Verwaltungsrecht

Genehmigung einer fünfstufigen Wirtschaftsschule als Ersatzschule

Aktenzeichen  7 B 17.437

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 859
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 7 Abs. 4
BayEUG Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 lit. c, Art. 14 Abs. 1, Art. 91

 

Leitsatz

1. Die Wirtschaftsschule (Art. 14 BayEUG) kann auch in fünfstufiger Form (ab Jahrgangsstufe 6) als Ersatzschule betrieben werden. (Rn. 11)
2. Weicht eine private Schule in der von ihr gewählten Schulform von den nach Landesrecht bestehenden Schulformen ab, so kann sie gleichwohl dann eine genehmigungsfähige Ersatzschule sein, wenn sie sich in die Gesamtkonzeption des Landesgesetzgebers einpasst. Dies ist der Fall, wenn die spezifischen pädagogischen Ziele, die mit der landesrechtlichen Ausgestaltung als “Gesamtzweck” verfolgt werden, in der vorgesehenen Privatschule erfüllt werden können, ohne zugleich diejenigen der öffentlichen Schulen zu beeinträchtigen (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 171286). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Ausbildungs- und Leistungsstand der einzelnen Jahrgangsklasse gehört nicht zu den Lehrzielen, hinsichtlich derer die privaten Ersatzschulen nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen dürfen (ebenso BVerwG BeckRS 2000, 30149669). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 K 14.4116 2016-05-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Mai 2016 wird abgeändert. Der Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 4. September 2014 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin mit Wirkung ab dem Schuljahr 2014/15 die Genehmigung zum Betrieb einer fünfstufigen Wirtschaftsschule als Ersatzschule in Rosenheim und Traunstein zu erteilen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg.
1. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten Anspruch auf Genehmigung zum Betrieb einer fünfstufigen Wirtschaftsschule als Ersatzschule in Rosenheim und Traunstein ab dem Schuljahr 2014/15. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist dementsprechend abzuändern und der entgegenstehende Bescheid des Beklagten vom 4. September 2014 aufzuheben.
a) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Beklagten kann die Wirtschaftsschule (Art. 14 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen [BayEUG] in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.5.2000 [GVBl S. 414; BayRS 2230-1-1-K], zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.5.2017 [GVBl S. 106]) auch in fünfstufiger Form (ab Jahrgangsstufe 6) als Ersatzschule betrieben werden.
aa) Ersatzschulen sind private Schulen, die in ihren Bildungs- und Erziehungszielen öffentlichen im Freistaat Bayern vorhandenen oder vorgesehenen Schulen entsprechen (Art. 91 BayEUG). Nach bayerischem Landesrecht, welches das Schulwesen in allgemeinbildende und berufliche Schularten gliedert, ist die Wirtschaftsschule eine berufliche Schulart (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c BayEUG). Die Wirtschaftsschule vermittelt eine allgemeine Bildung und eine berufliche Grundbildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung und bereitet auf eine entsprechende berufliche Tätigkeit 11 vor (Art. 14 Abs. 1 BayEUG). Sie verleiht nach bestandener Abschlussprüfung den Wirtschaftsschulabschluss als mittleren Schulabschluss (vgl. Art. 14 Abs. 2 Satz 3, Art. 25 Abs. 1 Nr. 5 BayEUG).
Die Wirtschaftsschule umfasst nach den weiteren landesgesetzlichen Regelungen in zweistufiger Form die Jahrgangsstufen 10 und 11, in dreistufiger Form die Jahrgangsstufen 8 bis 10 und in vierstufiger Form die Jahrgangsstufen 7 bis 10. Sie baut in zweistufiger Form auf dem qualifizierenden Abschluss der Mittelschule, in dreistufiger Form auf der Jahrgangsstufe 7 und in vierstufiger Form auf der Jahrgangsstufe 6 der Mittelschule auf (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayEUG).
bb) Obwohl dem Landesrecht die Wirtschaftsschule in fünfstufiger Form (ab der Jahrgangsstufe 6) gegenwärtig unbekannt ist, kann auch diese Schulform – unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Rechts zur Errichtung von privaten Schulen (Art. 7 Abs. 4 GG) – den gesetzlichen Begriff einer Ersatzschule erfüllen.
(1) Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG will die Freiheit im Schulwesen verwirklichen; er gewährleistet jedermann das Grundrecht, Privatschulen zu errichten. Das Recht zur Errichtung von Privatschulen als Ersatz für öffentliche Schulen (Ersatzschulen) ist allerdings durch den Vorbehalt staatlicher Genehmigung beschränkt (Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG); ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung ist nur unter den in Art. 7 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 5 GG aufgeführten Voraussetzungen verfassungsverbürgt (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 14.11.1969 – 1 BvL 24/64 – BVerfGE 27, 195/200). Das Landesrecht kann dabei den freien Trägern von Ersatzschulen allenfalls mehr, nicht aber weniger Rechte gewähren, als es Art. 7 Abs. 4 GG vorsieht (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.12.1996 – 6 C 6/95 – BVerwGE 104, 1 /6).
(2) Ersatzschulen im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Privatschulen, die nach dem mit ihrer Errichtung verfolgten Gesamtzweck als Ersatz für eine in dem Land vorhandene oder grundsätzlich vorgesehene öffentliche Schule dienen sollen. Sie unterscheiden sich damit von den Ergänzungsschulen, für die vergleichbare öffentliche Schulen in der Regel nicht bestehen und in denen der Schulpflicht nicht genügt werden kann (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 14. 11.1969 – 1 BvL 24/64 – BVerfGE 27, 195/201 f.).
(3) Welche Schulformen nach dem Grundgesetz als weiterführende Ersatzschulen genehmigungsfähig sind, kann von der durch das jeweilige Landesrecht ausgestalteten Schulstruktur abhängen. Denn das Landesrecht beeinflusst die Beantwortung der Frage, welche Schule Ersatzschule ist, indem es „bestimmt, welche öffentlichen Schulen es gibt, denen eine Privatschule entsprechen kann“ (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.1996 – 6 C 6/95 – BVerwGE 104, 1/7 m.w.N.). In der Rechtsprechung ist jedoch geklärt, dass insoweit keine strenge Akzessorietät mit den vorhandenen Schulformen zu fordern ist, insbesondere nicht im Bereich der weiterführenden Schulen. Weicht deshalb eine private Schule in der von ihr gewählten Schulform von den nach Landesrecht bestehenden Schulformen ab, so kann sie gleichwohl dann eine genehmigungsfähige Ersatzschule sein, wenn sie sich in die Gesamtkonzeption des Landesgesetzgebers einpasst. Das ist der Fall, wenn die spezifischen pädagogischen Ziele, die mit der landesrechtlichen Ausgestaltung als „Gesamtzweck“ verfolgt werden, in der vorgesehenen Privatschule erfüllt werden können, ohne zugleich diejenigen der öffentlichen Schulen zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.1996 -6 C 6/95 – BVerwGE 104, 1/7). Dies ist bei der von der Klägerin gewählten fünfstufigen Form der Wirtschaftsschule der Fall.
(4) Die Wirtschaftsschulen der Klägerin in Rosenheim und Traunstein umfassen in ihrer bisherigen vierstufigen Form die Jahrgangsstufen 7 bis 10. Die Ergänzung dieser Wirtschaftsschulen um die Jahrgangsstufe 6 beeinträchtigt nicht die spezifischen pädagogischen Ziele, die seitens des Landesgesetzgebers mit der Schulart der Wirtschaftsschule und deren einzelnen Formen (Art. 14 BayEUG) verbunden sind, da auch die um die Jahrgangsstufe 6 ergänzte Wirtschaftsschule unverändert den Wirt-schaftsschulabschluss als mittleren Schulabschluss vermittelt. Die fünfstufige Wirtschaftsschule strebt somit ebenfalls die allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele an, die der Gesetzgeber der entsprechenden öffentlichen Schule (Wirtschaftsschule) vorschreibt. Im Übrigen gehört der Ausbildungs- und Leistungsstand der einzelnen Jahrgangsklasse nicht zu den Lehrzielen, hinsichtlich derer die privaten Ersatzschulen nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2000 – 6 C 5/00 – BVerwGE 112, 263).
Der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Umstand, dass der Landesgesetzgeber mit der Einführung der Wirtschaftsschule in zweistufiger Form ab dem Schuljahr 1999/2000 das bildungspolitische Ziel zum Ausdruck gebracht hat, die bestehenden drei- und vierstufigen Wirtschaftsschulen zu erhalten, eine Ausweitung 15 dieser Schulformen jedoch durch entsprechende Regulierungen im Schulfinanzie-rungsrecht (Kürzung staatlicher Förderung) zu verhindern (vgl. LT-Drs.14/1361 S. 3 und 7), steht der Verwirklichung der vom Gesetzgeber verfolgten spezifischen pädagogischen Ziele der Wirtschaftsschule auch im Fall einer um die Jahrgangsstufe 6 ergänzten Wirtschaftsschule nicht entgegen.
Die pädagogischen Ziele der öffentlichen Schulen werden durch die um die Jahrgangsstufe 6 ergänzte Wirtschaftsschule der Klägerin ebenfalls nicht beeinträchtigt. Zwar baut die vierstufige Form der Wirtschaftsschule auf der Jahrgangsstufe 6 der Mittelschule auf (vgl. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayEUG), die im Rahmen der fünfstufigen Form der Wirtschaftsschule durch eine eigene Jahrgangsstufe 6 der Wirtschaftsschule ersetzt wird. Gegen diese Ersetzung bestehen jedoch weder allgemein noch im besonderen Fall der Klägerin Bedenken. Das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst hat zudem gegenüber der Klägerin bereits mit Bescheid vom 16. September 2014 festgestellt, dass die fünfstufige Wirtschaftsschule (ab Jahrgangsstufe 6) zur Erfüllung der Schulpflicht geeignet ist und der Lehrplan und die vorgesehene Stundentafel für die Jahrgangsstufe 6 der Wirtschaftsschule dem grundlegenden Anforderungsniveau der Mittelschule entsprechen und die „Pflichtunterrichtsstunden nach dem Bayerischen Mittelschullehrplan erreicht und teilweise überschritten werden“ (vgl. Entscheidungsgründe II Nr. 2.4 des Bescheids).
b) Die Genehmigung zum Betrieb der fünfstufigen Wirtschaftsschule in Rosenheim und Traunstein als Ersatzschule ist der Klägerin ab dem Schuljahr 2014/15 zu erteilen, weil die Klägerin die Genehmigung fristgerecht (spätestens vier Monate vor Schuljahresbeginn; vgl. Art. 92 Abs. 1 Satz 2 BayEUG) beantragt hat und sie im Übrigen die Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 92 Abs. 2 BayEUG – wie zwischen den Parteien unstreitig ist – erfüllt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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