Verwaltungsrecht

Folgeantrag, FGM, Coronapandemie, Heuschreckenplage

Aktenzeichen  AN 3 S 22.30208

Datum:
18.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12030
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 123
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert beträgt 3.125,00 EUR.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller, äthiopische Staatsangehörige vom Volk der Oromo und muslimischen Glaubens, haben bereits betreffend die Antragsteller zu 1) bis 5) unter dem Aktenzeichen … bzw. betreffend die Antragstellerin zu 6) unter dem Aktenzeichen … Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, welche betreffend die Antragsteller zu 1) bis 5) mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts … (vom 5.6.2019 – …) sowie betreffend die Antragstellerin zu 6) mit Bescheid des Bundesamtes für … vom 21. Juni 2021 unanfechtbar abgelehnt wurden. Den Antragstellern wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht.
Die Antragsteller zu 1) bis 4) reisten nach eigenen Angaben am 20. August 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei den Antragstellerinnen zu 5) und 6) handelt es sich um in Deutschland nachgeborene Kinder.
Erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht … am 5. Juni 2019 erklärten die Antragsteller zu 1) und 2) ausweislich der Niederschrift, dass ihren Töchtern bei einer Rückkehr nach Äthiopien eine Genitalverstümmelung drohen würde.
Am 3. August 2021 stellten die Antragsteller mit Schreiben der Antragstellerbevollmächtigten vom 2. August 2021 einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zu Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass den Antragstellerinnen zu 3) bis 6) in Äthiopien eine Genitalverstümmelung drohe. Die Antragsteller zu 1) und 2) seien in der Bundesrepublik Deutschland zwar gegen diese Praxis. Bei einer Rückkehr würden die Eltern jedoch keine Möglichkeit sehen, sich dieser zu widersetzen. Der Druck aus der Gesellschaft sei übermächtig und die gesamte Familie würde bei Nichtbeschneidung der Töchter ausgegrenzt und diskriminiert werden.
Im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Verbindung mit der in Äthiopien bestehenden Heuschreckenplage sei jedenfalls von einer nachträglichen Änderung der Sachlage zumindest im Hinblick auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG auszugehen. Eine Rückkehr der Antragsteller würde derzeit und in überschaubarer Zukunft einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen. Wegen der Heuschrecken drohe einem Teil der Bevölkerung eine vorhersehbare Hungersnot. Die Antragsteller würden bedrohliche Lebensbedingungen in Falle einer Rückkehr erwarten. Die Sicherung des Existenzminimums würde nicht mehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2022 legte die Antragstellerbevollmächtigte eine Bescheinigung des Klinikums … vom 21. Januar 2022 sowie eine Bescheinigung des Facharztes … … vom 1. April 2022 über die Unversehrtheit der weiblichen Genitalien der Antragstellerinnen zu 3) bis 6) vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt dieser Akte sowie den Inhalt der Akten der Erstverfahren der Antragsteller verwiesen.
Mit Bescheid vom 5. April 2022, zugestellt an 11. April 2022, lehnte die Antragsgegnerin den Asylfolgeantrag als unzulässig (Ziffer 1) und den Antrag auf Abänderung der Bescheide vom 10. April 2017 sowie vom 21. Juni 2021 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Ziffer 2) ab.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG nicht vorliegen würden. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen bezüglich der Heuschreckenplage sowie der Coronapandemie. Soweit für die Antragstellerinnen zu 3) bis 6) die Gefahr der Genitalverstümmelung in Äthiopien vorgetragen wird, sei dieser Umstand bereits Gegenstand des Klageverfahrens gewesen. Bei gleicher Sachlage könne dieser Vortrag zu keiner Berücksichtigung im weiteren Verfahren führen.
Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen hinsichtlich § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht gegeben.
Trotz der schwierigen Bedingungen in Äthiopien sei auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ersichtlich, weshalb es den Antragstellern nicht möglich sein solle, ihren existentiellen Lebensunterhalt in Äthiopien zu gewährleisten. Es sei nicht erkennbar, dass der Antragsteller zu 1) als gesunder und arbeitsfähiger Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Lebensunterhalt auch für eine sechsköpfige Familie nicht sichern könnte. In diesem Zusammenhang müsse er sich gegebenenfalls auch auf die Aufnahme mehrerer Arbeitstätigkeiten oder auf schlichte Hilfstätigkeiten verweisen lassen. So könne er einer Erwerbstätigkeit nachgehen, während die Antragstellerin zu 2) die Kinderbetreuung übernimmt.
Am 22. April 2022 ließen die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 5. April 2022 erheben und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragen. Eine Begründung erfolgte nicht.
Die Antragsteller beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den o.g. Bescheid der Antragsgegnerin wird angeordnet, da der Asylfolgeantrag als zulässig anzusehen ist,
hilfsweise wird die Antragsgegnerin verpflichtet, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung der Antragsteller zu unterbleiben hat, bis über das anhängige Klageverfahren in dieser Sache rechtskräftig entschieden wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, wobei vorliegend dahingestellt bleiben kann, ob dieser – nachdem die Antragsgegnerin keine erneute Abschiebungsregelung erlassen hat – nach § 80 Abs. 5 VwGO oder nach § 123 Abs. 1 VwGO (vgl. hierzu insbesondere BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris; VG München, B.v. 27.2.2019 – M 11 E 19.50096 – juris) statthaft ist.
Denn der Antrag ist in jedem Falle unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Die Antragsteller haben im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, da die Voraussetzungen gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Auch auf das Bestehen von nationalen Abschiebungsverboten können sich die Antragsteller nicht mit Erfolg berufen.
1. Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3).
Die Antragsgegnerin hat den Asylfolgeantrag in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides zu Recht als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG nicht vorliegen.
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG liegen im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten der Antragsteller geändert hat oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für die Antragsteller eine günstigere Entscheidung herbeiführen würden. Dies gilt insbesondere für die bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht … am 5. Juni 2019 geltend gemachte Gefahr einer Genitalverstümmelung bei den Antragstellerinnen zu 3) bis 6), aber auch hinsichtlich der landesweiten Lebensverhältnisse in Äthiopien in Folge der Heuschreckenplage im Jahre 2020 sowie der COVID-19-Pandemie.
Darüber hinaus muss gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden; die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
2. Auch auf das Bestehen von nationalen Abschiebungsverboten können sich die Antragsteller im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit Erfolg berufen.
a) Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. BayVGH, U.v. 12. März 2019 – 8 B 18.30274 – juris unter Verweis auf EGMR, U. v. 28.6.2011 – 8319/07 – juris und BVerwG U.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris).
Vorliegend sind weder unter Zugrundelegung der landesweiten Lebensverhältnisse in Äthiopien noch bei Berücksichtigung der persönlichen Situation der Antragsteller die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Heuschreckenplage in Äthiopien im Jahre 2020 und deren mittlerweile weitestgehend überholten Nachwirkungen sowie der COVID-19-Pandemie (vgl. hierzu u.a. BayVGH, B.v. 13.1.2022 – 23 ZB 20.31378 Rn. 20).
b) Ebenso wenig besteht im Falle der Antragsteller ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Es erscheint nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Antragsteller im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure besteht.
Auch im Hinblick auf die erkannter Maßen schwierige wirtschaftliche Situation für Rückkehrer in Äthiopien bestehen gleichwohl keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Insbesondere steht der Antragstellerfamilie grundsätzlich die zumutbare Möglichkeit offen, sich in einem anderen Teil Äthiopiens fernab von Verwandten oder Stammesangehörigen, welche möglicherweise auf eine Beschneidung der Antragstellerinnen zu 3) bis 6) bestehen, niederzulassen. Im Allgemeinen gilt in Äthiopien Niederlassungsfreiheit. Die Antragsteller können sich sicher und legal innerhalb Äthiopiens bewegen. Trotz der schwierigen Bedingungen in Äthiopien ist nicht ersichtlich, dass insbesondere der Antragsteller zu 1) seinen Lebensunterhalt sowie den seiner Familie dort nicht bestreiten könnte. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1) als junger Mann bei einer Rückkehr in der Lage sein wird, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie in Äthiopien, auch außerhalb deren Heimatregion und ohne Unterstützung von Familienmitgliedern, zu sichern. Für junge arbeitsfähige Rückkehrer bietet sich die Möglichkeit, Arbeit zu suchen und zu finden, auch wenn es sich dabei um schlecht bezahlte Arbeit handeln sollte. Im Übrigen ist bei Rückkehrern wie den Antragstellern im Hinblick deren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, der bei den Antragstellern zu 1) bis 4) bereits fast sechs Jahre andauert, damit zu rechnen, dass diese in dieser Zeit in der Lage waren, sich ein wenn auch geringes Startkapital für eine bescheidene Existenzgründung zu sichern und damit ihren eigenen Lebensunterhalt und auch den ihrer minderjährigen Kinder bestreiten zu können (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 8 ZB 18.32888 – juris; B.v. 1.10.2019 – 23 ZB 19.33452).
Im Übrigen wird auf die Gründe des hier streitgegenständlichen Bescheides verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin (§ 76 Abs. 4 AsylG) hat unter diesen Umständen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des hier streitgegenständlichen Bescheides.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 2 RVG.
Nachdem es an der gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen hinreichenden Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung fehlt, war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Hierzu wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
Die Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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