Verwaltungsrecht

Gefahr einer Gruppenverfolgung für Yeziden im Irak

Aktenzeichen  20 ZB 17.30121

Datum:
19.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7827
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4 Abs. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer als grundsätzlich bedeutsam erachteten Frage iSd § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG verlangt, dass zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufgezeigt wird, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage im Sinne des Klägers zu beantworten ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Rechtsprechung des BayVGH wird eine für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes hinreichende Gefahrendichte iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG für Yeziden im Nordirak, insbesondere in den Provinzen Ninive und Dohuk, verneint (vgl. BayVGH BeckRS 2012, 54811). (redaktioneller Leitsatz)
3. In der Provinz Ninive im Irak finden nach aktueller Auskunftslage keine Kampfhandlungen mehr statt, die eine Intensität aufwiesen, dass sie in einer derart intensiven Gefahr resultieren würden, die für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ausreichen würde.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31048 2016-12-13 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wird abgelehnt, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht vorliegt bzw. schon nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt ist.
Der Kläger macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) geltend. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Diese Voraussetzungen liegen bezüglich der von dem Kläger aufgeworfenen Fragen jedoch teilweise nicht vor. Im Übrigen fehlt es schon an einer ausreichenden Darlegung. Die nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erforderliche Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) verlangt nämlich, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. „Etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, Beschluss v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerfGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Daran fehlt es im Vortrag des Klägers teilweise.
1. Der Kläger wirft als grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG folgende Fragen auf:
„ob in dem Distrikt Shekhan, Provinz Ninive/Irak von einem internen bewaffneten Konflikt i.S.d. Art. 15c der Qualifikationsrichtlinie auszugehen ist, der dergestalt ist, dass grundsätzlich für alle Personen jesidischer Religion dort eine individuelle Gefahr für Leib und Leben durch willkürliche Gewalt bestehen und ob die Rechtsgutsbeeinträchtigungen gegebenenfalls dem Staat bzw. den quasi-staatlichen Institutionen und Organisationen dergestalt zuzurechnen sind, dass diese nicht schutzwillig oder schutzfähig sind und ob Jesiden im gesamten Irak einschließlich der Autonomen Region Kurdistan derzeit einer mittelbaren staatlichen bzw. quasi-staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, ohne dass ihnen eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.“
Bei verständiger Würdigung der aufgeworfenen Fragen (§ 88 VwGO) erstrebt der Kläger die grundsätzliche Klärung, ob erstens für Yeziden im Irak einschließlich der Kurdischen Autonomieregion die Gefahr einer Gruppenverfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG besteht, ob zweitens für diese in dem Distrikt Shekhan in der Provinz Ninive die individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG besteht und ob diesen drittens eine zumutbare inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG (ggf. in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) zur Verfügung steht.
a) Was die erste aufgeworfene Frage nach einer Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak angeht, hat der Kläger schon die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dargelegt. Denn diese Darlegung verlangt, dass zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufgezeigt wird, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage im Sinne des Klägers zu beantworten ist. Dies hätte einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichtes bedurft, das sich mit dieser Frage anhand der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten und von ihm zutreffend wiedergegebenen Voraussetzungen befasst und ihr Vorliegen im konkreten Fall des Klägers verneint hat (Urteilsabdruck S. 10/11). Der Vortrag des Klägers im Zulassungsantrag setzt sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts insoweit nicht auseinander, sondern zitiert über weite Strecken aus einer Kommentierung zu § 4 AsylG und verhält sich anschließend zum Grad der willkürlichen Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in der Kurdischen Autonomieregion. Der Kläger nennt aber keine Erkenntnisquellen, nach denen am Herkunftsort entgegen der Wertung des Verwaltungsgerichts eine Gruppenverfolgung von Yeziden vorliegen soll (vgl. auch – eine Gruppenverfolgung verneinend – BayVGH, B.v. 21.11.2017 – 5 ZB 17.31653 – juris). Im Übrigen wurde in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bisher auch eine für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes hinreichende Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für Yeziden im Nordirak, insbesondere in den Provinzen Ninive und Dohuk, verneint (BayVGH, U.v. 5.7.2012 – 20 B 12.30073 – juris; U.v. 2.2.2012 – 13a B 11.30335 – juris). Der Kläger legt nicht dar, auf der Grundlage welcher Erkenntnismittel eine andere Betrachtung geboten sein sollte.
b) Mit der zweiten aufgeworfenen Frage begehrt der Kläger offenbar die grundsätzliche Klärung, dass die Zugehörigkeit zur yezidischen Religion einen gefahrerhöhenden Umstand darstellt, der im Rahmen eines in der Kurdischen Autonomieregion herrschenden bewaffneten Konfliktes zu einer konkreten und individuellen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei den Betroffenen führt. Diese Frage ist jedoch nicht mehr klärungsbedürftig. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) in der Herkunftsregion des Klägers, dem Dorf Baadre im Distrikt Shekhan in der Provinz Ninive, kein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrschte (UA S. 13). Dabei geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass Shekhan als unter kurdischer de-facto-Verwaltung stehendes Gebiet faktisch zur Kurdischen Autonomieregion zu zählen sei (UA S. 11). Es kann offen bleiben, ob die letztere Einschätzung anhand der jüngsten Ereignisse in der Provinz Ninive, die der Senat gemäß § 77 Abs. 1 AsylG bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu berücksichtigen hat, noch zutrifft. Denn jedenfalls bedarf es im Hinblick auf diese Ereignisse keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens, um das Bestehen eines bewaffneten Konfliktes in dieser Region zu verneinen. Infolge der Schlacht um Mossul von Oktober 2016 bis Juli 2017 wurde der IS aus der Stadt und deren Umgebung (bis auf einige verbliebene terroristische Schläferzellen) vertrieben. Am 9. Juli 2017 wurde durch den irakischen Premierminister Al-Abadi der Sieg über den IS in Mossul erklärt (vgl. Wikipedia, „Schlacht um Mossul“ m.w.N.; Lifos, Thematic Report „The security situation in Iraq: July 2016 – November 2017“, 18.12.2017, Version 4.0, S. 5). Infolge dessen finden dort keine Kampfhandlungen mehr statt, die eine Intensität aufwiesen, dass sie in einer derart intensiven Gefahr resultieren würden, die für § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ausreichen würde. Mittlerweile haben sich in der gesamten Provinz Ninive, dem Herkunftsgebiet des Klägers, auch die kurdischen Peschmerga vor den heranrückenden irakischen Streitkräften (und Volksmobilisierungseinheiten) zurückgezogen. Bis auf Einzelfälle wurden keine Konfrontationen zwischen den jeweiligen Streitkräften gemeldet (vgl. hierzu Lifos a.a.O., S. 29; zum Ganzen BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 20 ZB 18.30667).
c) Da es somit bereits an den Voraussetzungen einer Gefährdung des Klägers im Sinne der §§ 3 ff., 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG fehlt, bedarf auch die dritte von dem Kläger aufgeworfene Frage nach dem Bestehen einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG (ggf. in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) keiner Klärung in einem Berufungsverfahren mehr.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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