Verwaltungsrecht

Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts bei Täuschung

Aktenzeichen  10 ZB 16.569

Datum:
4.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 124697
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 2 Abs. 7 S. 1
StPO § 170 Abs. 2
BeschV § 26 Abs. 2 S. 2
VwGO § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 2
GKG § 47 Abs. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Vorlage eines Anstellungsvertrags der Ehefrau, obwohl diese die Arbeitsstelle nie angetreten hat, kann eine Täuschungshandlung nach § 2 Abs. 7 S. 1 FreizügG/EU darstellen, die zur Feststellung des Nichtbestehens des Rechts aus § 2 Abs. 1 FreizügG/EU berechtigt. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein die Möglichkeit, dass der Tatsachenvortrag eines Klägers auch anders hätte gewürdigt werden können, begründet keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Würdigung, solange nicht gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten oder gar eine willkürliche Bewertung aufgezeigt werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 15.186 2016-01-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2014 weiter, mit dem diese festgestellt hat, dass ihm kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zusteht.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Klageabweisung ausgeführt, das Nichtbestehen des Rechts aus § 2 Abs. 1 FreizügG/EU habe zu Recht gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1 FreizügG/EU wegen einer Täuschungshandlung des Klägers festgestellt werden können. Er habe einen Anstellungsvertrag seiner Ehefrau vorgelegt, obwohl diese die Arbeitsstelle nie angetreten habe. Es könne ihm nicht geglaubt werden, dass er nicht bemerkt habe, dass seine Ehefrau nie gearbeitet habe; zumindest habe er billigend in Kauf genommen, der Ausländerbehörde das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses seiner Ehefrau vorgespiegelt zu haben.
In der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung wiederholt der Kläger letztlich nur das Vorbringen vor dem Verwaltungsgericht, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass das Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau zu keiner Zeit bestanden habe, und dass er somit keine Täuschungshandlung begangen habe.
Diesen Vortrag hat ihm das Verwaltungsgericht – auch aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung – nicht geglaubt, und diese Wertung eingehend begründet (UA S. 13-14). Der Kläger hat sich mit dieser Bewertung nicht konkret fallbezogen und hinreichend substantiiert auseinandergesetzt und nicht dargetan, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- oder Tatsachenfragen unrichtig entschieden habe (vgl. z.B. Roth in Posser/Wolf, Beck’scher Online-Kommentar VwGO, Stand: 1.7.2017, § 124a Rn. 73). Allein die Möglichkeit, dass der Tatsachenvortrag des Klägers auch anders hätte gewürdigt werden können, begründet keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit dieser Würdigung, solange nicht gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten oder gar eine willkürliche Bewertung aufgezeigt werden (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 19). Hierzu hat der Kläger keine durchgreifenden Anhaltspunkte vorgetragen.
Soweit er in der Begründung des Zulassungsantrags vorbringt, er habe „der Beklagten“ seinerzeit neben dem Anstellungsvertrag seiner Ehefrau vom 29. November 2012 auch deren Gehaltsabrechnungen vom Dezember 2012 und Januar 2013 vorgelegt, ist dies nicht glaubhaft. Nach dem Inhalt der Akten hat der Kläger am 14. Februar 2013 – im Übrigen nicht der Beklagten, sondern dem damals zuständigen Landratsamt M. – nur diesen Anstellungsvortrag vorgelegt, jedoch keine Gehaltsnachweise. Diese finden erstmals Erwähnung in der Klagebegründung vom 19. März 2015, wo der Kläger behauptet, die Ehefrau habe ihm (dem Kläger) die Gehaltsnachweise gezeigt. Das Verwaltungsgericht hat diese Behauptung als unglaubwürdig angesehen, weil die polizeilichen Ermittlungen ergeben haben, dass die Ehefrau nie an der im Anstellungsvertrag genannten Arbeitsstelle gearbeitet hatte, und solche Gehaltsnachweise daher nicht existieren könnten. Von daher ist es nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger ohne jeden weiteren Nachweis nunmehr erstmals behauptet, diese Gehaltsnachweise der Ausländerbehörde vorgelegt zu haben.
Ebenso stellt der Vortrag, die Ehefrau habe während der Zeit des ehelichen Zusammenlebens regelmäßig das Haus verlassen, die Bewertung durch das Verwaltungsgericht nicht in Frage.
Aus der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft am 10. Juli 2014 ist – im Gegensatz zur Meinung des Klägers – nicht zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft eine Täuschungshandlung verneint hat. Die in der Ausländerakte vorliegende Einstellungsmitteilung (Bl. 57 d. Behördenakte) enthält keine Begründung. Die Beklagte weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die Täuschungshandlung des Klägers zum Tatzeitpunkt noch nicht strafbar war; die einschlägige Strafvorschrift § 9 FreizügG/EU wurde erst mit Wirkung zum 9. Dezember 2014 geändert (zu den Einzelheiten siehe Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 9 FreizügG/EU Rn. 1 f.; Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.5.2017, § 9 FreizügG/EU Rn. 1).
Weiterhin wendet sich der Kläger gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Befristung des Wiedereinreiseverbots auf drei Jahre in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids sei ermessensfehlerfrei und die Beklagte habe zulässigerweise die vom Kläger im Bundesgebiet begangenen Straftaten in die Abwägung einbezogen. Er bringt vor, er habe im Bundesgebiet keine Straftaten begangen, da das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Erschleichens eines Aufenthaltstitels gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Hier lässt der Kläger jedoch außer Acht, dass er am 19. September 2013 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt worden ist und zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch ein Strafverfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung anhängig war (Anklageschrift vom 22.7.2014, Bl. 61 d. Behördenakte; Verurteilung vom 30.12.2015).
Das Vorbringen des Klägers, er befinde sich in einer Festanstellung, die er im Rahmen des § 26 BeschV weiterführen könnte, hat keinen Bezug zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; auch liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV offensichtlich nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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