Verwaltungsrecht

Furcht vor einem Voodoo-Fluch kein asylerhebliches Merkmal

Aktenzeichen  M 9 K 17.39325

Datum:
2.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3764
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs.1, § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 5
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3b, § 3c Nr. 3, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2, Nr. 3, § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1, § 43 Abs. 3 S. 1, § 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 , § 78 Abs. 1
EMRK Art. 3
AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Furcht vor dem Voodoo-Kult stellt als solche keine Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal iSv § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG dar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegen keine nachvollziehbaren Tatsachen vor, die belegen, dass der Voodoo-Kult in Nigeria landesweit verfolgungsmächtig ist, sodass jedenfalls ganz offensichtlich eine inländische Fluchtalternative besteht bzw. interner Schutz zur Verfügung steht (§ 3e AsylG). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage ist zwar für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch. Ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen kann die wirtschaftliche Situation in Nigeria jedoch grundsätzlich nicht rechtfertigen.  (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
Im Übrigen wird die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage durch die Beschränkung der ursprünglich formulierten Klageanträge in der mündlichen Verhandlung teilweise zurückgenommen wurde, nämlich in Bezug auf die zunächst noch geltend gemachte Asylberechtigung der Klägerin, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, hat sie keinen Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2018 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 7. April 2017 ist daher rechtmäßig. Es wird insoweit zunächst in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Dabei ist es Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Das ursprüngliche Verfolgungsvorbringen, wie es die Klägerin in der Anhörung beim Bundesamt im hiesigen Verfahren dargestellt hat, weist bereits keine Anknüpfungspunkte an ein asylerhebliches Merkmal i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG, und zwar sowohl bezogen auf den Vortrag der schlechten finanziellen Lage als auch in Bezug auf den im Übrigen vollkommen inkonsistent und nicht nachvollziehbar dargestellten Vortrag zur geltend gemachten Bedrohung seitens einer Schlepperin wegen der noch ausstehenden Rückzahlung von Reisekosten.
Unabhängig davon ist jedoch das gesamte Vorbringen der Klägerin einschließlich desjenigen in der mündlichen Verhandlung, vollkommen unglaubhaft. Das beruht auf Folgendem:
Die Klägerin hat in der Anhörung im Asylverfahren ihrer am 24. Mai 2017 geborenen Tochter (zugehöriges Gerichtsverfahren Az. M 12 K 17.49845) am 21. November 2017 bezogen auf ihr eigenes Verfolgungsschicksal eine im Vergleich zum hiesigen Verfahren vollkommen andere Version vorgebracht. In der Anhörung im Asylverfahren ihrer Tochter (vgl. die in jenem Verfahren vorgelegte Bundesamtsakte, dort Bl. 53 – 58) hat die Klägerin zunächst als Verfolgungsvorbringen für ihre Tochter die Gefahr einer Zwangsbeschneidung in Nigeria vorgebracht. Dann jedoch (ab Seite 3 der Niederschrift über die Anhörung am 21. November 2017, ab Bl. 55 der dort vorgelegten Behördenakte) hat sie bezogen auf ihr eigenes Verfolgungsschicksal eine vorgebliche Bedrohung durch einen Geheimbund geltend gemacht, deretwegen sie selbst Nigeria verlassen sollte. Dieses Vorbringen ist insoweit als komplett unabhängig vom möglichen Verfolgungsschicksal ihrer Tochter geschildert. Vor allem aber hat es nicht das Geringste mit dem von der Klägerin in deren eigenem Verfahren geschilderten Verfolgungsschicksal zu tun. Der Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gegeben, diese eklatanten Widersprüche zu erklären. Sie war jedoch nicht in der Lage, die Widersprüche sinnvoll aufzulösen (Sitzungsprotoll Seite 3 unten und Seite 4 oben). Dass sie in ihrer eigenen Anhörung davon nichts gesagt habe, weil ihre Tochter zu dem Zeitpunkt noch nicht geboren gewesen sei, ist nur in Bezug auf den Vortrag der drohenden Beschneidung/ Genitalverstümmelung sinnvoll. Dieser Vortrag wird der Klägerin hier aber natürlich nicht vorgeworfen; hier geht es ja um die Widersprüchlichkeit in Bezug auf den Vortrag zur eigenen Verfolgungsgeschichte, die nicht sinnvoll mit dem Verweis auf das Geburtsdatum ihrer Tochter erklärt werden kann. Insoweit hat die Klägerin dann noch angegeben, sie sei in ihrer eigenen Anhörung in Bezug auf Nigeria nichts gefragt worden, sondern nur in Bezug auf Italien. Das stimmt jedoch schlicht nicht, die Klägerin ist in ihrer Anhörung ausweislich der Niederschrift ausdrücklich in Bezug auf ihr Heimatland Nigeria befragt worden.
Daher ist der Vortrag der Klägerin in Bezug auf das in der mündlichen Verhandlung gemachte Verfolgungsvorbringen wegen der Widersprüchlichkeit einerseits zu dem, was sie in der Anhörung beim Bundesamt erklärt hat, andererseits zu dem, was in der Anhörung im Asylverfahren ihrer Tochter behauptet wurde, insgesamt unglaubhaft.
Unabhängig davon ist das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sowie in der Anhörung im Asylverfahren der Tochter auch als solches gar nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zu begründen. Denn dieses Vorbringen ist in sich so widersprüchlich, dass es der Klägerin nicht geglaubt wird. Die Furcht vor dem Voodoo-Kult, die als solche keine Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG darstellt, ist nicht glaubhaft. Denn selbst aus Sicht der nigerianischen Klägerin ist die Aussage (Sitzungsprotokoll Seite 3) nicht sinnvoll, dass sie fliehen musste, weil sie Angst vor einem Voodoo-Fluch hatte, der ihr aber nur dann drohen würde, wenn sie Mitglied des Voodoo-Ordens geworden wäre, was sie wiederum durch die Flucht habe verhindern wollen. Und selbst dann hätte die Klägerin – aus ihrer eigenen Perspektive – nicht fliehen müssen, sondern nur nicht Mitglied des Voodoo-Kults werden brauchen, weil dann für sie nach dem eigenen Vortrag keine Gefahr bestanden hätte. Eine andere Gefahr, außer die, verflucht zu werden, die ihr aber nach eigenem Vortrag nicht drohen konnte, solange sie nicht Mitglied geworden ist, hat die Klägerin nicht angegeben.
Unabhängig davon gilt hinsichtlich der behaupteten drohenden Verfolgung, dass zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen ist, dass in diesem Fall ganz offensichtlich eine inländische Fluchtalternative besteht bzw. interner Schutz zur Verfügung steht (§ 3e AsylG). Es steht außer Frage, dass die Klägerin nach einer Rückkehr nach Nigeria in einen anderen Landesteil ziehen könnte, wo sie von den Anhängern des Voodoo-Kultes mit asylrechtlich hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht belangt werden würde – immer unterstellt, dass das insoweit angegebene Verfolgungsvorbringen stimmen würde und überhaupt sinnvoll wäre. Es liegen keine nachvollziehbaren Tatsachen vor, die belegen, dass der Voodoo-Kult in Nigeria landesweit verfolgungsmächtig ist.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort S. 2 unter 1. und 2. bis S. 3. b) Den beantragten (unionsrechtlichen) subsidiären Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG kann die Klägerin ebenfalls nicht beanspruchen, wofür ergänzend auf die zu § 3 AsylG erläuterten Gründe verwiesen wird.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Im Herkunftsstaat hat der Klägerin keine derartige Gefahr gedroht. Weshalb ihr bei der Rückkehr ein ernsthafter Schaden, insbesondere eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder gar die Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) drohen sollte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden. Schließlich besteht in Nigeria auch kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Unabhängig davon gilt die inländische Fluchtalternative auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort S. 4 unter 3. c) Der streitgegenständliche Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig, als das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 f.).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor.
§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14). Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird auch insofern Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort Seite 4 unter 4. bis Seite 7 oben. Ergänzend dazu wird noch ausgeführt, dass auch die wirtschaftliche Situation in Nigeria ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen nicht rechtfertigen kann. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. auch dazu BVerwG, B.v. 25.10 2012 – 10 B 16/12 – juris Rn. 8 f.).
Anhaltspunkte für einen besonderen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person der Klägerin zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung bzw. gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich.
Für die Klägerin kann auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben (Bl. 52 der Bundesamtsakte) sieben Jahre lang die Schule besucht. Die Schulbildung der Klägerin erweist sich damit für nigerianische Verhältnisse als angemessen – die Analphabetenquote beträgt bei Männern 30 Prozent, bei Frauen sogar rund 50 Prozent (s. Auswärtiges Amt, Länderinformation/Nigeria/Kultur und Bildung unter www.auswäertiges-amt.de, Stand: März 2017). Dazu kommt noch, dass sie nach eigenen Angaben, auch wenn sie eine schlechte finanzielle Situation geltend gemacht hat, gearbeitet und Geld verdient hat (Bl. 52 der Bundesamtsakte). Die junge und arbeitsfähige Klägerin wird daher auch im Falle der Rückkehr nach Nigeria in der Lage sein, den Lebensunterhalt für sich sicherzustellen. Zudem und unabhängig davon hat sie nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung Verwandte in Nigeria, die ihr beistehen können.
Schließlich führt auch der Umstand, dass sich die Kinder der Klägerin und der von ihr geltend gemachte Ehemann, in Bezug auf den aber eine in Deutschland gültige Verheiratung nicht belegt ist, derzeit ebenfalls in Deutschland aufhalten, nicht zu einem Abschiebungsverbot. Soweit die Asylanträge der Familienmitglieder auch abgelehnt werden, steht eine gemeinsame Rückkehr im Raum. Auch sonst gilt jedoch, dass aus diesem Umstand kein, hier allein zu prüfendes, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot folgen kann. Die Klägerin wäre für diesen Fall auf das hier nicht zu prüfende inlandsbezogene Vollstreckungshindernis der familiären Gemeinschaft, Art. 6 Abs. 1 GG, das auf der Ebene des ausländerbehördlichen Vollzugs zu prüfen ist, zu verweisen. Schließlich ist durch die Regelung in § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG sichergestellt, dass eine Familientrennung nicht im Raum steht (hierzu im Einzelnen VG München, B.v. 2.1.2018 – M 9 S 17.46829 – juris Rn. 28).
Schließlich ändert auch das erstmals in der mündlichen Verhandlung und noch dazu völlig unspezifisch geltend gemachte „Nierenproblem“ nichts an diesem Ergebnis. Insofern hat die Klägerin angegeben, weder hierzu irgendwelche Nachweise zu haben noch, diesbezüglich in ärztlicher Behandlung zu sein. Bei einer solchen Sachlage nötigt auch der Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 VwGO das Gericht nicht, rein „ins Blaue hinein“, auf eine bloße, durch nichts belegte noch auch nur nachvollziehbar gemachte Behauptung hin, selbst Ermittlungen anzustellen oder, bei einer wie hier entscheidungsreifen Sache, weiter mit der Entscheidung zuzuwarten. Deshalb war es auch nicht erforderlich, dem „Antrag“ des Klägerbevollmächtigten – rechtlich kann das nur angeregt werden, weil es dafür ausschließlich auf die Überzeugung des Gerichts ankommt, einen entsprechenden Anspruch gibt es nicht – auf Übergang ins schriftliche Verfahren nachzukommen.
2. Die Klage ist auch offensichtlich unbegründet i.S.v. § 78 Abs. 1 AsylG.
Das gilt jedenfalls für das Klagebegehren bezogen auf den beantragten internationalen Schutz.
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3ff. AsylG und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfolgungsgründe sind, wie oben unter 1. ausführlich dargestellt, sowohl mangels Asylerheblichkeit als auch wegen der im vorliegenden Fall außergewöhnlichen Eindeutigkeit der Unglaubhaftigkeit auf Grund der aufgezeigten Widersprüchlichkeit der Angaben unter keinem Gesichtspunkt geeignet, eine asylerhebliche Verfolgungsgefahr zu begründen. Zudem schließt auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Schutzalternative die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich aus.
3. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig; die Voraussetzungen hierfür liegen vor, wie sich aus den Ausführungen oben ergibt. Einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel hat die Klägerin nicht.
4. Bedenken gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Klage wird daher abgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO und § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist die Entscheidung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO unanfechtbar, im Übrigen ist das Urteil gemäß § 78 Abs. 1 AsylG unanfechtbar. Dafür reicht es aus, dass die Klage, soweit die Flüchtlingsanerkennung beantragt war, als offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG; die „Entscheidung über den Asylantrag“ meint neben dem eigentlichen Asylbegehren i.S.v. Art. 16a GG nach allgemeiner Meinung auch die Entscheidung über den internationalen Schutz (vgl. nur Berlit in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, § 78 Rn. 45; Marx, AsylG, § 78 Rn. 7).


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