Verwaltungsrecht

Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlagen

Aktenzeichen  22 ZB 16.7

Datum:
19.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45503
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 III 1 Nr. 3
VwGO § 108 I 1
BayBO Art. 82, 83

 

Leitsatz

1. Die Grenzen richterlicher Überzeugungsbildung sind überschritten, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die zügige Durchführung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens für eine Windkraftanlage ist rechtlich geboten. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 K 14.2102 2015-10-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich als Eigentümer eines Wohnhauses gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von fünf Windkraftanlagen auf einem bewaldeten Höhenrücken („G… K…“) in der Gemarkung P…. Diese Genehmigung wurde vom Landratsamt S… unter dem Datum des 14. November 2014 erteilt. Das klägerische Wohnanwesen ist ca. 1.900 m von der nächstgelegenen Windkraftanlage entfernt. Die Kläger erhoben Drittanfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg, die erfolglos blieb (Urteil vom 9.10.2015). Die Kläger haben die Zulassung der Berufung beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Beiladung: Die Veräußerung oder Abtretung der streitbefangenen Genehmigung nach Rechtshängigkeit hat grundsätzlich auf den Prozess keinen Einfluss (§ 173 VwGO, § 265 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO). Im vorliegenden Fall will die Beigeladene den Rechtsstreit fortsetzen, die – nicht beantragte – zusätzliche Beiladung der Erwerberin ist nicht erforderlich (§ 173 VwGO, § 325 Abs. 1 ZPO).
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die insoweit maßgeblichen Darlegungen der Kläger, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), lassen den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) nicht hervortreten. Zu den ebenfalls angesprochenen Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmängel) liegen keine spezifischen Darlegungen vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 124 Rn. 7 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (BVerfG, B. v. 8.12.2009 – 2 BvR 758/07 – NVwZ 2010, 634/641; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 62 f.). Gemessen an diesen Voraussetzungen ergeben sich aus dem Vortrag der Kläger keine ernstlichen Zweifel.
1. Lärmschutz:
Die Kläger machen geltend, durch den Betrieb der strittigen Windkraftanlagen würden zur Nachtzeit unzumutbare Lärmimmissionen hervorgerufen. Es dürfe nicht vom Immissionsort P… Straße … auf das Anwesen der Kläger geschlossen werden. Der Immissionsort P… Straße … liege zwar näher an den strittigen Windkraftanlagen als das klägerische Anwesen, aber im Gegensatz zu diesem nicht auf einer Anhöhe, die sich in gerader Linie zum „G… K…“ und zu den strittigen Windkraftanlagen befinde.
Das Verwaltungsgericht hat sich dazu auf eine Stellungnahme des Umweltingenieurs des Landratsamts vom 19. Januar 2015 gestützt, wonach sich die Höhe der Pegel im Wesentlichen aus der Entfernung zur Schallquelle ergebe. Ob der Immissionsort dabei auf einem Hang oder in der Ebene liege, spiele keine Rolle. Der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) für ein allgemeines Wohngebiet während der Nachtzeit werde um mindestens 7 dB(A) unterschritten. Das Verwaltungsgericht stellte zusätzlich fest, dass es während der Nachtzeit keine Lärmvorbelastungen gebe.
Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts sind nachvollziehbar; die Kläger setzen sich damit nicht näher auseinander. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich hieraus nicht.
2. Rücksichtslose optisch bedrängende Wirkung:
Die Kläger meinen, trotz einer Entfernung ihres Anwesens zur nächstgelegenen Windkraftanlage (WKA 3) von 1.900 m müsse von rücksichtsloser optisch bedrängender Wirkung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB) ausgegangen werden, weil die strittigen Windkraftanlagen auf einer exponierten Anhöhe errichtet würden und nicht durch umgebende Hügel verdeckt würden. Es sei davon auszugehen, dass diese Windkraftanlagen den Standort um 300 m überragen würden und in Ermangelung anderer störender Anlagen unnatürlich dominant seien. Das klägerische Anwesen liege zudem auf einer Anhöhe und sei gerade in Richtung auf den „G… K…“ ausgerichtet. Aus nahezu jedem Fenster des Hauses der Kläger sei der Blick auf die strittigen Windkraftanlagen gegeben.
Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, es treffe zu, dass die strittigen Windkraftanlagen durch ihre erhöhte Lage gegenüber dem Anwesen der Kläger noch höher, noch dominanter wirken würden. Wenn man dies durch Einrechnung der Höhendifferenz in die Gesamthöhe der strittigen Windkraftanlagen berücksichtige, betrage der Abstand zum klägerischen Anwesen aber immer noch ca. das Siebenfache. Wenn schon dann, wenn der Abstand das Dreifache der Gesamthöhe der strittigen Windkraftanlagen betrage, eine rücksichtslose optisch bedrängende Wirkung regelmäßig zu verneinen sei, dann falle bei einem siebenfachen Abstand nicht mehr ins Gewicht, dass das Anwesen der Kläger in Richtung der strittigen Windkraftanlagen ausgerichtet sei.
Die klägerische Darlegung vermag die gerichtliche Würdigung der optisch bedrängenden Wirkung als zumutbar nicht ernstlich infrage zu stellen. Es handelt sich hier um einen Fall von richterlicher Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die Klägerseite hat nicht dargelegt, dass die Grenzen richterlicher Überzeugungsbildung überschritten werden. Dies wäre nur der Fall, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausginge, namentlich Umstände überginge, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich wäre, gegen die Denkgesetze verstoßen oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachten würde (vgl. BayVGH, B. v. 14.3.2013 -22 ZB 13.103/104 – Rn. 11 m. w. N.). Dies ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht.
Hieran würden auch die Art. 82, 83 BayBO n. F., so sie denn anwendbar wären, nichts ändern. Bei dieser Regelung darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Art. 82 BayBO n. F. lediglich die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB entfallen lässt, aber die Genehmigungsfähigkeit nach § 35 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB (schädliche Umwelteinwirkungen, Gebot der Rücksichtnahme) auch im Hinblick auf optisch bedrängende Wirkungen unberührt lässt.
3. Schattenwurf:
Die Kläger meinen, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Regelungen zum Schutz vor Schattenwurf einen besonderen Schutz vor Schattenwurf in den Wintermonaten hätten berücksichtigen müssen. Sie legen aber zumindest nicht dar, dass gerade sie ohne einen derartigen Schutz in ihren Rechten verletzt sein könnten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie zeigen nicht auf, dass sie selbst in ihrem Anwesen in den Wintermonaten überhaupt vom Schattenwurf der strittigen Anlagen betroffen wären. Der angefochtene Bescheid geht davon aus, dass dies nicht der Fall ist, und sieht folgerichtig schon deshalb von weitergehenden Schutzmaßnahmen für die Kläger ab. Nach den Antragsunterlagen, die Bestandteil der angefochtenen Genehmigung sind, soll die astronomisch maximal mögliche Schattenwurfdauer null Stunden im Jahr betragen (vgl. Shadow-Karte Bl. 495 der Akten, vgl. Berechnung für den Immissionsort 9 – P… Straße … – Bl. 467 der Akten). Dafür, dass für das höhergelegene und weiter entfernte klägerische Anwesen etwas anderes gelten könnte, fehlt es an Anhaltspunkten. Anlass für ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen also auch insofern nicht.
4. Sog. 10-H-Regelung:
Die Kläger meinen, die sog. 10-H-Regelung sei durch den vorzeitigen Erlass der angefochtenen Genehmigung zu ihren Lasten widerrechtlich umgangen worden. Dies trifft nicht zu.
Dem Landratsamt kann nicht mit Erfolg vorgehalten werden, es hätte mit der Entscheidung über die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung abwarten müssen, bis eine der Beigeladenen ungünstige Neuregelung in Kraft getreten ist. Die zügige Durchführung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist rechtlich nicht bedenklich, sondern vielmehr geboten (Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG im Allgemeinen, § 10 Abs. 6a BImSchG im Besonderen). Auf welche weiteren Klärungen das Landratsamt noch hätte warten sollen, legen die Kläger nicht dar. Dass auf eventuelle neue Erkenntnisse mit einer Bescheidsänderung reagiert wird, begegnet ebenfalls keinen Bedenken (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 16.4.2015 – 22 CS 15.476 – Rn. 15).
Kosten: § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.


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