Verwaltungsrecht

Gefährdung eines afghanischen Staatsangehörigen nach Tätigkeit für die Amerikaner

Aktenzeichen  13a ZB 20.30107

Datum:
17.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1158
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e Abs. 2, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 2 f, Art. 4, Art. 15 c

 

Leitsatz

Selbst dann, wenn man den vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union (B.v. 29.11.2019 – BeckRS 2019, 31472) angedachten Bewertungsmaßstab einer „umfassenden Beurteilung auch anderer gefahrbegründender Umstände“ heranziehen wollte und dabei nicht auf eine (nach dem Verständnis des VGH BW in der deutschen Rechtsordnung angenommene) „quantitative Mindestschwelle“ abstellen wollte, wäre gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln im Ergebnis unverändert davon auszugehen, dass in Afghanistan im Allgemeinen derzeit weiterhin keine Gefahrenlage gegeben ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führte.

Verfahrensgang

W 9 K 19.31532 2019-11-12 VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. November 2019 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Zur Begründung seines Zulassungsantrags trägt der Kläger zum einen vor, die Berufung sei zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) habe.
So werde erstens die Frage aufgeworfen, „ob bei einem afghanischen Staatsangehörigen, welcher über einen längeren Zeitraum als Dozent bei den Amerikanern gearbeitet hat, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen oder aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe droht und ob bei Aufgabe dieser Tätigkeit ohne Weiteres eine Gefährdung ende.“ Es sei unstrittig, dass er als Dozent bei den Amerikanern tätig gewesen sei. Laut UNHCR vom 30. August 2018, amnesty international vom 5. Februar 2018, Frau Stahlmann vom 28. März 2018 und Auswärtiges Amt vom 31.5.2018 seien Personen, die nur im Verdacht stünden, für die afghanische Regierung oder internationale Truppen/Organisationen zu arbeiten, besonders gefährdet verfolgt zu werden bzw. als Spione betrachtet zu werden. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass er seine Tätigkeit bei einer Rückkehr nicht mehr aufnehme bzw. dass alleine durch die Aufgabe einer Tätigkeit jegliche Gefährdung ende. Damit setzte sich das Gericht in Widerspruch zu diversen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten und des Bundesamts. Wie sich aus diesen Entscheidungen ergebe, gebe es auch in Bayern bei den Verwaltungsgerichten unterschiedliche Rechtsauffassungen, ob eine Gefährdung durch die Aufgabe einer gefährdenden Tätigkeit beendet werden könne.
Des Weiteren werde zweitens die Frage aufgeworfen, „ob ein afghanischer Staatsangehöriger, welcher über einen längeren Zeitraum für die Amerikaner tätig gewesen ist, überhaupt eine zumutbare inländische Fluchtalternative in Afghanistan hat.“ Wie sich aus zahlreichen Erkenntnismitteln und Urteilen ergebe, bestehe für die Taliban die Möglichkeit, ihre Gegner in Kabul und in den großen Städten aufzuspüren. Es gebe für Personen, die für eine westliche Organisation über einen längeren Zeitraum gearbeitet hätten und deren Tätigkeit bekannt geworden sei, keine dauerhafte inländische Fluchtalternative in Afghanistan.
Die vom Bundesverwaltungsgericht (B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18) aufgestellten Kriterien zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK seien bei Zugrundelegung der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 erfüllt. Dies vorangestellt stelle sich drittens die Frage, „ob sich ein alleinstehender, junger, afghanischer Mann, der über keinen aufnahmefähigen Familienverband in Afghanistan verfügt, bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit Blick auf die aktuelle Lage ein Existenzminimum sicher kann und ob aufgrund der aktuellsten Erkenntnisse die Sicherheitslage in Afghanistan eine kritische Gefahrendichte erreicht hat, die zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigt.“ Zur Begründung werde auf die Ausführungen zum Bericht des UNHCR vom 30. August 2018 und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. August 2018 Bezug genommen. Zwar habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bislang eine solche Gefährdung verneint. Es bedürfe aber einer tagesaktuellen Klärung bzw. Bewertung dieser Tatsachen- und Rechtsfrage.
Zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG habe das Gericht ausgeführt, dass für 2018 in keiner Provinz Opferzahlen festgestellt worden seien, welche die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte Opferschwelle von 0,125% überschreite. Nach dem aktuellen Quartalsbericht von UNAMA (v. 17.10.2019) seien aber die im Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2019 verzeichneten Opferzahlen die höchsten jemals für ein Quartal verzeichneten, so dass die Opferzahlen für das Jahr 2019 letztlich die Vergleichszahlen für das Jahr 2018 überstiegen. Das Gericht stelle in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung ab, dass die Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nur gegeben seien, wenn eine gewisse Gefahrendichte erreicht sei, welche anhand von Opferzahlen zu bestimmen sei. In dieser Hinsicht werfe das Urteil unter Berücksichtigung des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (v. 29.11.2019 – 11 S 2374/19) viertens die Frage auf, „ob Art. 15 c und Art. 2 f der Richtlinie 2011/95/EU der Auslegung und Anwendung einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen steht, wonach eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (in dem Sinne, dass eine Zivilperson allein durch ihre Anwesenheit im betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein) in denjenigen Fällen, in denen diese Person nicht aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist, nur vorliegen kann, wenn eine Mindestanzahl an bereits zu beklagenden zivilen Opfern (Tote und Verletzte) festgestellt worden ist.“ Zur Begründung werde auf die Ausführungen und Feststellungen des VGH Baden-Württemberg in dem Vorlagebeschluss Bezug genommen und verwiesen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend ist hinsichtlich keiner der aufgeworfenen Fragen die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Unabhängig davon, ob hinsichtlich der ersten Frage die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfüllt sind, ist diese jedenfalls nicht klärungsfähig. Ob bei einem afghanischen Staatsangehörigen, welcher über einen längeren Zeitraum als Dozent „bei den Amerikanern“ gearbeitet hat, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen oder aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe droht und ob bei Aufgabe dieser Tätigkeit ohne Weiteres eine Gefährdung endet, ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich, sondern hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Betroffenen ab (vgl. zu Personen, die für westliche Unternehmen tätig geworden sind: B.v. 30.10.2014 – 13a ZB 14.30371 – juris Rn. 4; vgl. entsprechend zu Personen, die mit der afghanischen Regierung zusammenarbeiten: BayVGH, U. v. 13.4.2015 – 13a ZB 14.30099 – juris Rn. 4). Dass im Einzelfall derartige Tätigkeiten zu einer asylrechtlich relevanten Bedrohung z.B. durch die Taliban führen können, ist gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht zweifelhaft und bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Außer Frage steht allerdings auch, dass es ausschlaggebend von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob für einen konkreten Kläger tatsächlich ein Schutzbedarf besteht (auch die vom Kläger vorgebrachten UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 gehen davon aus, dass für den dort genannten Personenkreis – u.a. Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen bzw. die internationale Gemeinschaft unterstützen – „abhängig von den jeweiligen Umständen des Falls“ ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz „bestehen kann“, siehe S. 55). Zu den Umständen des Einzelfalls gehört dabei auch, welche Auswirkungen die Aufgabe der Tätigkeit für das Verfolgungsrisiko hat.
Wiederum unabhängig davon, ob die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfüllt sind, kann auch die zweite vom Kläger aufgeworfene Frage, ob ein afghanischer Staatsangehöriger, welcher über einen längeren Zeitraum für die Amerikaner tätig gewesen ist, überhaupt eine zumutbare inländische Fluchtalternative in Afghanistan habe, nicht zur Zulassung der Berufung führen. Dieser Frage hinsichtlich des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative in Afghanistan nach § 3e AsylG kann bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, da sie einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13 a ZB 19.30070 – juris Rn. 6; B.v. 5.7.2018 – 15 ZB 18.31513 – juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 – 13 A 3333/18.A – juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 – 13 A 903/17.A – juris Rn. 16-19). Dies gilt auch für Personen, die wegen einer Tätigkeit „für die Amerikaner“ von den Taliban verfolgt werden. Dass Fragen hinsichtlich des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative von den Umständen des Einzelfalls abhängen, ergibt sich aus den genannten gesetzlichen Vorschriften selbst und gilt schon deshalb auch im Fall einer Verfolgung durch die Taliban. Unbeschadet der weiteren persönlichen Umstände des jeweiligen Klägers bezieht sich diese Einzelfallbewertung dabei auch auf die individuellen Umstände der jeweiligen Verfolgung durch die Taliban (z.B. Art, Anlass, Häufigkeit, Zeitpunkt, etc.).
Hinsichtlich der dritten Frage, ob sich ein alleinstehender, junger, afghanischer Mann, der über keinen aufnahmefähigen Familienverband in Afghanistan verfügt, bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit Blick auf die aktuelle Lage ein Existenzminimum sicher könne und ob aufgrund der aktuellsten Erkenntnisse die Sicherheitslage in Afghanistan eine kritische Gefahrendichte erreicht habe, die zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertige, sind insoweit die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verfehlt, als sich der Kläger im Zulassungsantrag nicht hinreichend mit den fundierten Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Sicherheitslage und zur humanitären Lage (UA S. 12 ff., S. 18 ff.) auseinandersetzt. Er verweist vielmehr lediglich auf einige Erkenntnismittel, ohne konkret aufzuzeigen, welche in diesen enthaltenen Angaben im Einzelnen von welchen Annahmen im Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollen. Insbesondere muss, wenn das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen begründet hat, zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490 – juris Rn. 6 m.w.N.). Ebenso wenig genügt der Verweis auf Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen, ohne dass der Kläger konkret darlegt, inwieweit welche darin enthaltenen Angaben zu einer Neubewertung der Gefahrendichte nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen sollen (u.a. auch quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos, vgl. dazu BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 – juris Rn. 24; B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 23; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 – NVwZ 2011, 56 – juris Rn. 33).
Unbeschadet dessen ist die klägerseitig aufgeworfene Frage auch nicht klärungsbedürftig. Es ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14 ff. in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auf ein stützendes Netzwerk in Afghanistan kommt es dabei nicht an (BayVGH, U. v. 8.11.2018, a.a.O.). Soweit der Kläger auf Erkenntnismittel wie die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof im oben genannten Urteil vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 – juris) explizit mit den aktuellen Erkenntnismitteln wie etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018, den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, dem UNAMA-Bericht vom 10. Oktober 2018 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 auseinandergesetzt und diese bei seiner Bewertung u.a. der Sicherheitslage und der humanitären Lage berücksichtigt hat. Auch aus den UNAMA-Berichten vom 24. Februar 2019 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2018) und 17. Oktober 2019 (UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 September 2019) ergibt sich kein erneuter Überprüfungsbedarf. Die im Bericht vom 24. Februar 2019 ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2018 bewegen sich auf einem mit den Vorjahren vergleichbaren Niveau, das auch dem genannten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 – juris Rn. 24) zugrunde lag (konfliktbedingtes Schädigungsrisiko für Afghanistan insgesamt von 1:2.456 bei 10.993 zivilen Opfern und einer Einwohnerzahl von 27 Mio. Menschen). Laut dem neuesten UNAMA-Bericht vom 17. Oktober 2019 sind die zivilen Opferzahlen in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 – nach einem deutlichen Rückgang im ersten Halbjahr und einem starken Anstieg im dritten Quartal mit der höchsten Anzahl der in einem Monat belegten zivilen Opfer im Juli – mit insgesamt 8.239 Getöteten und Verletzten auf einem in etwa gleich hohen Niveau wie im entsprechenden Zeitraum der Vorjahre geblieben. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für 2019 insgesamt (10.985 zivile Opfer) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2.458. Dieses bleibt deutlich unter 1:800 und damit unverändert weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f.). Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2. September 2019 (Stand: Juli 2019) ergibt sich ebenfalls nichts anderes.
Hinsichtlich der vierten Frage, ob Art. 15 c und Art. 2 f der Richtlinie 2011/95/EU der Auslegung und Anwendung einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen stehe, wonach eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (in dem Sinne, dass eine Zivilperson allein durch ihre Anwesenheit im betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein) in denjenigen Fällen, in denen diese Person nicht aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist, nur vorliegen könne, wenn eine Mindestanzahl an bereits zu beklagenden zivilen Opfern (Tote und Verletzte) festgestellt worden sei, verfehlt das Vorbringen im Zulassungsantrag die Darlegungsanforderungen nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Es fehlt bereits an einer hinreichenden rechtlichen Aufarbeitung der aufgeworfenen Grundsatzfrage, insbesondere an einer hinreichenden Durchdringung der Materie. Insoweit ist es jedenfalls nicht ausreichend, die im Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an den Gerichtshof der Europäischen Union (B.v. 29.11.2019 – A 11 S 2374/19 u. A 11 S 2375/19 – juris) enthaltene(n) Frage(n) wiederzugeben und pauschal auf dessen Begründung Bezug zu nehmen bzw. zu verweisen. Zudem ist nicht dargelegt, dass die klägerseitig aufgeworfene Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist: Im Hinblick darauf, dass sich diese Frage ausdrücklich auf Fälle bezieht, in denen die Zivilperson „nicht aufgrund von ihrer Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist“, fehlt es an einer hinreichenden Darlegung, dass der Kläger zu diesem Personenkreis gehört. Nicht dargetan ist ferner auch, dass im Fall des Klägers von der Beantwortung der aufgeworfenen Frage abhinge, ob die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen: Insbesondere fehlt jegliche Darlegung, weshalb im Einzelfall des Klägers bei der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angedachten Bewertung auf „Grundlage einer umfassenden Beurteilung auch anderer gefahrbegründender Umstände“ (B.v. 29.11.2019 – A 11 S 2374/19 u. A 11 S 2375/19 – juris Rn. 5) eine Schutzgewährung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Betracht käme. Dies gilt zumal sich die Bewertung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ausdrücklich auf solche Kläger bezieht, die aus der Provinz Nangarhar stammen und denen nach dessen Auffassung deshalb kein interner Schutz nach § 3e AsylG zur Verfügung steht, weil es sich nicht um „erwachsene leistungsfähige Männer“, sondern um „Personen mit erhöhter Vulnerabilität“ – alleinerziehender Witwer; verheirateter Kläger mit fünf Kindern – handelt (a.a.O., juris Rn. 5, 13 ff. u. 21 ff.), hingegen der hiesige Kläger aus der Provinz Logar stammt und zur Gruppe der volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen gehört.
Unbeschadet dessen ist der Senat der Auffassung, dass selbst dann, wenn man den vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg angedachten Bewertungsmaßstab einer „umfassenden Beurteilung auch anderer gefahrbegründender Umstände“ heranziehen wollte und dabei nicht auf eine (nach dem Verständnis des VGH BW in der deutschen Rechtsordnung angenommene) „quantitative Mindestschwelle“ abstellen wollte, gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln (siehe dazu die Ausführungen zur dritten Frage) im Ergebnis unverändert davon auszugehen wäre, dass in Afghanistan im Allgemeinen derzeit weiterhin keine Gefahrenlage gegeben ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führte. Im Rahmen einer solchen umfassenden Beurteilung aller gefahrbegründenden Umstände würde sich bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände letztlich durchgreifend auswirken, dass sich das konfliktbedingte Schädigungsrisiko mit 1:2.458 (bei einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen) deutlich unter 1:800 und damit auf einem nicht hinreichend hohen Niveau befindet. Unabhängig davon erschließt sich dem Senat auch nicht, welche entscheidende Relevanz der Lebenssituation der Binnenvertriebenen und Rückkehrer bei der Ermittlung der Gefahrenlage infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zukommen sollte.
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit seinen Grundsatzrügen Kritik an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts übt – u.a.: das Verwaltungsgericht habe sich hinsichtlich der Bewertung seiner Tätigkeit für die Amerikaner in Widerspruch zu diversen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten und des Bundesamts gesetzt, es sei zu Unrecht von einer inländischen Fluchtalternative ausgegangen, es hätten nicht die Opferzahlen von 2018 zugrunde legen dürfen bzw. die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK lägen vor – ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Zum andern trägt der Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vor, die Berufung sei zuzulassen, weil er in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden sei (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG). Nach Art. 103 Abs. 1 GG sei das Gericht verpflichtet, Ausführung der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Im vorliegenden Fall habe das Verwaltungsgericht die von ihm geschilderte Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Amerikaner als unglaubhaft eingestuft. Die Begründung des Gerichts, er habe seine Verfolgung ohne sichtbare Emotionen vorgetragen, sowie, er habe seine Tätigkeit auch nach den geschilderten Bedrohungen erst einmal fortgesetzt und sich durch seine Fahrten zu seinen Arbeitsstellen immer wieder selbst in die von ihm behauptete Gefahr begeben, sei nicht ansatzweise tragfähig und denklogisch. Ihm sei es fremd, Emotionen zu zeigen. Auch habe er sich um eine Versetzung bemüht. Die Argumentation des Gerichts, er wäre ihm aufgrund seines Bildungsstandes möglich gewesen, in Kabul eine Arbeit zu finden, widerspreche der allgemeinen Auskunftslage und sei nicht denklogisch, da eine Aufgabe gefährlicher Jobs dazu führte, dass westliche Organisationen oder die afghanische Regierung keine Mitarbeiter mehr fänden.
Mit diesem Vorbringen ist kein zur Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG führender Verfahrensmangel nach § 138 Nr. 3 VwGO dargelegt.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924; BayVGH, B.v. 14.3.2018 – 13a ZB 18.30454 – juris Rn. 5). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist.
Mit einer Rüge der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273 = BayVBl 1967, 384; BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris). Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht stellt im Grundsatz keine Frage des rechtlichen Gehörs dar, sondern ist dem sachlichen Recht zuzurechnen und rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 zu § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Gehörsanspruch verpflichtet das Gericht auch nicht, die Beweiswürdigung des Klägers zugrunde zu legen (BVerwG, B.v. 25.10.2017 – 1 VR 10.17 – juris). Auch soweit der Kläger Rechtsanwendungsfehler im Zusammenhang mit der Würdigung seines Vortrags behaupten sollte, ist dies grundsätzlich nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 6.5.2010 – 1 BvR 96/10 – NVwZ-RR 2010, 545 – juris Rn. 28; BVerwG, B.v. 9.6.2011 – 3 C 14.11 u.a. – NVwZ 2011, 1196 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 9.5.2007 – 13a ZB 16.1 – AUR 2017, 276 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann allenfalls im Einzelfall bei gravierenden Verstößen verletzt sein (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, weil etwa die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359; BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 20 ZB 18.31234 – juris Rn. 2). Dass vorliegend ausnahmsweise derartige Verstöße vorlägen, legt die Antragsschrift nicht dar. Im Ergebnis mag der Kläger die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung hinsichtlich seines Vorbringens einer Verfolgung wegen einer Tätigkeit „für die Amerikaner“ für unzutreffend halten. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind jedoch – wie bereits dargelegt – nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 13a ZB 18.31906 – juris Rn. 4; B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 9; B.v. 17.5.2018 – 20 ZB 18.31049 – juris Rn. 3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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