Verwaltungsrecht

Freiwilliger Verzicht auf von Bulgarien gewährten Flüchtlingsschutz

Aktenzeichen  21 ZB 16.50029

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9766
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 lit. a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1 S. 2
AufenthG § 60 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1.  Es ist ein zentrales Ziel des gemeinsamen europäischen Asylsystems, Sekundärmigration nach erfolgter Schutzgewährung zu vermeiden. Die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz erfolgt nur durch einen einzigen Mitgliedstaat. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Gesetzeszweck, unerwünschte Sekundärmigration zu vermeiden, wird nur eine Auslegung der Normen über die Unzulässigkeit eines Asylantrags gerecht, wonach der freiwillige Verzicht des Betroffenen auf einen ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährten Flüchtlingsschutz ebenso zu behandeln ist wie der Fortbestand des Schutzes. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 11 K 15.50081 2016-01-20 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wurde entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht hinreichend dargelegt oder liegt nicht vor.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und auszuführen, weshalb die Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Dem genügt der Zulassungsantrag nicht. Es wurde bereits keine konkrete Grundsatzfrage formuliert.
Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam,
„ob und wie eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretene Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen ist, um eine Schutzlosstellung des Klägers (welche sich möglicherweise aus der Ausschlussnorm des § 51 Abs. 2 VwVfG ergeben würde) zu vermeiden.“
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers macht der Sache nach geltend, dass sich der dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Januar 2016 zugrunde liegende Sachverhalt nachträglich geändert hat. Das Verwaltungsgericht ging im Zeitpunkt seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus: Nachdem nach Auskunft der bulgarischen Behörden dem Kläger, einem syrischen Staatsangehörigen, in Bulgarien bereits am 7. April 2014 der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden war, stellte er am 29. Juni 2014 in Deutschland einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – juris Rn. 28 ff.; § 60 Abs. 1 Sätze 3 und 2, § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), bestätigt durch das Verwaltungsgericht (UA S. 8), als unzulässig ab. Aus dem im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten „BeschlussNr. 997/11.03.2016 der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat der Republik Bulgarien (vom 11.03.2016)“ und dessen vorgelegter Übersetzung in die deutsche Sprache ergibt sich, dass der Kläger am 15. Februar 2016 durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt einen Antrag auf Beendigung des ihm gewährten internationalen Schutzes eingereicht hat. Die Einreichung eines solchen Antrags sei Voraussetzung für die Beendigung des anerkannten Status als Flüchtling. Daraufhin erging am
11. März 2016 der Beschluss, dass der anerkannte Status des Klägers als Flüchtling beendet ist (zugestellt am 12. März 2016).
Nach Auffassung der Klägerseite habe sich die Tatsachenlage somit nach Erlass des verwaltungsgerichtlichen Urteils nunmehr dahingehend geändert, dass der Kläger nicht mehr über internationalen Schutz verfüge, der die Durchführung eines Asylverfahrens ausschließen würde. Der Antragsteller sei auch gehindert, diesen Umstand im Verwaltungsverfahren gem. § 51 Abs. 1 VwVfG geltend zu machen, da sich die Sachlage noch vor Eintritt der Unanfechtbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts geändert habe.
Im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachte „neue Tatsache“ – das ist der Sache nach vorliegend der vom Kläger nach Erlass des verwaltungsgerichtlichen Urteils erklärte Verzicht auf den ihm von den bulgarischen Behörden zuerkannten Flüchtlingsstatus (bzw. den auf seinen Antrag hin von den bulgarischen Behörden zurückgenommenen Flüchtlingsschutz) – kommt eine Einführung in das Zulassungsverfahren nicht in Betracht, weil damit keine die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung eröffnende Tatsachen- oder Rechtsfrage verallgemeinerungsfähiger Tragweite betroffen ist. Die von der Klägerseite aufgeworfene Problematik ist für den Rechtsstreit weder entscheidungserheblich noch besteht Klärungsbedarf, weil sich die Frage zweifelsfrei aus dem Gesetz und unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten lässt.
Es ist ein zentrales Ziel des gemeinsamen Europäischen Asylsystems, Sekundärmigration nach erfolgter Schutzgewährung zu vermeiden (Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU). Die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz erfolgt nur durch einen einzigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III VO). Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU die zuvor bereits in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85/EG geregelte Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, dahin erweitert, dass die Mitgliedstaaten einen Asylantrag nunmehr auch bei Gewährung subsidiären Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat als unzulässig behandeln dürfen (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 1. 6.2017 – 1 C 22/16 – juris Rn. 13).
Dieser Gesetzeszweck liegt der Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (in der Fassung des am 1. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetzes) in Übereinstimmung mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU zugrunde (vgl. hierzu BVerwG U.v. 21.11. 2017 – BVerwG 1 C 39.16 – juris Rn. 39 und B.v. 1.6.2017 – BVerwG 1 C 22.16 – juris Rn. 13 – jeweils m.w.N.).
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 AsylG gewährt hat. Für Asylanträge von Ausländern, denen in einem anderen Mitgliedstaat – wie hier – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, ergab sich deren Unzulässigkeit bis zum Inkrafttreten des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im August 2016 aus § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29 Rn. 29). Eine Ermächtigung zum Erlass einer solchen nationalen Vorschrift enthielt bereits Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85/EG. Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU hat diese Möglichkeit inzwischen auf jede Form der Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat erweitert (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 27. 6.2017 – 1 C 26/16 – juris Rn. 27).
Vorliegend kann somit dahinstehen, ob sich die Unzulässigkeit des Asylantrags wegen Flüchtlingszuerkennung in Bulgarien aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der Fassung des am 1. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetzes ergibt (vgl. BVerwG, Vorlage an den EuGH, BVerwG 1 C 39-16 – juris Rn. 39) oder auf § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zurückzugreifen ist. Jedenfalls wird nur die Auslegung dem Gesetzeszweck, unerwünschte Sekundärmigration zu vermeiden, gerecht, dass der freiwillige Verzicht des Betroffenen auf einen ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährten Flüchtlingsschutz ebenso zu behandeln ist wie der Fortbestand des Schutzes (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2012 – BVerwG 10 C 13.11 – juris Rn. 13, U.v. 6.4.1992 – BVerwG – 9 C 143.90 – juris Rn. 20). Der Gesetzeszweck würde verfehlt, wenn ein Asylbewerber es in der Hand hätte, durch freiwilligen Verzicht auf seinen ihm von einem anderen Mitgliedstaat zuerkannten Flüchtlingsstatus herbeiführen zu können, dass er in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz geltend machen kann, möglicherweise allein mit dem Ziel, seine wirtschaftliche und persönliche Situation zu verbessern (vgl. auch BVerwG, U.v. 2.12.1986 – 9 C 105/85 – BVerwGE 75, 181-188, Rn. 12).
Nach alldem ist – abgesehen davon, dass sich dem klägerischen Vortrag keine konkrete Grundsatzfrage entnehmen lässt – der vom Kläger nach Erlass des verwaltungsgerichtlichen Urteils gegenüber den bulgarischen Behörden freiwillig erklärte Verzicht auf seinen Flüchtlingsstatus nicht geeignet eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage zu bewirken, da der Kläger trotz seines freiwilligen Verzichts auf den ihm bereits in Bulgarien gewährten Flüchtlingsschutzes ebenso zu behandeln ist wie bei Fortbestand des Schutzes.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Januar 2016 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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