familie getrennt sind. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise liegt nach alledem nicht vor.
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Erteilung eines Visums bei Vorlage einer Vorabzustimmung, aus der sich die schützenswerte Vater-Kind-Beziehung des Antragstellers ergibt, grundsätzlich in absehbarer Zeit möglich ist. Eine Festlegung auf eine bestimmte Verfahrensdauer ist allerdings deshalb schwierig, da das Visumverfahren im Fall des Antragstellers in erster Linie der Klärung seiner Identität dient. Das Urkundswesen in Nigeria weist gravierende Mängel auf, sodass im Visumverfahren auch bei Vorlage eines Nationalpasses die Identität des Antragstellers zu prüfen ist. Dies gilt umso mehr im Fall des Antragstellers, der wegen Urkundenfälschung verurteilt wurde und einen gefälschten türkischen Passkontrollstempel sowie ein gefälschtes Schengenvisum im Pass hatte. Allgemein weisen die Deutsche Botschaft in Abuja und das Generalkonsulat in Lagos auf ihrer gemeinsamen Webseite darauf hin, dass in Fällen des Familiennachzugs standardmäßig das Urkundenüberprüfungsverfahren durchgeführt wird. Eine verbindliche Auskunft über die Bearbeitungsdauer dürfte deshalb insbesondere im Fall des Antragstellers schwierig sein. Allerdings liegt es in seiner Hand, im Vorfeld des Termins beim Generalkonsulat zusätzlich zum Reisepass weitere Unterlagen zu beschaffen, auf deren Grundlage die Identität geklärt werden kann. Die Bearbeitungsdauer liegt damit primär in der Hand des Antragstellers und kann bei guter Vorbereitung und bei Vorliegen der von der Ausländerbehörde bereits konkret in Aussicht gestellten Vorabzustimmung in wenigen Wochen durchgeführt werden. Auch in der derzeitigen Pandemielage werden Langzeitvisa erteilt, wie die Terminvergabe im vorliegenden Verfahren belegt.
Das Visumverfahren hat eine wichtige Funktion bei der Identifizierung des Antragstellers und der Klärung seiner Identität. Diese Identitätsklärung ist im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG eine generelle Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Sie liegt im öffentlichen Interesse und kann umfassend nur vor Ort im Visumverfahren erfolgen, so dass insoweit auch eine vorübergehende Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 6 GG grundsätzlich hinzunehmen ist. Eine Garantie einer bestimmten Verfahrenshöchstdauer kann es dabei nicht geben. So weisen die deutschen Vertretungen in Nigeria auf ihrer gemeinsamen Webseite darauf hin, dass die Bearbeitungsdauer eines Langzeitvisums stark einzelfallabhängig und schwer vorauszusagen ist. Gegebenenfalls steht dem Antragsteller die Möglichkeit offen, gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Generalkonsulats in Anspruch zu nehmen und auf diesem Weg seine Rechte aus Art. 6 GG durchzusetzen. Auch hier kann die Kammer – ebenso wie bei der Frage der verfassungskonformen Auslegung der Anspruchsnorm des § 36 Abs. 2 AufenthG durch das Deutsche Generalkonsulat – nicht davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht … seinem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht nachkommt.
f) Ein von dem deutschen Kind der Lebensgefährtin abgeleitetes Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV liegt nicht vor, so dass auch aufgrund dieser Vorschrift kein Anordnungsanspruch besteht. Art. 20 AEUV steht nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass einem Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Zunächst ist grundsätzlich fraglich, ob eine solche Ableitung vorliegend möglich ist, da keinerlei rechtlich geschützte Beziehung zwischen dem Kind und dem Antragsteller besteht. Jedenfalls aber ist nicht ersichtlich, dass das Kind aufgrund der Nachholung des Visumverfahrens durch den Antragsteller de facto gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union dauerhaft zu verlassen. Der Antragsteller hat es durch eine gewissenhafte Vorbereitung des Visumverfahrens selbst in der Hand, die Trennung von seinen Kindern und deren Mutter in einem überschaubaren Zeitrahmen zu halten.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat der Antragsteller die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben des § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert (Ziffern 8.3 und 1.5).
6. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen.
Nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat, wie oben ausgeführt, keine hinreichenden Erfolgsaussichten.
Hinsichtlich Ziffern I. bis III. gilt folgende Rechtsmittelbelehrung:


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