Verwaltungsrecht

Heranziehung einer Aktiengesellschaft als Haftungsschuldnerin für Gewerbesteuerrückstände

Aktenzeichen  4 CS 16.1324

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 19 Abs. 4
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
AO AO § 191 Abs. 4, § 233a
GewStG GewStG § 14 S. 2, § 18
HGB HGB § 128, § 130, § 159, § 160 Abs. 1 S. 1, § 161

 

Leitsatz

1 Ein Verbindlichkeit wird nicht erst dann begründet, wenn der Anspruch des Gläubigers entstanden oder gar fällig ist; maßgeblich ist vielmehr, wann der Rechtsgrund für die Verbindlichkeit gelegt wurde. Diese Haftungsbestimmungen einschließlich der Nachhaftung gelten auch für Gesellschaften in Liquidation (vgl. § 156 HGB). (red. LS Andy Schmidt)
2 Der Begriff der Fälligkeit im Sinne des § 159 Abs. 3 HGB knüpft an das jeweilige dem Anspruch zugrunde liegende Fachrecht und nicht an zivilrechtliche Grundsätze an. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass den Gläubigern einer aufgelösten Gesellschaft für die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB jedenfalls volle fünf Jahre zur Verfügung stehen. Geht es um die Haftung für steuerrechtliche Schulden der Gesellschaft, kann mit Blick auf Wortlaut und Zweck des § 159 Abs. 3 HGB nichts anderes gelten. (red. LS Andy Schmidt)

Verfahrensgang

10 S 15.5732 2016-06-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 237.008,35 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragstellerin, eine Aktiengesellschaft, wendet sich gegen einen Haftungsbescheid der Antragsgegnerin, mit dem sie für Gewerbesteuerrückstände der Firma G.-GmbH & Co. KG (im Folgenden: Steuerschuldnerin bzw. KG) als Haftungsschuldnerin herangezogen wurde.
1. Die Steuerschuldnerin wurde (unter anderem Namen) am 26. Februar 1998 im Handelsregister eingetragen und am 16. Juni 2005 umbenannt. Laut § 2 des KG-Vertrags vom 12. April 2005 war Gegenstand des Unternehmens der Kauf, die Entwicklung und die Veräußerung eines im Jahr 2004 erworbenen Grundstücks in F. mit einer Größe von 13.000 qm. Im April 2005 wurde eine Maklerfirma beauftragt, für das dort zu errichtende Büro-/Verwaltungsgebäude unter Angebot eines Kaufpreises von 28.745.460 Euro einen Kaufabschluss zu vermitteln (vgl. den Maklervertrag vom 11.4.2005). Das Grundstück wurde im Folgenden bebaut; Übergabe und Veräußerung des Objekts erfolgten im Jahr 2006. Nach Abwicklung des Unternehmensgegenstands wurde die Liquidation der KG betrieben und am 24. Oktober 2007 ihre Auflösung im Handelsregister eingetragen. Am 2. Mai 2012 wurde sie in G.-GmbH & Co. KG in Liquidation (i. L.) umbenannt.
Die Antragstellerin wurde am 7. Dezember 1999 unter anderem Namen gegründet und erhielt mit Beschluss der Hauptversammlung vom 7. Mai 2012 ihren jetzigen Namen. Als Geschäftsgegenstand sind im Handelsregister eingetragen der Erwerb, die Bebauung, Vermietung und Verwertung von Gewerbeobjekten sowie die Beteiligung als persönlich haftende Gesellschafterin an anderen Gesellschaften. Die Antragstellerin war vom 10. November 2004 bis 2. Mai 2012 persönlich haftende Gesellschafterin der Steuerschuldnerin. Daneben waren bzw. sind als persönlich haftende Gesellschafter der Steuerschuldnerin eingetragen die E.-GmbH (26.2.1998-10.11.2004) und die S.-GmbH (seit 2.5.2012). Als Kommanditisten der Steuerschuldnerin waren bzw. sind eingetragen die R.-GmbH (26.2.1998-16.6.2005), die O.-GmbH (26.2.1998-16.6.2005), die T.-R.-GmbH (16.6.2005-2.5.2012) sowie die B.-GmbH (seit 2.5.2012). Als gesetzliche Vertreter bzw. Liquidatoren der KG waren bzw. sind im Handelsregister eingetragen Herr K.A. (24.10.2007-18.11.2013) und Herr F.T. (seit 18.11.2013).
2. Für die Steuerschuldnerin ergingen zunächst Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamts für die Jahre 2006 bis 2010 mit einer Festsetzung der Messbeträge auf jeweils 0 Euro. Hintergrund war die für 2006 von der Steuerberaterin der KG abgegebene Steuererklärung, in der der aus der Veräußerung des Immobilienobjekts erzielte Gewinn als steuerfreier Veräußerungs- bzw. Betriebsaufgabegewinn beurteilt wurde. Die Steuerberaterin vertrat die Ansicht, dass die Veräußerung nicht gewerbesteuerpflichtig gewesen sei, weil nur ein Objekt veräußert worden sei und zunächst keine Veräußerungsabsicht bestanden habe. Im Anschluss an die Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamts setzte die Antragsgegnerin die Gewerbesteuer 2006 ebenfalls auf 0 Euro fest (Bescheid vom 6.11.2009). Die Gewerbesteuermessbeträge 2008, 2009 und 2010 wurden mit Bescheiden jeweils vom 19. April 2012 ebenfalls auf 0 Euro festgesetzt. Alle Festsetzungen erfolgten unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Zeitraum vom 19. Februar 2010 bis 6. November 2012 wurde bei der Steuerschuldnerin eine Betriebsprüfung durchgeführt (Schlussbesprechung 6.11.2012; Betriebsprüfungsbericht 15.11.2012). Diese gelangte zu dem Ergebnis, dass angesichts der Konzernstruktur (Gründung einer Gesellschaft für jedes Objekt) und der von Beginn an gegebenen Veräußerungsabsicht ein gewerblicher Grundstückshandel – mit entsprechender Erhöhung der Gewerbeerträge – vorliege. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, so der Betriebsprüfer, liege bereits bei dem Verkauf von nur einem Objekt ein gewerblicher Grundstückshandel vor, wenn der Verkäufer – wie hier – wie ein Bauträger auftrete. Laut Aktenvermerk des Finanzamts München wurde bei allen Prüfungsfeststellungen Einvernehmen erzielt (vgl. auch das Schreiben des Finanzamts an die Antragsgegnerin vom 12.11.2013). Aufgrund des Ergebnisses der Betriebsprüfung setzte das Finanzamt die Gewerbesteuermessbeträge mit Bescheiden vom 2. Mai 2013 und 11. Dezember 2013 für die Jahre 2006 bis 2010 neu fest (2006: 126.935 Euro; 2007: 58 Euro; 2008: 7.784 Euro; 2009: 6.356 Euro; 2010: 6.163 Euro).
Im Anschluss hieran setzte die Antragsgegnerin gegenüber der Steuerschuldnerin mit Gewerbesteuerbescheiden vom 14. Mai 2013, berichtigt am 31. Oktober 2013, und vom 27. Februar 2014 die Gewerbesteuern und Nachzahlungszinsen betreffend die Jahre 2006 bis 2010 fest (2006: Gewerbesteuer 621.981,50 Euro und Nachzahlungszinsen 208.353 Euro; 2007: Gewerbesteuer 284,20 Euro und Nachzahlungszinsen 68 Euro; 2008: Gewerbesteuer 38.141,60 Euro und Nachzahlungszinsen 8.953 Euro; 2009: Gewerbesteuer 31.144,40 Euro und Nachzahlungszinsen 5.442 Euro; 2010: Gewerbesteuer 30.198,70 Euro und Nachzahlungszinsen 3.467 Euro). Die Forderungen für 2006 und 2007 wurden jeweils zum 4. Dezember 2013, die Gewerbesteuerfestsetzungen 2008 bis 2010 zum 3. April 2014 zur Zahlung fällig gestellt. Sämtliche Festsetzungen sind bestandskräftig; Vollstreckungsversuche bei der Steuerschuldnerin blieben ohne Erfolg. Einen Antrag der Steuerschuldnerin auf Erlass der Gewerbesteuerschulden 2006 aus Billigkeitsgründen lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. Dezember 2015 ab; der hiergegen erhobene Widerspruch ist nach Aktenlage noch offen.
3. Die Antragsgegnerin hörte mit Schreiben vom 24. November 2014 die Antragstellerin zur beabsichtigten Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin an. Mit dem streitgegenständlichen Haftungsbescheid vom 20. Mai 2015, laut Postzustellungsurkunde am 26. Mai 2015 zugestellt, nahm die Antragsgegnerin die Antragstellerin in Höhe von 948.033,40 Euro als Haftungsschuldnerin für die Gewerbesteuerrückstände der Steuerschuldnerin in Anspruch. Ausweislich der Begründung des Bescheids setzt sich der Haftungsbetrag aus den Gewerbesteuerforderungen der Jahre 2006 bis 2010 und entsprechenden Nachzahlungszinsen zusammen. Die Beträge sind mit den gegenüber der Steuerschuldnerin festgesetzten Beträgen identisch. Neben der Antragstellerin gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen wurden die S.-GmbH als weitere Vollhafterin (Haftungsumfang: 1.073.938,40 Euro), die B.-GmbH als Kommanditistin in Höhe ihrer Einlageverpflichtung (5.112,92 Euro) und Herr F.T. als Liquidator der KG wegen Verletzung der Entrichtungspflichten der Gesellschaft (Haftungsumfang: 1.073.938,40 Euro).
Die Antragstellerin erhob gegen den Haftungsbescheid am 26. Mai 2015 Widerspruch, über den bislang nicht entschieden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. Dezember 2015 ab. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen vom 20. November 2015 pfändete sie diverse Konten der Antragstellerin.
Den am 18. Dezember 2015 gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2016 als unbegründet ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Gewerbesteuerschulden 2006 bis 2010 seien begründet worden, während die Antragstellerin als Kommanditistin der Steuerschuldnerin eingetragen gewesen sei. Zwar sei die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Schlussbesprechung bereits aus der KG ausgeschieden gewesen, jedoch hätten sie bzw. ihre (ehemaligen) gesetzlichen Vertreter die Betriebsprüfung begleiten können. Der Haftungsanspruch sei nicht verjährt, weil die Steueransprüche der Antragsgegnerin erst zum 4. Dezember 2013 bzw. 3. April 2014 zur Zahlung fällig gestellt worden seien.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 27. Juni 2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Haftungsbescheid vom 20. Mai 2015 anzuordnen.
Zur Beschwerdebegründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, angesichts des anhängigen Widerspruchsverfahrens hätte das Gericht eine größere Zurückhaltung an den Tag legen müssen und nicht „endgültig“ entscheiden dürfen. Die Antragstellerin hafte als ausgeschiedene Gesellschafterin der Steuerschuldnerin nicht für die nach ihrem Ausscheiden festgesetzte Gewerbesteuerschuld, weil es sich dabei um eine Neuverbindlichkeit handele. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Verjährungseinrede der Antragstellerin – wegen der Fälligkeit der Steuerschuld erst im Jahr 2013 bzw. 2014 – nicht durchgreife, stehe im Widerspruch zu der vom Gericht für die Bejahung einer Altverbindlichkeit eingesetzten Argumentation. Dass die Bescheide gegen die Steuerschuldnerin bestandskräftig seien, könne nicht zulasten der Antragstellerin gehen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II. 1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 27. Juni 2016, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 und 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 20. Mai 2015 zu Recht abgelehnt. Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Verwaltungsgericht ist unter Zugrundelegung eines zutreffenden Prüfungsmaßstabs (dazu a) zu Recht davon ausgegangen, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids bestehen (dazu b), so dass das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt (dazu c).
a) Zu dem von der Antragstellerin monierten Prüfungsmaßstab ist klarzustellen, dass das Verwaltungsgericht zu Recht eine im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache durchgeführt hat. Der Umstand, dass in der Hauptsache derzeit das Widerspruchsverfahren bei der Regierung von Oberbayern anhängig ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Vielmehr ist die (bevorstehende) Anhängigkeit eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den – nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbaren – Haftungsbescheid anordnen kann. Dies eröffnet den Einstieg in das von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG geforderte gerichtliche Eilverfahren, dessen – im Vergleich zum Hauptsacheverfahren regelmäßig eingeschränkte – Kontrolldichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30/67; B.v. 27.5.1998 – 2 BvR 378/98 – NVwZ-RR 1999, 217/218). Der summarische Charakter des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens folgt aus dem Wesen vorläufiger Rechtsschutzgewährung und steht zu Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Widerspruch.
b) Nach summarischer Prüfung dürfte der Haftungsbescheid in der Hauptsache Bestand haben, weil die Antragstellerin als ausgeschiedene Gesellschafterin der Nachhaftung nach § 160 HGB unterliegt (aa), substantiierte Bedenken gegen die Höhe der Steuerschuld nicht geltend gemacht sind (bb) und die Sonderverjährungsfrist des § 159 HGB nicht zum Tragen kommt (cc).
aa) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin dem Grunde nach als Haftungsschuldnerin gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO für die Gewerbesteuerschulden der KG einschließlich der Nachforderungszinsen in Anspruch genommen werden kann. Die Haftung des früheren Komplementärs einer KG ergibt sich gemäß § 191 Abs. 4 AO aus den maßgeblichen zivilrechtlichen Bestimmungen. Die Komplementäre einer KG haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, unabhängig von deren Rechtsgrund, nach § 128 i. V. m. § 161 HGB persönlich. Dies gilt auch für sogenannte „Altverbindlichkeiten“, und zwar auch bei zwischenzeitlicher Änderung der Firma (§§ 128, 161, 130 HGB). Zudem haftet ein Gesellschafter weiter – zeitlich begrenzt – für alle Verbindlichkeiten, die bis zu seinem Ausscheiden begründet wurden (§ 161 i. V. m. § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB). „Begründet“ ist eine Verbindlichkeit nicht erst dann, wenn der Anspruch des Gläubigers entstanden oder gar fällig ist; maßgeblich ist vielmehr, wann der Rechtsgrund für die Verbindlichkeit gelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2013 – 4 ZB 12.1393 – BayVBl 2014, 81/82 f. m. w. N.). Diese Haftungsbestimmungen einschließlich der Nachhaftung gelten auch für Gesellschaften in Liquidation (vgl. § 156 HGB).
Hieran gemessen haftet die Antragstellerin, die vom 10. November 2004 bis 2. Mai 2012 als persönlich haftende Gesellschafterin der KG im Handelsregister eingetragen war, dem Grunde nach für deren Gewerbesteuerschulden aus den Jahren 2006 bis 2010. Die Gewerbesteuer entsteht nach § 18 GewStG mit Ablauf des Erhebungszeitraums, also des Kalenderjahres (§ 14 Satz 2 GewStG). Der Zeitpunkt der (endgültigen) Festsetzung ist nach §§ 37, 38 AO irrelevant. Die Fünf-Jahres-Frist des § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB, die mit der Handelsregistereintragung des Ausscheidens der Antragstellerin am 2. Mai 2012 zu laufen begonnen hat, hat die Antragsgegnerin durch Erlass der Gewerbesteuerbescheide am 31. Oktober 2013 bzw. 27. Februar 2014 ersichtlich gewahrt. Die Haftung erstreckt sich auch auf die steuerlichen Nebenleistungen in Gestalt der Nachforderungszinsen nach § 233a AO. Zwar ist der Zinsanspruch selbst – anders als der zugrunde liegende Anspruch aus der Gewerbesteuer als Jahressteuer – nicht schon mit Ablauf des Steuerjahres entstanden, sondern erst im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung. Seine rechtliche Grundlage hat der Anspruch auf Nachzahlungszinsen aber ebenfalls in dem im streitgegenständlichen Zeitraum bestehenden Steuerrechtsverhältnis zwischen der Steuerschuldnerin und der Antragsgegnerin. Darauf, dass die Zinshöhe beim Ausscheiden der Antragstellerin aus der KG noch nicht bekannt war, kommt es nicht an (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 2.5.2013 – 4 ZB 12.1393 – BayVBl 2014, 81/83 m. w. N.).
bb) Das Verwaltungsgericht ist nach summarischer Prüfung weiter davon ausgegangen, dass die Gewerbesteueransprüche 2006 bis 2010 in der von der Antragsgegnerin festgesetzten Höhe entstanden sind. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bestand für das Gericht kein Anlass, an der rechtlichen Beurteilung des Betriebsprüfers hinsichtlich Grund und Höhe des Bestehens der Primärschuld zu zweifeln. Diese Beurteilung hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht, wie es die Anforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO gebieten, substantiiert in Zweifel gezogen. Insbesondere hat sie nicht näher dargelegt und glaubhaft gemacht, warum der aus der Veräußerung des Immobilienobjekts erzielte Gewinn als steuerbegünstigter Veräußerungs- bzw. Betriebsaufgabegewinn einzustufen sein sollte bzw. warum die anderweitige – von der Steuerschuldnerin akzeptierte – rechtliche Beurteilung des Betriebsprüfers falsch sein sollte. Die Betriebsprüfung kam angesichts eindeutiger Belege, insbesondere mit Blick auf die spezifische Konzernstruktur, zu dem Ergebnis, dass von Beginn an eine Veräußerungsabsicht gegeben war. Daher hat sie die Veräußerung des Objekts unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als nicht tarifbegünstigten gewerblichen Grundstückshandel eingestuft. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, ist dieses Vorbringen nach Aktenlage nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin hatte sowohl im behördlichen als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme, im Rahmen derer sie auch ein förmliches Gesuch um Akteneinsicht hätte anbringen können.
cc) Die bei Gesellschaftsauflösungen geltende Sonderverjährungsfrist des § 159 HGB, die mit der Nachhaftungsbegrenzung des § 160 HGB zusammentreffen kann (vgl. Hillmann in Ebenroth u. a., HGB, 3. Aufl. 2014, § 159 Rn. 4), kommt der Antragstellerin nicht zugute. Nach § 191 Abs. 4 AO kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem jeweils maßgeblichen Recht noch nicht verjährt sind. Gemäß § 159 Abs. 1 HGB unterliegt die persönliche Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten einer Verjährung von fünf Jahren nach Auflösung der Gesellschaft. Mit dieser Sonderverjährungsfrist wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Interessen der Gesellschaftsgläubiger an der Durchsetzung ihrer im Zuge der Liquidation nicht befriedigten Forderungen einerseits und den Interessen der Gesellschafter an der zeitlichen Begrenzung ihrer fortdauernden persönlichen Haftung andererseits erzielen. § 159 Abs. 2 HGB knüpft für den Beginn der Verjährungsfrist an den Zeitpunkt der Eintragung der Auflösung ins Handelsregister an; § 159 Abs. 3 HGB regelt den Neubeginn der Verjährung bei späterer Fälligkeit des Anspruchs des Gläubigers gegen die Gesellschaft. Vorliegend wurden die Steueransprüche der Antragsgegnerin gegen die KG erst zum 4. Dezember 2013 (Bescheid vom 31.10.2013: Steuerjahre 2006 und 2007) bzw. zum 3. April 2014 (Bescheid vom 27.2.2014: Steuerjahre 2008, 2009 und 2010) zur Zahlung fällig gestellt, so dass die Verjährungsfrist nach § 159 Abs. 3 HGB erst zu diesen Zeitpunkten zu laufen begann. Sie war bei Erlass des Haftungsbescheids am 20. Mai 2015 nicht verstrichen.
Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin ist § 159 Abs. 3 HGB auch im hiesigen Fall einer durch Leistungsbescheid geforderten und fällig gestellten öffentlich-rechtlichen Geldleistung anwendbar. Anhaltspunkte für die von der Antragstellerin befürwortete einschränkende Auslegung der letztgenannten Vorschrift bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus systematisch-teleologischen Erwägungen oder aus höherrangigem Recht. Der Begriff der Fälligkeit im Sinn des § 159 Abs. 3 HGB knüpft ersichtlich an das jeweilige dem Anspruch zugrunde liegende Fachrecht, hier die Abgabenordnung, und nicht an zivilrechtliche Grundsätze an (vgl. zu § 159 Abs. 4 HGB BVerwG, U.v. 14.10.2015 – 9 C 11.14 – BVerwGE 153, 109 = NVwZ 2016, 464/466). § 159 Abs. 3 HGB soll sicherstellen, dass den Gläubigern einer aufgelösten Gesellschaft für die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB jedenfalls volle fünf Jahre zur Verfügung stehen. Geht es um die Haftung für steuerrechtliche Schulden der Gesellschaft, kann mit Blick auf Wortlaut und Zweck des § 159 Abs. 3 HGB nichts anderes gelten (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 29.10.2010 – 9 B 18.09 – OVGE BE 31, 177 = juris-Rn. 37). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, unterliegen die Behörden bei dem Erlass von Grundlagen- und Steuerbescheiden den gesetzlichen Festsetzungsfristen, die einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen von Steuergläubigern und Steuerschuldnern schaffen. Für eine weitere Korrektur der gesetzgeberischen Wertung im Sinn einer teleologischen Reduktion des § 159 Abs. 3 HGB gibt es keinen Anlass. Ein Wertungswiderspruch zur Nachhaftung nach § 160 HGB, der an die bis zum Ausscheiden „begründeten“ Verbindlichkeiten anknüpft, besteht nicht. Im Übrigen kommt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Verjährungsbestimmungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu, wie etwa die nach Dauer und Fristbeginn sehr vielfältigen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen zeigen. Dieser Gestaltungsspielraum zur Gewährleistung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen ist verfassungsrechtlich anerkannt (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013, 1004/1005 f.).
c) Die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Antragstellerin, insbesondere die pflichtgemäße Ermessensausübung bei Erlass des Haftungsbescheids, sind nach den Darlegungen des Verwaltungsgerichts erfüllt und werden von der Beschwerdebegründung nicht in Zweifel gezogen. Da somit der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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