Verwaltungsrecht

Fehlerhafte Beweiswürdigung verstößt nicht gegen den Grundsatz auf rechtliches Gehör

Aktenzeichen  14 ZB 17.30263

Datum:
17.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10017
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

Im Asylprozess kann die Verletzung materiellen Rechts durch eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung als solche nicht zu einer Berufungszulassung führen, weil § 78 Abs. 3 AsylG mangels einer dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Vorschrift den Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel“ an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerade nicht vorsieht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 K 16.32159 2017-01-12 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers in Form eines Gehörsverstoßes i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO wird mit dem klägerischen Vortrag nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; § 108 Abs. 2 VwGO) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409). Es soll sichergestellt sein, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten würdigt (BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – BayVBl 1981, 529). Im Rahmen seiner Berücksichtigungspflicht hat das Gericht deshalb Anträge und Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, soweit das Vorbringen nach den Prozessvorschriften nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder bleiben kann (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273). Dagegen vermag die Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG, B.v. 19.7.1967 a.a.O.). Um Letzteres geht es im vorliegenden Fall.
Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Klägers für unglaubhaft gehalten, und zwar aus mehreren Gründen sowohl hinsichtlich der Schilderungen des Klägers zu den Vorfällen im Iran als auch hinsichtlich seiner Konversion zum Christentum. Die klägerische Kritik betrifft dabei eine konkrete Passage der verwaltungsgerichtlichen Argumentation, in der ein Vortrag des Klägers bei seiner gerichtlichen Anhörung, der nach Ansicht der Klagepartei die biblische Erzählung im Johannesevangelium von der Auferweckung des gestorbenen Lazarus betrifft, vom Verwaltungsgericht als vom Kläger unzutreffend wiedergegeben angesehen wird. Nach dem verwaltungsgerichtlichen Protokoll (dort S. 3) wird in der Schilderung des Klägers der Verstorbene nicht „Lazarus“, sondern „Ilacak“ genannt und hinsichtlich der Schwester des Ilacak nicht von Maria von Bethanien, sondern von der „heiligen Maria“ gesprochen. Das Urteil (UA S. 7, oben) führt in der klägerseits kritisierten Passage aus, die vom Kläger eingehend geschilderte Geschichte aus der Bibel gebe es so nicht. Maria habe keinen Bruder gehabt. Die Auferweckung eines Toten drei Tage nach dessen Tod beziehe sich auf Lazarus von Bethanien.
Klägerseits wird hiergegen eingewandt, in der persischen Sprache laute der Name Lazarus „Il Zandar“. Der laut Protokoll vom Kläger verwandte – in die Niederschrift phonetisch aufgenommene – Name „Ilacak“ sei der von „Lazarus“. Auch habe der Dolmetscher fälschlicherweise von „Heilige Maria“ gesprochen, in Unkenntnis, dass es sich bei dem Namen Maria um einen verbreiteten Namen gehandelt und dass nicht nur die Mutter Jesu diesen Namen getragen habe. Gemäß Johannes Kapitel 11 habe sich die Auferweckung des Lazarus exakt so abgespielt, wie vom Kläger dargestellt. Das Gericht gehe vorliegend im Gegensatz zum eindeutigen Vortrag des Klägers zu dessen Ungunsten von einem anderen Sachverhalt aus und habe somit den Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es liege keine ernsthafte Würdigung des Sachvortrags, sondern eine erkennbar von Misstrauensbereitschaft, schon fest vorgegebenem Nichtglauben und Voreingenommenheit gekennzeichnete, negativ eingefärbte Teil- und Fehlwürdigung vor.
Mit dieser klägerischen Kritik ist kein Verfahrensfehler i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO dargelegt.
Selbst wenn zugunsten der Klagepartei unterstellt wird, dass der ins Protokoll phonetisch aufgenommene Name „Ilacak“ das (auf einen hebräischen Ausdruck zurückgehende) persische Wort für „Lazarus“ ist und dass das Verwaltungsgericht dies sowie den Umstand verkannt hätte, dass mit der „heiligen Maria“ auch „Maria von Bethanien“, die Schwester des Lazarus, gemeint sein kann, läge darin jedenfalls kein Verfahrensfehler in Form eines Gehörsverstoßes i.S.v. § 138 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.
Denn es ist zu sehen, dass in den protokollierten Aufzeichnungen über die gerichtliche Anhörung des Klägers, die dieser ausweislich des Protokolls (dort S. 6) genehmigt hatte, eben nicht von „Lazarus“ und „Maria von Magdala“ oder „Maria Magdalena“, sondern von „Ilacak“ und „Heilige Maria“ die Rede ist. Die Problematik des Falles liegt deshalb nicht darin, dass das Verwaltungsgericht einen Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt hätte, sondern vielmehr in der Art und Weise der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Würdigung eben dieses Vortrags. In der Sache geht es um die Frage der inhaltlichen Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Bewertung des vom Kläger zu Protokoll gegebenen Vortrags, mithin um die Würdigung der gesamten Umstände des Falls durch das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei die Sachverhalts- oder Beweiswürdigung grundsätzlich dem Bereich des materiellen Rechts zuzuordnen ist. Aus diesem Grund führt eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung im Ausgangspunkt zu einem materiell-rechtlichen Fehler, nicht aber zu einem Verfahrensfehler. Im Asylprozess kann die Verletzung materiellen Rechts als solche jedoch nicht zu einer Berufungszulassung führen, weil § 78 Abs. 3 AsylG mangels einer dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Vorschrift den Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel“ an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerade nicht vorsieht.
Nichts anderes folgt auch aus dem Umstand, dass Fehler der Beweiswürdigung ausnahmsweise – etwa bei Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze – einen Verfahrensmangel in Gestalt der Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) darstellen können (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.1990 – 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271; B.v. 8.2.2011 – 10 B 1.11 u.a. – NVwZ-RR 2011, 382 Rn. 3; U.v. 22.3.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 36). Denn selbst bei einer Sachverhaltswürdigung, die so schwere Defizite aufweist, dass der Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Verfahrensfehler anzusehen ist, wäre ein daraus resultierender Verfahrensfehler jedenfalls kein Verstoß auch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs i.S.v. § 138 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO (i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG), sondern nur ein allgemeiner Verfahrensfehler i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf den aber im Asylprozess ein Berufungszulassungsantrag – anders als etwa ein Revisionszulassungsantrag nach einem Berufungsurteil – nicht gestützt werden kann (OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.2.2012 – OVG 10 N 41.12 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Unabhängig davon liegt in der klägerseits kritisierten Übersetzung des Dolmetschers selbst dann, wenn man insoweit den klägerischen Vortrag in der Antragsbegründung als richtig unterstellt, kein zur Berufungszulassung führender Verfahrensfehler i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO. Denn ausweislich der vom Kläger genehmigten Niederschrift haben weder der Kläger noch sein in der mündlichen Verhandlung anwesender Bevollmächtigter gerügt, dass es bei der Übersetzung durch den Dolmetscher zu Verständigungsproblemen oder einer lückenhaften Übersetzung gekommen sei, noch haben sie einen Unterbrechungs- oder Vertagungsantrag mit der Begründung gestellt, dass der Kläger einen anderen Dolmetscher wünsche. Wenn der Kläger sein rechtliches Gehör wegen einer falschen, ungenauen oder lückenhaften Übersetzung gefährdet gesehen hätte, hätte er in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit gehabt, hierauf hinzuweisen. Die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung des Klägers, dass er sämtliche ihm verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, U.v. 29.6.2015 – 10 B 66.14 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 25.8.2016 – 14 ZB 16.30133 – juris Rn. 4). Vorliegend fehlt es an diesem Erfordernis.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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