Verwaltungsrecht

Gegenstand des Verfahrens

Aktenzeichen  L 7 AS 903/18

Datum:
21.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53843
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 96

 

Leitsatz

Bescheide können auch im Berufungsverfahren über § 96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens werden.

Verfahrensgang

S 37 AS 3140/17 2018-05-18 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2018 – S 37 AS 3140/17 – wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet.
Streitgegenstand des Klageverfahrens S 37 AS 3140/17 und jetzigen Berufungsverfahrens sind der Bescheid vom 13.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2017 (s. § 95 SGG) und gemäß § 96 SGG kraft Gesetzes die Änderungsbescheide vom 16.8.2018 und 28.8.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.9.2018 betreffend den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2018 bis 31.12.2018, da diese den Bescheid vom 13.12.2017 abändern. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist § 96 SGG gemäß § 153 Abs. 1 SGG auch in der Berufungsinstanz anzuwenden. Ziffer I Buchstabe ii (Schreiben vom 13.3.2019) beinhaltet keinen Klageantrag, über den der Senat zu entscheiden hätte, sondern richtet an das Gericht eine Rechtsfrage, die er hiermit beantwortet sieht.
Die Klage S 37 AS 101/18, gerichtet gegen den Bescheid vom 13.12.2017 und Widerspruchsbescheid vom 28.12.2017 ist bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit im Verfahren S 37 AS 3140/17 unzulässig und die Berufung insoweit unbegründet.
Der Antrag Ziffer I Buchstabe iii, Schreiben vom 13.3.2019 (Feststellung eines Rechtsschutzbedürfnisses durch das Gericht, soweit es davon absieht den Kläger aufzufordern, seine Klagen zurückzunehmen und diese Rechtsmittel extra mit Kostenauferlegung zu ahnden) ist, soweit er überhaupt verständlich ist, unzulässig. Der Antrag zielt sinngemäß darauf ab, in anderweitig anhängige Verfahren am Sozialgericht einzugreifen. Dem Senat ist jedoch ein solches Vorgehen nach dem Sozialgerichtsgesetz verwehrt. Er hat allein über das vorliegende Berufungsverfahren zu entscheiden.
Der mit gerichtlichen Schreiben vom 13.2.2019 und ergänzend vom 1.3.2019 erfolgte richterliche Hinweis auf § 96 SGG diente allein der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Klägers. Es bleibt dem Kläger unbenommen, zur Anwendung des § 96 SGG eine anderweitige Rechtsauffassung zu vertreten.
Die im Übrigen im Schreiben vom 27.2.2019 und 13.3.2019 formulierten Anträge sind auslegungsbedürftig. Das Gericht ist gemäß § 123 SGG nicht an die Fassung der Anträge gebunden. Bei der Auslegung der Anträge ist in entsprechender Anwendung des § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am Wortlaut zu haften. Maßgebend ist, wie die Erklärung nach den Gesamtumständen zu verstehen ist. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip wird der Kläger im Zweifel den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 12. Auflage 2017, vor § 60 Rn 11a, § 123 Rn 3).
Nachdem der Kläger im Schreiben vom 27.2.2019 und vom 13.3.2019 explizit seine Anträge formuliert hat, sind diese als abschließend zu werten. So hat er klargestellt, dass er keine höheren SGB II-Leistungen begehrt. Im Ergebnis verfolgt der Kläger zumindest im Berufungsverfahren keine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe iii im Schreiben vom 27.2.2019).
Da der Kläger mit seinen Anträgen ausdrücklich eine Anfechtungsklage ausgeschlossen hat, unterbleibt wegen des Grundsatzes „ne ultra petita“ eine Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 14.9.2018, auch wenn dieser den Widerspruch nicht als unzulässig verworfen, sondern in Unkenntnis von § 96 SGG (rechtswidrig) als unbegründet zurückgewiesen hat.
Mit seinem Antrag Ziffer I Buchstabe i (Schreiben vom 27.2.2019) verfolgt der Kläger das Ziel, die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bzgl. der formal nichtigen Bescheide herzustellen, da diese auf dem formal nichtigen SGB II beruhen würden. Dieser Antrag bezieht sich ausdrücklich auch auf die Änderungsbescheide vom 16.8.2018 und 28.8.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.9.2018 (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe i, Schreiben vom 13.3.2019). Unter Berücksichtigung des vom Kläger Gewolltem ist dieser Antrag in entsprechender Anwendung des § 133 BGB und unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes als eine Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG in Bezug auf sämtliche streitgegenständlichen Bescheide zu sehen (hier: Bescheid vom 13.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 16.8.2018 und 28.8.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.9.2018), betreffend den Zeitraum vom 1.1.2018 bis 31.12.2018.
Die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG ist unzulässig. Es fehlt ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung. Dabei ist die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage zu Gestaltungsklagen zu berücksichtigen. Ist eine solche Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden. Zwar gelten diese Grundsätze nicht uneingeschränkt. Jedoch muss in diesem Fall über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des Klägers gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit der Verwaltungsakte bzw. Rechtswidrigkeit bestehen, wie z.B. wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. BSG vom 12.10.2016, B 4 AS 37/15 R, Rn 23 ff m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte sämtliche Bewilligungs- und Änderungsbescheide als formell und materiell-rechtlich als wirksam betrachtet und sie zugunsten des Klägers tatsächlich laufend vollzieht. An der Beseitigung der Bewilligungsbescheide kann daher ein Leistungsberechtigter unter Beachtung eines objektiven Maßstabes kein berechtigtes Interesse haben. Auch die vermeintlich fehlende Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebieten keine derartige Feststellung nach objektiven Maßstäben.
Auch soweit der Antrag nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hilfsweise als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG auszulegen ist, besteht kein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung. Zum einen ist auch die Feststellungsklage subsidiär gegenüber der Anfechtungs- und Leistungsklage. Zum anderen ist ein berechtigtes Interesse nicht gegeben. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 42 SGB X eine Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein wegen Verfahrens- oder Formfehler nicht zulässig ist, wenn offensichtlich in der Sache keine andere Entscheidung möglich ist. So liegen die Verhältnisse hier. Höhere Leistungsansprüche macht der Kläger ausdrücklich nicht geltend und sind auch anderweitig nicht ersichtlich. Die Unbeachtlichkeit möglicher Verfahrens- und Formfehler kann daher nicht durch die Erhebung einer Feststellungsklage umgangen werden.
Da die (Nichtigkeits-) Feststellungsklage unzulässig ist, bedarf die Begründetheit dieser Klage keiner weiteren Prüfung, ob die Bescheide formell rechtswidrig sind, und auch keiner Inzidentprüfung des SGB II auf seine Verfassungsmäßigkeit.
Soweit der Kläger geltend macht, das Urteil des Sozialgerichts sei verfahrensfehlerhaft, verstoße gegen Art. 101 und 103 GG und sei daher aufzuheben (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe ii, Schreiben vom 27.2.2019), ist diesem Antrag nicht stattzugeben. Denn im vorliegenden Fall ist keine andere Sachentscheidung möglich. Die mögliche Verfahrensfehlerhaftigkeit des Urteils ist in der Berufungsinstanz im Ergebnis nicht entscheidungserheblich. Das erstinstanzliche Urteil ist daher im Ergebnis nicht aufzuheben.
Auch dem Antrag auf Vorlage der Rechtssache an das BVerfG nach Art. 100 GG bzw. an den EuGH nach Art. 267 AEUV (vgl. Antrag Ziffer I Buchstabe iv, Schreiben vom 27.2.2019, und Ziffer II, Schreiben vom 13.3.2019) war nicht stattzugeben, da die Frage ob eine Diskriminierung wegen der Abstammung des Klägers erfolgt ist, vorliegend nicht entscheidungserheblich ist. Die erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage bzw. Feststellungsklage bleibt ungeachtet eines solchen Verstoßes unzulässig, die Berufung mithin unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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