Verwaltungsrecht

Für die Entscheidungserheblichkeit ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts maßgeblich

Aktenzeichen  20 ZB 16.30685

Datum:
30.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Für die Frage, ob eine Rechtsfrage entscheidungserheblich im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist, ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts maßgeblich. Geht dieses von individuell gefahrerhöhenden Umstände aus, so kommt es nicht auf die Frage an, ob eine derart hohe Gefahrendichte vorliegt, dass für jede Zivilperson eine individuelle konkrete Gefahr besteht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ob ein Umstand als gefahrerhöhend anzusehen ist, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls; eine weitergehende, abstrakte Definition ist nicht möglich. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 14.30932 2016-06-28 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG (hierzu 1.) noch die behauptete grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (hierzu 2. und 3.) liegt vor.
1. Die von der Beklagten geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat in dem streitgegenständlichen Urteil keinen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (insb. U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360, Rn. 33) abweichenden Rechtssatz aufgestellt, was die Frage der Feststellung der individuellen Betroffenheit durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts angeht. Dies ergibt sich daraus, dass es auf den Seiten 5 bis 6 des Urteils zunächst die allgemeinen Anforderungen an die Feststellung einer Gefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG darlegt. Dabei findet sich auch explizit die Aussage, dass eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und/oder Verletzungsrisikos notwendig ist. Auf dieser Grundlage stellt das Verwaltungsgericht anschließend die Sicherheitslage in Somalia unter Nennung von Opferzahlen dar. Aufgrund der mangelhaften Auskunftslage in Somalia ist jedoch eine zuverlässige Angabe einer Relation, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefordert wird, mangels belastbarer Opferzahlen nicht möglich (vgl. hierzu auch das Urteil des Senats vom 7.4.2016 – 20 B 14.30101, Rn. 26). Dementsprechend versuchte das Verwaltungsgericht, die von ihm zuvor festgestellte rechtliche Vorgabe umzusetzen, stieß dabei aber an die Grenzen der Auskunftslage. Ein von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichender Rechtssatz etwa dergestalt, dass eine solche quantitative Feststellung nicht erforderlich sei, wurde in dem Urteil aber nicht formuliert.
2. Die von der Beklagten aufgeworfene Tatsachenfrage
ob (noch) eine derart hohe Gefahrendichte in Süd- und Zentralsomalia, namentlich dabei in Belet Weyne bzw. der Provinz Hiiran, feststellbar ist, dass jedenfalls dann, wenn ein aufnahme- bzw. schutzbereites Umfeld fehlt, für jede Zivilperson eine individuell konkrete Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt,
hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn diese Frage ist in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig, da sie nicht entscheidungserheblich ist. Für die Frage, ob eine Rechtsfrage entscheidungserheblich im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist, ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts maßgeblich (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124, Rn. 29). Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen im Fall der Klägerin aber individuell gefahrerhöhende Umstände vor, so dass es auf die Frage, ob eine derart hohe Gefahrendichte vorliegt, dass für jede Zivilperson eine individuelle konkrete Gefahr in Belet Weyne bzw. der Provinz Hiiran vorliegt, nicht streitentscheidend ankommt.
Dessen ungeachtet weist der Senat daraufhin, dass die von der Beklagten formulierte Frage dahingehend zu konkretisieren ist, dass der Einschub „jedenfalls dann, wenn ein aufnahme- oder schutzbereites Umfeld fehlt“ nicht zu berücksichtigen ist, da er sich offenbar auf die Frage nach tauglichen gefahrerhöhenden Umständen bezieht (siehe hierzu im Folgenden).
3. Auch die Rechtsfrage,
ob die vom Verwaltungsgericht einbezogenen Umstände überhaupt als taugliche individuell gefahrerhöhende Umstände zugrunde gelegt werden dürfen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Denn die Klärung der Frage muss aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse liegen (Roth in Beck-OK VwGO, 39. Edition, Stand 1.10.2016, § 124 VwGO, Rn. 59). Eine Rechtsfrage muss mit Auswirkung über den Einzelfall hinaus in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortbar sein (Roth a.a.O. u.v.a. BVerwG, B.v. 30.3.2005 – 1 B 11/05 – NvWZ 2005, 709). Die hier gestellte Frage kann jedoch nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden.
Das Verwaltungsgericht hat in dem streitgegenständlichen Urteil entschieden, dass aufgrund der in der Person der Klägerin begründeten Umstände, namentlich, dass es sich bei ihr um eine Frau handelt, dass sie eine kleine Tochter hat und ein weiteres Kind erwartet und dass sie ohne Unterstützung durch ihre Familie oder einen Clan nach Somalia zurückkehren müsste, gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Antragsbegründung nicht allein darauf abgestellt, dass die Klägerin nicht auf ein aufnahmebereites Umfeld bauen könne. Dies war letztlich nur die Folge der in der Person der Klägerin liegenden, im Ergebnis gefahrerhöhenden Umstände.
Eine über die bisherige Rechtsprechung hinausgehende, allgemeine Klärung der Frage, wann gefahrerhöhende Umstände zu bejahen sind, ist in einem Berufungsverfahren nicht zu erwarten. Denn diese Frage entzieht sich einer generalisierenden, allgemeinen Beantwortung. Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. April 2010 (Az. 10 C 4.09 – BVerwGE 131, 198 – Rn. 33) die insoweit für die Beurteilung dieser Frage maßgeblichen Umstände bereits festgelegt. Danach können gefahrerhöhende Umstände in erster Linie solche sein, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Darüber hinaus können aber auch Umstände, die eine Zivilperson der Gefahr gezielter Gewaltakte aussetzen, berücksichtigt werden. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht zwei sehr unterschiedliche Gruppen von gefahrerhöhenden Umständen als denkbar angesehen. Ob ein Umstand als gefahrerhöhend anzusehen ist, ist aber eine Frage des konkreten Einzelfalls, eine weitergehende, abstrakte Definition ist nicht möglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.
Kraheberger Dr. Stadler Dr. Wirths


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