Verwaltungsrecht

Interner Schutz für alleinstehende Männer im berufsfähigen Alter in Afghanistan

Aktenzeichen  M 16 K 17.41340

Datum:
21.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14013
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Für alleinstehende junge Männer ohne unterstützendes Netzwerk bestehen in Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat zumutbare Fluchtalternativen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme einer internen Fluchtalternative wird nicht durch die aktuelle Covid-19-Pandemie in Frage gestellt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid des Bundesamts ist, soweit streitgegenständlich, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
2. Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend hierzu ist auszuführen:
3. Mit Blick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie subsidiären Schutzes wegen drohender individueller unmenschlicher Behandlung (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) konnte das Gericht bereits nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger Afghanistan vorverfolgt verlassen oder dort einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder aber ihm nunmehr bei einer Rückkehr Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohen.
aa) Insoweit muss sich das Gericht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Schicksals bilden. Aufgrund des sachtypischen Beweisnotstands des Schutzsuchenden kann dabei schon allein sein Sachvortrag zur Schutzgewährung führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne glaubhaft sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris). In der Regel kommt daher dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und seiner Glaubwürdigkeit besondere Bedeutung zu. Zu den Obliegenheiten des Schutzsuchenden gehört, hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse und Erlebnisse von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der, als wahr unterstellt, Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – juris Rn. 15). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden (vgl. OVG NRW, U.v. 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A – juris Rn. 34). Bei erheblichen Widersprüchen und Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden; hierbei bildet das Asylanerkennungsverfahren vor der Verwaltungsbehörde und im gerichtlichen Verfahren eine Einheit (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris).
bb) Diesen Anforderungen werden die Schilderungen des Klägers nicht gerecht. Der Vortrag zum Versuch der Rekrutierung durch die Taliban stellt sich als unstimmig, vage sowie durch Steigerungen geprägt dar und hinterließ auch in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck eigenen Erlebens. So ist insbesondere nicht nachvollziehbar, dass die Taliban mehrere Drohbriefe senden und den Vater anrufen, den Kläger aber nicht persönlich angesprochen haben sollen, als sie bei ihnen zu Hause gewesen seien. Die vorgelegten Unterlagen bieten im Übrigen keinen Beleg für die Richtigkeit der klägerischen Angaben. In Afghanistan ist eine Vielzahl gefälschter Dokumente im Umlauf. Insbesondere Drohbriefe, die den Taliban zugeschrieben werden, können leicht gefälscht und käuflich erworben werden. Die Authentizität derartiger Schreiben ist oft – wie auch vorliegend – zweifelhaft und kann mangels geeigneter Beweismittel zugleich auch nicht weiter geklärt werden (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amts an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 29.5.2018, Gz. 508-516.80/49271 zu Drohbriefen der Taliban; EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 24 ff. zu sog. Nachtbriefen).
4. Zudem steht einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie subsidiären Schutzes jedenfalls eine inländische Fluchtalternative nach § 3e AsylG bzw. § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG entgegen.
a) Danach werden die Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn dem Schutzsuchenden in einem Teil seines Herkunftslandes keine Verfolgung bzw. kein ernsthafter Schaden droht oder er Zugang zu Schutz hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Das setzt voraus, dass dort nicht andere, unzumutbare Nachteile drohen. Dabei sind auch nicht verfolgungsbedingte Gefahren zu berücksichtigen und zwar – im Unterschied zu Art. 16a GG – auch dann, wenn diese am Herkunftsort in gleicher Weise bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 31, 32, 16; Heilbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2016, Anm. zu § 3e AsylVfG Rn. 10 ff. und zu Art. 16a GG Rn. 216). Zumutbar ist eine Rückkehr daher insbesondere nur dann, wenn der Ort der inländischen Schutzalternative ein wirtschaftliches Existenzminimum ermöglicht. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein verfolgungssicherer Ort dem Ausländer das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann bietet, wenn er dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und der Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, etwa in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor ausgeübt werden. Nicht mehr gesichert ist wirtschaftliche Existenzminimum, wenn der Ausländer am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100/05 – juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298/02 – juris Rn. 3; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11; U.v. 31.3.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20).
b) Gemessen daran ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Kläger in Afghanistan für ihn zumutbar an einem Ort niederlassen kann, an dem ihm keine Verfolgung und kein ernsthafter Schaden durch die Taliban droht und an dem er sein Existenzminimum sicherstellen kann. Damit drohen dem Kläger – auch auf der Grundlage der vorgetragenen Bedrohung – bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmenschliche Behandlung oder andere unzumutbare Nachteile.
aa) Für den Kläger ist es möglich, sich z.B. in Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif niederzulassen, wo er aufgrund der Anonymität der Großstadt und unter Berücksichtigung des Zeitablaufs sowie der Entfernung zu seiner Heimatstadt von den Taliban nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgefunden würde. Der Kläger stellt jedenfalls keine besonders profilierte und exponierte Persönlichkeit dar. Bei diesem Risikoprofil ist nicht davon auszugehen, dass die Taliban mit Nachdruck nach dem Kläger suchen (vgl. EASO, Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 63 f.). Ein Meldesystem gibt es in Afghanistan nicht (vgl. Bundesamt für Migration und Asyl, Länderinformationsblatt der Staateninformation, Afghanistan, v. 29.6.2018, S. 307).
bb) Dem Kläger ist nach Überzeugung des Gerichts eine Rückkehr in eine größere afghanische Stadt i.S. einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach seinen individuellen Verhältnissen auch zumutbar.
aaa) Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland in der Lage wäre, z.B. in Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat einen Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums insoweit zu verdienen, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich dort aufzuhalten. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter grundsätzlich in der Lage sind, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (vgl. nur BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14, 34; vgl. auch VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 392 ff.). Diese Einschätzung deckt sich mit der unter dem Blickwinkel der internen Fluchtalternative vorgenommenen Bewertung durch EASO, wonach u.a. Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat (sogar) für alleinstehende junge Männer ohne unterstützendes Netzwerk grundsätzlich eine zumutbare Fluchtalternative darstellen (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 36, 137). Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung gebieten würden, sind hier nicht ersichtlich. Der Kläger verfügt über Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft und hat Familie in Afghanistan.
bbb) Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan steht der Annahme einer Fluchtalternative weder entgegen noch kann sie für sich genommen zu der Zuerkennung subsidiären Schutzes führen. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für keine der Regionen Afghanistans angenommen und die Lage dort nicht derart eingeschätzt, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris Rn. 5). Diese Einschätzung ist noch aktuell. Insbesondere ergibt sich nach den auf das Jahr 2019 bezogenen Zahlen der UN für die Provinz Kabul, die als Zielort einer Abschiebung in Betracht kommt (vgl. zum örtlichen Bezugspunkt der Gefahrenprognose BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – juris), bei einer Bevölkerung von 5.029.850 Einwohnern (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – im Folgenden: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan i.d.F.v. 13.11.2019, S. 36) und einer Zahl von 1.563 im Jahr 2019 getöteten und verletzten Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2019, S. 94) ein Risiko von 1 zu 3.218 bzw. eine Gefahrendichte von 0,03%, die erheblich unter der Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit liegt (vgl. dazu BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 24). Vergleichbares gilt für die Provinz Balkh mit der Provinzhauptstadt Mazar-e-Sharif, auf die als Alternative der Kläger ebenfalls verwiesen werden kann (vgl. dazu BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – juris). Dort ergibt sich bei einer Einwohnerzahl von 1.475.649 Einwohnern (vgl. BFA, a.a.O., S. 61) und 277 zivilen Opfern im Jahr 2019 (vgl. UNAMA) ein Risiko von 1 zu 5.327 und eine Gefahrendichte von 0,018%. Schließlich ergibt sich für die Provinz Herat – als weitere Alternative zu Kabul – nichts anderes, dort liegt das Risiko bei einer Zahl von 400 zivilen Opfern im Jahr 2019 (vgl. UNAMA) und einer Einwohnerzahl von 2.095.117 (vgl. BFA, a.a.O., S. 106) bei 1 zu 5.238 und das Risiko bei 0,02%. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die genannten Alternativen zu Kabul von dort – als dem Zielort einer Abschiebung – aus in rechtlich zumutbarer Weise zu erreichen wären. Insoweit kann jedenfalls auf die Möglichkeit von Inlandsflügen verwiesen werden (vgl. dazu EASO, Key Socio-Economic Indicators, State Protection, and Mobility in Kabul City, Mazar-e-Sharif, and Herat City, S. 126; EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2018, S. 130 und Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 31. Mai 2018, S. 20). Aber auch für ganz Afghanistan als Bezugspunkt ergibt sich keine Überschreitung der maßgeblichen Gefahrenschwelle (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107- juris Rn. 15; B.v. 23.10.2019 – 13a ZB 19.32670 – juris Rn. 7); insgesamt bewegt sich die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 in etwa auf dem Niveau von 2018 (vgl. UNAMA, a.a.O. S. 5). Damit ist auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. dazu BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 23) nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr im genannten Sinne auszugehen, zumal die medizinische Versorgungslage in den Nord- und Zentralprovinzen besser ist (vgl. AA, Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 – Stand September 2016 – S. 23). Nur ergänzend ist anzuführen, dass sich selbst bei einer umfassenden Beurteilung aller gefahrbegründenden Umstände, wie sie der VGH Baden-Württemberg angedacht hat, im Fall des Klägers als alleinstehenden Mannes, der in Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif Schutz finden kann, keine Gefahrenlage ergeben würde, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107). Insoweit kann ergänzend auch auf das Ergebnis der umfassenden Beurteilung von EASO (Country Guidance: Afghanistan, June 2019, S. 82 ff.) und die dort genannten tatsächlichen Grundlagen der Bewertung verwiesen werden.
5. Weiterhin besteht kein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Wie bereits erwähnt, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für keine der Regionen Afghanistans die Lage derart eingeschätzt, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre. Ebenso ist hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris Rn. 5 ff, u.a. mit Hinweis auf VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris; vgl. auch BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 32, 40 f.). Dies deckt sich u.a. mit der Einschätzung von EASO, das daran festhält, dass u.a. Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat für alleinstehende junge Männer zumutbar sind (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 36, 137).
6. Diese Einschätzung sowie die Annahme einer internen Fluchtalternative werden auch nicht durch die aktuelle Covid-19-Pandemie in Frage gestellt. Dafür, dass der Kläger als gesunder junger Mann in Afghanistan so schwer an dem Virus erkranken könnte, dass er, auch aufgrund mangelhafter medizinischer Versorgung, in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnte (vgl. dazu OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56), gibt es keine Anhaltspunkte. Ebenfalls keine belastbaren Anhaltspunkte gibt es bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Klägers dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft im Zuge der Pandemie derart verschlechtern, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in Afghanistan sicherzustellen (vgl. zur Situation in Afghanistan OCHA, Brief COVID-19 v. 19. April 2020). Selbst wenn bei einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan noch die Ausgangssperren gelten sollten, die vom Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan, Stand 9.4.2020) thematisiert werden und die Einfluss auf die Arbeitsmöglichkeit sowie die Möglichkeit der Weiterreise von Kabul aus haben könnten, gibt es bereits angesichts der wirtschaftlichen Zwänge in Afghanistan keinen Anhalt dafür, dass diese für unbestimmte Zeit gelten könnten und wäre dem Kläger angesichts seines familiären Netzwerkes möglich, diesen Zeitraum in Kabul zu überbrücken. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme Frau S* … mit dem Titel „Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener“ vom 27. März 2020 (abrufbar unter www.ecoi.net). Soweit es darin heißt, Rückkehrer aus Europa gälten aus Sicht lokaler Ärzte als besonders vulnerabel, wird dies fachlich nicht unterlegt. Abgesehen davon erscheint diese Einschätzung auch deswegen nicht belastbar, weil Frau S* … selbst offen in Zweifel zieht, ob ihre Gesprächspartner ausreichendes medizinisches Wissen über die Krankheit haben. Soweit Frau S* … die Gefahr der Stigmatisierung von Rückkehrern sieht, baut dies auf einer Annahme auf, die so jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht tragfähig ist (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 65; EASO, Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms, 2017, S. 92 ff.). Abgesehen davon kann das Gericht auch im Allgemeinen nicht erkennen, dass die von Frau S* … widergegebenen Eindrücke repräsentativ und belastbar sind (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 6.12.2019 – 13a ZB 19.34056 – juris Rn. 15). Schließlich ist aber auch nicht ersichtlich, dass die von Frau S* … abstrakt beschriebenen Gefahren auf die individuelle Situation des Klägers übertragen werden können.
7. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben