Verwaltungsrecht

Gebot des gesetzlichen Richters

Aktenzeichen  10 ZB 17.30394

Datum:
10.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NVwZ-RR – 2018, 502
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78
VwGO § 138
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Abweichung von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof ist kein Zulassungsgrund, weil der Gerichtshof schon nicht als divergenzfähiges Gericht in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannt ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters liegt nicht schon bei unrichtiger Handhabung formaler Vorschriften über die Zuständigkeit vor, sondern erst dann, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Entscheidung über die Besetzung des Spruchkörpers bestimmend gewesen sind oder wenn sie nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 14.31075 2017-02-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat weder im Hinblick auf die erhobene Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG; 1.) noch wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 2.) Erfolg.
1. Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 32. Erg.lfg. Oktober 2016, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.).
Der Antragsbegründung kann schon kein Rechtssatz entnommen werden, den das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll und der von einem Rechtssatz der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht. Der Kläger bestreitet vielmehr ausschließlich die inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, wenn er vorträgt, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht von der fehlenden Glaubhaftigkeit seiner Angaben aus. Dies kann aber nicht zur Zulassung der Berufung führen. Unabhängig hiervon wäre die Abweichung von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – hier geltend gemacht: die zitierten Urteile vom 7. Januar und 4. November 2014 – kein Zulassungsgrund, weil der Gerichtshof schon nicht als divergenzfähiges Gericht in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannt ist (Hailbronner, AuslR, Stand: 2017, B 2 § 78 Rn. 28). Hieran ändert auch nichts die Berufung des Klägers auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 (2 BvR 1481/09, juris), wonach über Art. 20 Abs. 3 GG die Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu „berücksichtigen“ sind (vgl. BVerfG, a.a.O., Ls. 1 u. Rn. 45 f.). Damit wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht zu einem übergeordneten Gericht im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG über den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift hinaus. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur grundsätzlichen Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nachgekommen (vgl. UA, S. 14), wenn auch nicht mit dem vom Kläger angestrebten Ergebnis.
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 1 VwGO wegen der Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts zuzulassen.
Für die Besetzungsrüge reicht allein die fehlerhafte Anwendung des Geschäftsverteilungsplans nicht aus; ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegt nicht schon bei unrichtiger Handhabung formaler Vorschriften über die Zuständigkeit vor, sondern erst dann, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Entscheidung über die Besetzung des Spruchkörpers bestimmend gewesen sind oder wenn sie nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (OVG SN, B.v. 16.10.2003 – 2 L 228/03 – juris; Hailbronner, a.a.O., B 2 § 78 Rn. 56). Hiervon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Zwar enthält der maßgebliche Beschluss des Präsidiums des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Mai 2016, mit dem die weitere, vom Kläger beanstandete und auf drei Asylstreitigkeiten beschränkte andauernde Zugehörigkeit des Einzelrichters G. zur 21. Kammer trotz der Übernahme des Vorsitzes der 13. Kammer beschlossen wurde, tatsächlich keine Begründung für den vorgesehenen Verbleib der Streitsache beim bisher zuständigen Einzelrichter. Dieser Umstand stellt jedoch für sich noch keinen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters dar; denn das Vorgehen des Präsidiums hatte eine sachliche Rechtfertigung, die darin bestand, dass der Einzelrichter bereits einen bestimmten Einarbeitungsaufwand in den drei Fällen an den Tag gelegt hatte, der bei Übergabe der Streitsachen an einen neuen Einzelrichter verloren gegangen wäre. In der vorliegenden Asylstreitigkeit etwa hatte der Einzelrichter G. im Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses bereits zwei Terminierungen der Klage vorgenommen (20. April und 20. Mai 2016) vorgenommen.
Dieser Umstand schließt den Vorwurf einer willkürlichen oder gar manipulativen Beibehaltung der bisherigen Zuständigkeit des Berichterstatters trotz Änderung seiner Kammerzugehörigkeit aus. Hierauf wurde der Kläger bereits in zwei Beschlüssen (vom 7. November 2016 und 22. Februar 2017) sowie in zwei weiteren, erhobene Gegenvorstellungen zurückweisenden Beschlüssen (vom 25. November 2016 und 30. Januar 2017) hingewiesen; der Senat bezieht sich auf die Gründe dieser Beschlüsse.
Daher war der Antrag auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Februar 2017 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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