Verwaltungsrecht

In den kurdischen Provinzen des Irak besteht für Minderheiten eine inländische Fluchtalternative

Aktenzeichen  Au 5 K 16.31366

Datum:
6.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3c Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

In den Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya in der Region Kurdistan-Irak, wie auch in anderen Gebieten, die unter der Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung durch die Terrormiliz IS geschützt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klagen werden abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid des Bundesamts vom 21. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG. Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Die Gefahr einer derartigen Verfolgung bei ihrer Rückkehr in den Irak haben die Kläger nicht glaubhaft gemacht.
Auch nach Anhörung der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergeben sich aus ihrem Vorbringen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sie den Irak aus begründeter Furcht vor Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale i.S. des § 3 AsylG verlassen haben. Die Kläger befürchten bei einer Rückkehr die Verfolgung durch den IS wegen ihrer yezidischen Glaubenszugehörigkeit. Sie sind jedoch nicht vorverfolgt aus dem Irak ausgereist. Nach Angaben der Klägerin zu 1 hatten weder sie noch ihre Familie bis zur Ausreise unter konkreten Verfolgungshandlungen oder Übergriffen zu leiden. Es habe auch keinerlei Einschränkungen für sie gegeben. Der Ehemann der Klägerin zu 1 lebt ebenso wie ihr Vater, ihr Bruder und die Großfamilie nach wie vor im Heimatort der Kläger, der Stadt … in der Provinz Dohuk. Wie die Klägerin zu 1, die in regelmäßigem telefonischen Kontakt mit ihrem Ehemann steht, bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung ausführte, waren weder ihr Ehemann noch die übrigen in … lebenden Familienmitglieder bisher konkreten Verfolgungshandlungen oder Übergriffen durch den IS ausgesetzt. Allein das allgemeine, nicht weiter sub-stantiierte Vorbringen, dass die Situation immer schwieriger werde, dass viele Leute den Ort verlassen würden und dass es Angriffe gegeben habe, reicht für die Annahme, dass die Kläger bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt wären, nicht aus. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in ihren Heimatort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, gibt es nach Auffassung des Gerichts unter Berücksichtigung der Auskunftslage nicht. In der Region Kurdistan-Irak, wie auch in anderen Gebieten, die unter der Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung durch die Terrormiliz IS geschützt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht, S. 9). Derzeit ist die Region Kurdistan-Irak (Provinzen Dohuk, Erbil und Su laymaniyah/Halabja) von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nachbarprovinzen nicht unmittelbar betroffen, auch wenn die Sicherheitslage angespannt ist (s. hierzu auch http: …www.auswaertiges-amt.de: Reise- und Sicherheitshinweise zum Irak, Stand: 13.09.2016). Die Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya in der Region Kurdistan-Irak gehören derzeit nicht zu den umkämpften und von Verfolgung durch die Terrormiliz IS betroffenen Gebieten. Vielmehr ist die Region Kurdistan-Irak nach wie vor Ziel innerirakischer Migration gerade auch von religiösen oder ethnischen Minderheitsangehörigen. Allein die Befürchtung der Kläger, in ihrer Heimatprovinz Übergriffen durch die Terrormiliz IS ausgesetzt zu sein, rechtfertigt vor diesem Hintergrund nicht die Annahme, dass ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung wegen ihrer Volks- oder Glaubenszugehörigkeit drohe. Es besteht somit kein Anspruch der Kläger auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i. S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Die Kläger haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt: Es ist nach Überzeugung des Gerichts nicht zu erwarten, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Irak Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) drohen könnten. Hierzu haben die Kläger auch nichts vorgetragen.
Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vor. Dabei kann die Frage, ob die im Irak stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten im Sinn von Art. 1 Nr. 2 ZP II oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, dahinstehen, weil die Kläger bei einer Rückkehr keiner individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Es fehlt an einer Verdichtung allgemeiner Gefahren in der Person der Kläger, die Voraussetzung für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen erreicht in der Region Kurdistan-Irak der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt kein so hohes Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 6 ff.). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten internationalen Konflikts in der Person der Kläger führen, haben diese nicht vorgetragen.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Ergänzend zum Bescheid des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) wird ausgeführt: Anhaltspunkte dafür, dass bei Abschiebung der Kläger in den Irak eine Verletzung des Art. 3 EMRK drohe, die die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigen könnte, gibt es nicht. Die Kläger können in ihren Heimatort in Kurdistan zurückkehren. Dort leben der Ehemann bzw. Vater der Kläger sowie noch weitere Familienmitglieder. Auch wenn der Ehemann der Klägerin zu 1 keinen festen Arbeitsplatz hat, ist zu erwarten, dass die Großfamilie jedenfalls das zum Überleben notwendige Existenzminimum der Kläger sicherstellen kann.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine er 20 hebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 -BVerwGE 140, 319 Rn. 23). Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 (Az. IA-2086.10-439), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter sind oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erlasslage hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren erfasst werden, sind nicht ersichtlich bzw. von den Klägern nicht vorgetragen.
4. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate nach der Abschiebung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Bemessung der Frist beruht auf zutreffenden Ermessenerwägungen, denen die Kläger auch nicht entgegengetreten sind.
5. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).


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