Verwaltungsrecht

Herkunftsland: Libanon, Schutz und Beistand durch UNRWA für staatenlose Palästinenser, ipso-facto Anerkennung als Flüchtling (verneint), subsidiärer Schutz (verneint), krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot (verneint)

Aktenzeichen  M 22 K 16.36503

Datum:
14.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17849
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG §§ 3 ff.
AufenthG §§ 60 f.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Sache verhandeln und entscheiden, da diese mit der ordnungsgemäßen Ladung auf § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hingewiesen worden ist.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid vom … … … ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). In dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) kann die Klägerin weder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 1.) noch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes (dazu 2.) noch die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen (dazu 3.). Des Weiteren ist auch die erlassene Abschiebungsandrohung ebenso wenig zu beanstanden wie die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG, die zugleich die Anordnung eines solchen Verbots darstellt.
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, denen es folgt. Entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO wird auch auf die Gründe des rechtskräftigen Gerichtsurteils vom … … … zum Verfahren der Familienangehörigen der Klägerin (. .*) verwiesen.
Lediglich ergänzend ist auszuführen:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), wenn sich dieser aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Der Flüchtlingsschutz ist allerdings nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG – welcher Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU) umsetzt – ausgeschlossen, wenn der Ausländer den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) nach Art. 1 Abschnitt D GFK genießt und tatsächlich in Anspruch nimmt.
Die zum jetzigen Zeitpunkt einzige Organisation in diesem Sinne stellt das durch Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 302/IV vom 8. Dezember 1949 errichtete Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten dar (United Nations Relief and Work Agency for Palestine Refugees – UNRWA). Seine Aufgabe besteht in der Hilfeleistung für palästinensische Flüchtlinge unter anderem im Libanon. Das entsprechende UN-Mandat wurde zuletzt bis zum 30. Juni 2023 verlängert (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2/21 – juris Rn. 12). (Registrierte) Palästina-Flüchtlinge, denen das UNRWA Schutz bzw. Beistand gewährt, genießen demnach speziellen, vorrangig zu beanspruchenden Flüchtlingsschutz. Deshalb sind sie von der Anerkennung als Flüchtlinge in der Europäischen Union grundsätzlich ausgeschlossen (BVerwG, U.v. 4.6.1991 – 1 C 42.88 – juris Rn. 16; U.v. 21.1.1992 – 1 C 21.87 – juris Rn. 19 m.w.N.; vgl. zum Ausschluss zuletzt auch EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51).
Die eng auszulegende Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 RL 2011/95/EU) greift jedoch nur, solange die von ihr erfassten Personen den Schutz bzw. Beistand des UNRWA genießen. Ist dieser Schutz weggefallen, ohne dass die Lage der Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, findet die Genfer Konvention – in richtlinienkonformer Auslegung der sog. Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG als Rechtsfolgenverweisung – ipso facto Anwendung, ohne dass es einer Einzelfallprüfung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG bedarf (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.31475 – juris Rn. 28; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 25 unter Verweis auf EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 67, 70 ff.; BVerwG, B.v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris Rn. 26 mit Verweis auf EuGH, U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 86; BVerwG, U.v. 27.5.2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 12 mit Verweis auf EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51).
Aus dem Zusammenspiel von § 3 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AsylG ergibt sich, dass die Anerkennung als ipso facto-Flüchtling die Erfüllung beider Vorschriften voraussetzt, nämlich erstens, dass die/der Betroffene den Schutz oder Beistand des UNRWA genießt (weil sie/er zum durch die UNRWA durch Schutz und Beistand unterstützen Personenkreis gehört) und zweitens, dass dieser Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird (vgl. OVG NRW, U.v. 26.11.2020 – 14 A 2258/18.A – juris Rn. 23 f. unter Verweis auf BVerwG, U.v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris Rn. 14 f.).
Nach diesen Maßstäben ist die Anwendung des § 3 Abs. 1 AsylG im vorliegenden Fall durch den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG gesperrt (1.1.). Die Klägerin ist ferner auch kein ipso facto-Flüchtling nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (1.2.).
1.1. Die Klägerin ist nicht als Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG anzuerkennen, weil bei ihr die Voraussetzungen der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG erfüllt sind.
Die konkrete Bedeutung der alternativen Betreuungsformen „Schutz“ und „Beistand“ bestimmt sich nach der im Rahmen seines Auftrags wahrgenommenen Tätigkeit des UNRWA. Maßgebend ist, ob die/der Betroffene der Personengruppe angehört, deren Betreuung das UNRWA entsprechend seinem Mandat übernommen hat. Das ist jedenfalls bei denjenigen Personen der Fall, die – wie hier die Klägerin – als Palästina-Flüchtlinge bei dem UNRWA (weiterhin) registriert sind. Dieses Verständnis entspricht dem Sinn und Zweck der Ausschlussklausel, die gewährleisten soll, dass sich in erster Linie das UNRWA (und nicht die Vertragsstaaten, insbesondere nicht die arabischen Staaten) der palästinensischen Flüchtlinge annimmt. Die palästinensischen Flüchtlinge, deren Lage bislang nicht endgültig geklärt worden ist, wie insbesondere aus den Ziffern 1 und 3 der Resolution Nr. 66/72 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 2011 hervorgeht (vgl. EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 54), sind danach gehalten, vorrangig den Schutz bzw. Beistand des UNRWA in Anspruch zu nehmen (BVerwG, U.v. 4.6.1991 – 1 C 42.88 – juris Rn. 31; U.v. 21.1.1992 – 1 C 21.87 – juris Rn. 29). Von der Ausschlussklausel sind indes nur diejenigen Personen erfasst, die die Hilfe des UNRWA tatsächlich in Anspruch nehmen bzw. genommen haben. Die betreffenden Bestimmungen sind eng auszulegen und erfassen daher nicht auch Personen, die lediglich berechtigt sind oder waren, den Schutz bzw. Beistand des Hilfswerks in Anspruch zu nehmen, ohne jedoch von diesem Recht Gebrauch zu machen. Als ausreichenden Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes oder Beistands ist die Registrierung bei dem UNRWA anzusehen (EuGH, U.v. 17.1.2010 – C-31/09 – Rn. 51 f.; U.v. 13.1.2021 – XT; C-507/19 – juris Rn. 48). Der Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling liegt nicht nur bei Personen vor, die zurzeit den Beistand des UNRWA genießen, sondern auch bei solchen, die diesen Beistand kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 52).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Klägerin als staatenlose Palästinenserin der Personengruppe angehört, deren Betreuung das UNRWA entsprechend seinem Mandat übernommen hat, und infolgedessen von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen ist. Mit der durch das UNRWA erstellten Bescheinigung (Family Registration Card), die den beigezogenen Akten im Verfahren . . zu entnehmen ist, und der in der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt vorgelegten Heiratsurkunde wird hinreichend nachgewiesen, dass die Klägerin beim UNRWA im Libanon registriert ist (zur Registrierung als ausreichendem Nachweis vgl. EuGH, U.v. 17.6.2010 – Bolbol, C-31/09 – juris Rn. 51 f.).
1.2. Die Klägerin ist ferner auch kein ipso facto-Flüchtling. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen der sogenannten Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG vorliegend erfüllt sind.
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genügt für die ipso facto Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht bereits der Umstand, dass der/dem Betroffenen im Zeitpunkt des Verlassens des Einsatzgebiets keine zumutbare Möglichkeit offenstand, im Einsatzgebiet des UNRWA Schutz oder Beistand zu finden; vielmehr darf eine Möglichkeit, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in dessen Einsatzgebiet erneut zu unterstellen, auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht bestehen (BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 16).
Aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU („aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt“) folgt, dass nicht erst bei Auflösung des UNRWA oder bei Einstellung dessen Tätigkeit vom Wegfall dessen Schutzes bzw. Beistands im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG auszugehen ist. Vielmehr genügt es, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass sich die/der Betroffene in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand sie/er ersucht hat, unmöglich ist, ihr/ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, sodass sie/er sich aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das (gesamte) Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen (EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51; BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 17 f.). Die bloße Abwesenheit aus dem UNRWA-Einsatzgebiet oder die freiwillige Entscheidung, dieses zu verlassen, führt nicht zu einem Wegfall des Schutzes bzw. Beistandes im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 49 ff., 65; BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2/21 – juris Rn. 25).
Die erforderlichen mandatskonformen Lebensverhältnisse umfassen dabei – unabhängig von dem auf soziale und wirtschaftliche Aufgaben beschränkten Mandat des UNRWA – auch die Sicherheit vor Verfolgung und ernsthaftem Schaden (BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28 m.w.N.). Denn die Bereitstellung von Lebensmitteln, Schulunterricht und Gesundheitsfürsorge hat keinen praktischen Wert, wenn es den Begünstigten infolge einer Bürgerkriegssituation nicht zumutbar ist, diese in Anspruch zu nehmen, und deshalb ihre Ausreise aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28, unter Verweis auf Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge v. 17.5.2018 – C-585/16 – juris Rn. 45). Dem entspricht der Hinweis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass der Schutz bzw. Beistand durch das UNRWA voraussetzt, dass sich die Person „in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen“ in dem Einsatzgebiet aufhalten kann (vgl. EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 54 und U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 134, 140).
In räumlicher Hinsicht kann die/der Betroffene innerhalb eines konkreten UNRWA-Operationsgebiets unter den entsprechend heranzuziehenden Voraussetzungen des internen Schutzes auf andere Orte als seinen Herkunftsort verwiesen werden (BVerwG, U.v. 25.04.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 26). Der räumliche Maßstab kann darüber hinaus im Einzelfall nochmals weiter gefasst sein. Im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts sind alle Operationsgebiete des Einsatzgebiets von UNRWA zu berücksichtigen, in deren Gebiete die/der konkret Betroffene, die/der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten (EuGH, U.v. 13.1.2021 – XT, C-507/19 – juris Rn. 51).
Zusätzlich setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (d.h. ipso facto) voraus, dass es der/dem Betroffenen auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) nicht möglich oder zumutbar ist, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eins der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets des Hilfswerks erneut zu unterstellen.
Die Einbeziehung des in § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG bezeichneten Zeitpunkts (zusätzlich zum Zeitpunkt des Verlassens des UNRWA-Operationsgebiets) trägt dem Umstand Rechnung, dass die Flüchtlingseigenschaft der/des Betroffenen nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. f i.V.m. Art. 14 Abs. 1 RL 2011/95/EU erlischt und abzuerkennen ist, wenn diese/dieser nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie/er als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Einsatzgebiet des UNRWA zurückzukehren (EuGH, U.v. 19.12.2012 – El Kott, C-364/11 – juris Rn. 77; BVerwG, U.v. 27.4.2021 – 1 C 2/21 – juris Rn. 24). Ferner folgt auch aus Art. 46 Abs. 3 der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (RL 2013/32/EU), dass die nationalen Gerichte eine ex nunc-Betrachtung vorzunehmen haben, bei der gegebenenfalls neue, nach Erlass der angefochtenen Entscheidung aufgetretene Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die Möglichkeit, in das UNRWA-Einsatzgebiet zurückzukehren, muss daher bereits bei der Entscheidung über die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus berücksichtigt werden (EuGH, U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 110 ff.; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 26).
Einer Person ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs möglich und zumutbar, in das Einsatzgebiet des UNRWA zurückzukehren und sich dessen Schutz oder Beistand erneut zu unterstellen, sofern sie erstens die Garantie hat, in dem Operationsgebiet aufgenommen zu werden, zweitens ihr das UNRWA dort tatsächlich einen von den verantwortlichen Stellen anerkannten Schutz oder Beistand gewährt und sie drittens erwarten darf, sich in diesem Operationsgebiet in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufzuhalten (vgl. EuGH, U.v. 25.7.2018 – Alheto, C-585/16 – juris Rn. 140). Diese Voraussetzungen, welche der Europäische Gerichtshof für den Verweis auf die Inanspruchnahme von Schutz bzw. Beistand des UNRWA in einem anderen Staat als dem des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des beim UNRWA registrierten Palästinensers im Rahmen des Art. 35 RL 2013/32/EU aufgestellt hat, sind ohne weiteres und letztlich zur Vermeidung von Widersprüchen auf die Rückkehr in das Einsatzgebiet des gewöhnlichen Aufenthaltsortes übertragbar (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 14.5.2019 – 1 C 5.18 – juris Rn. 35) und vorliegend erfüllt.
Ausgehend von den vorgenannten Maßstäben und unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel gelangt das Gericht nicht zur Überzeugung, dass der Schutz bzw. Beistand des UNRWA in dem Zeitpunkt, als die Klägerin das gesamte Einsatzgebiet verlassen und ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt hat, im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG nicht länger gewährt worden ist (dazu 1.2.1.). Auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist es der Klägerin möglich und zumutbar, sich dem Schutz bzw. Beistand des UNRWA erneut durch Rückkehr in eins der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets des Hilfswerks zu unterstellen (dazu 1.2.2.).
1.2.1. Die Klägerin war nach Überzeugung des Gerichts im … … nicht unabhängig von ihrem Willen gezwungen, den Libanon und das komplette Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass es dem UNRWA zu diesem Zeitpunkt unmöglich war zu gewährleisten, dass sich die Klägerin im Einsatzgebiet in Sicherheit vor Verfolgung (dazu unter a) und vor ernsthaftem Schaden (dazu unter b) sowie unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufhalten konnte (dazu unter c), und sich damit nicht in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand.
a) Die Klägerin ist nicht aus begründeter Furcht vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung ausgereist.
aa) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung kann gemäß § 3 c AsylG u.a. vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sowie von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, soweit die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, wirksamen Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3 d AsylG).
Zwischen den Verfolgungsgründen (vgl. die Aufzählung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sowie die näheren Erläuterungen in § 3 b Abs. 1 AsylG) und den Verfolgungshandlungen (§ 3 a Abs. 1 und 2 AsylG) bzw. dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3 a Abs. 3 AsylG). Dafür reicht grundsätzlich ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2019 – 1 C 11.18 – juris Rn. 16). Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3 a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13).
Unerheblich ist dabei, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3 b Abs. 2 AsylG). Bei einer politischen Verfolgung ist für die Bejahung der Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund bereits ausreichend, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist, ist dabei irrelevant (BVerfG, B.v. 22.11.1996 – 2 BvR 1753/96 – juris Rn. 5; VGH BW, U.v. 18.8.2021 – A 3 S 271/19 – juris Rn. 22).
Eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. dazu Art. 2 Buchst. d) RL 2011/95/EU) besteht, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Bei der Verfolgungsprognose ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen, der sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientiert, der bei der Prüfung von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) auf eine tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt (vgl. EGMR (GK), U.v. 28.2.2008 – Saadi/Italien, Nr. 37201/06 – NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 18 ff.; U.v. 5.7.2019 – 1 C 37/18 – juris Rn. 13).
Demnach bedingt der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Annahme eines reellen Verfolgungsrisikos sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Gemeint ist damit keine quantifizierende, sondern eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und deren Bedeutung. Entscheidend ist, ob bei einer Bewertung des aus den gegebenen Umständen ableitbaren Verfolgungsrisikos bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und ihm wegen dieses Risikos eine Rückkehr nicht zumutbar erscheint (stRspr, vgl. zu Art. 16a GG BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17; zu § 3 AsylG vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2019 – 1 C 11/18 – juris Rn. 25 sowie BayVGH, U.v. 23.6.2021 – 21 B 19.33586 – juris Rn. 34).
Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung im Rechtssinne begründet ist (ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht), ist es Aufgabe des erkennenden Gerichts, die Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden. Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Schicksals (soweit es nach den Umständen des Falles hierauf ankommt) als auch von der Richtigkeit der Prognose einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr die volle Überzeugung gewinnen. Es darf jedoch insbesondere hinsichtlich relevanter Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad, der Zweifeln Schweigen gebietet, begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (stRspr, BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – BVerwGE 71, 180; U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – juris Rn. 20).
Besonderes Gewicht ist den Berichten des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) beizumessen, der gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 die Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention überwacht (vgl. dazu EuGH, U.v. 30.5.2013 – Halaf, C-528/11 – juris Rn. 44). Im Übrigen sind das persönliche Vorbringen des Rechtsuchenden und dessen Würdigung, namentlich wenn eine relevante Vorverfolgung behauptet wird, von zentraler Bedeutung. Für den Fall, dass keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, kann ggf. allein dessen Tatsachenvortrag zum Erfolg der Klage führen, sofern sich das Gericht von der Richtigkeit der entsprechenden Einlassungen überzeugen kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris Rn. 15 f. m.w.N.).
In diesem Zusammenhang ist weiter darauf hinzuweisen, dass für die Verfolgungsprognose beim Flüchtlingsschutz ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt, d.h. es ist irrelevant, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern durch die Beweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU. Nach dieser Vorschrift wird für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür begründet, dass sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland erneut von Verfolgung bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 21 f.; U.v. 18.2.2021 – 1 C 4/20 – juris Rn. 15).
bb) Daran gemessen ist die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht vorverfolgt ausgereist. Denn weder in der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt noch im Klageverfahren hat sie glaubhaft vorgetragen, dass für sie im Zeitpunkt ihrer Ausreise im … … aufgrund einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung eine sehr unsichere persönliche Lage bestand.
Sofern die Klägerin angibt, ihr Sohn sei in der Schule aufgrund seines sunnitischen Namens beleidigt worden, reicht dies für die Annahme einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3 a AsylG nicht. Überdies sind diese Beleidigungen keinem Verfolgungsakteur im Sinne des § 3 c AsylG zuzurechnen. Letzteres gilt auch hinsichtlich des erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgten „gesteigerten“ Vortrags, dass es im Flüchtlingslager wegen einer Verfehlung des ältesten (nicht verfahrensgegenständlichen) Sohnes der Klägerin Streit mit einer anderen palästinensischen Großfamilie gegeben habe und dieser daher mit dem Tode bedroht worden sei. Der Streit soll ausweislich der von Klägerin vorgelegten Bescheinigung der Sicherheitskräfte des Lagers vom … … … dadurch gelöst worden sein, dass der Sohn, der bereits im … … in Deutschland einreiste, das Flüchtlingslager verließ. Die Familie der Klägerin konnte demnach – auch bei Wahrunterstellung des Vortrags – augenscheinlich noch knapp … Jahr lang unbehelligt im Lager leben. Von einer Verfolgung (zumal in Anknüpfung an Konventionsmerkmale nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3 b Abs. 1 AsylG) kann auch insoweit nicht ausgegangen werden.
Im Übrigen ist der Klägerin im Libanon eigenen Angaben zufolge – auch aufgrund des sunnitischen Glaubens – nichts passiert (nur „böse Blicke“). In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin ab, sie sei ausgereist, weil sie ihre Familie (die bereits früher den Libanon verlassen hatte) vermisst habe. Das erstmalig in der mündlichen Verhandlung erfolgte und damit gesteigerte Vorbringen, das zwei oder drei Brüder der Klägerin „seit Jahren im Gefängnis bei … wegen eines Mordfalls“ seien, blieb trotz Nachfrage des Gerichts unsubstantiiert. Anhaltspunkte für eine Reflexverfolgung wurden weder vorgetragen noch sind im Übrigen ersichtlich.
cc) Abgesehen davon ist die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin auch deshalb nicht zuzuerkennen, weil sich diese gemäß § 3 e AsylG auf internen Schutz verweisen lassen muss.
Nach der Erkenntnislage kann der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in der Regel durch Verlegung des Wohnorts außerhalb des Einflussbereichs dieser Akteure ausgewichen werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand Dezember 2021, 17.12.2021, S. 19). Palästinenser haben im Libanon grundsätzlich die Möglichkeit, die Flüchtlingslager zu verlassen und sich in andere Landesteile zu begeben (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 55). Dies wäre der im Grunde gesunden Klägerin mit Großfamilie im Libanon auch zumutbar.
Andere asylrelevante Verfolgungsgründe wurden nicht vorgetragen und solche sind auch nicht ersichtlich.
b) Die Klägerin ist auch nicht aufgrund eines (drohenden) ernsthaften Schadens ausgereist.
Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (zum Prüfungsmaßstab vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28).
Dass die Klägerin die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe befürchten müsste (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AsylG), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Ebenso wenig drohte der Klägerin ernsthafter Schaden in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Diese muss stets von einem Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 c AsylG ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 11 f.). Denkbare, auf der schlechten allgemeinen humanitären Lage beruhende Beeinträchtigungen der Klägerin unterfallen nicht § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, da die Vorschrift nur Fälle erfasst, in denen eine notwendige humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten wird, wofür vorliegend nichts ersichtlich ist (EuGH, U.v. 18.12.2014 – M´Bodj, C-542/13 – Rn. 35, 41; BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 9 ff., 12).
Die Klägerin musste auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) befürchten. Es fehlte im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin bereits an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Libanon. Das Ausmaß der Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen im gesamten Staatsgebiet ist nicht ausreichend, um zu einer Gefahrendichte zu führen, die zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit der Klägerin (und ihrer Familie) im … … führen würde. Relevante gefahrerhöhende individuelle Umstände in der Person der Klägerin wurden – wie bereits ausgeführt – weder vorgetragen und noch sind solche erkennbar.
c) Schließlich gelang das Gericht auch nicht zur Überzeugung, dass die Klägerin das UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon aufgrund menschenunwürdiger Lebensbedingungen verlassen hat.
Die Rechtsprechung bejaht das Vorliegen von mit der Menschenwürde nicht zu vereinbarenden Lebensbedingungen, wenn der Tatbestand des Art. 3 EMRK erfüllt ist. Davon ist auszugehen, wenn die Lebensbedingungen mit Blick auf die allgemeine Wirtschafts- und Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung prekär sind (zum Maßstab des Art. 3 EMRK mit Blick auf eine Ausweisung zuletzt BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 11 f. mit Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 25; vgl. ferner EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi u.a., Nr. 8319/07 u.a. – NVwZ 2012, 681 mit Verweis auf den Maßstab nach EGMR, U.v. 27.5.2008 – N., Nr. 26565/05 – NVwZ 2008, 1334).
Erforderlich ist dabei allerdings ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity). Dieses kann erreicht sein, wenn die betreffende Person ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 11 f. m.w.N.). Dabei kann aus Sicht des Gerichts offenbleiben, ob der durch den Europäischen Gerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung herangezogene Maßstab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 – juris Rn. 89 ff.; vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12), nach dem darauf abzustellen ist, ob sich die betroffene Person aufgrund der Gleichgültigkeit der Behörden im Zielstaat „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“, auch für die Beurteilung des Vorliegens von menschenwürdigen Lebensbedingungen im UNRWA-Einsatzgebiet, in dem staatliche Behörden keinen bzw. kaum Einfluss ausüben und Hilfsleistungen durch das UNRWA (und andere Nichtregierungsorganisationen) erbracht werden, maßgeblich ist. Auch bei Übertragung dieses Maßstabs drohten der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer individuellen Umstände sowie der allgemeinen Lage in dem UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon zum Zeitpunkt der Ausreise keine menschenunwürdigen Lebensbedingungen. Die Klägerin gab im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt an, sie habe mit der Kernfamilie in einem selbsterbauten Eigentumshaus mit zwei Räumlichkeiten in dem UNRWA Flüchtlingslager … … gewohnt. Die Familie habe über Möbel und Gold verfügt (die für die Finanzierung der Ausreise verkauft worden seien). Im Flüchtlingscamp habe auch die Großfamilie (21 Personen) gelebt. Die Kinder der Klägerin hätten gewisse medizinische Versorgung bekommen. Von einer extremen materiellen Not kann insofern nicht ausgegangen werden.
Nach alledem ist das Gericht nicht der Überzeugung, dass die Klägerin – wie von der jüngsten Rechtsprechung gefordert – aufgrund von Umständen, die von ihrem Willen unabhängig waren, gezwungen war, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen, weil sie sich im Zeitpunkt ihrer Ausreise in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden hat. Damit war der Schutz bzw. Beistand des UNRWA seinerzeit nicht im Sinne der Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG weggefallen; die Klägerin hat vielmehr durch ihre Ausreise auf dessen Schutz freiwillig verzichtet.
1.2.2. Darüber hinaus ist ein (nachträglicher) Wegfall des UNRWA-Schutzes auch nicht deshalb anzunehmen, weil der Klägerin die Wiedereinreise in den Libanon verwehrt wäre. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist ihr nicht unmöglich oder unzumutbar, sich dem Schutz bzw. Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eins der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets des Hilfswerks erneut zu unterstellen.
a) Dem Gericht liegen gegenwärtig keine hinreichenden Erkenntnisse vor, dass es der Klägerin, die einen von den libanesischen Behörden ausgestellten Ausweis für palästinensische Flüchtlinge besitzt, grundsätzlich unmöglich wäre, wieder in den Libanon einzureisen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es für ausreisepflichtige Palästinenser mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem Libanon nicht von vornherein erkennbar aussichtslos ist, bei der Botschaft des Libanon in Berlin ein Dokument für die Heimreise zu erhalten (U.v. 16.10.2018 – OVG 3 B 4.18 – juris Rn. 23 f.).
Das Gericht übersieht dabei nicht, dass die Wiederaufnahme staatenloser Palästinenser im Libanon nur unter erschwerten Bedingungen durchführbar zu sein scheint (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24 f.). Personen ohne gültige Dokumente werden an der Einreise gehindert; von Deutschland oder EU-Staaten für libanesische Staatsangehörige oder Staatenlose ausgestellte Einreisepapiere werden von den libanesischen Behörden nicht anerkannt. Libanesische Staatsangehörige können daher nicht ohne Vorlage eines Reisepasses bzw. eines von der zuständigen libanesischen Auslandsvertretung ausgestellten Heimreisedokuments (z.B. ein sog. Laissez-Passer) einreisen (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24 f.). Es ist für palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon aber weiterhin möglich, bei der Botschaft des Libanon in Berlin ein Dokument (Document de Voyage) für die Heimreise zu beantragen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 16.10.2018 – OVG 3 B 4.18 – juris Rn. 23 f.; VG Bremen, B.v. 8.12.2020 – 1 V 1087/20 – juris Rn. 29 f.; Danish Immigration Service (DIS), Lebanon, Readmission of Palestinian Refugees from Lebanon, März 2020, S. 7). Seit den Wahlen im Mai 2018 zeigen sich die libanesischen Behörden zwar zögerlich, staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon, die sich im Ausland aufhalten und die keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten. Teilweise wird berichtet, dass auch staatenlose Palästinenser, die über gültige Reisedokumente verfügen, deren Asylantrag in einem anderen Staat aber abgelehnt oder deren Aufenthaltsgestattung widerrufen wurde, dennoch eine Genehmigung der Einreise des libanesischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten anstreben müssen (DIS, Lebanon, März 2020, S. 8, 14). Nach derzeitigen Erkenntnissen war die Zahl der erfolgreichen Rückführungen seit Mai 2018 begrenzt. Allerdings waren auch in diesem Zeitraum Rückführungen in wenigen Fällen möglich (DIS, Lebanon, März 2020, S. 6, 14).
Eine faktische Unmöglichkeit der Rückführung staatenloser Palästinenser allgemein oder eine Rückführung speziell den Kläger vermag das Gericht daher in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht anzunehmen. Die Klägerin muss sich daher vor diesem Hintergrund gegenwärtig darauf verweisen lassen, entsprechende Rückreiseanstrengungen zu unternehmen und im Falle der Zurückweisung durch den libanesischen Staat einen Folgeantrag beim Bundesamt zu stellen. Insoweit die COVID-19-Pandemie gegenwärtig zu Einreisebeschränkungen führen sollte, wären diese als vorübergehende Maßnahmen jedenfalls unschädlich (VG Dresden, U.v. 11.5.2021 – 11 K 1757/18. A – juris mit Verweis auf BVerwG, U.v. 21.1.1992 – 1 C 21/87 – juris Rn. 25).
b) Das UNRWA ist auch weiterhin im Libanon tätig. Die Klägerin ist aufgrund ihrer Registrierung berechtigt, nach Rückkehr in das Einsatzgebiet die Leistungen des Hilfswerks erneut in Anspruch zu nehmen. Eine zwischenzeitliche Ausreise ins Ausland ist hierfür ebenso wenig schädlich wie eine längerfristige Abwesenheit (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 5.6.2018, S. 3 f.; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Libanon: Reisedokumente für Palästinenser, 14.10.2016).
c) Schließlich darf die Klägerin sowohl angesichts ihrer individuellen Umstände als auch der sich aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ergebenden allgemeinen Lage erwarten, sich im UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufhalten zu dürfen. Ihr droht dort weder beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG (dazu unter aa) noch ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG (dazu unter bb). Zuletzt muss die Klägerin (bei einer Rückkehr im Familienverband) auch nicht mit menschenunwürdigen Lebensbedingungen rechnen (dazu unter cc). Die Rückkehr ist ihr somit auch zumutbar.
aa) Es sind für das Gericht keine stichhaltigen Gründe erkennbar, warum die – wie bereits ausgeführt – unverfolgt und legal auf dem Luftweg ausgereiste Klägerin bei einer Rückkehr in den Libanon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung fürchten müsste.
Eine solche ist – selbst bei Wahrunterstellung des gesteigerten Vortrags – mangels eines Akteurs im Sinne des § 3 c AsylG – jedenfalls nicht darin zu sehen, dass die Klägerin (wie in ihrem Schreiben ans Gericht vom … … … ausgeführt) Angst vor sexuellen Übergriffen durch die Familie des Mädchens, das mit ihrem ältesten Sohn weggelaufen sei, habe.
Das Gericht geht auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht davon aus, dass die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe oder ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit im Libanon begründete Furcht vor Verfolgung haben muss, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend wäre, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen würde.
Nach aktuellen Erkenntnissen sind derzeit etwa 420.000 – 470.000 palästinensische Flüchtlinge bei UNRWA im Libanon registriert. Es ist davon auszugehen, dass sich davon bis zu 200.000 tatsächlich dauerhaft im Land aufhalten (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht Libanon, Stand Dezember 2020, S. 12; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, Stand 1. 9. 2020, S. 40). Neben ihnen existieren 35-40.000 nicht bei UNRWA, sondern bei den libanesischen Behörden registrierte palästinensische Flüchtlinge, ca. 3000-5000 sogenannte nichtdokumentierte Palästinenser sowie mehrere zehntausende palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (BFA, Länderinformationsblatt – Libanon, Stand September 2020, S. 47). Etwa die Hälfte der dauerhaft im Libanon aufhältigen Palästinenser lebt nach aktuellen Erkenntnissen in den 12 über das Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslagern (BFA, Länderinformationsblatt – Libanon, Stand September 2020, S. 40, 49; UNRWA, Protection Brief – palestine refugees living in Lebanon: 63%), wobei es ihnen freisteht, die Lager zu verlassen. Eine Erlaubnis ist dafür nicht nötig. (AA, Lagebericht Libanon, Stand Dezember 2020, S. 12).
Die Lage der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon ist allerdings unverändert prekär. Ihnen sind (weiterhin) bestimmte politische und wirtschaftliche Rechte verwehrt; es kommt zu gesellschaftlicher Diskriminierung. So haben nur Frauen die Möglichkeit, durch Heirat die libanesische Staatsbürgerschaft zu erlangen; es bestehen aber häufig administrative Hürden (AA, Lagebericht Libanon, Stand Dezember 2020, S. 12; BFA, Länderinformationsblatt – Libanon, Stand September 2020, S. 48). Kinder können die libanesische Staatsangehörigkeit nur vom Vater erwerben (US-Außenministerium, Human Rights Report 2019, S. 25; BFA, Länderinformationsblatt – Libanon, Stand September 2020, S. 37). Staatenlose Palästinenser dürfen, anders als andere Ausländer, im Libanon seit 2001 keinen Grund und Boden erwerben. Auch von der Ausübung mehrerer Berufe (Arzt, Rechtsanwalt, u.a.) sind sie – worauf die Kläger auch in ihrem Verfahren verwiesen haben – weiterhin ausgeschlossen (siehe zuletzt AA, Anfragebeantwortung an das VG Würzburg vom 2.3.2021, S. 2). Für die Ausübung anderer Berufe in einem legalen Beschäftigungsverhältnis wird eine Arbeitserlaubnis gefordert, die jährlich zu erneuern ist (AA, Lagebericht Libanon, Stand Dezember 2020; Deutsches Orient-Institut, Auskunft 09.09.2020, S. 2). Diese wird in vielen Fällen jedoch nicht erteilt. Viele palästinische Flüchtlinge sind daher in geringer bezahlten Berufen und häufig im informellen Sektor beschäftigt (AA, Lagebericht Libanon, Stand Dezember 2020). Die Gründung von Nicht-Regierungs-Organisationen ohne libanesischen Partner ist de facto unmöglich. Der Besuch libanesischer Schulen steht Palästinensern gleichfalls nicht offen. Sie sind auf eine Ausbildung durch UNRWA-Schulen und Privatschulen angewiesen (BFA, Länderinformationsblatt – Libanon, Stand September 2020, S. 49). Palästinensische Studierende müssen sich für die für Ausländer reservierten 10% der Studienplätze an Hochschulen bewerben (AA, Lagebericht, Stand Dezember 2020, S. 12). Auch für die gesundheitliche Versorgung sind die staatenlosen Palästinenser auf das UNRWA-Hilfswerk und andere NGOs angewiesen.
Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit, die in der Summe das Maß einer schwerwiegenden und systematischen Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, sind nach aktuellen Erkenntnissen allerdings nicht bekannt (BFA, Länderinformationsblatt – Libanon, Stand September 2020, S. 47; AA, Lagebericht, Stand Dezember 2020, S. 12; vgl. auch VG Potsdam, U.v. 18.06.2020 – 8 K 3961/17.A – beckonline Rn. 45; VG Bremen, B.v. 08.12.2020 – 1 V 1087/20 – beckonline Rn. 34). Palästinensische Flüchtlinge, die – wie hier die Klägerin – bei der UNRWA registriert sind, verfügen auch über einen gesicherten Aufenthaltsstatus und Zugang zu einer sozialen Grundversorgung durch das UNRWA.
Im Ergebnis ist vor diesem Hintergrund zwar eine nicht von der Hand zu weisende Diskriminierung palästinensischer Flüchtlinge festzustellen, diese erreicht aber weder die Intensität eines staatlichen Verfolgungsprogramms noch in der Summe der einzelnen Maßnahmen eine „Verfolgungsdichte“, die einer systematischen Verfolgung gleichzusetzen wäre (zu diesem Maßstab vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris Rn. 13; ebenso VG Bremen, B.v. 8.12.2020 – 1 V 1087/20 – beckonline Rn. 34; VG Potsdam, U.v. 18.6.2020 – 8 K 3961/17.A – beckonline Rn. 45).
bb) Der Klägerin droht bei einer Rückkehr in den Libanon auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG.
Insbesondere droht der Klägerin bei einer Rückkehr in den Libanon keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Eine solche Bedrohung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzunehmen, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – Rn. 35). Wenn – wie hier – individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, erfordert dies eine außergewöhnliche Situation, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 15).
Nach diesen Maßstäben lässt sich eine hinreichende Gefährdung der Klägerin infolge willkürlicher Gewalt bei einer Rückkehr in den Libanon nicht feststellen. Ihr steht es darüber hinaus frei, sich im Libanon in eins der zwölf UNRWA-Lager zu begeben und dort ohne Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt zu leben.
Zwar stehen die UNRWA-Flüchtlingslager weiterhin ganz überwiegend nicht unter der staatlichen Kontrolle des Libanon. Staatliche Institutionen haben dort keinen Zugriff, sondern kontrollieren lediglich die Ein- und Ausgänge zu den Camps. Die Sicherheit innerhalb der UNRWA-Lager wird aufgrund einer Vereinbarung mit der Regierung allerdings durch palästinensische Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion bestellt werden (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13; US-Außenministerium, Country Report on Human Rights Practices 2020 – Lebanon, 30.3.2021, S. 12). Dennoch nutzen Gruppen wie u.a. die Hamas, die Volksfront für die Befreiung Palästinas, das Generalkommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden nach derzeitigen Erkenntnissen weiterhin den Umstand begrenzter Regierungskontrolle in den zwölf palästinensischen Flüchtlingslagern für ihre Operationen (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 13). Diese Lager werden nach den vorliegenden Erkenntnissen als sichere Zufluchtsorte genutzt und dienen u.a. auch als Waffenverstecke (s. zu einer Explosion eines Waffendepots am 10.12.2021 im Flüchtlingscamp Burj Shemali bei Tyre, zeit online v. 11.12.2021: „Mehrere Verletzte bei Explosion im Flüchtlingslager“). Terroristische Gruppen, die die Lager als Rückzugsraum nutzen, stehen allerdings unter hohem Verfolgungsdruck durch die Sicherheitskräfte (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13). Nach den vorliegenden Erkenntnissen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen in den UNRWA-Lagern, die teilweise als schwer eingeordnet werden müssen (nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts betraf dies in Vergangenheit insbesondere die Lager Mie-Mie und Ain-el-Hilwe) und in die teilweise auch die libanesischen Sicherheitskräfte eingreifen, da die Sicherheitskräfte vor Ort teils überfordert zu sein scheinen (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13). Ebenso kommt es zu sporadischen bewaffneten Zusammenstößen in (anderen) Lagern, die zu einer zeitweisen Unterbrechung von Bildungs- und Gesundheitsdiensten führten (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56).
Grundsätzlich werden die Flüchtlingslager jedoch auch weiterhin durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gesichert. Insoweit bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen in den Lagern auftreten und bei den geschilderten Auseinandersetzungen in Vergangenheit auch Unbeteiligte getötet wurden, vermag das Gericht derzeit nicht zu erkennen, dass diese Opfer eine so große Zahl erreicht hätten, dass davon auszugehen wäre, dass ein solches Niveau an Gewalt vorliegt dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem Lager und der Region konkret mit einer Gefahr für Leib oder Leben bedroht wäre(vgl. VG Dresden, U.v. 21.7.2021 – 11 K 1030/17.A – juris Rn. 61; VG Hamburg, U.v. 9.9.2021 – 14 A 6163/21 – juris Rn. 28 ff.). So wird etwa eine Auseinandersetzung mit Schusswaffen am 14. Oktober 2021, als ein Protest von Schiiten im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Hafenexplosion eskalierte und sieben Personen getötet und mehr als 30 Personen verletzt wurden, als der schlimmste Gewaltausbruch zwischen Konfessionsgruppen seit dem Jahr 2008 bezeichnet (vgl. Congressional Research Service, Lebanon: New Mikati Government Faces Challenges, 18.10.2021, S. 3). In den palästinensischen Flüchtlingslagern haben zwischen Oktober 2020 und April 2021 keine gewaltsamen Auseinandersetzungen stattgefunden (vgl. UN Security Council, Implementation of Security Council Resolution 1559, 22. April 2021, S. 7) oder waren jedenfalls so niedrigschwellig, dass darüber nichts bekannt wurde.
An der libanesisch-israelischen Grenze kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen israelischen Streitkräften und bewaffneten Gruppierungen (vgl. BAMF, Briefing Notes, Auszug Libanon, 9.8.2021, S. 8). Die allgemeine Zivilbevölkerung, erst recht die, die – wie die Klägerin im Falle einer Rückkehr – nicht in Grenznähe lebt, ist davon aber nicht betroffen. Auch für ein flächendeckendes Übergreifen des Syrienkonflikts auf den Libanon gibt es weiterhin keine Anhaltspunkte (vgl. UN Security Council, Report of the Secretary-General, Zeitraum 19.2.2020 – 16.6.2020).
Gleiches ist im Hinblick auf die innenpolitischen Proteste der vergangenen Jahre anzunehmen. Zwar haben die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Massenproteste in letzter Zeit auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften geführt, die teils als schwer zu bezeichnen waren (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 13). Unter anderem in Beirut und Tripoli kam es zuletzt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zum Teil zahlreiche Verletzte gefordert haben (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56; FAZ online v. 29.1.2021: „Not und Wut treiben die Libanesen auf die Straße“, www.faz.net; Spiegel online vom 27.01.2021: „Libanon – Dutzende Verletzte bei Protesten gegen Armut und Ausgangsbeschränkungen“, www.spiegel.de). Auch diese Auseinandersetzungen erreichen aber offensichtlich nicht die Schwelle einer ernsthaften individuellen Bedrohung der Klägerin (VG Potsdam, U.v. 18.6.2020 – 8 K 3961/17.A – juris Rn. 44 ff.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin den Protesten und den mit ihnen verbundenen Auseinandersetzungen nicht ausweichen könnte.
cc) Zuletzt drohen der Klägerin bei einer Rückkehr in das UNRWA-Einsatzgebiet im Libanon – auch unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Lage wie auch der persönlichen Umstände der Klägerin – keine menschenunwürdigen Lebensbedingungen.
Einer Rückkehr entgegenstehende menschenunwürdige Lebensbedingungen sind vorliegend nicht anzunehmen. Die Ausweisung der Klägerin in das UNRWA-Operationsgebiet (im Libanon) würde keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen.
Die im Libanon lebenden staatenlosen Palästinenser befinden sich zweifelsohne insgesamt in einer überwiegend prekären wirtschaftlichen Lage, die auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Situation im Libanon verstanden werden muss. Die allgemeine wirtschaftliche Situation des libanesischen Staates hat sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Während der Libanon 2015 noch als wirtschaftlich vergleichsweise gut situiert bezeichnet werden konnte, befindet sich das Land aktuell in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die zuletzt durch die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 nochmals verschärft wurde. Auch die andauernde COVID-19-Pandemie trägt zur weiteren Verschlechterung der Verhältnisse bei. Die Hälfte der libanesischen Bevölkerung lebt nunmehr an oder unter der Armutsgrenze (Tendenz steigend). Die Arbeitslosigkeit unter libanesischen Jugendlichen liegt derzeit bei ca. 21%, wobei jüngste Schätzungen auch von einer Arbeitslosigkeit von über 30% sprechen. Nachdem weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung existiert, sind die (Groß-)Familie sowie (ergänzend) karitative und religiöse Einrichtungen das wesentliche Element der sozialen Sicherung (Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 23). Diese Situation tangiert auch die Lebensverhältnisse der Palästinenser, die auch schon vor der Finanzkrise prekär waren. Nach Angaben des UNRWA aus dem Jahr 2016 hatte der Libanon den höchsten Anteil palästinensischer Flüchtlinge, die in Armut leben würden. Die schlechten Lebensumstände von dauerhaft im Libanon ansässigen palästinensischen Flüchtlingen verschärften sich zusätzlich mit der Ankunft von Flüchtlingen aus Syrien, die ebenfalls in die Lager gezogen sind, (vgl. Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Libanon: Situation in palästinensischen Flüchtlingslagern, Situation von Frauen, S. 2).
Die in den Flüchtlingslagern vom UNRWA lebenden staatenlosen Palästinenser sind insoweit zum Teil mit sehr schwierigen Bedingungen konfrontiert, die durch schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut und mangelnden Zugang zur Justiz geprägt sind (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56; Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 12). Die Fläche, die den zwölf offiziellen Flüchtlingslagern zugeteilt wurde, hat sich seit 1948 trotz einer Vervielfachung der Bevölkerung auch nur geringfügig verändert (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 56); eine Überbelegung ist die Folge. Die Infrastruktur, die sanitären Anlagen sowie die Wohnverhältnisse in den Lagern werden vom UNRWA selbst als mangelhaft bezeichnet (UNRWA, Protection Brief, September 2020, S. 2). Für die Lagerbewohner bestehen nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Wohnverhältnisse zu verbessern. Dies wird vom UNRWA auf wirtschaftliche Gründe, aber auch auf Beschränkungen der libanesischen Behörden für den Transport von Baumaterialien in und aus den Flüchtlingslagern zurückgeführt (UNRWA, Protection Brief, September 2020, S. 2). Alle Lager sind weiterhin massiv von Hilfeleistungen des chronisch unterfinanzierten UNRWA abhängig. Auch für ihre Schulbildung und Gesundheitsversorgung hängt die Bevölkerung der UNRWA-Lager ausschließlich vom UNRWA bzw. von Hilfeleistungen anderer Nichtregierungsorganisationen ab. Die schlechte Finanzierungslage vom UNRWA hat sich seit Mitte 2018 zuletzt durch die massiven Kürzungen der US-Unterstützung weiter zugespitzt. Für das Jahr 2020 arbeitete UNRWA in allen fünf Operationsgebieten (dem Libanon, Jordanien, Syrien, Westjordanland und dem Gazastreifen) mit einer Budgetkürzung von 10% (Danish Immigration Service (DIS), Palestinian Refugees, Access to Registration and UNRWA Services, Documents and Entry to Jordan, Juni 2020, S. 26). Für 2021 plante UNRWA für alle Operationsgebiete mit einem nochmals gekürzten Budget (2020: 1,116 Mrd. USD; 2021: 1,081 Mrd. USD, vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an VG Würzburg, 9.9.2020, S. 4). Die Budget-Einsparungen wurden u.a. durch eine Reduzierung des UNRWA-Personals in allen Operationsgebieten, eine Kürzung der Investitionen in die Infrastruktur und eine Erhöhung der Größe der Klassen in den UNRWA-Schulen erreicht (Auswärtiges Amt (AA), Beantwortung der Anfrage des VG Würzburg v. 2.3.2021, S. 4).
Dennoch leistet das UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlingen – d.h. auch der Klägerin und ihrer Familie – weiterhin grundlegende Unterstützung, welche die Grund- und Berufsausbildung, die medizinische Grundversorgung, Hilfs- und Sozialdienste, die Verbesserung der Infrastruktur und der Lager, Mikrofinanzierung sowie Notfallmaßnahmen (auch im Rahmen bewaffneter Konflikte) inklusive Zahlungen von Tagessätzen zur Lebensunterhaltung umfassen (US-Außenministerium, Country Report on Human Rights Practices 2020 – Lebanon, 30.3.2021, S. 33 f., Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 53; zur Zahlung von Tagessätzen: Deutsches Orient-Institut, Auskunft an VG Würzburg, S. 3). Die Behandlungskosten für mit Covid-19 hospitalisierte palästinensische Flüchtlinge werden durch die palästinensische Botschaft und das UNRWA übernommen (BAMF, Länderreport 32 – Libanon, Dezember 2020, S. 11; UNRWA, Health department annual report 2019, S. 8). Nach Auskunft des UNRWA-Generalkommissars führten die Budgetkürzungen zu keinem Zeitpunkt zu einer Unterbrechung der Dienstleistungserbringungen durch das UNRWA (Auswärtiges Amt (AA), Beantwortung der Anfrage des VG Würzburg v. 2.3.2021, S. 4). Trotz des damit verbundenen gravierenden Finanzierungsdefizits erbringt das UNRWA für die Palästina-Flüchtlinge im Libanon weiterhin wesentliche Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verbesserung der Lager, Hilfs- und Sozialdienste (Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt – Libanon, 31.10.2021, S. 53).
Es liegt damit auf der Hand, dass den Schutz und Beistand des UNRWA im Libanon genießende staatenlose Palästinenser überwiegend prekären Verhältnissen in den UNRWA-Lagern ausgesetzt sind und dass das Leben dieser Bevölkerungsgruppe auch außerhalb der Lager von teils gravierender Armut geprägt ist. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die andauernde Wirtschaftskrise im Libanon sowie die Auswirkungen der globalen COVID-19-Pandemie höchstwahrscheinlich zu einer weiteren Verschlechterung der bereits angespannten wirtschaftlichen Lage sämtlicher Bewohner des Libanon geführt haben (Staatbankrott).
Gleichwohl tragen die vorliegenden Informationen nicht die weitergehende Einschätzung, dass alle staatenlosen Palästinenser im Libanon, die den Schutz und Beistand des UNRWA in Anspruch nehmen, unabhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalls mit menschenunwürdigen Lebensbedingungen konfrontiert sind, sie also ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach zu finden vermögen oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse ist vielmehr davon auszugehen, dass angesichts der vom UNRWA weiterhin geleisteten Hilfe (u.a. medizinische Grundversorgung, Schuldbildung, Wohnraum, Zahlung von Tagessätzen und Lebensmittelhilfen) derartige menschenunwürdigen Lebensverhältnisse, die im Einzelfall eine Rückkehr unzumutbar machen könnten, nur bei Hinzutreten weiterer individueller Merkmale und Umstände im Einzelfall drohen.
Etwas gelindert werden dürfte die angespannte Situation zudem zukünftig auch dadurch, dass die Regierung von US-Präsident Joe Biden die Palästinenser nunmehr mit 235 Mio. USD unterstützen und damit einen Teil der von der vormaligen US-Regierung gestrichenen Hilfe wiederherstellen will, wobei zwei Drittel davon an das UNRWA gehen sollen, das – wie oben bereits ausgeführt – seit dem Verlust von 360 Mio. USD an US-Mitteln im Jahr 2018 in eine finanzielle Krise geraten ist.
Gefahrerhöhende Umstände oder Merkmale, die nach den Umständen des Falles die Feststellung rechtfertigen würden, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in den Libanon und das dortige UNRWA-Operationsgebiet gleichwohl unzumutbare Lebensbedingungen drohen, sind nach Überzeugung des Gerichts im Ergebnis nicht gegeben.
Auch unter Berücksichtigung der prekären Verhältnisse im UNRWA-Operationsgebiet sowie der schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Lage im Libanon (insbesondere nach der Meldung des Staatsbankrotts), davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in das UNRWA-Operationsgebiet im Libanon ihre elementaren Bedürfnisse und ihr Existenzminimum betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung mit Unterstützung ihres familiären Netzwerkes (Die Klägerin gab in der mündlichen Verhandlung vom … … … an, neun Geschwister und mindestens sechs Halbbrüder sowie die Großfamilie im Libanon zu haben; ihr Ehemann habe acht Geschwister und die Großfamilie) und dem für registrierte staatenlose Palästinenser zur Verfügung stehenden Hilfsleistungen von UNRWA sichern können. Dies gilt insbesondere auch für den Fall einer Rückkehr im Familienverband zusammen mit den noch anderweitig in Asylverfahren befindlichen weiteren Mitgliedern der Kernfamilie und hier insbesondere zusammen mit dem an frühkindlichem Autismus erkrankten jüngsten Kind.
Der Ehemann der Klägerin ist zwar gesundheitlich beeinträchtigt, kann aber laut ärztlicher Empfehlung trotzdem leichte Tätigkeiten ausführen. Vor der Ausreise aus dem Libanon war es ihm auch gelungen den Lebensunterhalt der Familie (und damit auch der Klägerin) zu sichern. Darüber hinaus sind die meisten der Kinder mittlerweile in einem arbeitsfähigen Alter. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass die Familie der Klägerin durch die Großfamilie – genauso wie vor der Ausreise – unterstützt wird.
Der Klägerin drohen auch nicht aus gesundheitlichen oder humanitären Gründen menschenunwürdige Bedingungen. Die humanitären Dienste des UNRWA umfassen auch den Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt Libanon, 31.10.2021, S. 53; Auswärtiges Amt (AA), Lagebericht – Libanon, 17.12.2021, S. 24). Auch im Hinblick auf die individuelle gesundheitliche Situation des Klägers liegen keine zwingenden humanitären Gründe im Sinne der insoweit anzulegenden Rechtsprechung des EGMR vor (vgl. zum anzulegenden Maßstab im Rahmen von Art. 3 EMRK auch BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 20 ZB 17.30873 – juris Rn. 15 m.w.N.) vor. Von menschenunwürdigen Lebensbedingungen kann nicht schon dann gesprochen werden, wenn eine Heilung eines Krankheitszustandes eines Palästinensers im Einsatzgebiet des UNRWA nicht zu erwarten ist; eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise drohen (vgl. zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG OVG Münster, U.v. 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 32 f.). Die Beurteilung, ob eine solche Gefahr vorliegt, erfordert eine individuelle Prüfung insbesondere anhand des konkreten Krankheitsbildes, der Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung, der Gesamtkonstitution des Ausländers, seiner individuellen Situation und der benötigten Medikamente (OVG Münster, B.v. 5.5.2017 – 13 A 198/17.A – juris Rn. 11).
Die Glaubhaftmachung von zwingenden humanitären Gründen setzt nach ständiger Rechtsprechung qualifizierte ärztliche Bescheinigungen voraus, die insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Diagnose, den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Dazu gehören etwa Aussagen dazu, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art der Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden (OVG NW, B.v. 11.8.2021 – 1 A 73/20.A – juris Rn. 21). Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (OVG NW, U.v. 10.12.2020 – 19 A 2379/18 – juris Rn. 87 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 1 ZB 18.33263 – juris Rn. 3; OVG Bremen, B.v. 12.11.2018 – 2 LA 60/18 – juris Rn. 7).
Daran gemessen wird hinsichtlich der Klägerin durch das fachärztliche Attest vom … … … (Dr. med. …*) keine Erkrankung dargelegt, die bei einer Rückkehr in den Libanon alsbald eine lebensbedrohliche Situation begründen könnte. Ausweislich des Attests hat man bei der Klägerin eine Schilddrüsenerkrankung (Struma multinodosa), Eisenmangelanämie und Leukopenie diagnostiziert. Die Schilddrüsenerkrankung sei seit Jahren bekannt. Die empfohlene Feinnadelpunktion hat die Klägerin (bislang) nicht durchführen lassen. Laborchemische Blutuntersuchungen sind nach der Erkenntnislage auch für staatenlose Palästinenser im UNRWA-Einsatzgebiet möglich. Eisenpräparate dürften auch vorhanden sein.
Ebenfalls keine zwingenden humanitären Gründe bestehen – wie das Gericht bereits im Urteil vom … … … ausgeführt hat – nach Überzeugung des Gerichts im Hinblick auf den am … … … geborenen Sohn der Klägerin (.*). Die ausweislich des fachärztlichen Attests vom … … … (. …*) bei ihm diagnostizierte Neurofibromatose Typ 1 handelt es sich – wie auch bei der diagnostizierten ADHS – um eine nicht heilbare Erkrankung. Es ist daher nicht vom Vorliegen lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, auszugehen. Dies gilt auch für die – im Übrigen auch unzureichend abgeklärte und attestierte – Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik.
Schließlich drohen der Klägerin im Libanon auch wegen der Erkrankung ihres jüngsten, am … … … geborenen Kindes (.*) keine menschenunwürdigen Bedingungen. Ausweislich der vorgelegten fachärztlichen Atteste (erstellt am … … … und … … … durch das … …*) wurde beim Kind frühkindlicher Autismus diagnostiziert. Dem vorgelegten Förder- und Therapieplan vom … … ist ferner zu entnehmen, dass das Kind aktuell Heilpädagogik, Logopädie und Ergotherapie bekomme. Dies sei zur Förderung der Entwicklung des Kindes absolut notwendig. Zwar handelte es sich bei dem diagnostizierten Autismus um einen schwerwiegenden Gesundheitszustand, die Klägerin hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass sich die an sich unheilbare Erkrankung im Falle einer Rückkehr in den Libanon alsbald wesentlich verschlimmern würde. Eine solche beachtlich wahrscheinliche Gefahr lässt sich den vorgelegten Berichten nicht entnehmen.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG (der von der Ausschlussklausel in § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht erfasst ist), weil ihm bei einer Rückkehr in den Libanon und ins Einsatzgebiet des UNRWA kein ernsthafter Schaden droht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
3. Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt kann die Klägerin auch nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Libanons beanspruchen.
Beim (nationalen) Abschiebungsschutz handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren möglichen Anspruchsgrundlagen. Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote ist daher nicht möglich (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 17; SächsOVG, U.v. 3.7.2018 – 1 A 215/18.A – juris Rn. 23).
3.1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine individuell drohende Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist hinsichtlich des Klägers im Einsatzgebiet von UNRWA im Libanon jedoch – wie bereits ausgeführt – nicht gegeben. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei allgemeinen Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (§ 3c AsylG) fehlt, wenn zwingende humanitäre Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung gegen die Abschiebung sprechen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 25). Das ist – wie bereits ausgeführt – im Einsatzgebiet des UNRWA im Libanon nicht der Fall.
3.2. Ferner besteht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine derartige Gefahr besteht – wie bereits ausgeführt – weder aufgrund des Gesundheitszustands der Klägerin (und ihrer Familienangehörigen, mit denen sie nach allgemeiner Erfahrung zusammen zurückkehren würde) noch aufgrund der humanitären Verhältnisse, die sie im Falle einer Rückkehr vorfinden würde.
Die Tatsache, dass die Lebensverhältnisse im Libanon für einen großen Teil der Bevölkerung prekär sind, stellt für sich allein keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Eine extreme Gefahrenlage im obigen Sinne bestünde lediglich dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Maßstab BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 20). Dies ist bei der Klägerin trotz der für staatenlose Palästinenser häufig prekären Lebensverhältnisse im Libanon – wie bereits ausgeführt – nicht der Fall. Die Klägerin kann mit Unterstützung durch das UNRWA und weitere Hilfsorganisationen sowie durch die Mitglieder der Groß- und Kernfamilie (auch bei der Betreuung der kranken Kinder) rechnen und ist im Übrigen als gelernte Schneiderin auch selbst im Stande, durch eigene Arbeitsleistung wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen, und damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Ein anderes Ergebnis ist auch nicht unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie festzustellen. Die Gefahr, an einer COVID-19-Infektion zu erkranken, ist im Libanon und dem dortigen UNRWA-Operationsgebiet eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung und damit auch die Bevölkerungsgruppe, der die Klägerin angehört, allgemein ausgesetzt ist, so dass diese Gefahr aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. u.a. VG München, U.v. 28.1.2021 – M 8 K 19.31382 – Rn. 32 ff. m.w.N.). In solchen Konstellationen kann Abschiebungsschutz in Form eines individuellen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nur dann gewährt werden, wenn der Ausländer im Abschiebezielstaat (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls) mit hoher Wahrscheinlichkeit landesweit einer extrem zugespitzten Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Mit anderen Worten: der betroffene Ausländer im Fall seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre (vgl. BVerwG, U.v. 12.07.2001 – 1 C 5/01 – juris Rn. 16; U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 16 m.w.N.; U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 19). Eine solche individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist gegenwärtig für die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus im Libanon sowie in den dortigen UNRWA-Flüchtlingslagern nicht erkennbar. Die Klägerin ist in ähnlicher Weise wie andere Personen im Libanon in Gefahr, nach einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus an COVID-19 zu erkranken.
Ferner hat es jeder Einzelne in Teilen auch selbst in der Hand, sich und andere durch die Verwendung von Gesichtsmasken und – soweit möglich – durch die Einhaltung von Abstandsmaßnahmen zu schützen, sodass nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin in ihrer Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit dem Virus infizieren, einen schweren Krankheitsverlauf erleiden und infolgedessen in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten oder eine schwere Beeinträchtigung oder gar einen tödlichen Verlauf erleiden würde. Die Klägerin muss sich überdies – genauso wie bei anderen Erkrankungen – gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten vor Ort behelfen (vgl. VG München, U.v. 28.01.2021 – M 8 K 19.31382 – Rn. 32 ff.; VG Würzburg, B.v. 17.4.2020 – W 8 S 20.30448 – juris Rn. 23 m.w.N.).
3.3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG.
Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel nicht als allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG einzustufen, sondern als individuelle Gefahr, die am Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 ff. v. 11.3.2016) die Sätze 3 bis 5 des § 60 Abs. 7 AufenthG eingefügt. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 3). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 4) und schließlich liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 5). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (stRspr zu § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG, vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – DVBl 2003, 463; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 105, 383 m.w.N.). Wie bereits dargelegt, ist hinsichtlich der Klägerin nicht von einer solchen erheblichen konkreten Gefahr auszugehen.
4. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig, weil sie den Anforderungen der §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG entspricht.
5. Rechtliche Bedenken gegen das gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehen nicht.
6. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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