Verwaltungsrecht

Innerstaatliche Fluchtalternative oder interner Schutz im Irak

Aktenzeichen  20 ZB 17.30490

Datum:
22.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3052
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1, § 71 Abs. 1, § 78 Abs. 4 S. 4
VwVfG § 51

 

Leitsatz

Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes bedarf es neben der Feststellung eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG der Feststellung einer so hohen Gefahrendichte, dass diese für die Annahme einer individuellen konkreten Gefährdung auch ohne besondere gefahrerhöhende Umstände in der Person des Schutzsuchenden ausreichen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31617 2017-03-13 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. März 2017 (Az. B 3 K 16.31617) ist bereits unzulässig. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wurde nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.
1. Der Zulassungsantrag ist bereits deshalb unzulässig, weil die Kläger verkennen, dass das Verwaltungsgericht ihre Klage gegen die Ablehnung ihrer weiteren Asylanträge (Folgeanträge) als unzulässig durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) in Ziffer 1 dessen Bescheides vom 2. November 2016 abgewiesen hat. Denn das Verwaltungsgericht hat mit dem Bundesamt bereits das Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG verneint. Das Vorliegen solcher Gründe bildet aber gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Voraussetzung dafür, dass ein weiteres Asylverfahren überhaupt durchgeführt wird. Darauf geht der Zulassungsantrag entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht ein.
2. Auch soweit das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bzw. § 53 AsylG (gemeint wohl: AuslG 1990) verneint, haben die Kläger die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht dargelegt.
a) Die Kläger werfen zunächst folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam auf:
„ob es im Irak generell eine inländische Fluchtalternative gibt oder ob nur dann eine inländische Fluchtalternative überhaupt in Erwägung gezogen werden kann, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass die betroffene Person im dortigen Gebiet über ausreichende soziale und familiäre Verbindungen verfügt, die ein Überleben ermöglichen.“
Insoweit ist die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt. Denn diese Darlegung erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Klägers im Zulassungsantrag nicht gerecht. Es fehlt an einer Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage. Denn für das Verwaltungsgericht war das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bzw. internen Schutzes (§ 3e AsylG) nicht relevant. Zwar steht das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch der Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 16.1.2001 – 9 C 16.00 – juris; B.v. 24.4.2008 – 10 B 107.07 – juris). Das Verwaltungsgericht hat aber zur Begründung der Klageabweisung zum einen darauf abgestellt, dass sich eine Gruppenverfolgung der Partner gemischt-konfessioneller Ehen im Irak nicht feststellen lasse (unter Verweis auf HessVGH, U.v. 11.5.2010 – 10 A 2658/06.A – juris), zum anderen hat es auch ausgeführt (UA S. 4/5), dass das Aussageverhalten der Kläger nicht den Eindruck erweckt habe, als ob sie ernsthaft wegen ihrer gemischt-konfessionellen Ehe Probleme erwartet hätten. Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht sein Urteil auch darauf gestützt (UA S. 5), dass der IS mittlerweile im Irak auf dem Rückzug sei und deshalb von ihm für die Kläger keine Gefahr ausgehe. Außerdem hätten sich die Kläger, insbesondere der Kläger zu 1), in der mündlichen Verhandlung nicht als sehr religiös dargestellt, weshalb es ihnen zumutbar sei, ihre Religion in der Öffentlichkeit mit der gebotenen Zurückhaltung auszuüben. Mit allen diesen Gesichtspunkten setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander, er beschränkt sich vielmehr im Wesentlichen, d.h. mit wenigen Abwandlungen, auf die dem Senat auch aus anderen Zulassungsverfahren der Prozessbevollmächtigten der Kläger bekannten allgemeinen Ausführungen.
b) Des Weiteren halten die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
„ob bei fluchtauslösenden Problemen mit nicht staatlichen Personen/Organisationen die betroffene Person auch auf die Möglichkeit des Schutzes durch den irakischen Staat, namentlich dessen Sicherheitsbehörden verwiesen werden kann oder ob nicht auf eine derartige Möglichkeit des Schutzsuchens beim irakischen Staat gänzlich zu verzichten ist und vielmehr die betroffene Person ausschließlich darauf verwiesen werden kann, selbst Schutz innerhalb der Familie/des Stammes etc. zu suchen und insoweit entsprechende Feststellungen, ob dies der betreffenden Person überhaupt möglich ist, zu treffen sind.“
Insoweit genügen die Ausführungen der Kläger zum angeblich unzureichenden Schutz durch die irakischen Sicherheitskräfte unter Verweis auf verschiedene Aussagen im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 nicht dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Denn es fehlt an einer substantiierten Darlegung der Entscheidungserheblichkeit dieses Gesichtspunktes, der für das Verwaltungsgericht ausweislich der oben bereits wiedergegebenen Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 4/5) nicht maßgeblich war.
c) Soweit die Kläger schließlich die Frage für grundsätzlich bedeutsam halten,
„ob nicht die Situation im Irak zwischenzeitlich sich derart verschlechtert hat, dass ein Konflikt – sowohl zwischen den Glaubensrichtungen, als auch zwischen Regionalfürsten und Stammesfürsten, als auch gegenüber völlig unparteiischen Personen – vorliegt, wie er typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen zu finden ist.“
haben sie die grundsätzliche Bedeutung ebenfalls nicht dargelegt. Zwar hat sich das Verwaltungsgericht mit dieser Frage nicht ausdrücklich auseinander gesetzt. Es ist vielmehr lediglich davon ausgegangen, dass der IS mittlerweile im Irak auf dem Rückzug sei und die von ihm eroberten Städte – bis auf das derzeit (d.h. im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 13.3.2017) umkämpfte Mossul – wieder verlassen habe, weshalb von ihm für die Kläger keine Gefahr ausgehe (UA S. 5). Es fehlt jedoch an substantiierten Darlegungen der Kläger zu den Voraussetzungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (vgl. dazu z.B. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24 m.w.N.) bzw. des durch die vorgenannte Vorschrift ersetzten früheren unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG 2004. Des Weiteren übersehen die Kläger, dass allein die Feststellung eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG 2004 für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es dann der zusätzlichen Feststellung, dass bei einer quantitativen und qualitativen Betrachtung die vorhandene Gefahrendichte so hoch ist, dass diese für die Annahme einer individuellen konkreten Gefährdung auch ohne besondere gefahrerhöhende Umstände in der Person der Kläger ausreichen. Hierzu haben die Kläger jedoch nichts dargelegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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