Verwaltungsrecht

Glaubhafte Konversion zum Christentum eines Exil-Afghanen

Aktenzeichen  W 1 K 16.32723

Datum:
21.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6597
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 8 S. 1
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3a Abs. 1

 

Leitsatz

1. In Deutschland zum Christentum konvertierte afghanische Staatsangehörige müssen bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG rechnen, wenn auch die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit gegeben ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die objektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit ergibt sich daraus, dass die Betroffenen in Afghanistan gezwungen werden, ihren Glauben ganz zu verleugnen oder ihn zumindest im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können (vgl. u.a. VG Würzburg BeckRS 2018, 1008; VG Saarland BeckRS 2012, 52768). (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan scheidet aus, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen (vgl. u.a. VG Würzburg BeckRS 2018, 1008). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 19. Dezember 2016 ist daher, soweit er noch Gegenstand der Klage ist und der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der ab 6. August 2016 geltenden, durch Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939 ff.) geschaffenen Fassung anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG. Für den Kläger besteht auch keine Möglichkeit des internen Schutzes im Sinne des § 3e AsylG.
Eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a) Qualifikationsrichtlinie (QRL), der durch § 3a Abs. 1 AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – BayVBl. 2013, 234, juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21 ff.; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 23 ff.) auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG a.a.O. Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in den Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.2004 – 1 C 9/03 – BVerwGE 120, 16/20 f., juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH a.a.O. Rn. 62 f.; BVerwG a.a.O. Rn. 24 ff.; VGH BW a.a.O. Rn. 43; OVG NRW a.a.O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folgen für den Betroffenen (EuGH a.a.O. Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maß-nahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG a.a.O. Rn. 28 ff.; VGH BW a.a.O.; OVG NRW a.a.O.). Dieser Rechtsprechung hat sich das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. VG Würzburg, U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris; U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris; U.v. 19.12.2014 – W 1 K 12.30183 – juris Rn. 23; U.v. 25.2.2014 – W 1 K 13.30164 – juris Rn. 23; U.v. 7.2.2014 – W 1 K 13.30044 und W 1 K 13.30045, juris Rn. 19; U.v. 27.8.2013 – W 1 K 12.30200 – juris Rn. 19).
Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 ff.).
Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere – aber nicht nur – dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 m.w.N.).
Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 29; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 48; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; VGH BW a.a.O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 a.a.O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a.a.O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a.a.O.; VGH BW a.a.O. Rn. 49).
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 30; B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; OVG NRW, B.v. 11.10.2013 – 13 A 2041/13.A – juris Rn. 7; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 13). Dabei ist das Gericht nicht an kirchliche Bescheinigungen und Ein-schätzungen gebunden (BayVGH, 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – juris Rn. 5; OVG Lüneburg, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – juris Rn. 6). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG v. 20.2.2013 a.a.O. Rn. 31; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 50).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers die erforderliche objektive (1.) und subjektive (2.) Schwere der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor. Ihm droht deshalb aufgrund eines anzuerkennenden subjektiven Nachfluchtgrundes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne des §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
1. Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (OVG NRW, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886/05.A – juris Rn. 25 ff.; VG Würzburg, U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 27.8.2013 – W 1 K 12.30200 – juris Rn. 25; U.v. 24.9.2012 – W 2 K 11.30303 – UA S. 11 ff.; U.v. 16.2.2012 – W 2 K 11.30264 – UA S. 8 ff.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – Au 6 K 13.30004 – juris Rn. 24 ff.; U.v. 9.6.2010 – Au 6 K 10.30098 – juris Rn. 39 ff.; VG Saarland, U.v. 21.3.2012 – 5 K 1037/10 – juris Rn. 33 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar wird den Angehörigen anderer Religions-gemeinschaften das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Somit gewährleistet die Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren, und schützt somit nicht die freie Religionswahl (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004 Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, September 2012, S. 18). Vielmehr kommt im Fall des Wechsels vom Islam zu einer anderen Religion Scharia-Recht zur Anwendung. Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (sog. Apostasie). Die Todesstrafe wegen Konversion wurde allerdings nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher nie vollstreckt (Lagebericht a.a.O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird (Lagebericht a.a.O.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zusammenfassende Übersetzung vom 24.3.2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan – Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. Mostafa Danesch, Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig, S. 1 ff.). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (IGFM, Stellungnahme vom 27.2.2008, S. 8; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Dr. Mostafa Danesch a.a.O., S. 2 f.). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. Mostafa Danesch a.a.O., S. 6 f.). Im Februar 2014 wurde durch die Taliban ein Anschlag auf ein „Guesthouse“ verübt, in welchem auch christliche Gottesdienste stattfanden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17/18). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM a.a.O., S. 1, 5, 8 f.; Dr. Mostafa Danesch a.a.O., S. 1 f., 3 ff.). Dieses Ergebnis wird auch durch die aktuellen Erkenntnismittel bestätigt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 10 f.; UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 53 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, S. 26; EASO, Country of Origin Information Report – Individuals targeted under societal and legal norms. Dezember 2017, S. 23 ff.).
2. Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit vor, weil es nach Überzeugung des Gerichts ein unverzichtbarer Bestandteil seiner religiösen Identität ist, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn offen auszuüben, insbesondere an Gottesdiensten teilzunehmen, aktiv im Gemeindeleben mitzuwirken, regelmäßig am Unterricht im christlichen Glauben teilzunehmen und auch andere Menschen in seinem Umfeld zum Christentum zu bekehren. Überdies ist es zentraler Glaubensbestandteil für den Kläger, täglich zu beten und sein Leben nach dem Vorbild Jesu zu führen.
Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am 22. Oktober 2016 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (BayVGH, B.v. 20.4.2015 – 14 ZB 13.30257 – juris Rn. 4; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – juris Rn. 7; HessVGH, U.v. 26.7.2007 – 8 UE 3140/05.A – juris Rn. 20 ff.; B.v. 26.6.2007 – 8 ZU 1463/06.A – juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a.a.O.; OVG NRW a.a.O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z.B. HessVGH a.a.O.; OVG NRW a.a.O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive seines Glaubenswechsels zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Das Gericht hat hierbei den Eindruck gewonnen, dass der Kläger sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis zum islamischen Glauben gelöst und in einem längeren Wandlungsprozess dem Christentum zugewandt hat. So hat der Kläger zu seinem diesbezüglichen Werdegang nachvollziehbar dargelegt, dass er, solange er im Iran gelebt habe, die islamischen Glaubensregeln nach außen hin befolgt habe. Er habe dort versucht, einen Kontakt mit dem islamischen Gott aufzubauen, jedoch nie eine gute Beziehung zu diesem gefunden. Er sei mit seiner Religion unzufrieden gewesen und habe daher schon immer nach der für ihn richtigen Religion gesucht. Am Islam habe ihm missfallen, dass dort mit Bezugnahme auf die Religion andere Menschen umgebracht würden, die nicht dem Islam folgten bzw. mit Gewalt gezwungen würden, den islamischen Glauben anzunehmen. Ebenso lehne er es ab, dass es im Islam Vergeltungsmaßnahmen gebe, wonach derjenige, der einen anderen umgebracht habe, auch umgebracht werden dürfe bzw. müsse. Darüber hinaus sei ihm auch nicht verständlich, dass Frauen und Männer nach dem islamischen Glauben nicht die gleichen Rechte hätten. Ein einschneidendes Ereignis sei auch gewesen, dass in seiner Familie in Afghanistan zwei seiner Neffen und eine Nichte umgebracht worden seien; der Kläger hat dem Gericht in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich Bilder gezeigt. Diese Gewaltdelikte symbolisierten für ihn deutlich den Hass, den es im Islam gebe. Solange er im Iran gelebt habe, habe er jedoch mit niemandem über seine Zweifel und die Unzufriedenheit mit dem schiitischen Glauben sprechen können.
Der Kläger hat darüber hinaus überzeugend darlegen können, dass er sich aus tiefer innerer Überzeugung dem Christentum zugewendet hat. Er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass er in Deutschland zu keiner Zeit mehr die Moschee besucht habe und dass er dann zunächst über einen Zimmermitbewohner in seiner Unterkunft, der bereits in Afghanistan zum christlichen Glauben konvertiert sei, mit dem Christentum in Kontakt gekommen sei. Ein Freund habe ihm gesagt, dass es in Kitzingen eine Kirchengemeinde gebe, in der auch persisch gesprochen werde, weshalb er sich dann dieser Gemeinde ab Februar 2016 zugewandt habe. Er habe dort zunächst Antworten auf Glaubens- und Lebensfragen gesucht. Der Kläger hat sehr offen und glaubwürdig auch zugegeben, dass er anfangs noch nicht mit ganzem Herzen bei seinem neuen Glauben gewesen sei. Er sei dann aber im Glauben immer mehr gefestigt worden, indem er wöchentlich die Gottesdienste und Zusammenkünfte in seiner Kirchengemeinde besucht habe, was ihm in seinem Glauben geholfen habe. Er habe dann im Laufe der Zeit gemerkt, dass der christliche Glaube zu positiven Veränderungen in seinem Leben geführt habe. So habe er früher immer viele Ängste und Stress gehabt. Diese habe er aufgrund seines neuen Glaubens nun nicht mehr; er sei dadurch zur Ruhe gekommen. In der Folge habe er dann auch versucht, anderen Asylbewerbern, die ähnliche Ängste wie er gehabt hätten, den christlichen Glauben und die Gemeinde Bauhaus näher zu bringen, um ihnen dadurch zu helfen. Der Kläger hat nachvollziehbar darlegen können, wie er sich trotz der bestehenden Sprachbarriere mit den Glaubensinhalten hat vertraut machen können, indem der bereits früher konvertierte Freund, der schon sehr gut deutsch gesprochen habe, für ihn gedolmetscht habe. Nach und nach habe er dann selbst schon gut Deutsch verstehen können, wobei sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung von den erheblich über dem Durchschnitt liegenden Deutschkenntnissen des Klägers überzeugen konnte, der nur sporadisch auf den anwesenden Dolmetscher zurückgreifen musste. Den wesentlichen Unterschied zwischen Islam und Christentum macht der Kläger – nicht zuletzt aufgrund seiner früheren lebensgeschichtlichen Erfahrungen – daran fest, dass im Christentum im Gegensatz zum Islam insbesondere jedem einzelnen individuellen Leben ein sehr großer Wert zukomme, so dass Gott sogar seinen eigenen Sohn auf die Welt geschickt habe, damit die Menschen nicht sterben. Demgegenüber sei der Islam aus seiner Sicht von Vergeltung und Hass geprägt und es dürften sogar Menschen umgebracht werden, die dem Islam und dem Koran nicht folgten. Er empfinde es als sehr positiv, dass dies im Christentum anders sei. Ein weiterer entscheidender Aspekt an seinem christlichen Glauben sei die Vergebung der Sünden und dass der christliche Gott anders als im Islam voll von Liebe und Vergebung sei.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger einen gewissensgeleiteten, durch religiöse Werte und Normen hervorgerufenen längerfristigen Wandlungsprozess der inneren Umkehr glaubhaft geschildert und hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung und nicht von asyltaktischen Erwägungen geleitet ist. Hiergegen spricht insbesondere auch nicht, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Anhörung vor dem Bundesamt eine tiefgreifende innere Umkehr zum christlichen Glauben noch nicht hat glaubhaft machen können. Denn der Kläger hat nunmehr in der mündlichen Verhandlung, dem insoweit maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG), offen und überzeugend dargelegt, wie er zwischenzeitlich den christlichen Glauben immer mehr verinnerlicht hat und dieser nunmehr zu einem existenziellen Teil seines Lebens geworden ist. Dies hat der Kläger – wie bereits ausgeführt – nachvollziehbar insbesondere damit begründen können, dass er durch die zunehmende Beschäftigung mit dem Glauben in der Gemeinschaft seiner Kirchengemeinde eine positive Veränderung an seinem eigenen Leben dahingehend festgestellt hat, dass er sich befreit von den vorher bestehenden Ängsten und seinem Stress gefühlt habe und er dadurch zur Ruhe gekommen sei. Der Kläger hat – was nach Auffassung des Gerichts für seine Glaubwürdigkeit spricht – auch freimütig zugegeben, dass er zum Zeitpunkt seiner Bundesamtsanhörung noch nicht mit ganzem Herzen bei seinem neuen Glauben gewesen sei und er daher damals auch noch nicht darüber habe sprechen wollen; er habe diesbezüglich nicht heucheln wollen. Die Wissensfragen habe er seinerzeit nicht beantworten können, da er in der Kirche zunächst Antworten auf grundlegende Glaubens- und Lebensfragen gesucht habe und Wissensfragen hinten angestellt habe. Dies erscheint in der Situation des Klägers durchaus nachvollziehbar. Ein Wissensfundament hinsichtlich des christlichen Glaubens wurde offensichtlich erst durch den Glaubensunterricht durch den den Kläger begleitenden Herrn L. gelegt. Dieser Unterricht hat – wie mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 2. Februar 2018 vorgetragen – erst ab dem Februar 2017 und somit nach der Bundesamtsanhörung vom 28. November 2016 begonnen. Auch steht der Glaubhaftigkeit dieses Ablaufs nicht entgegen, dass der Kläger bereits am 22. Oktober 2016 und somit etwa einen Monat vor seiner Bundesamtsanhörung in der Gemeinde Bauhaus getauft worden ist. Zwar wird es vielfach so sein, dass die Taufe eines Erwachsenen einen gewissen Endpunkt in der Hinwendung zum christlichen Glauben darstellt. Dies erscheint dem erkennenden Einzelrichter jedoch keineswegs zwingend und ist somit für die Entscheidung im Asylverfahren auch nicht von entscheidender Bedeutung. Der Kläger hat insoweit schriftsätzlich überzeugend vortragen lassen, dass er persönlich die Taufe als Startpunkt verstanden habe, um Jesus kennenzulernen. Diese sei der Beginn und nicht das Ende der Hinwendung zum Christentum gewesen. In Einklang hiermit hat der Kläger vor dem Bundesamt auch explizit selbst angegeben, dass er noch keine großen Kenntnisse über das Christentum habe, sondern gerade dabei sei, diese Religion kennenzulernen und Christ zu werden. Die seinerzeitige Aussage, dass er an keine Religion glaube, hat der Kläger auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar damit erklärt, dass er seinerzeit noch nicht mit ganzem Herzen bei seinem neuen Glauben gewesen sei. Die Tatsache, dass im Bundesamtsprotokoll eingangs vermerkt ist, dass der Kläger Schiite sei, hat er in der mündlichen Verhandlung ebenfalls glaubhaft dahingehend erläutert, dass es mit dem Dolmetscher damals eine längere Diskussion um seine Glaubensrichtung gegeben habe, da bei ihm in den Akten bereits der schiitische Glaube vermerkt gewesen sei. Er habe bei seiner Anhörung jedenfalls angegeben, nicht mehr an den Islam zu glauben. Nach der diesbezüglich längeren Diskussion mit dem Dolmetscher habe er diesem schließlich gesagt, er solle schreiben, was er wolle. Dies erscheint vor dem Hintergrund des weiteren Inhalts der Anhörung glaubhaft. Dass der Kläger seinen Glaubenswechsel nicht aus asyltaktischen Erwägungen vorgeschoben hat, lässt sich nach Überzeugung des Gerichts auch bereits daran erkennen, dass er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt trotz der bereits erfolgten Taufe seine Taufbescheinigung nicht unmittelbar vorgelegt hat.
Schließlich steht der Ernsthaftigkeit der Konversion des Klägers auch nicht entgegen, dass dieser noch nicht seiner gesamten Familie von dem Glaubenswechsel berichtet hat. Denn zum einen hat er doch immerhin seine in Afghanistan lebende Schwester hiervon unterrichtet und zum anderen hat er lebensnah und glaubhaft weiter versichert, dass er gerade versuche, dies auch seiner übrigen Familie im Iran näher zu bringen. Er mache dies jedoch mittelbar und langsam, indem er seiner Familie zunächst allgemeine Informationen über den christlichen Glauben gebe. Dies lässt die Ernsthaftigkeit und Tiefe der Konversion des Klägers gleichwohl erkennen, indem es ihm aufgrund der großen Bedeutung des christlichen Glaubens für sein Leben ein wichtiges Anliegen ist, auch seine restliche Familie in Kenntnis zu setzen, er aber um den richtigen Weg zur Umsetzung ringt und dies schrittweise tun möchte. Es erscheint verständlich, eine Information dieser Tragweite nicht direkt und „ungeschminkt“ abzugeben, sondern auf „sanftem Wege“, auch, um nicht unmittelbar den Abbruch sämtlicher Beziehungen zu diesem Familienteil zu riskieren. Denn es darf nicht verkannt werden, dass es sich bei dieser Information um einen sehr schwerwiegenden Schritt handelt, und es ist dem Kläger zuzugestehen, dass dieser längere Zeit in Anspruch nimmt und eines Reifeprozesses bedarf.
Der Kläger machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen sehr glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Seine Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass der Kläger in seinen Aussagen inhaltlich übertrieben, sondern stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet hat. Der Kläger erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig. Bestärkt wurde dieser Eindruck zusätzlich durch den in der mündlichen Verhandlung ergänzend informatorisch angehörten Glaubenslehrer des Klägers, Herrn L., der – in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers – glaubhaft bekräftigt hat, dass er den Kläger als großen Wahrheits- und Gerechtigkeitssucher kennengelernt habe, der in Jesus denjenigen gefunden habe, den er stets gesucht habe. Er habe dem Kläger, nachdem er von dessen Taufe erfahren habe, angeboten, ihm den Glauben näher zu bringen, was dieser angenommen habe. Sie träfen sich regelmäßig. Er habe gesehen und gespürt, wie sich der Kläger für den Glauben und die Gemeinde immer mehr geöffnet habe. Er sei zutiefst davon überzeugt, dass sich der Kläger ernsthaft und aufrichtig für den christlichen Glauben interessiere, was er nach 40-jähriger Tätigkeit als Religionslehrer gut einschätzen könne.
Der Kläger hat darüber hinaus auch glaubhaft machen können, mit zentralen Inhalten des christlichen Glaubens vertraut zu sein, indem er etwa das nächste anstehende christliche Hochfest und dessen Bedeutung sofort und ohne Umschweife korrekt erklären konnte. Auch dies spricht nach Überzeugung des Gerichts für die Glaubhaftigkeit der Konversion des Klägers.
Der Kläger konnte schließlich auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben in Deutschland offen praktiziert und dies auch in Afghanistan würde tun wollen. Er hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erläutert, dass er die wöchentlichen Gottesdienste in der Gemeinde Bauhaus, aber zum Teil auch in anderen evangelischen Gemeinden besuche. Er engagiere sich darüber hinaus aktiv im Gemeindeleben der Gemeinde Bauhaus, indem er dort etwa als Übersetzer für dari- und farsisprechende Afghanen tätig sei und auch praktische Tätigkeiten übernehme. Wenn er sehe, dass Menschen in einer ähnlichen Situation wie er selbst Probleme hätten, dann spreche er mit diesen über den christlichen Glauben und versuche, ihnen diesen näher zu bringen. Mindestens wöchentlich werde er überdies von Herrn L. im Glauben unterrichtet; sie würden gemeinsam die Bibel lesen und beteten. Auch privat bete er täglich und versuche, nach dem Vorbild von Jesus zu handeln und anderen Menschen zu helfen. Der Kläger hat auch sehr klar und deutlich bekräftigt, dass er auch in Afghanistan seinen christlichen Glauben würde leben wollen. Er wolle seine neue Religion nicht verstecken, sondern auch dort frei mit den Menschen über das Christentum sprechen. Der Kläger verglich seinen Glauben prägnant mit einer Lampe, die man nicht einfach auslöschen könne. Wenn man einmal Christ sei, dann sei man dies für immer. Er habe das Christentum nunmehr nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen angenommen, so dass es ihm nicht einfach möglich sei, hiervon wieder abzulassen. Eine Rückkehr zum Islam und einem Leben nach den islamischen Glaubensriten könne er sich definitiv nicht mehr vorstellen. Diese machten für ihn keinen Sinn. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 1 und 3 AsylG ausgesetzt zu sein.
Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die oben (unter 1.) geschilderten Gefahren für vom Glauben abgefallene Muslime drohen in Afghanistan landesweit, auch in der Stadt Kabul. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten seien. Selbst dort würde aber ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich auffallen und selbst im privaten, familiären Umfeld bedroht sein (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 13.5.2012 im Verfahren W 2 K 11.30269). Schutz vor Übergriffen ist jedoch in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 19; IGFM, a.a.O., S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886705.A – InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris Rn. 36 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – AU 6 K 13.30004 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 18.1.2011 – AU 6 K 10.30647 – juris Rn. 46; eine Fluchtalternative in Kabul bejahend VG Augsburg, U.v. 22.6.2012 – AU 6 K 11.30345 – juris Rn. 20 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 12.4.2013 – 13 A 2819/11.A – juris Rn. 26). Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage, soweit ersichtlich, in Bezug auf Konvertiten offen gelassen (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2013 – 13a ZB 12.30297 – juris Rn. 3 f.); in der genannten Entscheidung war dies nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan ausscheidet, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen (vgl. VG Würzburg, U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris; U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris; U.v. 19.12.2014 – W 1 K 12.30183 – juris). Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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