Verwaltungsrecht

Folgeantrag, Unzulässiger Folgeantrag ohne erneute Abschiebungsandrohung, Unzulässigkeitsentscheidung, Vorläufiger Rechtsschutz, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung unzulässig

Aktenzeichen  M 2 S 21.31811

Datum:
31.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26839
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 71
VwVfG § 51
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten wird für dieses Antragsverfahren (Az. M 2 S 21.31811) abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine ablehnende Entscheidung über einen Folgeantrag als unzulässig bzw. die Ablehnung der Abänderung der bestandskräftigen Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger usbekischer Volkszugehörigkeit. Seinen eigenen Angaben zufolge reiste er erstmals am 23. April 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 30. Juni 2015 Asylerstantrag stellte.
Mit Bescheid vom 18. September 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nummer 1.) und auf Asylanerkennung (Nummer 2.) sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Nummer 3.) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nummer 4.), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls würde er abgeschoben (Nummer 5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nummer 6.). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Die hiergegen vom Antragsteller erhobene Klage (Az.: M 25 K 17.48247) wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 19. Oktober 2020, auf das Bezug genommen wird, abgewiesen. Der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 3. Mai 2021 (Az. 13a ZB 20.32361) abgelehnt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14. Juni 2021 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Hinsichtlich der Begründung wird auf den genannten Schriftsatz Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 5. August 2021 wurde der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1); der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 18. September 2017 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG wurde ebenfalls abgelehnt (Nr. 2). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. August 2021 ließ der Antragsteller hiergegen Klage (Nr. M 2 K 21.31809) erheben und beantragen, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 5. August 2021 zu verpflichten festzustellen, dass die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise der subsidiäre Schutz nach § 4 AsylG und wiederum hilfsweise die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Außerdem wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Außerdem wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Hinsichtlich der Begründung von Klage und Antrag wird auf den genannten Schriftsatz Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakte vorgelegt und beantragt, „soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO gestellt ist“, diesen abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Verfahren M 2 K 21.31809, auf die beigezogene Akte des Verfahrens M 25 K 17.48247 und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Bezogen auf die Verfügung unter Nr. 2 des Bescheids vom 5. August 2021 ist er bereits unzulässig, im Übrigen, d.h. bezogen auf die Verfügung unter Nr. 1 des Bescheids vom 5. August 2021, ist er unbegründet.
I. Soweit sich der Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Nummer 2 des Bescheids vom 5. August 2021 wendet, ist der Antrag unzulässig.
Der Antrag ist so, wie er formuliert ist, in Bezug auf den Rechtsschutz gegen die Verfügung in Nummer 2 des Bescheids vom 5. August 2021, mangels Wahl des statthaften Rechtsbehelfs unzulässig.
In der vorliegenden Konstellation, in der die Antragsgegnerin den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) und auf Abänderung des Ausgangsbescheides im Erstverfahren vom 18. September 2017 bezogen auf die Abschiebungsverbote abgelehnt hat, ohne eine „neue“ Abschiebungsandrohung zu erlassen, § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG, ist umstritten, welches der richtige Rechtsbehelf im vorläufigen bzw. einstweiligen Rechtsschutz ist (vgl. die Darstellung des Streitstands z.B. durch VG Saarland, B.v. 20.8.2018 – 6 L 1012/18 – juris Rn. 4 ff. oder VG Würzburg, B.v. 6.2.2019 – W 10 S 19.30006 – juris Rn. 15 f.). Mangels einer erneuten Abschiebungsandrohung bildet die im Bescheid vom 18. September 2017 enthaltene bestandskräftige Abschiebungsandrohung i.V.m. den Feststellungen des „Folgebescheids“ die rechtliche Grundlage für den Vollzug einer etwaigen Abschiebung des Antragstellers. Umstritten ist hinsichtlich des vorläufigen bzw. einstweiligen Rechtsschutzes nun, ob dieser einheitlich nach § 123 VwGO zu erfolgen hat (vgl. die obigen Fundstellen; dann wäre der hiesige Antrag insgesamt unzulässig, da kein Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gestellt wurde) oder ob insoweit zwischen der Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig (vgl. Nr. 1 im streitgegenständlichen Bescheid vom 5. August 2021) und der Ablehnung der Abänderung der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. Nr. 2 im streitgegenständlichen Bescheid vom 5. August 2021) zu differenzieren ist (so – zutreffend – z.B. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 12 ff.) dergestalt, dass gegen erstere ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft ist (weil in der Hauptsache wegen § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG eine Anfechtungsklage richtige Klageart ist, vgl. den Antrag unter Nr. I. im Schriftsatz vom 16.8.2021; in Bezug auf das Klageverfahren sind die dafür angekündigten Verpflichtungsanträge unzulässig, vgl. die Anträge unter Nr. II – Hauptantrag und erster Hilfsantrag – im Schriftsatz vom 16.8.2021), gegen zweitere (ausschließlich) ein Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO statthaft ist (weil insofern in der Hauptsache keine Anfechtungsklage erhoben werden kann, sondern es sich um ein Verpflichtungsbegehren handelt, vgl. den zweiten Hilfsantrag bei den Anträgen unter Nr. II im Schriftsatz vom 16.8.2021). Dass mit dem hier gegenständlichen Antrag lediglich, ohne zu differenzieren, ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt wird, führt, ohne dass es auf die Entscheidung des dargestellten Streits ankommt, jedenfalls dazu, dass der Antrag bezogen auf die Verfügung unter Nr. 2 des Bescheids vom 5. August 2021, unzulässig ist. Denn insoweit ist unstreitig nur ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft, der hier aber nicht gestellt wurde. Eine Auslegung entgegen des eindeutigen Wortlauts der gewählten Antrags-Formulierung ist nicht möglich, weil der Antragsteller erstens durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten wird und zweitens der Wille, (nur) einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu stellen, unzweideutig zum Ausdruck kommt.
Daher kommt es nicht darauf an, dass auch ein zulässig erhobener Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO mangels derzeitigen Bestehens eines Anordnungsgrundes unbegründet wäre. Der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, der für eine etwaige Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig nicht aufgrund der Ablehnung des Folgeantrages samt Ablehnung der Abänderung des Erstbescheids hinsichtlich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgeschoben werden darf, ist derzeit wegen dem im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich dieses Antrags (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) bestehenden tatsächlichen Nichtvollzug von Abschiebungen in den Herkunftsstaat des Antragstellers (vgl. Pressemitteilung des Bundesinnenministers vom 11. August 2021, siehe z.B. unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2021/08/aussetzung-abschiebung.html, der zu Folge Rückführungen nach Afghanistan – für deren Vollzug gleichrangig neben den Ausländerbehörden der Länder auch die Bundespolizei zuständig ist, § 71 Abs. 3 Nr. 1d. Hs. 1 AufenthG, unabhängig davon, dass es hierfür in tatsächlicher Hinsicht zwingend der Mitwirkung des Bundes bedarf -, bis auf weiteres ohne Einschränkungen auf bestimmte Personengruppen, d.h. betreffend alle ausreisepflichtigen Afghanen, ausgesetzt werden, und die im Entscheidungszeitpunkt weiterhin gültig ist und nicht widerrufen wurde) nicht erforderlich.
II. Soweit sich der Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Nummer 1 des Bescheids vom 5. August 2021 wendet, ist der Antrag zwar zulässig – insofern ist mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der statthafte Rechtsbehelf gewählt -, aber unbegründet.
Die Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71 AsylG ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor, weshalb die Klage insoweit in der Hauptsache keine Erfolgsaussichten hat. Prüfungsmaßstab in der vorliegenden Konstellation im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG derjenige des „ernstlichen Zweifels“ (vgl. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 21 m.w.N.). Solche ernstlichen Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Im vorliegenden Fall bestehen keinerlei ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG nicht vorliegen.
Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müssen sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vorneherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zum begehrten Schutz zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe bzw. die Geeignetheit der neuen Umstände, sich möglicherweise zu Gunsten des Betroffenen auszuwirken (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Die Umstände, die der Antragsteller in seinem Folgeantrag geltend gemacht hat, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Auf die zutreffenden Feststellungen und die Begründung des angegriffenen Bescheids vom 5. August 2021 (dort S. 3 unter 1. bis S. 7, sechster Absatz), der das Gericht folgt, wird insoweit Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird noch bemerkt, dass sich die Umstände, die in der Folgeantragsbegründung gegenüber dem Bundesamt und auch in der Begründung von Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO aufgeführt sind, ausschließlich auf die nationalen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG beziehen, weswegen diese Umstände vom Bundesamt zu Recht als nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geeignet zurückgewiesen wurden. Dass das Bundesamt womöglich, gemessen an der Sachlage im Herkunftsstaat im Entscheidungszeitpunkt, den Antrag auf Abänderung der Feststellungen aus dem bestands- und rechtskräftigen Bescheid vom 18. September 2017 zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Unrecht abgelehnt hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Verfügung unter Nr. 1 des Bescheids vom 5. August 2021. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers hat das Bundesamt zwar unter richtiger Anwendung der gesetzlichen Systematik ausdrücklich die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht, indem es insofern die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG als gegeben erachtet hat – deswegen geht der Vorwurf seitens des Antragstellers, das Bundesamt habe im streitgegenständlichen Bescheid § 51 Abs. 5 VwVfG nicht geprüft, ins Leere; dass das Bundesamt insofern aber aus Sicht der Sach- und Rechtslage im hiesigen Entscheidungszeitpunkt nicht auch die bestandskräftige negative Feststellung unter Nr. 4 des Bescheids vom 18. September 2021 abgeändert hat, ist ein Umstand, der der Beurteilung im Klageverfahren in der Hauptsache (Az. M 2 K 21.31809) überlassen bleibt.
III. Da die Voraussetzungen hierfür (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) bereits mangels entsprechender Erfolgsaussichten (vgl. die obigen Ausführungen) nicht vorliegen, wird der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers bezogen auf das hiesige Antragsverfahren abgelehnt. Über den Prozesskostenhilfeantrag, soweit sich dieser auf das Klageverfahren (Az. M 2 K 21.31809) bezieht, wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.
Nach alledem wird der Antrag abgelehnt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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