Verwaltungsrecht

Haltungsverbot und Betreuungsverbot von Tieren jeder Art – Beurteilungskompetenz von beamteten Tierärzten

Aktenzeichen  W 8 K 17.638

Datum:
11.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144498
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 2, § 15 Abs. 2, § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3

 

Leitsatz

1 Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung können bei der Beurteilung der Prognoseentscheidung nach § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TierSchG die tierschutzrechtlichen Verstöße berücksichtigt werden, die auf Feststellungen eines beamteten Tierarztes beruhen, dem hinsichtlich der Beurteilung, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG eingehalten sind bzw. ob grobe und wiederholte Zuwiderhandlungen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen vorliegen, von Gesetzes wegen eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt wird. (Rn. 15 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Entsprechend dem Zweck des Tierschutzgesetzes und dem Wortlaut des § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TierSchG ist es unerheblich, ob die zur Begründung des Haltungs- und Betreuungsverbots angeführten Missstände auch oder bereits in Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren sanktioniert werden oder wurden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Landratsamts … vom 29. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt der Begründung des Bescheids vom 29. Mai 2017 und sieht insoweit von einer Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend ist noch auszuführen:
Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die Ziegen seien Anfang 2017 im Freien unter Fichten gehalten worden, die wie ein Stall funktionierten und die Temperatur auch nachts hielten und es dort nie kälter als -5°C gewesen sei, ist nicht geeignet, die vom beamteten Tierarzt festgestellten Missstände zu widerlegen. Ebenso wenig überzeugen die weiteren Ausführungen des Klägers, die jedoch nach seiner Ansicht gegen tierschutzwidrige Verstöße sprechen. Die Aussagen, es habe Einstreu gegeben, Heu sei aus den Krippen gefallen und habe sich ausgebreitet, Fichtennadeln seien im Untergrund gewesen, können nicht die Feststellungen der Verbeamteten Tierärzte widerlegen, dass es den Ziegen dauerhaft an einem geeigneten Witterungsschutz fehlte. Ebenso können die Aussagen des Klägers, er habe in die Ablammboxen Heu getan, keine Ziege habe bei ihm gelitten, alle hätten sich normal verhalten, kein Tier habe gezittert und Leiden würden lediglich behauptet, beim Gericht Zweifel an den tierärztlichen Feststellungen und Beurteilungen wecken.
Vielmehr ist das Gericht von der Richtigkeit der Ausführungen des Landratsamts überzeugt, wonach laut Begründung des Bescheids vom 29. Mai 2017 ein Ablammen auf der Weide im Winter ohne geeignete Unterstände bei Ziegen in diesen Breitengraden nicht tierschutzkonform sei. Dies wurde auch durch die nachvollziehbaren und überzeugenden Angaben der Veterinäroberrätin Dr. Ro…, der als verbeamtete Tierärztin eine vorrangige Beurteilungskompetenz zukommt, bestätigt, indem sie in der mündlichen Verhandlung ergänzte, sie habe -5,4°C gemessen und es sei keine Einstreu vorhanden gewesen. Ein Ablammen unter Fichten sei absolut unüblich und aus ihrer Sicht tierschutzwidrig. Länger anhaltendes Leiden sei nur durch ihr Einschreiten vermieden worden. Bei der Beurteilung, ob Ziegen bei einer Minustemperatur von -5°C leiden, insbesondere im Zusammenhang mit einem Ablammen, hat der Kläger keinerlei mit der Qualifikation der Veterinäroberrätin Dr. Ro… vergleichbare Ausbildung oder sonstige fachliche Kenntnisse vorgebracht oder nachgewiesen. Er zeigte auch in der mündlichen Verhandlung keine entsprechende Einsicht, so dass die im Bescheid vom 29. Mai 2017 getroffene Prognoseentscheidung hierdurch bestätigt wird. Das Landratsamt ging zu Recht davon aus, dass der Kläger ohne den Erlass eines Haltungs- und Betreuungsverbots weiterhin derartige Zuwiderhandlungen begehen wird, und zwar unabhängig von der gehaltenen oder betreuten Tierart, da es bereits bei der vorangegangenen Rinderhaltung zu gleichartigen tierschutzwidrigen Zuständen gekommen war.
Auch das klägerische Vorbringen, kein Tier habe gezittert, ändert nach Überzeugung des Gerichts nichts an der Beurteilung. Denn für die Anordnung eines Tierhaltungs- und Betreuungsverbots nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG genügt es bereits, wenn – wie hier bei erheblichen Minusgraden – die Gefahr erheblicher oder länger anhaltender Schmerzen oder Leiden oder erheblicher Schäden besteht (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 47 m.w.N.), zumal die Veterinäre des Landratsamtes, nachvollziehbar, sogar von entsprechenden länger anhaltenden Schmerzen oder Leiden ausgehen.
Der Einwand des Klägers, er sei in einem Strafverfahren wegen Tierquälerei aus dem Jahr 2016 nur schuldig gesprochen worden, da er die Leiden billigend in Kauf genommen habe und es sei auch kein Tierhaltungsverbot in diesem Urteil ausgesprochen worden, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Tierschutzrechtliche Anordnungen im Verwaltungsvollzug sind unabhängig von und neben der Ahndung von Verstößen im Ordnungswidrigkeiten-/Strafverfahren möglich und zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2015 – 9 ZB 14.1870 – juris Rn. 10). Entsprechend dem Zweck des Tierschutzgesetzes und dem Wortlaut des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG ist es unerheblich, ob die zur Begründung des Haltungs- und Betreuungsverbots angeführten Missstände auch oder bereits in Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren sanktioniert werden/wurden. Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung ist das Verwaltungsgericht nicht gehindert, bei der Beurteilung der Prognoseentscheidung nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG die tierschutzrechtlichen Verstöße zu berücksichtigen, die auf Feststellungen des beamteten Tierarztes beruhen, dem nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Beurteilung, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG eingehalten sind bzw. ob grobe und wiederholte Zuwiderhandlungen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen vorliegen, von Gesetzes wegen eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt wird (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.8.2017 – 9 C 17.1134 – juris Rn. 13 m.w.N.). Denn das Gutachten von beamteten Tierärzten erachtet der Gesetzgeber gemäß § 15 Abs. 2, § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG grundsätzlich als ausreichend und maßgeblich dafür, einen Verstoß gegen Grundpflichten zur artgerechten Tierhaltung nach § 2 TierSchG nachzuweisen (vgl. BVerwG, B.v. 2.4.2014 – 3 B 62.13 – juris Rn. 10). Zudem geht es bei der vorliegenden Entscheidung über das Tierhaltungs- und -betreuungsverbot um die Verhinderung tierschutzwidrigen Verhaltens in der Zukunft und nicht wie beim Strafverfahren um eine nachträgliche Ahndung der Verstöße (BayVGH B.v. 6.11.2017 – 9 ZB 15.2608 – juris Rn. 8). Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Gemünden am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2016 basieren ebenfalls auf den Kontrollen des Landratsamts … aus den Jahren 2015 und 2016. Die Kontrollen wurden ausführlich, gut nachvollziehbar unter anderem mit Lichtbildern und mit überzeugenden Schlussfolgerungen in den Behördenakten dokumentiert und bestätigen die Ausführungen in der Begründung des Bescheids vom 29. Mai 2017.
Das uneingeschränkte Haltungs- und Betreuungsverbot jeglicher Tierart ist verhältnismäßig, obwohl dieses Verbot dem Kläger letztlich nicht einmal mehr das Halten einzelner Tiere oder sogar die Betreuung von nicht in seinem Eigentum stehender Tiere, auch nicht unter Aufsicht, ermöglicht. Denn dieses weitreichende Verbot beruht auf über Jahre hinweg (seit 2008) festgestellten tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen durch den Kläger. Die in diesem Zeitraum mehrmals vorgenommen tierschutzrechlichen Anordnungen zur Durchführung von Verbesserungsmaßnahmen haben keinen dauerhaften Erfolg gezeigt. Ein zunächst als milderes Mittel angeordnetes Verbot der Haltung und Betreuung nur für Rinder, ohne die Einbeziehung anderer Tierarten, mit Bescheid des Landratsamtes vom 15. März 2011 hat ebenfalls nicht in dem nachfolgenden Zeitraum verhindert, dass der Kläger tierschutzwidrige Zustände herbeiführte und deren wiederholtes Auftreten nicht durch vorbeugende Maßnahmen verhinderte. Bei der von ihm gehaltenen Ziegenherde traten wieder gleichartige Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen wie zuvor bei der Rinderherde auf, da es trotz wiederholter Anordnungen des Landratsamts den Ziegen an einem ausreichenden Witterungsschutz und trockenen Liegenflächen fehlte sowie eine ausreichende Fütterung und Wasserversorgung nicht gewährleistet wurde. Zusätzlich verschlimmerten sich sogar die tierschutzwidrigen Verstöße, da die Ziegen bei erheblichen Minustemperaturen im Freien Ablammen mussten und insbesondere der Kläger die tierärztliche Untersuchung einer Ziege trotz gestörten Allgemeinbefindens nicht veranlasste. Dies gipfelte darin, dass 5 Ziegen auf Grund erheblicher, länger andauernder Leiden und Schmerzen zu Tode kamen. Dieses Geschehen führte auch zum einem Schuldspruch wegen Tiermisshandlung in fünf tateinheitlichen Fällen durch das Amtsgericht Gemünden aufgrund der Hauptverhandlung vom 30. Januar 2016 (Az: 5 Ds 612 Js 13121/15). Angesichts dieser Vorgeschichte sind im Zeitpunkt der Entscheidung weitere Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen zu erwarten unabhängig von der jeweiligen Tierart. Ein von der Behörde vorrangig anzuwendendes milderes Mittel zur Durchsetzung der Ziele des Tierschutzgesetzes ist bei dieser Sachlage weder dargelegt noch ersichtlich.
Zudem ergibt sich die Verhältnismäßigkeit des umfassenden Verbots aus der von § 16a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 letzter Halbsatz TierSchG vorgesehenen Möglichkeit, dem Kläger auf Antrag das Halten und/ oder Betreuen von Tieren wieder zu gestatten, wenn der Grund für die Annahme weiterer Zuwiderhandlungen entfallen ist. Das umfassende Verbot bleibt daher nicht zwingend dauerhaft bestehen.
Auch die Klage gegen die weiteren Anordnungen des Bescheids vom 29. Mai 2017 bleibt erfolglos. Zum einen werden klägerseits keine Einwände, die sich nicht nur gegen das Haltungs- und Betreuungsverbots richten, vorgebracht. Zum anderen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die unabhängig von dem Haltungs- und Betreuungsverbot, die Rechtswidrigkeit der weiteren Anordnungen begründen könnten.
Die Kostenentscheidung des gerichtlichen Verfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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