Verwaltungsrecht

Flüchtlingsschutz bei doppelter Staatsangehörigkeit

Aktenzeichen  W 8 S 19.31544

Datum:
22.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21744
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a, § 30
GFK Art. 1 A Nr. 2 Abs. 2

 

Leitsatz

Für den Fall, dass eine Person mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, bezieht sich die Prüfung eines asylrechtlichen Abschiebungsschutzes zwar grds. auf alle Staatsangehörigkeiten. Jedoch kann ein Flüchtling, da der Flüchtlingsschutz subsidiären Charakter hat, auf einen weiteren Staat verwiesen werden, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt (hier Israel), sofern er dort nicht verfolgt wird (VG Berlin BeckRS 2015, 54798). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller hat sowohl die russische als auch die israelische Staatsangehörigkeit. Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an: Er habe bis zum Jahr 2011 in Russland gelebt und sei dann nach Israel gezogen. Er habe die Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit beantragt. Im Jahr 2014 sei er nach Deutschland eingereist, wo er seitdem lebe und arbeite. Einen Asylantrag in Deutschland habe er gestellt, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation um seine Auslieferung ersucht habe, der die Bundesrepublik Deutschland nachkommen wolle. Außerdem leide er an einer Herzerkrankung, die medikamentös behandelt und regelmäßig kontrolliert werden müsse.
Mit Bescheid vom 23. Juli 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung nach Israel angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf einen Monat ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Antragsteller ließ am 15. August 2019 im Verfahren W 8 K 19.31543 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 16. August 2019, den Antrag abzulehnen.
Weiter brachte die Antragsgegnerin vor: Im Hinblick auf die höchstrichterliche noch nicht geklärte Rechtsfrage, ob sich aus dem EuGH-Urteil vom 19. Juli 2018 ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes zu laufen beginnen dürfe, werde die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsanordnung wie folgt geändert: „Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.“ Die zuständige Ausländerbehörde sei entsprechend informiert worden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 19.31543) und die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung – nach Israel – in Nr. 5 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23. Juli 2019 anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt – bezogen auf Israel – den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Israel vom 3.12.2018).
Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die angesprochene persönliche Situation ist – mit Blick auf das Asylverfahren (das Auslieferungsverfahren ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens) – offensichtlich (vgl. § 30 AsylG) nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant, wie die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat. Denn nach dem eigenen Sachvortrag des Antragstellers war wesentlicher Grund für die Asylantragstellung in Deutschland der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls gegen ihn durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation sowie der Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland dem nachkommen wolle. Hinsichtlich Israel brachte der Antragsteller überhaupt keine relevanten Gründe vor.
Des Weiteren liegen – bezogen auf Israel – keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die sich das Gericht zu Eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht hat insbesondere keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Antragsteller im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Israels, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Israel ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung – auf einem hohen Niveau – gewährleistet (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Israel vom 3.1.2018, S. 48 ff.). Der Antragsteller ist im erwerbsfähigen Alter; ihm ist wie in der Vergangenheit zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen bzw. gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Israel zum Teil lebenden (Groß-)
Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Antragsteller eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (vgl. auch VG Würzburg, U.v. 1.4.2019 – W 8 K 19.30345 – juris).
Ergänzend wird noch angemerkt, dass das Vorbringen des Antragstellers zur Russischen Föderation keine andere Entscheidung rechtfertigt. So ist schon festzuhalten, dass sich die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung nur auf Israel bezieht und nicht auf die Russische Föderation. Für eine Abschiebung in die Russischen Föderation auf asylrechtlicher Basis müsste der vorliegende Bescheid konkret um den weiteren Zielstaat ergänzt und müssten nationale Abschiebungshindernisse hinsichtlich der Russischen Föderation geprüft werden.
Abgesehen davon ist entgegen der Annahme der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid festzuhalten, dass der Antragsteller die russische Staatsangehörigkeit besitzt. Zwar hat der Antragsteller angegeben, die Aufgabe der russischen Staatsbürgerschaft durch Verzicht beantragt zu haben. Jedoch ist der Verzicht auf die russische Staatsangehörigkeit nicht durch einen einseitigen Akt möglich. Vielmehr ist ein Antrag auf Ausbürgerung aus dem russischen Staatsverband unter Vorlage diverser Unterlagen zu stellen. Nach der Prüfung der Angelegenheit durch die zuständigen russischen Behörden wird eine entsprechende Ausbürgerungsbescheinigung ausgestellt (vgl. nur die Hinweise des Generalkonsulats der Russischen Föderation in Bonn, http://www…de/de/consinfo/citizenship/ig-21.php). Eine Ausbürgerungsbescheinigung liegt indes nicht vor.
Besitzt der Antragsteller demnach zusätzlich auch die russische Staatsangehörigkeit, hat sich die Prüfung eines asylrechtlichen Abschiebungsschutzes grundsätzlich auch auf diese Staatsangehörigkeit zu beziehen, weil nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AsylG maßgebend auf das Land der Staatsangehörigkeit als Herkunftsland abzustellen ist. Für den Fall, dass eine Person mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, bezieht sich der betreffende Ausdruck auf jedes Land, dessen Staatsangehörigkeit diese Person besitzt (Art. 1 A Nr. 2 Abs. 2 GFK; vgl. dazu VG Aachen, U.v. 1.8.2016 – 4 K 648/16.A – juris; Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, § 60 Anm. 104 f.). Jedoch kann ein Flüchtling, da der Flüchtlingsschutz subsidiären Charakter hat, auf einen weiteren Staat verwiesen werden, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt (hier Israel), sofern er – wie hier – dort nicht verfolgt wird (VG Berlin, B.v. 2.11.2015 – 33 L 312.15 A – AuAS 2016, 11; U.v. 21.6.2018 – 34 K 63.17 A – juris; Marx, Kommentar zum AsylG, 10. Aufl. 2019, § 3 AsylG Rn. 10 ff. m.w.N.).
Überdies ist weiter festzuhalten, dass sich aus dem Vorbringen des Antragstellers bezüglich der Russische Föderation offensichtlich keine Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung ergeben, sondern eine allein strafrechtliche Verfolgung wegen Vergehen gegen russische Strafvorschriften, insbesondere wegen Betrugs, droht. Das OLG Bamberg hat in seinem Beschluss vom 5. April 2019 betreffend die Auslieferungshaft des Antragstellers ausdrücklich ausgeführt, dass Anhaltspunkte dafür, dass die Tatvorwürfe nur zum Zweck einer politischen Verfolgung vorgeschoben wären, nicht bestünden. Der Antragsteller zeige selbst nicht konkret auf, aus welchen tatsächlichen Umständen er den russischen Behörden politisch missliebig sein sollte (vgl. Bl. 60 ff. der Bundesamtsakte). Des Weiteren ist nichts dafür ersichtlich, dass im Rahmen einer Strafverfolgung des Antragstellers in Russland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung erfolgen könnte, so dass auch die Voraussetzungen für einen subsidiären Schutz offensichtlich nicht vorliegen. Ergänzend wird dazu auf einen Vermerk in der Bundesamtsakte (Bl. 121) verwiesen, wonach beim OLG Bamberg eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vorliege, dass dem Antragsteller bei einer Auslieferung an die Russische Föderation keine ungebührliche Behandlung der dortigen Behörden drohe.
Schließlich ist noch anzumerken, dass die Frage der Auslieferung aufgrund eines Ersuchens der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation nicht Gegenstand des vorliegenden Asylverfahrens ist, sondern Gegenstand des Auslieferungsverfahrens, welches durch die zuständigen Strafgerichte überprüft wird.
Abschließend wird angemerkt, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf die noch nicht geklärte Rechtsfrage des Beginns der Ausreisefrist die Abschiebungsandrohung ausdrücklich wie folgt geändert hat: „Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.“ Die zuständige Ausländerbehörde sei informiert worden. Diese zu Gunsten des Antragstellers erfolgte Änderung ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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