Verwaltungsrecht

Feststellungen zur Gefahrendichte in der Gegend um Bagdad

Aktenzeichen  5 ZB 19.33656

Datum:
16.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27583
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

Für die Feststellung der Gefahrendichte können die Kriterien, die im Bereich des Flüchtlingsrechts für den dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung gelten, entsprechend herangezogen werden. Hierfür ist aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsregion lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie die Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Bezug zu setzen; erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung (Anschluss an BVerwG BeckRS 2012, 45614 Rn. 22). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 K 17.30596 2019-08-12 VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
a) Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Der Kläger hält sinngemäß die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Gefahrendichte in der Gegend um Bagdad sich derart extrem darstellt, dass dem Kläger eine Rückkehr nicht zugemutet werden könne, ihm also subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu gewähren ist. Feststellungen zur Gefahrendichte in der Gegend um Bagdad befänden sich nicht in den Gründen des Urteils des Verwaltungsgerichts. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Verhältnis der getöteten und verletzten Personen nicht in Bezug gesetzt zur Gesamtzahl der dort ansässigen Personen.
Dieser Vortrag ist schon deshalb nicht geeignet, zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu führen, weil bereits der Ausgangspunkt der Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Gefahrendichte nicht geprüft, falsch ist. Das Verwaltungsgericht hat zunächst dem Vortrag des Klägers zu seiner individuellen Verfolgung insgesamt kein Glauben geschenkt. Sodann hat es ausgeführt (UA S. 8), dass eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte für die sunnitische Bevölkerungsgruppe im Irak nach der Auskunftsklage und der (zitierten) Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht bestehe. Außerdem stehe dem Kläger eine inländische Fluchtalternative innerhalb Bagdads im Sinne von § 3e AsylG offen. Das Gericht gehe davon aus, dass in den sunnitisch bewohnten Bezirken Bagdads eine erhöhte Gefährdung von Mitgliedern der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, wie dem Kläger, nicht gegeben sei. Dies habe der Kläger beim Bundesamt insofern bestätigt, als er selbst angegeben habe, nach Al Dora, dem für Sunniten einzig sicheren Ort in Bagdad, geflohen zu sein. Der Kläger habe dort auch monatelang leben können, ohne dass ihm etwas passiert sei. Zum Anspruch des Klägers auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat das Verwaltungsgericht ausgeführt (UA S. 10), es sei aufgrund der Auskunftslage nicht davon auszugehen, dass der den Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt in Bagdad ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass der Kläger bei seiner Rückkehr allein durch seine Anwesenheit dort tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren in der Person des Klägers führen könnten, seien nicht substantiiert dargelegt und auch nicht ersichtlich. Zum anderen gelte auch für die Gewährung subsidiären Schutzes i.S.v. § 4 AsylG, dass der Kläger gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG auf internen Schutz in sunnitisch geprägten Bezirken Bagdads zu verweisen sei.
Damit hat das Verwaltungsgericht entgegen der Zulassungsbegründung und entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl die Verfolgungsdichte im Hinblick auf eine Gruppenverfolgung für Sunniten im Irak als auch eine Gefahrendichte im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes für sunnitische Iraker geprüft und im Einklang mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 20 ZB 17.30839 – juris; B.v. 5.12.2018 – 5 ZB 18.33041 – juris) verneint.
Für die Feststellung der Gefahrendichte können die Kriterien, die im Bereich des Flüchtlingsrechts für den dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung gelten, entsprechend herangezogen werden. Zur Ermittlung einer für die Annahme einer erheblichen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsregion lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie die Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Bezug zu setzen; erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 Rn. 22 f.; BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 17.11.2011 a.a.O.) ist die Annahme einer individuellen Gefährdung auch bei einer Gefahrendichte von 1:800 noch fernliegend.
Eine solche Gefahrendichte kann auch für die Gegend um Bagdad nicht festgestellt werden. Hierfür gibt es keine Erkenntnisquellen. Zwar muss in Bagdad auch weiterhin mit schweren Anschlägen gerechnet werden. Gleichwohl kann dort ein derart hoher Grad willkürlicher Gewalt, dass eine Zivilperson dort allein durch die Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, nicht angenommen werden. Schon angesichts der Größe der Stadt und Metropolregion Bagdad mit sechs bis zwölf Millionen Einwohnern, in denen sowohl Schiiten als auch Sunniten jeweils in Millionenstärke weitgehend in eigenen Bezirken leben, ist eine Zahl von Getöteten und Verletzten im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl, die zu der oben genannten Gefahrendichte führen würde und die Gewährung subsidiären Schutzes für alle dort lebenden Einwohner, die in Deutschland Schutz suchen, zur Folge hätte, den vorliegenden Erkenntnismittel nicht zu entnehmen. Es ist nicht erforderlich, in jeder einzelnen Entscheidung das Zahlenverhältnis der getöteten und verletzten Personen zur Gesamtbevölkerung darzustellen, wenn die Zahl der getöteten und verletzten Personen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nach den Erkenntnismitteln offensichtlich nicht ausreicht, um die erforderliche Gefahrendichte für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu begründen. Im Übrigen hat hier das Verwaltungsgericht in seinem Urteil (UA S. 9) auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Saarbrücken vom 9. Februar 2018 (6 K 2662/16 – juris) verwiesen, in dem der Gefahrengrad für Bagdad entsprechend der veröffentlichten Daten der UNO-Organisation UNAMI (http://www.uniraq.org, UNAMI, Civilian Casualties) und entsprechend den Angaben von Irak Body Count (http://www.iraqbodycount.org) dargestellt ist. Erkenntnisse darüber, dass sich das Zahlenverhältnis zwischenzeitlich entscheidungserheblich geändert hätte, liegen nicht vor und werden vom Kläger auch nicht dargelegt.
b) Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass ein Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts von einem tragenden Rechts- oder Tatsachensatz des Divergenzgerichts abweicht und die Entscheidung darauf beruht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (Happ in Eyermann a.a.O. § 124a Rn. 73 m.w.N.).
Der Kläger stellt weder Rechtssätze gegenüber, noch nennt er einen Rechtssatz, den das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll, und der einem vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. November 2011 (a.a.O.) aufgestellten Rechtssatz widersprechen würde. Das ist auch nicht der Fall.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben