Verwaltungsrecht

Für die Berufungszulassung ungenügende Darlegung von Zulassungsgründen im Asylverfahren

Aktenzeichen  20 ZB 16.50036

Datum:
9.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46779
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4, § 80, § 83b
GFK Art. 33
GG Art. 103 Abs. 1
Dublin III-VO Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 3, Art. 18
VwGO § 108 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Nach Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO hat der für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat (hier: Ungarn) das Recht, eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in einen sicheren Drittstaat (hier: Serbien) zurück- oder auszuweisen, auch nachdem er im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens anerkannt hat, dass er nach der Verordnung für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, der von einer Person gestellt wurde, die diesen Mitgliedstaat verließ, bevor über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in der Sache entschieden worden war. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Allein durch den Verweis auf anders lautende Gerichtsentscheidungen wird der grundsätzliche Klärungsbedarf einer Rechtsfrage nicht aufgezeigt (wie VGH München BeckRS 2015, 48019). Das Bestreiten der Auffassung des Verwaltungsgerichts in Form einer Berufungsbegründung genügt den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ebenfalls nicht. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Rüge, das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt, erfordert regelmäßig, dass substantiiert dargelegt wird, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägungen gezogen haben soll (BVerwG BeckRS 9998, 50958) oder zu welchen entscheidungserheblichen Tatsachen oder Beweisergebnissen der Kläger sich nicht hat äußern können. Sie erfordert außerdem, dass substantiiert dargelegt wird, was der Kläger vorgetragen hätte, wenn ihm ausreichendes Gehör gewährt worden wäre, und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG BeckRS 1997, 22791). (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Nach der Rechtsprechung des EuGH (BeckRS 2016, 80581) ist Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO jedenfalls dahin auszulegen, dass er im Fall der Wiederaufnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, nicht vorschreibt, dass das Verfahren zur Prüfung ihres Antrags in dem Stadium wieder aufgenommen wird, in dem es eingestellt worden war. (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

B 3 K 15.50247 2016-02-24 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargetan ist bzw. nicht vorliegt.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a, Rn. 72). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erforderlich (vgl. Berlit in GK-AsylVfG, Rn. 592, 607 und 609 zu § 78).
Bei der von den Klägern aufgeworfenen Frage, ob die Gefahr einer Abschiebung nach Serbien gegen das in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention völkerrechtlich anerkannte Prinzip des Non-Refoulement verstößt, haben die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt. Hierbei ist die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu berücksichtigen (U. v. 8.3.2016 – 17.3.2016 – C-695/15 PPU – BeckRS 2016, 80581), dass nach Artikel 3 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 der danach zuständige Mitgliedstaat (Ungarn) das Recht, eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in einen sicheren Drittstaat (Serbien) zurück- oder auszuweisen, auch ausüben kann, nachdem er im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens anerkannt hat, dass er nach der Verordnung für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, der von einer Person gestellt wurde, die diesen Mitgliedstaat verließ, bevor über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in der Sache entschieden worden war. Warum Serbien unter Zugrundelegung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann, haben die Kläger jedoch nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Die bloße Bezugnahme auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen und die von diesem zugrunde gelegten tatsächlichen Erwägungen genügt hierfür nicht. Das gilt auch für die weiteren Ausführungen der Kläger in ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung unter Zugrundelegung der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes das Vorliegen systemischer Mängel im Asylverfahren in Ungarn verneint. Es hat in seiner Entscheidung das ungarische Asylsystem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gewürdigt und hat insbesondere die zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderungen des ungarischen Asylrechts ausführlich gewürdigt. Dem sind die Kläger im Wesentlichen mit einer im Stile einer Berufungsbegründung gehaltenen Argumentation, warum systemische Mängel vorlägen, und der Nennung einer großen Menge von dies bejahenden Gerichtsentscheidungen entgegengetreten. Durch den bloßen Verweis auf anders lautende Entscheidungen wird jedoch kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 8.9.2014 – 13 A 1347/14.A – juris Rn. 21; OVG Schleswig-Holstein, B. v. 13.4.2015 – 2 LA 39/15 – juris; BayVGH, B. v. 12.6.2015 – 13a ZB 15.50097 – BeckRS 2015, 48019). Denn mit dem alleinigen Bestreiten der Auffassung des Verwaltungsgerichts in Form einer Berufungsbegründung wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Bei grundsätzlichen Tatsachenfragen, wie der hier gestellten, muss die Antragsbegründung erkennen lassen, warum das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse unzutreffend beurteilt haben soll. Eine hierzu notwendige und ausreichende Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts fehlt. Es ist aber Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung bestimmter Auskünfte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern – mit der Folge der Durchführung eines Berufungsverfahrens – seine gegenteilige Bewertung in dem Antrag zutreffend ist (OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 28.1.2016 – 4 L 16/16 – juris). Damit werden die Anforderungen an die Darlegung des Berufungszulassungsgrundes nicht erfüllt.
Die von den Klägern weiter aufgeworfene Frage, „ob das Urteil rechtmäßig ohne Beteiligung eines Rechtsanwalts an der mündlichen Verhandlung ergangen ist, weil das Verwaltungsgericht dem Kläger den Zugang zum Rechtsmittel Klage durch die Ablehnung der Prozesskostenhilfeanträge verwehrt hat“, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Es ist bereits nicht ersichtlich, welche grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung diese Frage haben soll. Tatsächlich stellen die Kläger vielmehr mit ihrer Rüge den grundsätzlichen Beschwerdeausschluss nach § 80 AsylG infrage. Diese Entscheidung des Gesetzgebers, den Beschwerdeweg einzuschränken, ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ). Warum hierin auch ein Verstoß gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs liegen soll, haben die Kläger nicht in der nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erforderlichen Weise dargelegt. Die Rüge, das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt, erfordert regelmäßig, dass substantiiert dargelegt wird, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägungen gezogen haben soll (BVerwG, B. v. 27.10.1998 – 8 B 132.98 – NJW 1999, 1493) oder zu welchen entscheidungserheblichen Tatsachen oder Beweisergebnissen der Kläger sich nicht hat äußern können. Sie erfordert außerdem, dass substantiiert dargelegt wird, was der Kläger vorgetragen hätte, wenn ihm ausreichendes Gehör gewährt worden wäre, und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG, B. v. 9.10.1984 – 9 B 138.84 – InfAuslR 1985, 83; B. v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328). Diese Anforderungen sind hier offensichtlich nicht erfüllt.
Soweit die Kläger die Frage aufwerfen, ob Dublin-Rückkehrer nach mehr als neun Monaten Aufenthalt in einem Mitgliedstaat (hier: Deutschland) in Ungarn ein Asylverfahren durchlaufen, welches eine materiell-rechtliche Prüfung des Asylvorbringens enthält, kann letztlich dahinstehen, ob die Kläger damit eine klärungsfähige Frage überhaupt ordnungsgemäß formuliert haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH (U. v. 8.3.2016 – 17.3.2016 – C-695/15 PPU – BeckRS 2016, 80581) ist Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 jedenfalls dahin auszulegen, dass er im Fall der Wiederaufnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, nicht vorschreibt, dass das Verfahren zur Prüfung ihres Antrags in dem Stadium wieder aufgenommen wird, in dem es eingestellt worden war. (amtlicher Leitsatz).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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