Verwaltungsrecht

Haftung für den Lebensunterhalt

Aktenzeichen  AN 19 K 18.00908

Datum:
3.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17528
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 68
DVAsyl § 23, § 24, §27, § 29
ZPO § 850c
VwGO § 113, § 167
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die Bonität des Verpflichtungsgebers kann nur dann bejaht werden, wenn er  über pfändungsfreies Einkommen in ausreichender Höhe verfügt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der zeitweise Bezug von Arbeitslosengeld I und Jobcenter-Leistungen stellt keine derart atypischen oder ungewöhnlichen Einkommensveränderung dar, dass von einem Sonderfall auszugehen ist, wonach sich die Verpflichtung zur Erstattung der Unterbringungskosten als schlechterdings unverhältnismäßig darstellen würde. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach der übereinstimmenden Erledigterklärung und des daraufhin unter dem Aktenzeichen 19 K 20.01269 ergangenem Einstellungsbeschluss der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2018, soweit er nicht durch den Bescheid vom 10. Dezember 2019 zurückgenommen worden ist. Die streitgegenständliche Klagesumme beläuft sich daher nunmehr auf 6.247,23 EUR.
Die insoweit noch anhängige Klage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet, weil der angefochtene Bescheid vom 12. April 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Dezember 2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gemäß § 117 Abs. 5 VwGO wird auf die ausführliche Begründung sowie die Anlagen der Bescheide vom 12. April 2018 und 10. Dezember 2019 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Im Hinblick auf den Verlauf und das Ergebnis der mündlichen Verhandlung wird lediglich ergänzend ausgeführt:
1. Dem Bescheid begegnen insbesondere keine Bedenken, was seine formelle Rechtmäßigkeit angeht. Die von den Parteien erörterte Frage, ob das Anhörungsschreiben des Beklagten vom 13. Dezember 2017 (Bl. 19f. der Behördenakte) dem Kläger überhaupt zugegangen ist, kann vorliegend dahinstehen, weil ein etwaiger Mangel der Anhörung i.S.v. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG nachgeholt werden konnte.
Insofern sei an dieser Stelle auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2015 (7 C 5/14 – juris) hingewiesen, wonach eine Heilung aber nur dann eintreten kann, „wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird“ (Rn. 17). Die Behörde darf sich demnach nicht darauf beschränken, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen. Vielmehr muss sie das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nehmen, ihre Entscheidung kritisch zu überdenken (BVerwG a.a.O., Rn. 17).
Der etwaige Einwand, dass durch die möglicherweise unterbliebene Anhörung Anhaltspunkte, welche eine Ermessensentscheidung des Beklagten im Hinblick auf das Vorliegen eines sog. atypischen Sonderfalles erforderlich gemacht hätten, nicht vorgetragen werden konnten, greift vorliegend nicht durch, weil im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einzelrichterin am 3. Juli 2020 für den Kläger ausreichend Gelegenheit bestanden hat, sich zu den aus seiner Sicht eine Ermessensentscheidung indizierenden Gesichtspunkten zu äußern. Die Vertreterin des Beklagten ist auf die vom Klägervertreter vorgetragenen Argumente erkennbar eingegangen, so dass die Funktion der Anhörung, dass nämlich die vom Kläger vorgetragenen Belange von der Behörde in Erwägung gezogen werden, erreicht worden ist und ein etwaiger Verstoß gegen die Anhörungspflicht durch das gerichtliche Verfahren geheilt werden konnte.
2. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 68 AufenthG i.V.m. mit der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung vom 27. Juni 2017.
Die Verpflichtungserklärung ist ordnungsgemäß zustande gekommen und wirksam. So ist sie insbesondere in Schriftform ergangen, § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Aber auch die erforderliche Bonitätsprüfung ist von der Stadt … in ausreichender Weise vorgenommen worden (vgl. insoweit Bl. 64 der Gerichtsakte): Der Kläger hatte angegeben, im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung über ein regelmäßiges Nettoeinkommen in Höhe von 1.812,25 EUR zu verfügen. Damit ist die in § 850c ZPO festgelegte Pfändungsfreigrenze von 950,00 EUR bei Weitem eingehalten. Die Pfändungsfreigrenze gemäß § 850c ZPO kann als Anhaltspunkt für die Leistungsfähigkeit des Verpflichtungsgebers dienen. Die Bonität des Erklärenden kann demgemäß nur dann bejaht werden, wenn der Verpflichtungsgeber über pfändungsfreies Einkommen in ausreichender Höhe verfügt (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 68 AufenthG, Rn. 12).
Etwaige Gesichtspunkte für einen sog. atypischen Sonderfall, bei dem eine Kostenerstattungspflicht aus der Verpflichtungserklärung zu verneinen wäre, sind nicht hinreichend konkret und substantiiert geltend gemacht worden. So wurde die Bonität von der Ausländerbehörde im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung voll und individuell geprüft, so dass die Behörde unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenze von der Leistungsfähigkeit des Klägers ausgehen durfte. Etwaige Umstände des Einzelfalls, welche zu einem Wegfall der Leistungsfähigkeit und zu einer außergewöhnlichen Härte im Falle der Inanspruchnahme aus der Verpflichtungserklärung für den Kläger führen würden, wären von diesem darzulegen und vom Gericht zu würdigen.
So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 20. März 2018 (1 B 5/18, juris) Folgendes ausgeführt: „Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, verlangen grundsätzlich, dass der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen ist, ohne dass es dahingehender Ermessenerwägungen bedürfte. Von dieser Regel kann, bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden. Während typischerweise von einem Regelfall auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte, ist ein Ausnahmefall anzunehmen, wenn eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme individueller Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären“ (Orientierungssatz).
Dem folgend ist im Hinblick auf das vorliegende Verfahren auszuführen: Nach den Erklärungen seines Rechtsanwaltes in der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2020 hat der Kläger seit Dezember 2017 bis etwa Dezember 2018 das sog. Arbeitslosengeld I bezogen, danach für etwa drei Monate sog. Jobcenterleistungen (Hartz IV) und ab Februar 2019 ein Erwerbseinkommen von ca. 1.100,00 EUR durch eine Tätigkeit als Angestellter. Für das vorliegende Verfahren ist allerdings nur der Zeitraum bis 25. April 2019 relevant, weil darauf die hier streitgegenständliche Forderung beschränkt ist.
Für die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld I bis Dezember 2018 sowie ab Februar 2019 ist davon auszugehen, dass die Pfändungsfreigrenze des § 850 c ZPO eingehalten ist, wenn die Höhe des Arbeitslosengeldes I etwa 60% des bereinigten Nettoeinkommens beträgt, für den Zeitraum, in welchem Jobcenter-Leistungen bezogen wurden, hingegen nicht. Allerdings kommt es vorliegend darauf nicht an.
Da nämlich die finanzielle Belastbarkeit des Klägers durch die Stadt … voll und individuell geprüft worden ist und im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung für die Behörde nichts dafür gesprochen hat, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte, ist zunächst von einem Regelfall auszugehen. Dafür, dass ein Ausnahmefall vorliegt, bei dem „eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären“ (BVerwG a.a.O., Rn. 8), sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich und auch nichts – hinreichend konkret und substantiiert – dargelegt worden. Die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung geschilderten Einkommensveränderungen sind nicht derart atypisch oder ungewöhnlich, dass von einem Sonderfall auszugehen ist, wonach sich die Verpflichtung zur Erstattung der Unterbringungskosten als schlechterdings unverhältnismäßig darstellen würde.
Gegen einen Wegfall der Leistungsfähigkeit spricht zudem, dass der Klägervertreter nach Rücksprache mit seinem Mandanten im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger 100,00 EUR pro Monat auch dann bezahlen kann, wenn er beispielsweise nach Ende der Krankengeldbezüge wieder Jobcenterleistungen in Anspruch nehmen müsste. Der Kläger scheint demnach über Rücklagen zu verfügen, die der Annahme eines atypischen Sonderfalles jedoch ebenfalls entgegenstehen.
3. Die vom Beklagten festgesetzte Höhe der Erstattung, insbesondere nach Erlass der geänderten §§ 22, 23 Asyldurchführungsverordnung, ist seitens des Klägers nicht einmal ansatzweise in Zweifel gezogen worden; etwaige Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit sind für das Gericht darüber hinaus nicht ersichtlich.
Nach alledem erweist sich der hier angefochtene Bescheid als rechtmäßig, so dass die Klage abzuweisen war.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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