Verwaltungsrecht

Irak, geschlechtsspezifische Verfolgung, Gruppenverfolgung, Gruppe der „Frauen und Mädchen im Irak“ als soziale Gruppe

Aktenzeichen  5 ZB 20.31360

Datum:
6.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9506
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3
AsylG § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 2 K 17.32270 2020-05-19 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem die Kläger ihre Klage gegen die Entscheidungen des Bundesamts im Bescheid vom 2. März 2017 in vollem Umfang weiterverfolgen, bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und eines qualifizierten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) sind nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt oder liegen nicht vor.
a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung (entscheidungserheblich) war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Soweit die Fragen, die die Kläger für grundsätzlich bedeutsam halten, auf eine asylrechtlich relevante Individualverfolgung (sog. anlassgeprägte Einzelverfolgung) der Kläger im Irak abstellen oder eine solche zugrunde legen, kann dies nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung führen. Das Verwaltungsgericht hat eine (Vor-)Verfolgung der Kläger verneint. Die Bedrohung des Klägers zu 1 durch eine Person, die dem sog. Islamischen Staat (IS) nahesteht, hat das Verwaltungsgericht nicht als eine asylrechtlich relevante Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG angesehen. Im Übrigen hat es angenommen, dass die Kläger zunächst den Schutz der Heimatbehörden hätten suchen müssen. Diese Einzelfallentscheidung des Verwaltungsgerichts, der auch eine Würdigung des klägerischen Vorbringens zugrunde liegt, kann im asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahren nur mit der Verfahrensrüge (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG: Vorliegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels) angegriffen werden, weil der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht gegeben ist (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG). Eine solche Verfahrensrüge haben die Kläger nicht erhoben. Diese Beurteilung des Verwaltungsgerichts kann daher im Berufungszulassungsverfahren nicht infrage gestellt werden, sodass eine Vorverfolgung der Kläger auch nicht Grundlage einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung sein kann. Die Klägerin zu 2 hat sowohl im Verfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine eigenen Asylgründe vorgebracht, sondern sich den Asylgründen des Klägers zu 1 angeschlossen. Insoweit kann der – erstmalige – Vortrag einer asylrechtlich relevanten Individualverfolgung der Klägerin zu 2 bei der Prüfung der Zulassungsgründe gemäß § 78 Abs. 3 AsylG nicht relevant sein.
aa) Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob Frauen und Mädchen als Asylberechtigte anzuerkennen sind bzw. ihnen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist oder jedenfalls das Vorliegen von Abschiebungsverboten festzustellen ist, da ihnen im Irak eine geschlechtsspezifische Gefahr und Verfolgung sowie die Gefahr von Genitalverstümmelung drohe.
Zur Begründung tragen die Kläger vor, die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen sei im Irak, auch in der kurdischen Autonomieregion, weit verbreitet. Über 20% der Frauen seien körperlicher Gewalt ausgesetzt. Mehrere 100 Frauen und Mädchen würden jedes Jahr Opfer sogenannter Ehrverbrechen, wobei die Dunkelziffer noch höher liege. Frauen stünden vor erheblichen Hürden, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Gerade in der Region Kurdistan litten 38% der weiblichen Bevölkerung unter den Folgen von Genitalverstümmelung. Rechtsschutzgesuche von Frauen würden oftmals nicht behandelt. Den Klägerinnen zu 2 und 3 drohe insoweit nachweislich erhebliche Gefahr durch geschlechtsspezifische Gewalt einschließlich Entführung, Zwangs- und Kinderehe, Vergewaltigung und Genitalverstümmelung. Die Klägerin zu 2 sei zudem als vorverfolgt zu behandeln, da sie bereits vor ihrer Hochzeit sexuellen Übergriffen aus dem familiären Umfeld ausgesetzt gewesen sei. Würden diese Übergriffe bekannt, drohe zum einen von Seiten der Täter die Gefahr der Tötung, zum anderen auch von Seiten der Familie der Klägerin zu 2 körperliche Gewalt bis hin zur Tötung oder Verstoßung. Die Klägerin zu 3 sei ebenfalls aufgrund der Tatsache, dass sie in Deutschland aufgewachsen und liberaler geprägt sei, einer spezifischen Gefährdungssituation ausgesetzt. Das begründe gerade im Hinblick auf die von Männern dominierte Alltagswelt des Irak eine spezifische Gefährdungssituation für die Klägerin zu 3. Den Klägerinnen zu 2 und 3 stehe nach der Erkenntnislage kein effektiver staatlicher Schutz gegen die Bedrohung wegen geschlechtsspezifischer Gewalt zur Verfügung.
Dieser Vortrag kann nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung führen.
(1) Die Frage, ob die Klägerinnen zu 2 und 3 als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG anzuerkennen sind, war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erheblich, da die Klägerinnen zu 2 und 3 einen derartigen Klageantrag nicht gestellt haben.
(2) Der zweite Teil der von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage bezieht sich darauf, ob Frauen und Mädchen aus dem Irak die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, weil sie – wegen ihres Geschlechts – als Gruppe verfolgt werden. Diese Frage ist nicht grundsätzlich klärungsfähig.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris Rn. 13 m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung, sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das Asylgesetz ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009, a.a.O., Rn. 14).
Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Nur wenn die Verfolgung, die sich gegen eine Gruppe von Menschen richtet, auf jeden Angehörigen der Gruppe zielt, in aller Regel also jeder Angehörige der Gruppe als vom Verfolgungsgeschehen in seiner Person betroffen anzusehen ist, liegt eine soziale Gruppe vor, die einer Gruppenverfolgung unterliegen kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.6.1995 – 9 C 294.94 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Zwar können „Frauen und Mädchen im Irak“ nach der Definition des § 3b Abs. 1 Nr. 4 a.E. AsylG eine ausschließlich an das Geschlecht anknüpfende soziale Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bilden. Jedoch kann nach den vom Verwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln nicht davon ausgegangen werden, dass – alle – Frauen und Mädchen im Irak allein wegen ihres Geschlechts im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz verfolgt werden. Anderes wird auch in der Zulassungsbegründung nicht dargelegt. Unabhängig von der Anzahl der asylrechtlich relevanten – geschlechtsspezifischen – Verfolgungshandlungen gegen Frauen und Mädchen im Irak im Verhältnis zur Gesamtgröße der Gruppe (sog. Verfolgungsdichte) reicht allein das Geschlecht (Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen und Mädchen) nicht aus, um eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG annehmen zu können. Nicht für alle Frauen und Mädchen im Irak besteht ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit. Eine asylrechtlich relevante Gefahr von Verfolgungshandlungen gegen Frauen und Mädchen im Irak besteht nicht bei jeder Angehörigen dieser Gruppe, sondern es müssen noch weitere Umstände hinzutreten, um hiervon auszugehen, zumal die geschlechtsspezifische Gefährdung je nach Art der Gefahren auch vom Alter der Frauen und Mädchen, von ihrem Familienstand und dergleichen abhängt.
Nach den vom Verwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln, insbesondere den Berichten des Auswärtigen Amts findet eine staatliche Verfolgung von Frauen und Mädchen im Irak und auch gerade in der Herkunftsregion der Kläger, der Provinz Sulaymania in der kurdischen Autonomieregion (KRI), nicht statt. Das gleiche gilt für Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (vgl. § 3c Nr. 2 AsylG). Das behaupten die Kläger in die Zulassungsschrift auch nicht.
Eine geschlechtsspezifische Gefährdung von Frauen und Mädchen im Irak geht ggf. von nichtstaatlichen Akteuren (vgl. § 3c Nr. 3 AsylG) aus. Die Prognose derartiger Gefahren (z.B. Entführung, Vergewaltigung, Zwangsehen und Genitalverstümmelung) bestimmt sich u.a. maßgeblich nach der jeweiligen sozialen Umgebung und der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der – engeren oder weiteren – Familie und deren Umfeld. Die geschlechtsspezifische Gefährdung von Frauen und Mädchen hängt daher – u.U. neben dem Alter, dem Familienstand und dergleichen – von weiteren Umständen ab, z.B. von den Einstellungen und dem Verhalten im engeren oder weiteren sozialen Umfeld und den jeweiligen Machtverhältnissen. Nicht alle Frauen und Mädchen im Irak befinden sich insoweit in der gleichen Lage.
Es kann offenbleiben, ob sich bei der Gruppe der Frauen und Mädchen im Irak eine Untergruppe bilden lassen könnte, bei der eine derartige (Gruppen-)Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen in bestimmten Regionen des Irak anzunehmen wäre (vgl. z.B. zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen ohne schutzbereite männliche Familienangehörige VG Wiesbaden, U.v. 31.5.2019 – 1 K 152/17.WI.A – juris;) oder ob die geschlechtsspezifische Verfolgung als Frau stets eine Frage des Einzelfalls ist (vgl. VG Hannover, U.v. 7.10.2019 – 6 A 5999/17 – juris). Denn die Klägerinnen zu 2 und 3 gehören nicht zu einer solchen gefährdeten Gruppe. Bei der Klägerin zu 2 ist im Berufungszulassungsverfahren – wie oben unter Nr. 1 Buchst. a dargelegt – nicht von einer Vorverfolgung auszugehen, da sie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine entsprechende Vorverfolgung geltend gemacht hat. Sie ist 30 Jahre alt, verheiratet und lebt im Familienverband mit Ehemann und Kind. Warum sie zu einer Gruppe von Frauen gehören soll, der eine Zwangs- oder Kinderehe oder eine Genitalverstümmelung drohen könnte, ist weder ersichtlich noch dargelegt. Gleiches gilt für die im Jahr 2015 geborene Klägerin zu 3, die sich in der Obhut ihrer Eltern, des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 befindet. Die Kläger haben in ihrer Zulassungsschrift selbst ausgeführt, dass die Klägerinnen zu 2 und 3 im Rahmen des unmittelbaren familiären Umfelds nicht gefährdet oder Übergriffen ausgesetzt sind.
(3) Auch die grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob Frauen und Mädchen im Irak wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu gewähren ist, ist nicht ausreichend dargelegt. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Nr. 1, Buchst. a, (2) verwiesen.
(4) Ob für die Klägerinnen zu 2 und 3 wegen der ihnen drohenden geschlechtsspezifischen Gefahren Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls, und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
bb) Die Kläger halten ferner die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob das Verwaltungsgericht eine geschlechtsspezifische Bedrohung von Amts wegen berücksichtigen muss, da bereits allein durch die Tatsache, dass es sich um weibliche Klägerinnen handle, die konkrete Gefährdung vorliege und damit dem entscheidenden Gericht bekannt sei.
Ob das Verwaltungsgericht eine etwaige geschlechtsspezifische Bedrohung von schutzsuchenden Personen, soweit sie entscheidungserheblich ist, von Amts wegen berücksichtigen muss, ist nicht klärungsbedürftig. Die Antwort ergibt sich aus dem Gesetz. Es gilt insoweit der Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO. Soweit es darum geht, ob das Verwaltungsgericht der Frage, ob für Frauen und Mädchen im Irak eine Gruppenverfolgung aufgrund ihres Geschlechts besteht, von Amts wegen hätte nachgehen müssen, obwohl die Kläger dergleichen nicht vorgetragen haben, sprechen die Kläger die Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) an. Eine solche Rüge kann nicht zur Zulassung der Berufung in asylrechtlichen Streitigkeiten führen. Ein – unterstellter – Aufklärungsmangel begründet weder einen Gehörsverstoß noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 VwGO (BayVGH, B.v. 15.4.2020 – 4 ZB 20.30838 – juris, B.v. 17.5.2018 – 20 ZB 18.30844 – juris Rn. 4; B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.30723 – juris Rn. 11; OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.5.2012 – 10 N 41.12 – juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 5.12.2011 – A 9 S 2939/11 – juris Rn. 6).; das gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungsverpflichtung verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 6 ZB 17.31829 – Rn. 6).
cc) Die von den Klägern für klärungsbedürftig gehaltene Frage, inwieweit eine nach medizinischen Grundsätzen erforderliche „psychische Behandlung“ aufgrund der fehlenden Therapiemöglichkeiten im Irak ein Grund für die Anerkennung als Flüchtling bzw. die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes bzw. die Feststellung eines Abschiebungsverbots sein kann, war für das Urteil des Verwaltungsgerichts schon nicht entscheidungserheblich.
Die Klägerin zu 2 macht im Berufungszulassungsverfahren erstmals eine psychische Erkrankung geltend. Weder im Verfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sie gesundheitliche Gründe für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots vorgetragen. Das im Berufungszulassungsverfahren vorgelegte ärztliche Attest vom 4. März 2020 hat sie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt. Es konnte daher vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil auch nicht berücksichtigt werden. Die Beklagte weist in ihrem Schriftsatz vom 6. August 2020 zu Recht darauf hin, dass eine erst im Berufungszulassungsverfahren geltend gemachte etwaige psychische Erkrankung der Klägerin zu 2 ggf. in einem Folgeverfahren aufzuarbeiten sei. Die im Berufungszulassungsverfahren vorgetragenen Gründe, warum die Klägerin zu 2 diese Erkrankung nicht früher geltend gemacht hat, sind im Rahmen eines etwaigen Folgeverfahrens zu bewerten. Im Übrigen legen die Kläger auch nicht dar (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), dass eine ausreichende Behandlungsmöglichkeit im Irak insoweit nicht gewährleistet wäre und ebenso nicht, dass die Voraussetzungen eines – gesundheitlich bedingten – Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen würden.
dd) Auch die von den Klägern ferner für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, inwieweit einem jungen Mann sunnitischer Glaubenszugehörigkeit bei Rückkehr in den Irak die politische Verfolgung drohe, da ihm Maßnahmen drohten, die ihre Ursache in der ihm „von verfolgungsmächtigen Organen“ im Irak zugeschriebenen IS-Anhängerschaft habe, kann nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung führen. Die von den Klägern gestellte Frage steht unter der Prämisse, dass es sich um Personen handelt, denen Maßnahmen von „verfolgungsmächtigen Organen“ im Irak drohen. Von derartigen Maßnahmen ist das Verwaltungsgericht in seinem Urteil nicht ausgegangen, sondern es hat die Bedrohung des Klägers zu 1 als asylrechtlich nicht relevant angesehen. Diese Beurteilung des konkret vorliegenden Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht kann im Berufungszulassungsverfahren nur mit einer Verfahrensrüge, die nicht vorliegt, angegriffen werden. Eine Individualverfolgung des Klägers zu 1 kann daher auch nicht Grundlage einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung sein (vgl. oben Nr. 1 Buchst. a).
ee) Die Kläger halten weiter die Frage für klärungsbedürftig, „ob die Region Kurdistan gegenwärtig einem innerstaatlichen Konflikt unterworfen ist und dort die Rückkehrer aus Deutschland, insbesondere wenn sie zu der bedrohten Gruppe von Sunniten gehören, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit unterworfen sind, da ihnen dort bestimmte spezielle Risiken unmittelbar drohen und nicht nur eine entfernte Möglichkeit darstellen und daher die Flüchtlingseigenschaft, zumindest ein subsidiärer Schutzanspruch, zuerkannt werden muss oder ein Abschiebungshindernis vorliegt.“
Diese Frage ist in dieser allgemeinen Form weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig. Warum sunnitische Kurden in der kurdischen Autonomieregion einer Gruppenverfolgung unterliegen sollten, sodass Ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, wird weder dargelegt, noch ist das aus den vom Verwaltungsgericht eingeführten Erkenntnismitteln und den im Zulassungsverfahren von den Klägern im Bezug genommenen Erkenntnisquellen ersichtlich. Dass in der kurdischen Autonomieregion ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen könnte, ergibt sich weder aus den Darlegungen in der Zulassungsschrift und den hierzu genannten Quellen, noch aus der Erkenntnislage. Es gibt auch keine Rechtsprechung, die einen solchen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der kurdischen Autonomieregion annehmen würde, und es wird in der Zulassungsbegründung auch keine dargelegt. Die Konflikte in anderen Regionen des Irak sind insoweit nicht maßgeblich, da es bei der Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auf die Herkunftsregion ankommt.
b) Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO wegen eines Verfahrensmangels – hier wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 138 Nr. 3 VwGO – zuzulassen.
Die Kläger tragen insoweit vor, es liege ein Aufklärungsmangel vor, weil das Verwaltungsgericht die Tatsache, dass die Klägerinnen zu 2 und 3 allein deshalb gefährdet seien, weil sie weiblich seien, nicht berücksichtigt habe. Diese Rüge kann – wie bereits unter Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb ausgeführt – in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht zur Zulassung der Berufung führen. Darüber hinaus bestand – wie ebenfalls dargelegt – kein Anlass, eine geschlechtsspezifische Gefährdung der Klägerinnen zu 2 und 3 als Angehörige einer Gruppe i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG anzunehmen.
c) Der weiter vorgebrachte Verfahrensmangel, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht mit Gründen versehen (Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO) liegt angesichts des 11-seitigen Urteils des Verwaltungsgerichts, das auf alle Vorschriften, nach denen Schutz zu gewähren sein könnte, eingeht, nicht vor. Zur Verfolgung der Gruppe von „Frauen und Mädchen im Irak“ musste sich das Verwaltungsgericht, wie ausgeführt, nicht äußern.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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