Verwaltungsrecht

Gefahr der Blutrache in Pakistan stellt kein Abschiebungsverbot dar

Aktenzeichen  M 23 K 14.30743

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ohne funktionierendem Meldewesen besteht interner Schutz vor Verfolgung, weil es grundsätzlich möglich ist, bei Aufenthaltsnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu entgehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatuts ebenso wenig zu wie der Antrag auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AsylG scheidet aus.
Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe hat der Kläger nicht geltend gemacht. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Der Antragsteller muss die Umstände und Tatsachen, die für die von ihm befürchtete Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung maßgeblich sind, von sich aus konkreter in sich stimmig und erschöpfend vortragen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Buchst. C Richtlinie 2011/95/EU, § 25 Abs. 2 AsylG). Ihn trifft insoweit eine Darlegungslast.
Der Kläger vermochte nicht vortragen, dass für ihn die konkrete Gefahr besteht, in seinem Herkunftsland der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
Es kann dahinstehen, inwieweit dem Kläger tatsächlich immer noch Blutrache durch den Onkel drohen würde aufgrund der vor nunmehr zehn Jahren erfolgten Ermordung des Cousins des Klägers durch dessen Vater und trotz der Tatsache, dass die Familie des Klägers den Onkel durch die geschilderten Grundstücksabtretungen zufrieden gestellt hat. Nach Abhaltung der mündlichen Verhandlung scheidet zur Überzeugung des Gerichts subsidiärer Schutz jedenfalls und trotz der im Eilverfahren geäußerten Bedenken schon wegen § 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e Abs. 1 AsylG aus. Dem Kläger stehen in anderen Landesteilen bzw. in pakistanischen Großstädten ausreichende Schutzmöglichkeiten zur Verfügung. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht -, Stand Juli 2015, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ohne funktionierendem Meldewesen sei es grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltsnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014). Gemäß der Auskunft von Accord vom 5. Februar 2015 führt der Ermittlungsbericht des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Islamabad vom Juli 2013 aus, dass selbst eine Person, die von einem Konfliktherd mit Taliban fliehe, relativ sicher in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen Sindh oder Punjab leben könne. Hinsichtlich der Sicherheit würden in Pakistan – schon aufgrund der Größe des Landes – interne Fluchtalternativen bestehen (http://www.ecoi.net/local_link/296558/432819_de.html) (vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative: VG Augsburg, U. v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437; VG Regensburg, U. v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674; VG Köln, U. v. 10.9.2014 – 23 K 6317/11.A; VG Ansbach, U. v. 7.8.2014 – AN 11 K 14.30589; VG Regensburg, U. v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – jeweils juris).
Es ist weder ersichtlich noch dargetan, dass der Onkel über einen derartigen Einfluss verfügen würde, der dies im Einzelfall ausschließen würde. Auch die von dem Kläger benannten Bestechungen der Polizei durch den Onkel, um den Wohnsitz des Klägers in Karatschi nach 2011 herauszubekommen, blieben offenbar folgenlos und drohten dem Kläger dort keinerlei konkrete Gefahren bzw. konkreter Schaden.
Es ist im Fall des Klägers auch nicht davon auszugehen, dass er als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, sollte eine derartiger Konflikt im Herkunftsland denn bestehen.
In Pakistan liegt gegenwärtig ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht vor, auch nicht in der Herkunftsregion des Klägers. Der Begriff ist völkerrechtlich zu verstehen und setzt eine gewisse Qualität voraus (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008 – 10 C 44/07). Ein solcher Konflikt liegt nicht vor, wenn es sich nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen. Der Konflikt muss ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Zwar ist Pakistan mit einer erheblichen terroristischen Bedrohung durch die Taliban und andere islamistisch – extremistische Gruppen konfrontiert (vgl. Lagebericht v. 23. Juli 2015, S. 5). Die Taliban wurden jedoch nach Militäroffensiven im April 2009 aus dem Swat-Tal und im Oktober 2009 aus Süd-Wasiristan vertrieben und sind in entlegenere Gebiete der Stammesgebiete ausgewichen. Seit Juni 2014 ist eine große angelegte Operation der Sicherheitskräfte in Nord-Wasiristan und benachbarten Regionen der sog. Stammesgebiete (FATA) im Gange. Nach Angaben des Auswärtigen Amts kamen im Jahr 2014 bei Terroranschlägen landesweit in Pakistan ca. 1.750 Menschen ums Leben, vor allem in Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und in der Metropole Karatschi (vgl. Lagebericht, S. 5 und 22). Nach den Angaben des pakistanischen Innenministeriums soll es zuvor zwischen Januar 2012 und August 2013 2.174 Anschläge mit über 1.600 Toten und mehr als 5.600 Verletzten gegeben haben (vgl. Lagebericht vom 8.4.2014, S. 24). Die meisten Toten seien in der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa zu beklagen gewesen. Das österreichische Bundesasylamt hat in seinem Bericht (BAA, Bericht zur fact finding Mission, Pakistan 2013, S. 28f speziell zum Punjab u. a. ausgeführt, dass dieser (mit geschätzt 91 Millionen Einwohnern) als sicher gelte, vereinzelte Anschläge kämen vor. Es gäbe aber einen Rückgang der Sicherheitsvorfälle im Punjab. Im Jahr 2012 hätten 17 Anschläge stattgefunden, was einen Rückgang von 43 Prozent zum Vorjahr ausmache. Es seien dabei 75 Menschen, darunter 51 Zivilisten, ums Leben gekommen. Betroffen seien insbesondere Lahore (6 Anschläge), Rawalpindi (3), Multan(2 ohne Tote), Gujrat (2), vier weitere Distrikte hätten einen Anschlag erlebt, einer davon mit 21 Todesopfern, drei Distrikte davon ohne Tote und Verletzte. In den Übrigen 28 der 36 Distrikte seien 2012 keine Anschläge zu verzeichnen gewesen. Ein dauerhafter bewaffneter Konflikt liegt hierin nicht, da die Taliban und andere Jihadisten bei realistischer Einschätzung militärisch nicht dazu in der Lage sind, die Macht in Pakistan oder in relevanten Landesteilen erlangen zu können. Sie genießen auch in weiten Teilen der Bevölkerung keinen Rückhalt. Die Auseinandersetzungen sind nicht so intensiv und dauerhaft, dass man von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt sprechen könnte. Es ist auch nicht glaubhaft vorgebracht, dass sich die politischen Auseinandersetzungen aktuell so verschärft haben, dass von einem interstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist (vgl. allgemein VG Augsburg, U. v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn. 56 ff, VG Regensburg, U. v. 9.1.2015 – RN3 K 14.30674 – juris Rn. 28).
Schließlich besteht auch kein nationales Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Anhaltspunkte für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben; auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib, Leben und Freiheit des Klägers bei einer Rückkehr in sein Heimatland vermag das Gericht zu erkennen; insbesondere ist der Kläger volljährig und verfügt über ausreichende Schulbildung, so dass davon ausgegangen werden kann, dass er ein Auskommen gewährleisten kann. Familienverband ist gegeben. Auch ist unter gesundheitlichen Gesichtspunkten derzeit kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass eine Rückführung nach Pakistan den Kläger in einem den § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedingenden erheblichen konkreten Umfang gefährden würde.
Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO abzuweisen.


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