Verwaltungsrecht

Heranziehung zu Abfallgebühren

Aktenzeichen  M 10 K 18.5168

Datum:
9.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38662
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayAbfG Art. 7 Abs. 5 Nr. 6
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayLKrO Art. 80

 

Leitsatz

Aus Art. 80 BayLKrO sowie den allgemeinen Vorschriften des kommunalen Unternehmensrechts ergibt sich (mittelbar), dass auf ein Unternehmen in Privatrechtsform – wie hier auf eine GmbH – hoheitliche Aufgaben, etwa der Erlass von Bescheiden, übertragen werden können. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Oktober 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Verfahrensgegenstand ist nach Auslegung des klägerischen Begehrens gemäß § 88 VwGO eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, die auf vollumfängliche Aufhebung des Änderungsbescheids des Beklagten vom 10. Oktober 2018 gerichtet ist. Es wird nicht lediglich die Teilaufhebung dieses Bescheids, soweit er einen jährlichen Erhöhungsbetrag von 42 EUR festsetzt, begehrt.
3. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10. Oktober 2018 ist formell rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da der beklagte Landkreis für den Erlass des Bescheids sachlich nicht zuständig war. Die Aufgaben der Gebührenabrechnung sowie Ausfertigung und Versendung der Gebührenbescheide sind vom Landkreis wirksam auf die EVA-GmbH übertragen worden.
Nach § 8 AbfGebS in der jeweiligen Fassung vom 21. Dezember 2012 sowie vom 18. November 2015 wird die EVA-GmbH gemäß Art. 7 Abs. 5 Nr. 6 BayAbfG mit der Ermittlung der Berechnungsunterlagen, der Gebührenabrechnung, der Ausfertigung und Versendung der Gebührenbescheide sowie der Entgegennahme der Gebühr in bestimmten Fällen beauftragt.
a) Diese Aufgabenübertragung auf die EVA-GmbH ist vorliegend satzungsrechtlich wirksam erfolgt.
Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 7 Abs. 5 Nr. 6 BayAbfG, nach der aufgrund einer entsprechenden Bestimmung in der Satzung der entsorgungspflichtigen Körperschaft die dort genannten Aufgaben von einem damit beauftragten zuverlässigen Dritten wahrgenommen werden können. Dritter kann nach dem Wortlaut der Vorschrift auch ein Unternehmen in Privatrechtsform sein. Es ist auch sonst anerkannt, dass hoheitliche Aufgaben wie der Erlass von Bescheiden auf Private übertragen werden dürfen (vgl. zur materiellen Privatisierung oder Aufgabenprivatisierung allgemein: Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG, § 1 Rn. 129 ff.).
Entgegen der Auffassung des Beklagten stehen einer Aufgabenübertragung im konkreten Fall auch nicht die Regelungen des kommunalen Unternehmensrechts, insbesondere Art. 80 LKrO, entgegen. Zwar ist in Art. 80 LKrO nicht wie in Art. 77 Abs. 2 LKrO explizit die Übertragung von Aufgaben auf ein Unternehmen in Privatrechtsform geregelt. Aber aus Art. 80 LKrO sowie den allgemeinen Vorschriften des kommunalen Unternehmensrechts ergibt sich (mittelbar), dass auf ein Unternehmen in Privatrechtsform – wie hier auf eine GmbH – hoheitliche Aufgaben übertragen werden können: Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LKrO verweist nämlich auf Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LKrO, der allgemein die Zulässigkeit von Unternehmen und Beteiligungen im Sinne des Art. 74 LKrO, also auch einer GmbH im Sinne des Art. 74 Nr. 3 LKrO, regelt. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LKrO muss sichergestellt sein, dass das Unternehmen in Privatrechtsform den öffentlichen Zweck gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LKrO erfüllt. Dies ist nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LKrO insbesondere der Fall, wenn der Landkreis mit ihm gesetzliche Verpflichtungen oder Aufgaben nach Art. 51 LKrO erfüllen will. Zudem müssen nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LKrO die dem Unternehmen zu übertragenden Aufgaben für die Wahrnehmung außerhalb der allgemeinen Verwaltung geeignet sein.
b) Angesichts des klaren Wortlauts des jeweiligen § 8 AbfGebS war der Landkreis für den Erlass des angegriffenen Bescheids nicht – auch nicht „subsidiär“ – zuständig.
Im Interesse der Rechtsklarheit für den Gebührenpflichtigen kann eine Zuständigkeit der EVA-GmbH auch nicht mit der Begründung verneint werden, es ergebe sich aus anderen, außerhalb der Satzung liegenden Umständen, dass eine Übertragung an diese Gesellschaft nicht gewollt war (etwa aus dem Entsorgungsvertrag zwischen dem Beklagten und der EVA-GmbH).
Aus Gründen der Rechtssicherheit muss der Inhalt einer Satzung für diejenigen, für die sie rechtlich relevant sein kann, verständlich sein. Insbesondere müssen die von einer Satzung Betroffenen nicht nur vom Inhalt der Regelung in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen können, sondern auch unschwer und damit ohne Zuhilfenahme anderer, für sie nicht ohne Weiteres verfügbarer Mittel eindeutig feststellen können, welchen Inhalt die Satzung hat (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.1988 – 23 B 87.1700 – BeckRS 1988, 07872; VG München, U.v. 11.11.2010 – M 10 K 10.25 – BeckRS 2010, 36402).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze muss auch die Zuständigkeit für den Erlass eines Bescheids klar normativ geregelt sein; dies ist hier im Sinne einer Übertragung auf die EVA-GmbH erfolgt. (Gegenteilige) Umstände außerhalb der Satzung sind für deren Auslegung insoweit nicht maßgeblich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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