Verwaltungsrecht

Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Frau mit 8-jährigem Sohn, Wohnungsdurchsuchung, Beschlagnahme von Bibeln, Festnahme, Kontakt zum Christentum im Iran, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Evangelisch-Lutherische, Kirchengemeinde S*. L* Hellip N* Hellip, Citykirche/Touristenseelsorge S*. L* Hellip N* Hellip, Evangelisch-Lutherischen, Kirchengemeinde Stadtkirche K* Hellip, persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Gespräche, Online-Gruppe, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde

Aktenzeichen  W 8 K 21.30848

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43246
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60
RL 2011/95/EU Art. 9
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 Buchst. b

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juli 2021 werden aufgehoben, soweit sie sich auf die Klägerin beziehen.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juli 2021 ist – soweit er sich auf die Klägerin bezieht – in seinen Nummern 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Klägerin aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 4.10.2021 – W 8 K 21.30835 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris; U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 6.7.2021 – 6 A 31/20.A – juris; U.v. 21.6.2021 – 6 A 2114/19.A – juris; B.v. 6.1.2021 – 6 A 3413/20.A – juris; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 4.10.2021 – W 8 K 21.30835 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist – unter den vorstehenden Voraussetzungen – eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerin vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; sowie etwa OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris; B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Klägerin, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte ihre christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Die Klägerin hat glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Die Klägerin schilderte sowohl im Bundesamtsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, ausführlich, dass sie sich nach ihrer Heirat vor 30 Jahren vom Islam entfernt habe. Sie sei ursprünglich als Muslimin geboren und habe die Riten eingehalten und auch in der Öffentlichkeit beachten müssen, aber ansonsten habe sie keine Riten mehr befolgt. Sie habe dann vor zwei Jahren im Frühling zufällig im Park eine andere Person kennengelernt und sich dieser angenähert. Die Klägerin schilderte glaubhaft, wie sie sich nach und nach mehr angefreundet und Vertrauen gefasst hätten. Die Klägerin habe kritische Bemerkungen über den Islam fallen lassen. Sie habe von der anderen Person eine Bibel geschenkt bekommen und sei nach einer mehrmonatigen Zeit der Annäherung, in der sie auch über allgemeine Themen wie die Wirtschaft und die Gesellschaft unterhalten hätten, zu einer Hauskirche eingeladen worden. Sie habe die Hauskirche immer freitags besucht, aber nicht jeden Freitag, weil ihr Ehemann nichts davon habe erfahren dürfen. Es sei alles sehr geheim gehalten worden. Die Hauskirche habe an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Teilnehmern stattgefunden. Sie hätten bei der Hauskirche gebetet und auch über die Probleme der Christen gesprochen. Die Klägerin erklärte selbst, dass sie in sich einen Wandel verspürt habe durch die Annäherung an das Christentum. Ihr habe die Freude und die innere Ruhe gefallen. Sie habe Stress gehabt und sich danach entspannt. Sie habe sich selbst gefunden. Die innere Leere habe sie nicht mehr gehabt. Dies habe auch zu einer Verhaltensänderung geführt, wie auch ihre Töchter in ihren jeweiligen Verfahren bestätigten. Über die Freundin im Park habe sie die Informationen über das Christentum erhalten. In die Hauskirche sei sie dann von Herbst bis etwa Sommer des nächsten Jahres gegangen. Sie beschrieb ausführlich, dass sie einen Karton mit Bibeln habe übergangsweise aufbewahren sollen und dass sie deswegen erhebliche Probleme mit den Sicherheitskräften bekommen habe. Sie sei inhaftiert und verhört und dabei psychisch unter Druck gesetzt worden. Gegen Kaution ihres Mannes sei sie freigekommen und habe dann mit ihren Töchtern und den Sohn zusammen das Land verlassen. Die Klägerin beschrieb weiter, wie sie in N, Kontakt zur Kirche gesucht und gefunden hätten. Sie gab ehrlich an, dass wegen der Corona-Pandemie kein Taufkurs habe stattfinden können. Sie hätten sich jedoch mit dem dortigen Pfarrer unterhalten. Er habe sowohl ihre persönlichen Daten als auch die Informationen zur Konversion erhalten und sie dann getauft. Zuvor seien sie regelmäßig täglich in die dortige Kirche in N. und hätten regelmäßig die Kurzandacht um 17:00 Uhr besucht. Außerdem sei ihnen gesagt worden, sie sollten sich auch bei anderen Kirchen informieren, insbesondere bei persisch-sprachigen Kirchen, die es auch in N. gebe. Sie hätten dies gemacht. Sie hätten sich zunächst wegen der Corona-Einschränkungen über Zoom und später auch in einer WhatsApp-Gruppe zu christlichen Themen ausgetauscht. Sie hätten sich ihre Fragen beantworten lassen. Auch nach der Umverteilung besuchten sie regelmäßig die Kirche bzw. den Gottesdienst. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass es der Klägerin nicht angelastet werden kann, dass die christlichen Aktivitäten nach außen wegen der staatlichen Corona-Einschränkungen – genauso wie bei anderen Christen – nicht gleichermaßen in der Öffentlichkeit hätten stattfinden können wie ohne diese Einschränkungen. Die Klägerin beschrieb weiter, dass sie schon im Iran ihren beiden Töchtern das Christentum nähergebracht habe, ihnen Bibeln geschenkt habe und ihre Informationen aus der Hauskirche bzw. solche, die sie sonst über das Christentum erhalten habe, weitergegeben habe. Die Töchter seien mit ihr, ebenso wie ihr achtjähriger Sohn, gleichzeitig getauft worden. Den Sohn erziehe sie selbstverständlich christlich. Sie bete auch mit ihm.
Ergänzend kann auf die Angaben der Töchter der Klägerin in ihren jeweiligen Verfahren Bezug genommen werden, die das Vorbringen der Klägerin – auch zu den nachfolgenden Aspekten – bestätigen (siehe VG Würzburg, Ue.v. 25.10.2021 – W 8 K 21.30847 und W 8 K 21.30849).
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagiert. Die Klägerin erklärte glaubhaft: Sie habe – wie schon ausgeführt – nicht nur ihre Töchter zum Christentum bis hin zur Taufe gebracht, sondern auch ihren Sohn, den sie christlich erziehe. Sie habe der Schulleitung mitgeteilt, dass sie Protestanten seien. Sie gab ehrlich an, dass ihre Missionierungstätigkeit in Deutschland nur eingeschränkt möglich sei, weil alle Freunde, die sie bislang habe, bereits Christen geworden seien. Allerdings habe sie einen Film ihrer Taufe ihrem Ehemann geschickt. Sie wolle auch, dass ihr Ehemann getauft werde, aber er solle natürlich selbst entscheiden können. Die Klägerin entfaltete schon im Iran und dann hier in Deutschland auch mit Wirkung in den Iran hinein missionarische Aktivitäten. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Die Klägerin verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte die Klägerin zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht hat. Die Klägerin erklärte: Ihr gefalle im Christentum die Fröhlichkeit und die Ruhe. Im Islam gebe es nur Krieg und Gewalt und alles sei ein Muss. Im Christentum gebe es Gottvater und den Heiligen Geist. Gott habe seinen Sohn mit Hilfe des Heiligen Geistes auf die Erde, also zu uns, geschickt und dieser habe sich für unsere Sünden geopfert. Besonders interessant sei, dass Jesus Christus durch die Jungfrau Maria geboren worden sei. Das Leben wende sich zum Positiven, wenn wir an Jesus Christus glaubten. Er sei da, um uns zu retten. Nach dem Koran sei Jesus Christus nicht gekreuzigt worden, sondern es heiße, er komme wieder mit dem zwölften Imam. Bei den Christen sei Jesus Christus jedoch Gott. Jesus Christus sei ein Teil von Gott selbst. Er sei zusammen mit dem Heiligen Geist geschaffen worden. Der Heilige Geist sei das, was wir nicht sähen. Jesus Christus sei da. Jesus Christus sei Gott und der Schöpfer selbst. Wir würden alle sündig geboren. Die Lust, Sünden zu begehen, komme vom Teufel.
Die Klägerin offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihre Gewissensschritt zusätzlich belegen, wie etwa einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte die Klägerin auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Klägerin bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Die Klägerin erklärte weiter, sie könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder wegzugehen und zum Islam zurückzukehren. Seit sie ihre Sünden gebeichtet habe, fühle sie sich sehr ruhig und entspannt. Sie könnte bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran ihre Konversion auch nicht verheimlichen. Sie habe im Iran schon Schreckliches erlebt. Es seien Sachen, die sie nicht noch mal erleben wolle. Ihre ganze Familie wisse es und daher wüsste es auch jeder andere im Iran. Sie wolle noch weiter missionieren.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin missionarische Aktivitäten entwickelt, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner bzw. eine Iranerin die religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung der sie betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstiger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls insoweit aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch – bezogen auf die Klägerin – die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheides) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. hier § 75 Nr. 12 AufenthG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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