Verwaltungsrecht

Grundsatzberufung wegen einer ernsthaften individuelle Bedrohung aufgrund der aktuellen Situation und Sicherheitslage in Afghanistan

Aktenzeichen  13a ZB 19.32670

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27543
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1
RL 2011/95/EU Art. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine fallbezogene Auseinandersetzung mit den Erwägungen und herangezogenen Erkenntnisquellen des Verwaltungsgerichts. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist  geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG führen würde. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich, da ihre Beantwortung wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers, abhängt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 16.36075 2019-05-31 VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Mai 2019 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Klärungsbedürftig sei, ob „aufgrund der aktuellen Situation und Sicherheitslage in Afghanistan eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht und aus diesem Grund ein ernsthafter Schaden droht“ (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) und „ob die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auch am Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative gemäß § 3 Buchst. e AsylG (i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) in Afghanistan scheitert.“ Da aktuell keine gefestigte höhergerichtliche Rechtsprechung unter Berücksichtigung der aktuellen Situation in Afghanistan vorliege, sei die Berufung zuzulassen. Das Verwaltungsgericht habe ausgeführt, dass für ihn weder in seiner Herkunftsprovinz noch in Kabul die Gefahr eines ernsthaften Schadens bestehe. Diese Ausführungen stünden im Gegensatz zu aktuellen Erkenntnismitteln (u.a. SFH v. 12.9.2018; Österreichisches Rotes Kreuz v. 7.12.2018; UNAMA, Jahresbericht für 2017). Er gehöre als Schiit und aufgrund seines langen Aufenthalts im westlichen Ausland zu einer Gruppe der als besonders gefährdet einzustufenden Personen (Stahlmann, E-Mail v. November 2018 zu einer von ihr im Rahmen eines Gutachtenauftrags des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durchgeführten Erhebung; asylos 2017).
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Hinsichtlich der ersten Frage verfehlt der Kläger insoweit die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, als er sich im Zulassungsantrag nicht hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Sicherheitslage (UA S. 10 ff.) auseinandersetzt. Er verweist vielmehr lediglich auf einige Erkenntnismittel, ohne konkret aufzuzeigen, welche in diesen enthaltenen Angaben im Einzelnen von welchen Annahmen im Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollen. Insbesondere muss, wenn das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen begründet hat, zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 13a ZB 18.30490 – juris Rn. 6 m.w.N.). Ebenso wenig genügt der Verweis auf Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen, ohne dass der Kläger konkret darlegt, inwieweit welche darin enthaltenen Angaben zu einer Neubewertung der Gefahrendichte nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen sollen (u.a. auch quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos, vgl. dazu BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 – juris Rn. 24; B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 23; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 – NVwZ 2011, 56 – juris Rn. 33).
Unbeschadet dessen ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6 m.w.N.). Soweit der Kläger auf einige Erkenntnismittel verweist, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof im oben genannten Urteil vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 – juris) explizit mit den aktuellen Erkenntnismitteln wie etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018, den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, dem UNAMA-Bericht vom 10. Oktober 2018 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 auseinandergesetzt und diese bei seiner Bewertung berücksichtigt hat. Die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entspricht überdies der aktuellen Rechtsprechung des klägerseitig in Bezug genommenen Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW, U.v. 12.12.2018 – A 11 S 1923/17 – juris; U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris) sowie des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris).
Auch aus den UNAMA-Berichten vom 24. Februar 2019 (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2018) und 17. Oktober 2019 (UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 September 2019) ergibt sich kein erneuter Überprüfungsbedarf. Die im Bericht vom 24. Februar 2019 ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2018 bewegen sich auf einem mit den Vorjahren vergleichbaren Niveau, das auch dem genannten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 – juris Rn. 24) zugrunde lag (konfliktbedingtes Schädigungsrisiko für Afghanistan insgesamt von 1:2.456 bei 10.993 zivilen Opfern und einer Einwohnerzahl von 27 Mio. Menschen). Laut dem neuesten UNAMA-Bericht vom 17. Oktober 2019 sind die zivilen Opferzahlen in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 – nach einem deutlichen Rückgang im ersten Halbjahr und einem starken Anstieg im dritten Quartal mit der höchsten Anzahl der in einem Monat belegten zivilen Opfer im Juli – mit insgesamt 8.239 Getöteten und Verletzten auf einem in etwa gleich hohen Niveau wie im entsprechenden Zeitraum der Vorjahre geblieben. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für 2019 insgesamt (10.985 zivile Opfer) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Menschen ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2.458. Dieses bleibt deutlich unter 1:800 und damit unverändert weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f.). Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2. September 2019 (Stand: Juli 2019) ergibt sich ebenfalls nichts anderes.
Soweit der Kläger mit seiner zweiten Frage auf das Fehlen inländischer Fluchtalternativen in Afghanistan nach § 3e AsylG abzielt, kann dem bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, weil die Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 15 ZB 18.31513 – juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 – 13 A 3333/18.A – juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 – 13 A 903/17.A – juris Rn. 16-19).
Soweit der Kläger vorliegend auch und gerade rügen sollte, dass das Verwaltungsgericht in seinem Fall zu Unrecht die Voraussetzungen eines Schutzstatus verneint habe, ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils keinen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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