Verwaltungsrecht

Höhe des vorläufigen Einbehalts von Dienstbezügen

Aktenzeichen  16a DS 19.1872

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32480
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 3, Art. 39 Abs. 2 S. 1, Art. 61 Abs. 1, Abs. 2, Art. 72 Abs. 4, Art. 73 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Wenn der Beamte sich auch eine gewisse Einschränkung seiner Lebenshaltung als Folge der vorläufigen Dienstenthebung gefallen lassen muss, darf die Einbehaltung wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen oder nicht wiedergutzumachenden Nachteilen führen. Die dem Beamten und seiner Familie nach der disziplinarrechtlichen Einbehaltungsanordnung für den Lebensunterhalt verbleibenden Einkünfte müssen einen Mindestabstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau von 15% aufweisen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 13b DS 18.2517 2019-08-26 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1. Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. August 2019 hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß Art. 61 Abs. 1 BayDG auf Aussetzung der Einbehaltung von 5% der Bezüge des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S.d. Art. 61 Abs. 2 BayDG an der Rechtmäßigkeit der Verfügung der Disziplinarbehörde vom 4. Juli 2017 in der Fassung vom 6. Dezember 2018, mit der gegenüber dem Antragsteller gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 1 BayDG die Einbehaltung von 5% seiner Bezüge angeordnet wurde.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller in erster Linie gegen die Höhe des Einbehaltungssatzes von 5%. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Disziplinarbehörde ihr pflichtgemäßes Ermessen hinsichtlich der Bestimmung der Höhe der Einbehaltungsquote rechtmäßig ausgeübt hat.
a. Diese Ermessensentscheidung kann vom Gericht nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüft werden. Es ist insoweit insbesondere zu überprüfen, ob die Einleitungsbehörde der ihr obliegenden Verpflichtung ausreichend Rechnung getragen hat, ihr Ermessen zweckgerecht und unter Wahrung der bestehenden Grenzen auszuüben (vgl. Art. 40 BayVwVfG). Da anderenfalls für das Gericht nicht erkennbar wird, von welchen Tatsachen die Behörde ausgegangen und ob das Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden ist, muss die Ermessensentscheidung – wie vorliegend erfolgt – begründet worden sein. Die Einbehaltung von Teilen der Bezüge hat sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie am Grundsatz der angemessenen Alimentation eines Beamten und der Fürsorge ihm gegenüber zu orientieren. Bei der Festsetzung der Einbehaltungsquote muss die Einleitungsbehörde von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beamten ausgehen, wie ihr diese aufgrund von ihr anzustellenden Ermittlungen unter Mitwirkung des Beamten im Zeitpunkt der Einbehaltungsanordnung bekannt sind. Sie ist von Amts wegen zu fortlaufender Prüfung verpflichtet, ob sich Umstände geändert haben, die für die Einbehaltung dem Grunde oder der Höhe nach von Bedeutung wären, und sie ist gegebenenfalls berechtigt oder gar verpflichtet, eine ursprünglich getroffene Anordnung zu ändern. Sie muss die konkreten Umstände des Einzelfalles berücksichtigen, unter denen der Beamte seinen Haushalt zu führen und seine Einnahmen in Form der ihm zustehenden Dienstbezüge aufzuteilen hat. Bei der notwendigen Gesamtbetrachtung sind die laufenden Einkünfte dem Bedarf gegenüberzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 16a DS 09.3252 – juris Rn. 76; B.v. 6.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Wenn der Beamte sich auch eine gewisse Einschränkung seiner Lebenshaltung als Folge der vorläufigen Dienstenthebung gefallen lassen muss, darf die Einbehaltung wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen oder nicht wiedergutzumachenden Nachteilen führen (BVerwG, B.v. 28.10.1985 – 1 DB 46.85 – juris Rn. 7, 11 f.). Der Beamte muss auch nach der Einbehaltung in der Lage sein, seinen notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Einleitungsbehörde verletzt die Alimentationspflicht und überschreitet deshalb die Grenze des ihr von Art. 39 Abs. 2 Satz 1 BayDG eingeräumten Ermessens jedenfalls dann, wenn der dem Beamten nach der Einbehaltungsanordnung für den Lebensunterhalt verbleibende Betrag nur dem Regelsatz der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder der Grundsicherung im Alter (früher Sozialhilfe, vgl. § 20 Abs. 1 SGB II und § 42 Nr. 1 SGB XII) entspricht oder keinen hinreichenden Abstand zu diesem wahrt (BVerwG, B.v. 22.5.2000 – 1 DB 8.00 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 16a DS 09.3252 – juris Rn. 76). Die Frage, ob die gekürzten Dienstbezüge des Beamten einen hinreichenden Abstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau wahren, lässt sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur absoluten Untergrenze der Nettoalimentation (vgl. BVerwG, B.v. 22.9.2017 – 2 C 56.16 – juris Rn. 146; BVerfG, B.v. 17.11.2015 – 2 BvL 19/09 u.a. – BVerfGE 140, 240 – juris Rn. 93; BVerfG, B.v. 24.11.1998 – 2 BvL 26/91 – BVerfGE 99, 300 – juris Rn. 57) dahingehend beantworten, dass die dem Beamten und seiner Familie nach der Einbehaltungsanordnung für den Lebensunterhalt verbleibenden Einkünfte einen Mindestabstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau von 15% aufweisen müssen. Nach Auffassung des Senats gilt die „15%-Regelung“ auch im Disziplinarrecht, weil dort die Frage nach der Amtsangemessenheit der (gekürzten) Alimentation nicht anders beantwortet werden kann als im allgemeinen Besoldungsrecht (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 16a DS 19.1040 – juris Rn. 16).
b. Gemessen daran lassen die sich aus der Gegenüberstellung der anrechenbaren Einnahmen und der zum alimentationserfassten Bedarf gehörenden Aufwendungen ergebenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers eine Kürzung der Bezüge um 5% zu.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, in welcher Höhe die Kosten für Heizöl und Treibstoff (Benzin) anzurechnen und ob die Ratenzahlungen an die Landesjustizkasse in Höhe von 200 € (betrifft eine Geldstrafe) berücksichtigungsfähige Aufwendungen sind.
(1) Der Antragsgegner hat seiner Entscheidung über den Einbehalt monatliche Kosten für den Erwerb von Heizöl in Höhe von 100 € zugrunde gelegt. Das erscheint deshalb ermessensfehlerhaft, weil sich aufgrund der vom Antragsteller im Disziplinarverfahren vorgelegten Heizölrechnungen (Bl. 411 bis 413 DA) und der im Beschwerdeverfahren als Anlage zum Schreiben vom 20. November 2019 vorgelegten Rechnung vom 19. November 2019 ein durchschnittlicher Bezug von ca. 2000 l jährlich ergibt. Auch das Verwaltungsgericht ist bei einer Alternativbetrachtung von dieser Menge ausgegangen (Bl. 24 UA). Ausgehend von dem Rechnungsbetrag für die im November dieses Jahres bezogenen 2008 l Heizöl, ist danach von einer gegenwärtigen monatlichen Belastung in Höhe von 118,37 € auszugehen (1.420,44 € : 12).
(2) Die Kosten für den Treibstoff (Benzin) hat der Antragsgegner ermessensfehlerfrei mit 100 € in die Aufwandsberechnung eingestellt. Dem Antragsteller, gegen den ein förmliches Disziplinarverfahren mit dem Ziel, ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, eingeleitet worden ist, ist zuzumuten, dass er sich in seiner Lebenshaltung Einschränkungen auferlegt. Insoweit weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass sich der Antragsteller mit seiner Verlobten bezüglich des Pkws abstimmen und ggf. einschränken muss. Dies gilt v.a. deshalb, weil der Antragsteller keinen besonderen persönlichen Bedarf (z.B. Nebenbeschäftigung) für die Nutzung des Pkw dargelegt hat. Die Erwägung des Antragsgegners, dass der Ansatz von 100 € Benzinkosten auch unter Berücksichtigung der Familiensituation (Familie mit zwei Kindern) angemessen ist, ist daher nicht zu beanstanden. Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr hat der Antragsteller bislang nicht nachgewiesen. Eine Pauschale nach Ziffer 7003 VV-RVG liegt ersichtlich neben der Sache. Nach dieser Bestimmung betragen die Fahrtkosten für eine Geschäftsreise bei Benutzung des eigenen Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer 0,30 €. Mit den Fahrtkosten sind die Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten sowie die Abnutzung des Kraftfahrzeugs abgegolten. Zum einen betrifft die Regelung die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, zum anderen sind bei der eingangs geschilderten Gesamtbetrachtung nur tatsächliche Aufwendungen zu berücksichtigen. Eine pauschale Bestimmung, die zudem Aufwendungen in der Vergangenheit (Anschaffung des Fahrzeugs etc.) berücksichtigt, verhält sich nicht zu dem tatsächlichen Bedarf im Zeitpunkt der Einbehaltungsanordnung bzw. der gerichtlichen Überprüfung.
(3) Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass monatliche Raten in Höhe von 200 € (vgl. Ratenbewilligungsbescheid vom 19.6.2018, Bl. 376 DA – Restschuld zu diesem Zeitpunkt: 21.303,63 €) für das dem Disziplinarverfahren zugrundeliegende Strafverfahren (Vorsätzliche Körperverletzung, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, vorsätzlicher Besitz verbotener Waffen mit unerlaubten Munitionsbesitz) bei der Ermittlung des Einbehaltungsbetrages zu berücksichtigen sind (bejahend, wenngleich ohne Begründung: BVerwG, B.v. 26.4.1978 – 1 DB 11.78 – juris Rn. 17). Da es allein darauf ankommt, ob die gekürzten Dienstbezüge des Beamten einen hinreichenden Abstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau aufweisen, kann eine Berücksichtigung von – unstreitig erfolgten – tatsächlichen Aufwendungen nicht davon abhängen, ob diese im unmittelbaren Zusammenhang mit dem als Dienstvergehen bewerteten Verhalten stehen (a.A. Zängl in Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 19, Art. 39 Rn. 38). Der Antragsgegner hat die Aufwendung damit ermessensfehlerhaft nicht in die Gesamtbetrachtung eingestellt.
(4) Nicht mehr berücksichtigt werden können hingegen die Ratenzahlungen an den Bevollmächtigten des Antragstellers. Die Vorschussrechnung vom 4. Mai 2017 (Bl. 129 DA) weist einen zu zahlenden Betrag i.H.v. 1.969,45 € aus, der ab dem 1. Juni 2017 in monatlichen Raten beglichen werden soll. Danach ist der zu zahlende Betrag bereits im März 2018 abbezahlt worden.
(5) Die im Jahr 2019 eingetretenen Veränderungen bei den Aufwendungen für Strom, Wasser, Kfz-Steuer und Versicherungen allgemein hat der Senat – wie angegeben – berücksichtigt.
(6) Insgesamt sind daher die nachfolgend tabellarisch aufgelisteten monatlichen Aufwendungen zu berücksichtigen:
Strom
100,37 €
Wasser
74,00 €
Öl
118,37 €
Darlehen für Haus
700,00 €
Grundsteuer
70,00 €
Kfz-Steuer
48,00 €
Kfz-Haftpflicht
54,78 €
Spritkosten
100,00 €
Telefon und Internet
55,00 €
Rundfunkgebühr
17,50 €
Krankenversicherung
298,80 €
Unfallversicherung
65,44 €
Rechtsschutz-V.
30,60 €
Privathaftpflicht-V., Hundehalter-Haftpflicht-V. und Hausrat-V.
31,54 €
Schuldenkredit Motorrad
231,50 €
Raten Justiz
200,00 €
Gesamt
2.195,90 €
(7) Dem Antragsteller verbleibt nach Abzug der anzuerkennenden Verbindlichkeiten nach Vornahme des Einbehalts ein monatlicher Betrag von mindestens 670,13 € (2.866,03 € abzgl. 2.195,90 €). Dieser Betrag übersteigt den um 15% erhöhten Regelsatz der Grundsicherung (424 € = Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 424 €, vgl. § 20 Abs. 1a SGB II i.V.m. der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2019 – BGBl 2018, 1766) in Höhe von 487,60 € (424 € zzgl. 15%) und ist deshalb nicht zu beanstanden.
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf Art. 72 Abs. 4 BayDG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtsgebühren werden gemäß Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG nicht erhoben.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 VwGO).


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