Verwaltungsrecht

Fiktive Asylantragsrücknahme bei Nichterscheinen zum Anhörungstermin trotz ordnungsgemäßer Belehrung

Aktenzeichen  M 18 S 18.32550

Datum:
3.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27204
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 33 Abs. 2 Nr. 1, § 34
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Das Nichtbetreiben des Verfahrens wird gemäß § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Wird vorgetragen, dass eine Erkrankung vorlag, die verhindert hat, dass der Ausländer den Anhörungstermin wahrnehmen konnte, und dass eine ärztliche Bescheinigung wegen der schnellen Verlegung in die aktuelle Unterkunft nicht besorgt werden konnte, kann die Vermutung des § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ohne unverzüglichen Nachweis einer vorliegenden Erkrankung nicht widerlegt werden. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage auf Aufhebung der Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheids (Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung).
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste auf dem Landweg von Afghanistan aus am  … in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am  … stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Das Ladungsschreiben des Bundesamtes zum Anhörungstermin für den  … wurde dem Antragsteller nach dessen Unterschrift am 22. Mai 2018 persönlich von einem Mitarbeiter des Bundesamtes überreicht. In diesem findet sich folgender, eingerahmter Text:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. (…)“
Dem Antragsteller wurde am 22. Mai 2018 auch die Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und die allgemeinen Verfahrenshinweise in den Sprachen Deutsch und Dari ausgehändigt. Der Antragsteller bestätigte den Empfang mit seiner Unterschrift. Auf Seite 3 dieser Belehrung stehen folgende Absätze:
„Nichtbetreiben des Verfahrens Wenn Sie Ihr Asylverfahren nicht betreiben, kann Ihr Asylantrag als zurückgenommen betrachtet werden.
Es wird vermutet, dass Sie Ihr Asylverfahren nicht betreiben, wenn Sie Ihre Mitwirkungspflicht zur Vorlage der für den Asylantrag wesentlichen Informationen nicht nachkommen oder den Anhörungstermin nicht wahrnehmen. Das gleiche gilt, wenn Sie untertauchen, im beschleunigten Verfahren gegen die räumliche Beschränkung verstoßen oder während des Asylverfahrens in Ihren Herkunftsstaat reisen.
Die Vermutung des Nichtbetreibens gilt nicht, wenn Sie dem Bundesamt unverzüglich nachweisen, dass Ihr Versäumnis oder Ihre Handlung auf Umstände zurückzuführen ist, auf die Sie keinen Einfluss hatten.
Gilt der Asylantrag als zurückgenommen, stellt das Bundesamt das Verfahren ein und entscheidet ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt. Haben Sie unentschuldigt den Termin zur Anhörung versäumt, kann das Bundesamt statt einer Einstellung auch nach Aktenlage oder nach Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme über den Asylantrag entscheiden.
Wird das Asylverfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt, haben Sie einmal die Möglichkeit, innerhalb von neun Monaten einen Wiederaufnahmeantrag bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der Sie vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet waren.“
Das Bundesamt erließ am … den streitgegenständlichen Bescheid, in dem festgestellt wurde, dass der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Ziffer 1), Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, da er sonst nach Afghanistan abgeschoben werde (Ziffer 3) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetz wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
In der Begründung wurde u.a. erklärt, dass sich die Verfahrenseinstellung auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Var. 2. AsylG stützt. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Bescheid wurde nach einem Aktenvermerk des Bundesamtes am 14. Juni 2018 mit Einschreiben zur Post gegeben.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob am 27. Juni 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 18 K 18.32549) mit dem Antrag, den Bescheid vom  … aufzuheben. Des Weiteren stellte er den Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts anzuordnen.
Zur Begründung trug der Bevollmächtigte unter Verweis auf verschieden Urteile im Wesentlichen vor, dass eine Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 AsylG nicht rechtmäßig erfolgt sei, da der Belehrungspflicht nach § 33 Abs. 4 AsylG nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen worden sei. Die im Hinweisschreiben und dem Ladungsschreiben enthaltenen Belehrungen seien lückenhaft bzw. nicht gegen Empfangsbekenntnis erteilt worden. Weiter sei der Antragsteller am Anhörungstermin erkrankt und habe daher den Termin nicht wahrnehmen können. Eine ärztliche Bescheinigung der Erkrankung habe wegen der sofortigen Verlegung in seine neue Unterkunft nicht beschafft werden können.
Das Bundesamt legte am … die Akten vor.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Bundesamtakte, sowie der Gerichtsakten, auch im Verfahren M 18 K 18.32549, verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag des Antragstellers ist unbegründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage M 18 K 18. 32549 gegen Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom … … … ist zulässig.
Dem Kläger steht trotz der Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrags nach § 33 Abs. 5 AsylG ein Rechtsschutzbedürfnis zu. Einen Gleichwertigkeit der Rechtswirkung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 AsylG gegenüber einer gerichtlichen Entscheidung über Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist nicht anzunehmen, sodass dem Kläger ein rechtliches Interesse an einer Entscheidung zusteht (BVerfG v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8).
Der Antrag ist unbegründet, da die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens gering sind. Der streitgegenständliche Bescheid ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
Entfaltet ein Rechtsbehelf gegen die Klage – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist rechtmäßig. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt ein Asylantrag als zurückgenommen, mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG), wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG aber nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat diesbezüglichen vorgetragen, dass der Antragsteller erkrankt gewesen sei und deshalb den Anhörungstermin nicht habe wahrnehmen können. Eine ärztliche Bescheinigung habe wegen der schnellen Verlegung in die aktuelle Unterkunft jedoch nicht besorgt werden können. Der nicht erfolgte, unverzüglich Nachweis im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG wird vom Bevollmächtigten des Antragstellers somit eingeräumt. Da auch dem Schriftsatz vom … … … kein Nachweis für eine vorliegende Erkrankung beigefügt war, ist die Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG nicht widerlegt worden.
Der Antragsteller wurde auch entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten ausreichend belehrt. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Die dem Antragsteller am 22. Mai 2018 ausgehändigte Belehrung in Deutsch und Dari entspricht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG. Die Kritikpunkte in den vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitierten Urteilen sind nicht mehr gegeben. Das Bundesamt hat seit dem Erlass der vom Bevollmächtigten zitierten Urteile sein Belehrungsformular angepasst und erweitert.
Im vorliegenden Fall ist in der Belehrung, deren Empfang der Antragsteller schriftlich bestätigte, in ausreichend verständlicher Sprache der Inhalt des § 33 Absätze 1 bis 4 AsylG vollständig und des § 33 Abs. 5 AsylG in Grundzügen widergegeben. Der Übergabe der allgemeinen Belehrung in der Sprache Dari, der der Kläger mächtig ist, reicht alleine bereits in der neuen Formulierung aus, um eine ausreichende Belehrung anzunehmen.
Auch im Ladungsschreiben des Bundesamtes vom …, dessen Empfang der Antragsteller quittierte, ist in verständlicher Sprache ausdrücklich und durch Einrahmung hervorgehoben auf den sachlichen Inhalt von § 33 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 Var. 2, S. 2 AsylG hingewiesen und auf den Verhinderungsgrund der Erkrankung eingegangen worden.
Wegen der nach summarischer Prüfung festzustellenden Rechtmäßigkeit des Bescheids war der Antrag mithin abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Kosten werden nach § 83 AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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