Verwaltungsrecht

Geschlechtsspezifische Verfolgung – Äthiopien

Aktenzeichen  B 7 K 17.32298

Datum:
14.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17781
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 14a Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5
VwGO § 108 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Soweit die Klagen zurückgenommen wurden, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
2. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Soweit der Klägerbevollmächtigte die Klagen in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Er hat in der mündlichen Verhandlung insoweit erklärt, dass eine Verpflichtung des Bundesamts, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen, nicht mehr beantragt wird und dass insoweit die Klagen zurückgenommen werden (S. 13 der Niederschrift). Das Bundesamt hat durch eine allgemeine Prozesserklärung seine Einwilligung in die teilweise Klagerückname nach erfolgter Antragstellung im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Soweit die Klagen aufrechterhalten wurde, kann über diese ohne (weitere) mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden, da der Bevollmächtigte der Kläger durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019 auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet hat (S. 13 der Niederschrift) und die Beklagte auch insoweit ihr Einverständnis durch eine allgemeine Prozesserklärung erklärt hat. Die prozessuale Vorgehensweise war in der mündlichen Verhandlung mit der erschienenen Klägerseite einvernehmlich skizziert worden (vgl. S. 12/13 der Niederschrift).
II.
Soweit die zulässigen Klagen aufrechterhalten wurden, haben sie in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 24.05.2017 ist – soweit er noch streitgegenständlich ist – rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese haben keinen Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die weiteren noch angegriffenen Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst im Wesentlichen den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
Auch wenn nicht sämtliche der vom Bundesamt herangezogenen Argumente gleichermaßen zutreffend sind bzw. den Punkt treffen, erweist sich der streitgegenständliche Bescheid doch jedenfalls im Ergebnis als zutreffend.
1. Ohne Rechtsfehler hat das Bundesamt insbesondere das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint. Es ist davon auszugehen, dass die Kläger nicht alleine in ihr Heimatland zurückkehren oder abgeschoben werden, sondern unter Beachtung aufenthaltsrechtlicher Regelungen im Familienverbund mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern wie auch ihrem Vater, der nach seiner Darstellung in der mündlichen Verhandlung regelmäßigen Umgang mit den Klägern pflegt. Dabei wird nicht verkannt, dass sich die Eltern der Kläger als Ehepaar getrennt haben und es die Mutter der Kläger ist, die sich derzeit in erster Linie um die Kläger kümmert. Die Mutter der Kläger lebt mit ihren insgesamt vier Kindern vom Vater der Kinder, ihrem früheren Mann, getrennt. Sie ist es auch, die den Haushalt besorge. Der Vater der Kläger sehe seine Kinder immer wieder, manchmal zweimal in der Woche oder auch nur einmal, wenn es ihm eben gesundheitlich entsprechend gehe. Wenn die Mutter der Kläger z.B. einen wichtigen Termin habe, dann verständige sie den Vater der Kinder und dieser passe dann auf die Kinder auf. Wenn der Vater der Kläger zur Wohnung der Kläger und ihrer Mutter vorbeikomme, um seine Kinder zu sehen, dann könne ihm die Mutter nach ihren Ausführungen nicht verwehren, seine Kinder zu sehen und er müsse hinein dürfen. Der Vater gehe dann in die Wohnung und spiele etwa mit den Kindern. In seine eigene Unterkunft nehme er die Kinder nicht mit, denn seine Unterbringungslage sei nicht gerade angenehm, nachdem er sich ein Zimmer mit anderen Personen teile. Es sei aber so, dass der Vater mit den Kindern auch manchmal in der Stadt … unterwegs sei und die Kinder etwa zum Kino bringe (zum Ganzen: S. 2/3 der Niederschrift).
Es ist prognostisch davon auszugehen, dass es den Eltern der Kläger gelingen wird, im Falle ihrer Rückkehr in Äthiopien wiederum Fuß zu fassen und sich und den Klägern eine Existenzgrundlage zu erwirtschaften bzw. dass sie ergänzend auf hinreichende verwandtschaftliche Unterstützung bauen können. Hierfür bedarf es einer Gesamtbetrachtung der konkreten Verhältnisse; folgende Überlegungen sind dabei einzubeziehen:
Die Mutter der Klägerin ist für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien mit den Klägern grundsätzlich auf den Einsatz ihrer Arbeitsfähigkeit zu verweisen. In Äthiopien ist es möglich, als alleinstehende Mutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung. Kinder werden häufig – bei Alleinerziehenden wie bei erwerbstätigen Personen – nach der Schule von privatem Betreuungspersonal betreut, auch in den unteren Gehaltsschichten (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 13.07.2017 – Gz. 508-516.80/49153).
In diesem Zusammenhang darf freilich nicht übersehen werden, dass die hiesigen Kläger nicht die einzigen Kinder ihrer Mutter sind, sondern dass sie noch zwei Geschwister haben, die in den Jahren 2010 und 2012 geboren wurden. Die beiden älteren Geschwister haben jedoch bereits ein Alter erreicht, in dem sie (auch in Äthiopien) die Schule besuchen können. Die Kläger wiederum sind nahezu vier Jahre alt und damit ebenfalls nicht (mehr) in einem Alter, in dem sie auf die ständige Betreuung durch ihre Mutter (oder ihren Vater) angewiesen sind. Sie besuchen vielmehr auch hier in Deutschland den Kindergarten (S. 3 der Niederschrift). Damit ist nicht ersichtlich, warum die Mutter der Kläger nicht zumindest teilweise einer Erwerbstätigkeit in Äthiopien nachgehen könne sollte. Sie verfügt über eine recht ordentliche Schulbildung, denn sie hat den Abschluss der achten Klasse erreicht sowie kann auf im Heimatland erworbene berufliche Erfahrungen zurückblicken, da sie bereits früher als Hausmädchen gearbeitet hat (S. 4, 6 der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. …).
Das Gericht verkennt nicht, dass ein Neustart in Äthiopien mit vier Kindern für die Mutter der Kläger (und diese selbst) nicht einfach sein wird, sie hat selbst etwa geltend gemacht, dass sie im Falle ihrer Rückkehr keine Unterkunft habe (vgl. S. 9 der Niederschrift).
Nach Überzeugung des Gerichts können die Kläger (und ihre Mutter sowie weiteren Geschwister) im Falle der Rückkehr aber mit verwandtschaftlicher Unterstützung von engen Angehörigen der Mutter der Kläger rechnen. Diese hat anlässlich ihrer eigenen Anhörung von zwei Brüdern, zwei Schwestern und einem älteren Halbbruder berichtet sowie teilweise deren Wohnort angeben können (S. 4 der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. …).
Ausgehend von der Bedeutung der (Groß-)Familie in Äthiopien ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sämtliche Angehörige der Mutter der Kläger dieser (und den Klägern) eine notwendige Unterstützung im Falle der Rückkehr verweigern würden. Es steht vielmehr zu erwarten, dass eine erforderliche Unterstützung der der Anfangszeit und ggf. in schwierigen Situationen geleistet werden wird.
In diesem Kontext ist von Bedeutung, dass das Verwaltungsgericht die Fluchtgeschichte des Vaters der Kläger als nicht glaubhaft bewertet hat (U.v. 30.03.2015 – B 3 K 14.30153 – UA S. 8). Dieser hatte seinerzeit aber maßgeblich von Problemen mit seiner eigenen Familie berichtet, die letztlich ursächlich für seine Ausreise gewesen seien (S. 5 ff. der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. …). Soweit die Fluchtgeschichte der Mutter der Kläger dementsprechend an die von ihrem Mann genannten Aspekte angeknüpft hat, kann auch ihren Darstellungen folglich eine Glaubhaftigkeit nicht zugesprochen werden.
Auffällig war in diesem Kontext wiederum, dass die Mutter der Kläger ihre eigene Fluchtgeschichte in der mündlichen Verhandlung im Vergleich zu ihrer damals beim Bundesamt referierten Version weiter ausgeschmückt und zum Teil auch gesteigert hat. So hatte sie beim Bundesamt davon gesprochen, dass die Familie ihres Mannes sie gehasst habe, weil diese angenommen habe, sie habe ihren Mann zur Konversion verleitet. Einen persönlichen Streit oder direkte Zusammenstöße mit Familienangehörigen ihres Mannes verneinte sie jedoch auf Nachfrage klar, ihr Mann habe immer versucht, sie zu schützen. Sie hätten die Mutter der Kläger sowieso nicht sehen wollen, sie hätten auch keinen Kontakt gehabt, sie habe den Vater ihres Mannes und seine Geschwister nur vom Sehen gekannt. Die Familienangehörigen des Mannes hätten die Mutter der Kläger ja gekannt, die hätten sie auch angreifen können (S. 6/7 der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. …).
Nach ihrer Darstellung in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019 sei es jedoch so gewesen, dass die Brüder ihres Mannes gar gedroht hätten, die Mutter der Kläger umzubringen (S. 5 der Niederschrift). Dabei macht es durchaus einen nicht unerheblichen qualitativen Unterschied, ob die Familienangehörigen des Mannes die Mutter der Kläger „lediglich“ abgelehnt, gehasst und keinen Kontakt gewünscht hätten oder ob eben sogar die Drohung ausgesprochen worden sein soll, dass sie die Tötung der Mutter der Kläger im Sinn gehabt hätten. Die Mutter der Kläger hatte beim Bundesamt auch nicht deutlich angegeben, dass ihre eigenen Familienangehörigen von der Familie ihres Mannes bedroht worden sein sollen, so insbesondere die Schwester der Mutter der Kläger. Solches soll sich aber nach den Darstellungen in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019 zugetragen haben. Soweit die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ferner davon gesprochen hat, dass gar damit gedroht worden sei, die Schwester und ihre beiden Kinder zu verbrennen (S. 8 der Niederschrift), spiegelt sich dies in der eigenen Anhörung der Mutter der Kläger nicht wider.
Das Gericht hat vor diesem Hintergrund den Eindruck gewonnen, dass die Mutter der Kläger den Versuch unternommen hat, die Lage, wie sie sich im Falle der Rückkehr mit ihren Kindern darstellen würde, deutlich negativer zu beschreiben, als dies tatsächlich zu erwarten ist.
Soweit die Mutter der Kläger ausgeführt hat, dass ihre Geschwister ihr dadurch Leid zugefügt hätten, dass sie sie nicht von dem Ableben des eigenen Vaters bzw. der Beerdigung informiert hätten, erscheint zwar menschlich nachvollziehbar, dass dies für die Mutter der Kläger sehr schmerzlich gewesen sein muss. Andererseits soll es aber auch so gewesen sein, dass nach dem Wunsch des verstorbenen Vaters die Mutter der Kläger nicht zu dessen Beerdigung habe erscheinen sollen, so dass die Geschwister letztlich – freilich für die Mutter der Kläger verletzend – den ausdrücklichen Wunsch des verstorbenen Vaters umgesetzt haben (vgl. S. 6/7 der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. … und S. 5 der Niederschrift).
Aus diesen Umständen kann nach Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass sämtliche der nahen Angehörigen der Mutter der Kläger und deren jeweiliges Umfeld notwendige Unterstützung im Falle der Rückkehr, insbesondere eine Hilfe in der Anfangszeit, versagen würden. Nicht stichhaltig erscheint insbesondere die Darstellung der Mutter der Kläger, dass sie aufgrund von Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Angehörigen ihres Mannes gehindert wäre, in Äthiopien einer Arbeitstätigkeit nachzugehen (vgl. S. 8 der Niederschrift). Die Angehörigen des Ehemanns haben – die Richtigkeit der entsprechenden Darstellungen zur Verfolgung einmal unterstellt – überhaupt keinen Anlass, nach dem Ablauf von mehreren Jahren nach der Mutter der Kläger und diesen zu suchen, um ihnen ggf. Schaden zuzufügen. Ein Zusammentreffen mit diesen Personen ist bei einer Niederlassung in hinreichender Entfernung keinesfalls beachtlich wahrscheinlich.
Weiter ist prognostisch davon auszugehen, dass auch der Vater der Kläger im Falle der Rückkehr nach Äthiopien Unterstützung zugunsten der Kläger (und deren Geschwister) wird leisten können. Dass eine enge familiäre Bindung zu seinen Kinder besteht, ist für das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019 deutlich geworden; hierzu kann die obigen Ausführungen zu dem regelmäßig gepflegten Umgang mit den Kindern verwiesen werden. Unterstützung der Kläger durch den Vater ist in diesem Zusammenhang in einem weiten Sinne zu verstehen. Es liegt auf der Hand, dass eine erhebliche Entlastung der Mutter der Kläger (und damit freilich auch der Kläger selbst) damit erreicht werden kann, dass der Vater der Kläger beispielsweise Aufgaben in der Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder übernimmt, so wie er dies bereits hier in Deutschland handhabt. Es wurde bereits erwähnt, dass er etwa zur Stelle ist, wenn es um darum geht, auf die Kinder aufzupassen in Phasen, in denen die Mutter der Kläger verhindert ist, weil sei z.B. einen wichtigen Termin hat (vgl. S. 3 der Niederschrift). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich die Eltern der Kläger bei Rückkehr nach Äthiopien nicht zuletzt zum Wohle ihrer gemeinsamen Kinder dahin arrangieren werden, dass sie berufliche und sonstige Aktivitäten soweit notwendig aufeinander abstimmen, selbst wenn sie als Ehepaar getrennt leben. Dass solches gelingen kann, beweisen die Eltern der Kläger bereits derzeit in Deutschland, wobei bei Rückkehr freilich einerseits schwierigere Bedingungen herrschen dürften, da insbesondere die Sicherstellung des Lebensunterhalts im Vordergrund stehen wird. Andererseits kann eben gerade von Seiten der nahen Verwandtschaft der Mutter der Kläger mit Unterstützung gerechnet werden und bestimmte Dinge etwa im täglichen Leben werden sich auch einfacher als heute gestalten, denn für die Eltern der Kläger entfällt die Sprachbarriere – die Mutter der Kläger hat diesbezüglich von Probleme bei Arztbesuchen in Deutschland berichtet (vgl. S. 11 der Niederschrift) – und es würde die Ungewissheit hinsichtlich des Aufenthaltsstatus‘ in Deutschland entfallen, was gerade für den Vater der Kläger offenbar immer wieder zu (nachvollziehbaren) psychischen Belastungen und Problemen führt (vgl. hierzu weiter unten).
Unabhängig von diesen Erwägungen und ohne dass es auf diesen Aspekt im vorliegenden Verfahren noch entscheidend ankäme, ist prognostisch ferner zu erwarten, dass auch der Vater der Kläger im Falle seiner Rückkehr einer Erwerbstätigkeit wird nachgehen können. Auch dieser hat in Äthiopien eine recht ordentliche Schulbildung genossen, selbst wenn er die Mittelschule nach der 9. Klasse nicht abgeschlossen hat, und er hat in Äthiopien berufliche Erfahrungen als Schreiner gesammelt (S. 4 der der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. …). Soweit er vor allem geltend gemacht hat, er könne bei Rückkehr nach Äthiopien keiner Arbeitstätigkeit nachgehen, weil er nach wie vor Angst vor Repressalien seiner Verwandten habe, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht im die vorgetragene Fluchtgeschichte als nicht glaubhaft bewertet hat (siehe bereits oben). Unabhängig von diesem Befund ist aber durchaus anzunehmen, dass der Vater der Kläger im Falle seiner Rückkehr die Realitäten vor Ort erkennen und sich um die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit kümmern wird, zumal er dort voraussichtlich auch alsbald gewahr werden wird, dass er von seinen Verwandten, die gar keinen Anlass haben, nach ihm zu suchen, bei Niederlassung in gewisser Entfernung eben nichts zu befürchten hat.
Bei diesen Erwägungen wird nicht übersehen, dass der Vater der Kläger psychisch angeschlagen ist, die Bezirksklinik … hat auf der Grundlage wiederholter stationärer Aufenthalte zuletzt im Juli 2018 eine rezidivierende Depression diagnostiziert. Aus dem entsprechenden Arztbrief geht jedoch ebenfalls hervor, dass die Depression maßgeblich auf der (aus Sicht des Vaters des Klägers nachvollziehbaren) Perspektivlosigkeit und der Angst vor der Zukunft beruht. Ein wesentlicher Grund für die letzte stationäre Aufnahme war offenbar, dass der Vater der Kläger seine Medikation (angeblich auf Veranlassung eines behandelnden Facharztes) nicht mehr eingenommen hatte. Von Seiten der Bezirksklinik wurde das Präparat bei früherer guter Wirksamkeit erneut verordnet und es habe sich eine Verbesserung der depressiven Symptomatik eingestellt. Zuletzt habe der Vater der Kläger von sich aus auf Entlassung ins Wohnheim gedrängt, was dann bei nicht vorhandener Selbst- oder Fremdgefährdung auch kurzfristig möglich gewesen sei (vgl. S. 3 des Arztbriefs vom 18.07.2018). Soweit in einer Verordnung über Krankenhausbehandlung des behandelnden Facharztes vom 19.12.2019, der der Vater der Kläger nicht Folge geleistet habe (vgl. S. 12/13 der Niederschrift), das Krankheitsbild abweichend vom dem Befund der Bezirksklinik beschrieben wird, ergibt sich nichts anderes. Auf die exakte Einordnung des Krankheitsbildes beim Vater der Kläger in die Kategorien nach ICD-10 kommt es zum einen im vorliegenden Verfahren gar nicht entscheidend an, zum anderen ergibt sich kein weiterer Aufklärungsbedarf mit Blick auf etwaige zusätzliche Funktionsbeeinträchtigungen beim Vater der Kläger, denn eine Ermittlung von Amts wegen gleichsam ins Blaue hinein ist nicht veranlasst und soweit diesbezüglich eine Beweiserhebung beantragt wurde, hat sich der entsprechende Beweisantrag als unsubstantiiert erwiesen. Auf den Beschluss des Gerichts vom 26.02.2019 wird insgesamt Bezug genommen, zu den qualitativen Anforderungen an ärztliche Atteste, die mit Blick auf die reine Krankenhausverordnung freilich keinesfalls erfüllt sind, vgl. etwa BayVGH, B.v. 24.02.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris.
Nach Lage der Dinge spricht alles dafür, dass der Vater der Kläger bei seiner Rückkehr die sich ergebenden Notwendigkeiten wird erkennen und bewältigen können. Dies gilt gerade in in Bezug auf das Wohlergehen seiner Kinder. Er ist nicht nur zur Stelle, wenn es um die Betreuung seiner Kinder während wichtiger Termine der Mutter geht, sondern ist auch in eigenen Belangen nicht in eine Lethargie verfallen, die erwarten ließe, dass er bei Rückkehr nicht in der Lage wäre, notwendige Entscheidungen zu treffen und Handlungen vorzunehmen. Aus der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten ausländerrechtlichen Akte der Stadt … ergibt sich beispielsweise, dass er z.B. im letzten Jahr wiederholt Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Aufenthaltsbereiches seiner Duldung (Stadtgebiet …) beantragt und erhalten hat (Anträge/Erlaubnisse vom 06.02.2018 (Ziel: N…), 24.05.2018 (Ziel: F…, …), 20.08.2017 (Ziel: F…, Termin bei …). Es ist ohne jede Frage das gute Recht des Vaters des Klägers, seinen Bevollmächtigten frei zu wählen und entsprechende Termine auch in Frankfurt wahrzunehmen. Dies zeigt aber eben auch, dass der Vater der Kläger trotz seiner psychischen Erkrankung in der Lage ist, wenn es darauf ankommt, zielgerichtet zu planen und zu handeln.
Legt man all dies zugrunde, ist nicht ersichtlich, warum der Vater der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien nicht ebenfalls in der Lage sein sollte, die Notwendigkeiten und Realitäten zu erkennen und sich vor allem um die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit zu bemühen und ggf. notwendige Medikamente konsequent einzunehmen.
Psychische Erkrankungen sind auch in Äthiopien behandelbar. Dabei werden psychiatrische Behandlungen in mehreren Krankenhäusern in Addis Abeba angeboten und es sind verschiedene Psychopharmaka erhältlich. Bei einer Rückkehr des Vaters der Kläger wird freilich darauf zu achten sein, dass er zur Überbrückung der Anfangszeit einen gewissen Medikamentenvorrat bei sich hat. Sollte es in der Folgezeit einmal zu einem finanziellen Engpass in Bezug auf die Beschaffung der Medikation kommen, kann über die Beantragung einer Armutskarte bei der Heimatgemeinde die Finanzierung der medizinischen Behandlung durch den Staat erreicht werden, wobei die Medikamentenpreise für die hier in Rede stehenden Präparate ohnehin in Äthiopien auch nach dortigen Maßstäben keineswegs als unerschwinglich einzustufen sind (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Psychiatrische Versorgung vom 05.09.2013; Lagebericht vom 17.10.2018, S. 24; IOM Länderinformationsblatt 2014, S. 9 ff.; IBZ Belgien – Mission Report 2014, S. 5 ff., 18 ff., 30 ff.).
Auch mit Blick auf die ganz aktuelle Lage in Äthiopien – u.a. hat der Bevollmächtigte zu Recht in seiner Gegenvorstellung vom 07.03.2019 zur Ablehnung der Beweisanträge auf die nicht unerhebliche Zahl von Binnenvertriebenen hingewiesen – ergibt sich nicht die Verpflichtung des Bundesamts, das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots zugunsten der Kläger festzustellen.
Den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist zu entnehmen, dass es unter dem Regime des seit Anfang April 2018 amtierenden Premierministers Abiy Ahmed tiefgreifende politische Veränderungen gegeben hat. Als Folge des im Frühjahr 2018 eingeleiteten Umbruchs wurde etwa am 05.07.2018 die Einstufung der OLF, ONLF und Ginbot 7 als terroristische Organisationen durch das Parlament aufgehoben (vgl. https://www.aljazeera. com/news/2018/06/ethiopia-olf-onlf-ginbot-7-terror-list-180630110501697.html). Mit Gesetz vom 20.07.2018 wurde allen Äthiopiern, die wegen Verrats, Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder bewaffneten Widerstands verurteilt wurden oder Objekt von Ermittlungen sind, Straffreiheit zugesichert. Durch die Amnestie für diese politischen Vergehen soll auch den Oppositionellen im Exil ermöglicht werden, nach Hause zurückzukehren und eine friedliche politische Karriere in Äthiopien zu verfolgen (vgl. https://www.aljazeera.com/news/2018/07/ethiopian-grants-amnesty-political-prisoners-180720191811460.html). Es ist freilich ebenso zu erkennen, dass die Arbeit des neuen Premierministers mit Rückschlägen und Gegenwind verbunden ist. Es gibt zum einen weiterhin vereinzelte Anschläge und Gewaltakte in Äthiopien, die örtlich begrenzt sind und die derzeit hauptsächlich in der Somali-Region und unmittelbar angrenzenden Gebieten stattfinden. Zum anderen wird vorwiegend von andauernden ethnischen Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen und damit teilweise einhergehenden Binnenbewegungen berichtet.
Aus der von der Klägerseite genannten Quelle von Oktober 2018 ergibt sich in der Tat ebenfalls, dass die Zahl der Binnenflüchtlinge in Äthiopien gestiegen ist. Daraus ist aber auch zu ersehen, dass es sich nicht um ein landesweit gleichermaßen verschärft auftretendes Phänomen handelt, sondern dass bestimmte Regionen, so etwa die Somali-Region, besonders betroffen sind. Die Eltern der Kläger sind bei einer Rückkehr mit den Klägern jedoch keineswegs gezwungen, sich in einer Region niederzulassen, die von den beschriebenen aktuellen Entwicklungen besonders betroffen ist. Dabei wird nicht übersehen, dass die wirtschaftliche Situation in Äthiopien insgesamt herausfordernd ist, doch können die Kläger – wie oben dargestellt – eben nicht nur mit Unterstützung durch ihre Eltern rechnen, sondern dürfen zugleich darauf bauen, dass sie Rückhalt bei den nahen Verwandten der Mutter der Kläger und deren Umfeld finden werden.
2. Der Klägerin zu 1 droht in Äthiopien nach Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Verfolgung (in Form der Beschneidung).
Wie sich aus den aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 22.03.2018 und 17.10.2018 ergibt, erfolgt eine Beschneidung inzwischen bei der überwiegenden Anzahl der Mädchen nicht mehr. Seit der Reformierung des Strafgesetzbuches 2005 ist die Genitalverstümmelung gemäß Art. 565 mit Geldstrafe ab 500 Birr (ca. 20 EUR) oder mit mindestens dreimonatiger, in besonders schweren Fällen mit bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe, bedroht. Die Zahl der Neuverstümmelungen hat sich hiernach inzwischen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert. Dennoch ist Genitalverstümmelung nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet (Zahlen schwanken auch hier zwischen 56 und über 70% landesweit). Am häufigsten ist sie in ländlichen Gebieten der an Dschibuti und Somalia grenzenden Regionen Somali und Afar sowie in der gesamten Region Oromia anzutreffen. In den Grenzregionen Tigray (Grenze zu Eritrea) und Gambella (Grenze zu Südsudan) ist sie am wenigsten verbreitet. Soweit in machen Quellen höhere Prozentangaben für den Anteil beschnittener Frauen angegeben werden, sind diese für eine hier notwendige prognostische Betrachtung nicht brauchbar, soweit darin auch ältere Frauen in die Betrachtung einbezogen werden, bei denen die Beschneidung bereits viele Jahre zurückliegt. Solche Zahlenangaben berücksichtigen namentlich nicht den in Äthiopien eingeleiteten und weiter fortschreitenden Einstellungswandel in nicht unbeträchtlichen Kreisen der Bevölkerung. Die Regierung sowie äthiopische und internationale Organisationen führen Kampagnen zur Abschaffung der Genitalverstümmelung durch. Die äthiopische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, wie etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen oder Kinder- und Zwangsehen bis zum Jahre 2025 endgültig abzuschaffen.
In Übereinstimmung mit diesem allgemeinen Befund ist auch in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019 deutlich geworden, dass die weibliche Genitalbeschneidung gerade in ländlichen Regionen (noch) ein verbreitetes Problem darstellt (vgl. S. 9/10 der Niederschrift). Eine Niederlassung der Kläger mit ihren Eltern und Geschwistern kommt aber nach Überzeugung des Gerichts vornehmlich in einer urbanen Region oder deren Einzugsbereich in Betracht, denn dort dürfte sich nicht nur die Aufnahme von Erwerbstätigkeiten leichter gestalten, sondern auch drei der Geschwister der Mutter der Kläger sollen beispielsweise in Addis Abeba leben bzw. gelebt haben (vgl. S. 4 der der Anhörungsniederschrift im Verfahren Az. …). Moderne Kommunikationsmittel sind zwischenzeitlich auch in Äthiopien weit verbreitet, so dass alles dafür spricht, dass ein zwischenzeitlich abgerissener Kontakt wiederhergestellt werden kann.
Es ist vor dem Hintergrund des weiter fortschreitenden Einstellungswandels in der äthiopischen Bevölkerung, vor allem in größeren Städten, nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Angehörigen der Mutter der Klägerin zu 1 gegen den Willen der Mutter eine Beschneidung durchführen oder veranlassen würden. Wird aber bei der überwiegenden Anzahl von Mädchen heute keine Beschneidung mehr durchgeführt, so ist auch nicht zu erwarten, dass die Klägerin zu 1 und/oder ihre Mutter beachtlichen gesellschaftlichen oder sonstigen Nachteilen ausgesetzt sein werden, wenn keine Beschneidung erfolgt. Die Darstellung der Mutter der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2019, dass bei Nichtbeschneidung die Klägerin zu 1 womöglich dafür verantwortlich gemacht werde, dass sie Krankheiten bringe oder in der Schule ausgegrenzt und mit Schimpfwörtern belegt werde sowie dass dies auch erhebliche Rückwirkungen auf die Mutter habe, erscheint deutlich übertrieben und wird von der Auskunftslage jedenfalls mit Blick auf eine Rückkehr in eine urbane Region nicht gedeckt. Es besteht diesbezüglich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Eine solche Gefahr lässt sich auch nicht aus sonstigen Quellen ableiten, insbesondere nicht aus dem vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung übergebenen Beitrag von ACCORD vom 26.01.2018. Exemplarisch sei hier auf eine Angabe auf S. 4 hingewiesen, wonach eben etwa in der Hauptstadt der Anteil von beschnittenen Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren bei 54% liege. Diese Altersspanne umfasst indessen auch Frauen, die längst eine Familie gegründet, ihre Familienplanung abgeschlossen haben und bereits vor vielen Jahren und sogar vor Jahrzehnten selbst beschnitten wurden. Es liegt auf der Hand, dass eine derart weitgefasste Vergleichsgruppe nicht geeignet ist, um die Gefahr der Beschneidung für ein heute vierjähriges Mädchen wie die Klägerin zu 1 realistisch einzuschätzen.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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