Verwaltungsrecht

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei Vorliegen effektiverer Möglichkeiten – Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens

Aktenzeichen  M 17 S 16.31261

Datum:
7.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis, wenn mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 33 Abs. 5 S. 2 AsylG eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes als die Durchführung eines Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht zur Verfügung steht (ebenso VG Regensburg BeckRS 2016, 44934 und VG Ansbach BeckRS 2016, 45662). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Kosovo. Er reiste nach eigenen Angaben am … April 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28. April 2016 Asylantrag. Er gab schriftlich an, dass sein Leben in Gefahr sei und er Herzprobleme habe. Er habe Bluthochdruck, sei zweimal in … operiert worden und habe jetzt wieder gesundheitliche Probleme.
Nachdem die Regierung von Oberbayern dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mitgeteilt hatte, dass der Aufenthalt des Antragstellers unbekannt sei, stellte dieses mit Bescheid vom 24. Mai 2016, zugestellt am 31. Mai 2016, fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Nr. 1). Es stellte weiter fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2) und forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung in den Kosovo oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Gegen die Nrn. 1 und 3 bis 4 des Bescheids erhob der Antragstellers am 2. Juni 2016 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 16.31260) und beantragte gleichzeitig,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass er den Asylantrag nicht zurückgenommen habe, sondern am 16. April 2016 Asylfolgeantrag gestellt habe, zu dem er nicht angehört worden sei. Es sei geplant gewesen, dass er für drei Tage bei seinem Cousin sei, aber nach einem schlimmen Unfall habe sich die Dauer von Freitag bis Sonntag ausgedehnt. Er habe nicht gewusst, dass er eine Verlassenserlaubnis benötigt hätte.
Seine Frau habe ihn betrogen und mit den Kindern verlassen. Er sei ohne sein Wissen geschieden worden und durch diese Situation gesundheitlich in Schwierigkeiten. Er denke öfter an Selbstmord. Seine Exfrau habe eine einstweilige Anordnung erwirkt, so dass er für zwei Jahre ins Gefängnis müsse, wenn er etwas gegen sie unternehme.
Ein Entlassbrief des Klinikum … vom … April 2016, in dem als Diagnosen „Ausschluss akuter Myokardinfarkt, Hypertensive Krise bei bekannter arterieller Hypertonie, cvRF: arterielle Hypertonie, Nikotinabusus, Adipositas, Niereninsuffizienz Stadium 2“ diagnostiziert und Nikotinverzicht sowie die Einnahme von ASS, Enalapril und Amlodipin empfohlen wird, wurde vorgelegt.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16.31260 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt, weil er mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist.
1. Gemäß § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wobei das Nichtbetreiben (unter anderem) vermutet wird, wenn er untergetaucht ist. In § 33 Abs. 5 AsylG ist geregelt, dass in diesen Fällen das Bundesamt das Asylverfahren einstellt (Satz 1), der Ausländer aber durch einen persönlichen Antrag beim Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann (Sätze 2, 3). Das Bundesamt nimmt dann die Prüfung in dem Verfahrensabschnitt wieder auf, in dem sie eingestellt wurde (Satz 5). Das Asylverfahren ist nur dann nicht wieder aufzunehmen und ein Antrag als Folgeantrag (§ 71 AsylG) zu behandeln, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits nach dieser Vorschrift wieder aufgenommen worden war (Satz 6).
2. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der von den Bayerischen Verwaltungsgerichten Regensburg (B.v. 18.4.2016 – RO 9 S 16.30620 – juris Rn. 11ff.) und Ansbach (B.v. 29.4.2016 – AN 4 S 16.30410 – juris Rn. 13ff.) vertretenen Rechtsauffassung an, dass dem Antragsteller mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des Rechtsschutzes als die Einleitung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beim Verwaltungsgericht zur Verfügung steht.
2.1 § 33 Abs. 5 Sätze 2 bis 5 AsylG knüpfen die Wiederaufnahme nach der Verfahrenseinstellung gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG – abgesehen von einer formgerechten Antragstellung (§ 33 Abs. 5 Satz 3 AsylG) – an keine weiteren Voraussetzungen an. In der Begründung des Gesetzgebers zur Neufassung des § 33 AsylG wird dazu ausgeführt, dass der Ausländer nach den Regeln des neuen § 33 Abs. 5 AsylG innerhalb der ersten neun Monate nach Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 oder 3 AsylG „ohne Verfahrensnachteile einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen“ kann und damit ein „einmaliges Fehlverhalten geheilt“ wird. „Die erstmalige Einstellung entfaltet somit lediglich Warncharakter“ (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 17).
2.2 Es liegt auch kein Fall des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG vor, insbesondere liegt die Einstellung des Asylverfahrens mit Bescheid vom 24. Mai 2016 nicht bereits neun Monate zurück, so dass der Antragsteller mit einem Wiederaufnahmeantrag eine Fortführung seines Asylverfahrens erreichen kann. Im Falle einer Nicht-Wiederaufnahme gilt im Hinblick auf hiergegen mögliche Rechtsbehelfe § 36 Abs. 3 AsylG entsprechend.
2.3 Da der Antragsteller nach einem Wiederaufnahmeantrag gemäß § 33 Abs. 5 Sätze 2 und 3 AsylG wieder in den Verfahrensabschnitt vor der persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG versetzt wird, bedarf es keines Eilantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, um den Antragsteller vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aufgrund der ausgesprochenen Abschiebungsandrohung zu schützen. Auch tritt gemäß § 67 Abs. 2 Nr. 1 AsylG die Aufenthaltsgestattung wieder in Kraft, wenn ein nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen wird.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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