Verwaltungsrecht

Inanspruchnahme von Grundstücken durch vorzeitige Besitzeinweisung

Aktenzeichen  8 CS 19.1145

Datum:
30.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1176
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FStrG § 18f Abs. 1 S. 1, S. 2, § 19 Abs. 5
BayEG Art. 28, Art. 39 Abs. 7

 

Leitsatz

Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 S 19.398 2019-05-21 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.109,73 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Inanspruchnahme von Teilflächen eines in seinem Eigentum stehenden Grundstücks im Wege vorzeitiger Besitzeinweisung für die Umsetzung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses der Regierung von Oberfranken vom 17. Dezember 2017, der den sechsstreifigen Ausbau der Bundesautobahn A 3 im Abschnitt Aschbach bis östlich Schlüsselfeld vorsieht.
Der Antragsteller hat gegen den mit Bescheid vom 11. April 2019 zugunsten der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Autobahndirektion Nordbayern, erlassenen Besitzeinweisungsbeschluss des Landratsamts Bamberg Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Besitzeinweisungsbeschluss erhobenen Klage anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.
Im Beschwerdeverfahren verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage gegen den Bescheid vom 11. April 2019 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Insbesondere fehlt dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht das Rechtschutzbedürfnis, obwohl das Landratsamt mit Bescheid vom 12. Juli 2019 die gemäß § 18f Abs. 6a Satz 1 FStrG kraft Gesetzes bestehende sofortige Vollziehung der vorzeitigen Besitzeinweisung vom 11. April 2019 nach Art. 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO ausgesetzt hat. Denn diese Aussetzung ist nicht unbefristet erfolgt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 19.3.2014 – 22 AS 13.40078 – juris Rn. 5 m.w.N.); vielmehr wurde sie von der Enteignungsbehörde bis zum 31. Januar 2020 befristet. Der Antragsteller kann daher mit seinem Antrag weiterhin eine Verbesserung seiner Rechtsstellung erreichen, da er beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage über diesen Zeitpunkt hinaus bis zu einer gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren anzuordnen.
2. Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände gegen die erstinstanzliche Entscheidung greifen nicht durch.
2.1 Soweit der Antragsteller in einem persönlichen Schreiben Einwendungen gegen die Planfeststellung erhebt, kann dies schon wegen des beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestehenden Anwaltszwangs (§ 67 Abs. 4 VwGO) die Beschwerde nicht begründen.
Dessen ungeachtet ist sein Vorbringen auch deshalb rechtlich unerheblich, weil im Besitzeinweisungsverfahren nicht die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Planfeststellung zu prüfen ist. Gemäß § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG hat die Enteignungsbehörde den Straßenbaulastträger auf dessen Antrag hin in den Besitz eines für eine Straßenbaumaßnahme benötigten Grundstücks einzuweisen, wenn der sofortige Beginn der (Straßen-)Bauarbeiten geboten ist und der Eigentümer oder Besitzer die Besitzüberlassung verweigert. Dabei muss der Planfeststellungsbeschluss vollziehbar sein (§ 18f Abs. 1 Satz 2 FStrG). Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht, wie § 18f Abs. 1 Satz 3 FStrG ausdrücklich bestimmt. Nach § 19 Abs. 5 FStrG i.V.m. Art. 39 Abs. 7, Art. 28 BayEG ist ein unanfechtbarer oder sofort vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss auch für das Besitzeinweisungsverfahren bindend; dies gilt damit auch für die gegen die Entscheidung der Enteignungsbehörde angerufenen Gerichte (BayVGH, B.v. 25.3.2014 – 8 CS 14.331 – juris Rn. 5).
2.2. Aber auch das Vorbringen des Bevollmächtigten des Antragsstellers führt nicht zum Erfolg der Beschwerde.
Der Einwand, die Voraussetzungen des § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG lägen nicht vor, weil das Vergabeverfahren noch laufe und damit der sofortige Beginn der Bauarbeiten nicht geboten sei, greift nicht durch.
2.2.1 Es trifft zwar zu, dass im Zeitpunkt des Besitzeinweisungsbeschlusses die unmittelbare Ausführung des Vorhabens noch nicht beabsichtigt und die tatsächliche Inanspruchnahme des streitbefangenen Grundstücks erst ab 1. Juni 2019 geplant war. Wie das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung aber zutreffend ausführt, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der sofortige Beginn von Bauarbeiten bei der fernstraßenrechtlichen Besitzeinweisung nach § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG auch dann geboten, wenn unerlässliche Ausschreibungs- und Vergabevorgänge anstehen, weil die Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen anderenfalls ein unkalkulierbares Risiko für den Vorhabenträger wären (vgl. BayVGH, U.v. 11.9.2002 – 8 A 02.40028 – VGH n.F. 56, 4 = juris Rn. 16; B.v. 14.12.2012 – 8 AS 12.40066 – juris Rn. 14; GB v. 19.9.2013 – 8 A 12.40065 – juris Rn. 14; vgl. auch B.v. 18.10.2019 – 8 AS 19.40016 – juris Rn. 34 zum insoweit wortgleichen § 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG).
Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander und genügt damit schon nicht der Darlegungslast nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Das Vorbringen, es fehle hier ein besonderes öffentliches Interesse, welches nur durch die vorzeitige Besitzeinweisung gewahrt werden könne, während der Antragsteller sein Grundstück nicht mehr verpachten und dessen Pächter die Felder nicht mehr bewirtschaften könnten, verkennt, dass die vorzeitige Besitzeinweisung neben den in § 18f Abs. 1 Satz 1 und 2 genannten Voraussetzungen (vgl. oben unter II.2.1) keiner weiteren Voraussetzungen bedarf (§ 18f Abs. 1 Satz 3 FStrG). Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners im Sinne einer Ermessensentscheidung kommt nicht in Betracht (vgl. BayVGH, GB v. 19.9.2013 – 8 A 12.40065 – juris Rn. 17).
2.2.2 Der Antragsteller kann auch nicht mit dem Vorbringen durchdringen, die mit Bescheid vom 12. Juli 2019 erfolgte Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Besitzeinweisungsbeschlusses belege, dass der sofortige Beginn der Bauarbeiten vorliegend nicht geboten sei.
Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Besitzeinweisungsbeschlusses (vgl. OVG LSA, B.v. 11.12.2014 – 2 M 139/14 – juris Rn. 7 zum insoweit wortgleichen § 40 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA; vgl. auch BayVGH, B.v. 18.10.2019 – 8 AS 19.40016 – juris Rn. 34 zum insoweit wortgleichen § 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG m.w.N.; U.v. 13.2.2003 – 22 A 97.40029 – VGH n.F. 56, 70 = juris Rn. 39 ff. zum Enteignungsbeschluss nach § 11 Abs. 1 und 2 EnWG a.F.). Sollte ein Vorhaben zu einem späteren Zeitpunkt aufgegeben werden, wäre der Besitzeinweisungsbeschluss gemäß § 18f Abs. 6 FStrG aufzuheben.
Nach dem vom Antragsteller nicht bestrittenen Vortrag des Antragsgegners ging die Enteignungsbehörde zum Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses vom 11. April 2019 davon aus, dass die beiden nach Abgabe der Erstangebote bestgereihten Bieter im laufenden Vergabeverfahren mit der Maßgabe eines Vertragsbeginns am 1. Juni 2019 und der Fertigstellung des 6-streifigen Ausbaus (ohne Landschaftsplanung) zum 30. November 2024 zur Abgabe des Endangebots aufgefordert würden. Nach der oben (unter II.2.2.1) dargestellten Rechtsprechung des Senats ist sie danach zu Recht davon ausgegangen, dass der sofortige Beginn von Bauarbeiten gemäß § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG geboten war.
Erst im Mai und damit nach Erlass des Besitzeinweisungsbeschlusses haben sich die beiden Endangebote als mängelbehaftet und damit nicht zuschlagsfähig erwiesen, weshalb das Vergabeverfahren zurückgesetzt und den beiden Bietern die Gelegenheit gegeben wurde, nochmals endgültige Angebote ohne Mängel abzugeben. Der Zuschlag wird zeitnah erfolgen; die Baufeldübergabe soll nunmehr am 1. Februar 2020 erfolgen. Unbeschadet des Umstands, dass es hierauf nach den vorstehenden Ausführungen nicht ankommt, wäre daher auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Gebotenheit des sofortigen Baubeginns im Sinne des § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG wegen des laufenden Vergabeverfahrens und der anstehenden Vergabeentscheidungen zu bejahen.
2.2.3 Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der pauschale Einwand, man hätte bereits zum Zeitpunkt der vorzeitigen Besitzeinweisung die Mängel der beiden Angebote erkennen oder zumindest mit Rechtsmitteln im Vergabeverfahren rechnen müssen, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht infrage stellt. Gleiches gilt für die Rüge, das Besitzeinweisungsverfahren sei fehlerhaft, weil es sich auf einen Baubeginn am 1. Juni 2019 und nicht auf die nunmehr für 1. Februar 2020 vorgesehene Baufeldübergabe bezogen habe. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass diese Gesichtspunkte zudem erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 18f Abs. 6a Satz 2 FStrG und des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO und damit verspätet zur Begründung der Beschwerde vorgetragen wurden.
Daher war auch der erst nach Ablauf dieser Begründungsfristen vorgebrachte Einwand, die Behörde habe die gesicherte Finanzierung des Bauvorhabens nicht geprüft, nicht zu berücksichtigen. Im Übrigen hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um eine Spekulation handelt, die jeglicher Grundlage entbehrt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und orientiert sich an den diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichts, die im Beschwerdeverfahren nicht substanziiert in Frage gestellt wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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