Verwaltungsrecht

Fristversäumnis eines Rechtsanwalts

Aktenzeichen  11 CS 19.2490

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1187
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Ein Rechtsanwalt muss den Fristablauf auch bei grundsätzlich delegierbaren Fristberechnungen und -eintragungen immer dann selbst nachprüfen, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (stRspr, vgl. BGH, BeckRS 2017, 129368 Rn. 7). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 7 S 19.1653 2019-11-21 VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
II. Die Beschwerde wird verworfen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
Nachdem die Polizeiinspektion Kaufbeuren das Landratsamt Ostallgäu (im Folgenden: Landratsamt) darüber informiert hatte, dass der Antragsteller am 2. Mai 2019 unter der Wirkung von Betäubungsmitteln mit einem Kfz gefahren war und dass in der ihm entnommenen Blutprobe Cocainmetabolite (105,9 ng/ml Benzoylecgonin) festgestellt worden waren, entzog ihm das Landratsamt nach Anhörung mit Bescheid vom 12. Juli 2019 wegen feststehender Ungeeignetheit unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Ablieferung des Führerscheins. Dieser Verpflichtung kam der Antragsteller am 18. Juli 2019 nach.
Über den gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch hat die Regierung von Schwaben, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 21. November 2019 abgelehnt. Der Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 27. November 2019 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2019 reichten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers Beschwerde gegen den Beschluss ein und kündigten an, eine Begründung nachzureichen. Nach dem Hinweis des Senats vom 3. Januar 2020 auf den Ablauf der Begründungsfrist reichten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 9. Januar 2020 eine Begründung nach und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Aufgrund eines Versehens der Rechtsanwaltsfachangestellten müsse die Begründungsfrist falsch notiert worden sein. Dies sei erst durch den gerichtlichen Hinweis vom 3. Januar 2020 aufgefallen. Vergleichbare Fälle habe es bislang noch nicht gegeben. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers habe aufgrund langjähriger fehlerfreier Arbeit auf die Fähigkeiten der Rechtsanwaltsfachangestellten vertrauen dürfen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist nicht innerhalb der Monatsfrist nach Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründet worden und daher gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen.
1. Da der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. November 2019 mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrungversehen war und den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 27. November 2019 zugestellt wurde, endete die Monatsfrist für die Beschwerdebegründung gemäß § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1, Abs. 2 BGB am Freitag, den 27. Dezember 2019, um 24.00 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt ist beim allein empfangszuständigen Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (§ 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO) keine Beschwerdebegründung eingegangen.
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist ist abzulehnen, weil das Fristversäumnis nicht unverschuldet war.
a) Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Eigenes Verschulden sorgfältig ausgewählter und überwachter Hilfspersonen des Rechtsanwalts ist dem Beteiligten hingegen nicht zuzurechnen.
b) Hier kann sich der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte die Begründungsfrist „falsch notiert“ habe. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zur Begründung der Beschwerde überhaupt um eine Frist handelt, deren Berechnung ein Bevollmächtigter grundsätzlich gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Personal überlassen darf, ohne sich bei einem Berechnungsfehler ein Verschulden seines Personals vorhalten lassen zu müssen (vgl. hierzu Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 60 Rn. 14 und 19; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 60 Rn. 45). Denn ein Rechtsanwalt muss den Fristablauf auch bei grundsätzlich delegierbaren Fristberechnungen und -eintragungen immer dann selbst nachprüfen, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (stRspr, vgl. BGH, B.v. 19.9.2017 – VI ZB 40/16 – NJW-RR 2018, 58 Rn. 7; Hoppe in Eyermann, a.a.O. § 60 Rn. 15; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O. § 60 Rn. 46). Zwar kann er sich dann, wenn in den Handakten ein Vermerk über die Notierung der Begründungsfrist angebracht ist und sich keine Zweifel an der Richtigkeit aufdrängen, grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken und braucht nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist. Er muss sich aber zumindest vergewissern, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert sind und dort anhand entsprechender Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennbar ist, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (BGH, B.v. 19.9.2017 a.a.O. Rn. 8).
Das hat der Bevollmächtigte des Antragstellers hier offenbar versäumt. Ihm hat die Akte nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses über den angefochtenen Beschluss am 27. November 2019 spätestens am 11. Dezember 2019 zur Einlegung der Beschwerde nochmals vorgelegen. Dabei hätte ihm auffallen müssen, dass seine Bürokräfte auf Seite 13 der ihm zugestellten Abschrift der Entscheidung zwar ausdrücklich die Frist zur Einlegung der Beschwerde und deren Eintragung handschriftlich notiert haben, nicht aber die Frist zur Begründung der Beschwerde und deren Eintragung im Fristenkalender. Das lässt sich der mit dem Schriftsatz vom 9. Januar 2020 vorgelegten Beschlussabschrift eindeutig entnehmen. Deshalb hätte Anlass bestanden, die korrekte Berechnung der Beschwerdebegründungsfrist, deren Ablauf und deren Eintragung im offenbar manuell und elektronisch geführten Fristenkalender nachzuprüfen. Da sich Derartiges jedoch nicht aus seinen Darlegungen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt, ist der Schluss gerechtfertigt, dass es sich hierbei um ein Versäumnis des Prozessbevollmächtigten handelt, das sich der Antragsteller gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (vgl. BGH, B.v. 19.9.2017 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.).
3. Ergänzend sei zum Beschwerdevorbringen angemerkt, dass keinerlei Zweifel daran bestehen, dass der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht zu Recht von der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen sind. Der Antragsteller hat Kokain konsumiert und dadurch seine Fahreignung verloren (Anlage 4 Nr. 9.1 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Es kommt hinzu, dass er unter der Wirkung dieses Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Anhaltspunkte für die Wiedererlangung der Fahreignung oder für eine Ausnahme von der Regelvermutung im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung sind nicht ersichtlich. Insbesondere reichen hierfür weder die „besonderen Lebensumstände“ des Antragstellers, womit die zurückzulegende Entfernung von seinem Wohnort zu seinem Ausbildungsplatz gemeint sein dürfte, noch die behauptete „charakterliche Eignung“ oder „körperliche Fitness“ des Antragstellers und schließlich auch seine angebliche, aber nicht belegte Drogenabstinenz nicht aus.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164 Rn. 14).
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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