Verwaltungsrecht

Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Homosexualität, Bisexualität, glaubhafte Angaben zu eigener sexueller Orientierung, zweifelsfreies und in sich stimmiges Vorbringen, drohende Verfolgung durch Polizei, Drohungen durch nichtstaatliche Akteure, Situation von Homosexuellen in Iran, flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung, Homosexueller in Iran, beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr, ernsthafte Gefahr für Homosexuelle, prägendes Bedürfnis, Bisexualität auszuleben, Verzicht auf Ausleben der Homosexualität bzw. Bisexualität nicht zumutbar, verheimlichen der Homosexualität bzw. Bisexualität in Vergangenheit unschädlich, fehlende interne Schutzmöglichkeit auf Dauer

Aktenzeichen  W 8 K 22.30051

Datum:
27.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16862
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2
AsylG § 3
AsylG § 25
RL 2011/95/EU Art. 9
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 Buchst. d

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Januar „2021“ (richtig: 2022) werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni „2021“ – wie den Behördenakten zu entnehmen ist, handelt es sich dabei offensichtlich um einen Schreibfehler, weil das richtige Jahr offenkundig 2022 ist – ist in seinen Nummern 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) und zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Iran flüchtlingsrelevante Verfolgungsmaßnahmen drohen. Nach der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung und insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks des Gerichts vom Kläger hat der Kläger sein Heimatland aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen. Gleichermaßen besteht für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran. Die Würdigung der Angaben des Klägers ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die sexuelle Orientierung (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie bzw. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie (§ 3a AsylG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dabei ist es nicht zumutbar, von homosexuellen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C-201/12 – ABl. EU 2014, Nr. C 9 S. 8 – NVwZ 2014, 132; EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612; vgl. auch Markart, EUGH zur sexuellen Orientierung als Fluchtgrund, Asylmagazin 12/2013, 402; Titze, Sexuelle Orientierung und die Zumutung der Diskretion, ZAR 2012, 93).
Ergänzend wird angemerkt, dass dem soeben zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 (C-199/12 bis C-201/12) ein Übersetzungsfehler zugrunde lag und bei wörtlicher Übersetzung die Formulierung tatsächlich lauten müsste: Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftiger Weise nicht erwarten, dass der Asylbewerber (statt: … von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er …) seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden. Den Betreffenden ist danach nicht zuzumuten, gefahrträchtige Verhaltensweisen zu unterlassen, um eine Verfolgung zu vermeiden, die andernfalls wegen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität drohen würde. Damit wollte der Europäische Gerichtshof offensichtlich klarstellen, dass Behörden und Gerichte ein solche Diskretion auch nicht – etwa aufgrund einer bisher sexuellen zurückhaltenden Lebensweise – unterstellen oder prognostisch vermuten und daraus Schlüsse ziehen dürfen (vgl. VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris Rn. 48; siehe auch Reiß in Entscheiderbrief 12/2021, S. 5, nach der es anders lediglich ausnahmsweise in Einzelfällen sein kann, in denen Antragstellende die diskrete Lebensweise „aus eigenem, freien Willen“ akzeptieren).
Das Vorstehende gilt auch im Blick auf Bisexuelle. Denn das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass die Annahme, einer Bisexueller könne darauf verwiesen werden, seine homosexuelle Orientierung in seinem Heimatland geheim zu halten (sog. Diskretionsgebot) vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schlechthin unvertretbar wäre und die Willkürschwelle überschreiten würde (BVerfG, B.v. 22.1.2020 – 2 BvR 1807/19 – Asylmagazin 2020, S. 80 f. m. Anm. von Braun/Dörr/Träbert, S. 81 ff.).
Umgekehrt kann der betreffenden Person nicht als Nachteil entgegengehalten werden, wenn aus Furcht vor Verfolgung auf eine homosexuelle Betätigung verzichtet wird, sofern die verfolgungsrelevante homosexuelle Betätigung die sexuelle Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet (vgl. so zur religiösen Betätigung BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit juris PR-BVerwG 22/2015 Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx Anm., InfAuslR 2013, 308).
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377) liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Gerade durch die persönlichen glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung über sein Schicksal im Zusammenhang mit seiner Homosexualität bzw. Bisexualität hat das Gericht keine Zweifel, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
Der Kläger hat im Gerichtsverfahren, insbesondere im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung sein Schicksal als Homosexueller bzw. Bisexueller glaubhaft geschildert. Dazu ist zu anzumerken, dass im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 2.12.2014 – C-148/13 bis 150/13 – ABl. EU 2015, Nr. C 46 S. 4 – NVwZ 2015, 132) zum einen darauf zu achten war, zu zudringliche, diskriminierende und menschenunwürdige Fragen gerade zum Intimbereich und zu Einzelheiten der sexuellen Erlebnisse zu vermeiden. Zum anderen ist bei der Würdigung der Aussagen des Klägers auch im Vergleich zu seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu bedenken, dass angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Intimsphäre einer Person, insbesondere ihrer Sexualität, betreffen, allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren und gewisse Sachverhalte gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht so deutlich bzw. anders angegeben hat, nicht geschlossen werden kann, dass sie deshalb unglaubwürdig ist (vgl. EuGH, U.v. 2.12.2014 – C-148/13 bis 150/13 – ABl. EU 2015, Nr. C 46 S. 4 – NVwZ 2015, 132; siehe auch Gärlich, Anmerkung, DVBl. 2015, 165, 167 ff.). Weiter ist zu bedenken, dass die homosexuelle Entwicklung des Einzelnen und das Offenbaren sowie das Ausleben der Homosexualität individuell sehr unterschiedlich verlaufen und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner kulturellen, gesellschaftlichen und auch religiösen Prägung sowie seiner intellektuellen Disposition abhängen (vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6). Die geschlechtliche Identität, die sexuelle Ausrichtung sowie das Sexualleben gehören zu der von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatsphäre (Hofmann in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 32. Edition Stand: 1.1.2021, Art. 8 EMRK Rn. 20).
Das Gericht hat bei der gebotenen richterlichen Beweiswürdigung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger tatsächlich homosexuell bzw. bisexuell veranlagt ist und diese homosexuelle bzw. bisexuelle Veranlagung schon in der Vergangenheit sowohl im Iran, Malaysia und Ungarn ausgelebt hat, als auch hier in der Bundesrepublik Deutschland auslebt. Er hat gleichgeschlechtliche Beziehungen zu anderen Männern unterhalten. Das Gericht hat nicht den Eindruck, dass der Kläger die Bisexualität nur aus asyltaktischen Gründen vorgibt. Vielmehr sprechen seine Schilderungen von einem wirklich erlebten Schicksal und Werdegang als Bisexueller.
Der Kläger hat bei seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht bloß abstrakt von einem ausgedachten, flüchtlingsrelevanten Sachverhalt berichtet, sondern durchaus in umfangreichen Ausführungen detailreich sein Schicksal als Bisexueller geschildert. Anders als bei einem erfundenen Schicksal erwähnte der Kläger dabei auch immer wieder nebensächliche Details und lieferte so eine anschauliche Schilderung seiner Erlebnisse. Hinzu kommen die dabei gebrauchte Wortwahl sowie die gezeigte Mimik und Gestik, auch verbunden mit einem Einblick in seine Gefühlslage und Gedankenwelt, ohne dass er den Eindruck erweckte, ein erdachtes Ereignis künstlich emotional aufbauschen zu wollen. Der Kläger betonte wiederholt, sein Anliegen, seine Bisexualität konkret seine Homosexualität insbesondere im Iran sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb der Familie und auch in der Schule zu verheimlichen. Dies ist aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse in gesellschaftlichen und familiären Umgang mit homosexuellen Menschen im Iran plausibel. Der Kläger zeigte sich persönlich berührt und emotional betroffen. Gerade die nicht verbalen Elemente bei der Aussage (Körpersprache, Gestik, Mimik usw.) sprechen gewichtig für die Ehrlichkeit des Klägers und für den wahren Inhalt seiner Angaben. Dabei kommt das Auftreten des Klägers in der mündlichen Verhandlung und die Art und Weise seiner Aussage im Protokoll über die mündliche Verhandlung allenfalls ansatzweise zum Ausdruck. Erwähnenswert ist auch noch, dass es dem Kläger aus Scham bzw. aus Angst – gerade auch mit Blick auf den Dolmetscher – teilweise sichtlich schwerfiel, über seine homosexuellen Erlebnisse bzw. einzelne Handlungen konkret zu berichten. Dieser Umstand spricht aufgrund seiner Herkunft und Prägung nicht gegen, sondern für ihn.
Der Kläger schildete in der mündlichen Verhandlung ausführlich und glaubhaft, dass er etwa mit 15 Jahren seine bisexuelle Orientierung bemerkte, wonach er gleichermaßen Interesse für Männer und Frauen hatte. Dies sei bei einer Familienzusammenkunft gewesen, als er gleiches Interesse sowohl für Cousine als auch Cousin gehabt habe. Der Kläger gab weiter ehrlich an, dass er nicht das Gefühl gehabt habe, dass er ein Mädchen sei. Er habe auch sonst keine Mädchenkleider anziehen wollen, aber er habe sich schon der Mode entsprechend angezogen. Er habe gedacht, seine sexuelle Orientierung sei seine Natur. Es habe einige Jahre gedauert. Er habe zunächst gedacht, dass diese Phase eine normale Phase sei und es vielleicht wieder vergehe. Aber es sei dann weitergegangen. Er habe weiterhin gleichzeitig für beide, Jungen und Mädchen, Interesse gehabt. In letzter Zeit gehe sein Interesse meistens zu Männern, aber er schwanke noch hin und her. Er sei grundsätzlich immer noch bisexuell.
Mit 18 Jahren habe er eine Beziehung zu einem anderen Schüler, einen Schulfreund, aufgenommen. Es sei ein Klassenkamerad gewesen. Dies sei nicht das Gefühl gewesen wie bei einer sonstigen Freundschaft zwischen Jungen, sondern eher das Gefühl wie bei einem „Girl-Friend“; er habe z.B. die betreffende Person auch küssen wollen. Die Beziehung zu dem Schulfreund sei der Anfang aller Probleme gewesen. Sie hätten sehr viel Zeit miteinander verbracht, Witze gemacht, Spaß gehabt und sich immer näher kennen gelernt. Sie hätten auch Fotos zusammen angeschaut und sich auch geküsst. Er sei oft bei seinem Schulfreund zu Hause gewesen. In der Nähe habe ein anderer Schüler gewohnt und dies mitbekommen. Es könne sein, dass sein Freund in der Schule etwas erzählt habe, was sie zusammen gemacht hätten. Die anderen Schüler hätten es mitbekommen und, wenn ein Schüler etwas wisse, dann erzähle er es weiter. Die Beziehung sei während des dritten Jahres Gymnasiums gewesen und habe etwa acht Monate gedauert. Auch sein Schulfreund sei offensichtlich homosexuell gewesen. Die anderen Schüler hätten sie gestört. Es sei kein Mobbing im Sinne von Hass gewesen, sondern eher so als dass sich die anderen Schüler über ihn lustig gemacht hätten. Nachdem die Klasse es mitbekommen gehabt habe, sei auch die Schulverwaltung darauf aufmerksam geworden und habe es seiner Familie mitteilen wollen. Daraufhin habe er, der Kläger, die Schule verlassen, und sein Abi später nachgeholt. Die Schulverwaltung habe ihm nicht geholfen, sondern eher noch alles verschlimmert. Er habe keinen gehabt, dem er alles habe sagen können.
Der Kläger erwähnte weitere sexuelle Beziehungen im Iran, etwa zu einem Jungen in der Nachbarschaft, in den er verliebt gewesen sei. Dies sei gewesen, bevor er 2014 nach Malaysia sei. Bevor er nach Malaysia sei, habe er auch noch einmal eine Beziehung zu einer Frau gehabt, einer Flugbegleiterin. Dies habe etwa so neun Monate gedauert. Er habe seine Homosexualität in jedem Fall verheimlichen wollen, auch während seines Wehrdienstes, um nicht aufzufallen. Er habe vermeiden wollen, dass auf der Karte zum Abschluss des Wehrdienstes eine Nummer eingetragen werde, aufgrund deren man seine Homosexualität erkennen könne.
Noch vor der Wehrdienstzeit sei der erste Vorfall mit der Polizei gewesen. Auch insofern beschrieb der Kläger die Situation gestenreich. So stellte er dar, wie er und sein Freund sich berührt hätten oder wie er von der Polizei geschlagen und verletzt worden sei. Der Kläger schilderte dezidiert und glaubhaft, dass der Vorfall in einem großen Park mit Bäumen gewesen namens „Chitgar“ gewesen sei. Er habe viel Sport getrieben und sei auch zum Joggen dort gewesen. Er habe dabei jemand anders getroffen und diesen immer näher kennen gelernt. Sie hätten sich auf eine Bank im Park gesetzt. Insofern ist anzumerken, dass der Kläger ausdrücklich erklärte, es gehe um sehr persönliche Sachen, die er eigentlich nicht öffentlich erzählen wolle. Beim Interview beim Bundesamt habe er erzählt, sie hätten sich an den Händen gehalten, doch es sei tatsächlich weitergegangen. Er habe es aber dort beim Bundesamt vor dem Dolmetscher nicht erzählen wollen und habe auch hier Bedenken wegen des Dolmetschers. Nach dem Hinweis des Gerichts, dass der Dolmetscher zur Verschwiegenheit verpflichtet sei, erklärte der Kläger unter Verwendung entsprechender Gesten, sie hätten sich auch unter der Kleidung angefasst. Zu dem Zeitpunkt sei es schon dunkel gewesen. Die Sonne sei schon untergegangen gewesen. Die Polizei sei Experte. Sie mache es auch durchaus so, dass sie das Motorrad ausschalteten und nur noch rollen ließen. Die uniformierten Polizisten seien zu ihnen gekommen und hätten sie ungefragt ins Gesicht geschlagen und beleidigt. Das sei immer mit der Polizei so. Diese hätten dann andere Polizisten um Hilfe gerufen, die mit einem Auto, eine Art „Polizeibus“, gekommen und sie zur Polizeistation gefahren hätten. Nachdem der eine Polizist zum anderen gesagt gehabt habe, sie hätten sie erwischt, wie sie aneinander rumgefummelt hätten, sei er geschlagen und getreten worden, so dass er zu Boden gefallen sei. Als er auf dem Boden gelegen habe, hätten sie mit schweren Militärstiefeln weiter auf ihn eingetreten. Er habe sich die linke Hand gebrochen und das rechte Knie. Ein Arzt habe ihm später gesagt, es sei ein Haarriss in der Kniescheibe. Er habe aber noch humpelnd laufen können. Auch in dem Zusammenhang unterstrich der Kläger, der oft Deutsch sprach, durch verschiedene Gesten die jeweiligen Handlungen. Nachdem er der Polizei gesagt habe, sie hätte ihm die Hand gebrochen, hätten sie ihn nicht mehr so arg malträtiert. Vor der Freilassung habe er ein Papier ausfüllen müssen mit seinen Adressdaten. Er habe verhindern wollen, dass seine Eltern etwas erführen. Deshalb habe er er gegenüber der Polizei die Bitte geäußert, seinen Eltern nichts zu sagen, er würde auf eine Anzeige wegen Körperverletzung verzichten. Er habe zu dem Zeitpunkt auch gar nicht daran gedacht, dass er schon volljährig gewesen sei und die Polizei womöglich keinen Grund gehabt hätte, seine Eltern anzurufen.
Weder im Krankenhaus noch gegenüber seinen Eltern habe er den wahren Sachverhalt verraten, sondern nur angegeben, es habe ein Streit im Park gegeben.
Der Kläger schilderte weiter, dass er dann in Malaysia Architektur und später in Ungarn Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing studiert habe. Nur in Ungarn habe er seinen Abschluss mit dem Bachelor gemacht. Der Kläger beschrieb zu seinem Sexualleben weiter, er habe in Malaysia zunächst eine längere Beziehung zu einem Indonesier gehabt, der mittlerweile in Australien lebe. Er habe aber immer noch Kontakt zu ihm. Nachdem der Freund weg gewesen sei, habe er auch eine Beziehung zu einer Malaysierin gehabt, die etwa drei Monate gedauert habe.
Der Kläger betonte weiter, dass er immer nur kurz in den Iran gereist sei und die Familie besucht habe. Er habe wegen der Erlebnisse dort nicht länger bleiben wollen. Er habe immer Angst gehabt. Er habe sich immer verstecken und alles verheimlichen müssen. Er sei deshalb immer nur kurz im Iran gewesen.
Weiter gab der Kläger glaubhaft an, dass die Situatuion mit Blick auf seine sexuelle Orientierung nach seinem Empfinden auch dort nicht unproblematisch gewesen sei. In Ungarn habe er Kontakt zu anderen Männern gehabt. Aber es sei dann keine richtige Beziehung gewesen. Er habe in Ungarn kein sicheres Gefühl gehabt, weil die dortige Regierung gegen die LGBT sei. Dies unterstrich er durch die Aussage, dass er nur wenige Brocken Ungarisch gesprochen und vermieden habe Farsi zu sprechen. In der Uni sei Englisch gesprochen worden.
Der zweite Vorfall im Iran sei anlässlich eines Familienbesuchs gewesen. Ihm sei langweilig gewesen. Er habe über eine App jemanden kennen gelernt. Sie hätten sich in einem Park mit einem anderen Mann verabredet und zwar in einem anderen Park namens „‘Daneshjoo“ bzw. „Daneshjou“. Dieser Park habe einen gewissen Ruf als Homosexuellentreff. Sie seien auf einer Bank gesessen. Sie hätten sich aber nicht so eng umschlungen wie beim ersten Vorfall. Dann seien Männer in Zivil mit dem Motorrad gekommen. Einer der Motorradfahrer hätte sie unfreundlich angesprochen und mit dem Funkgerät ein anderes Motorrad herbeigerufen. Er gehe davon aus, dass es Männer der Bassidsch gewesen seien. Sie seien zu einer Station gebracht worden, von der er nicht gewusst habe, ob es eine offizielle Polizeistation oder eine Bassidsch-Station gewesen sei. Jedenfalls seien dort Männer mit und ohne Uniform gewesen. Er und sein Freund seien durchsucht worden. Sie hätten sich an die Wand stellen müssen und seien durchsucht worden. Er habe seine Adressdaten und Telefonnummern aufschreiben sollen. Er habe einen Laptop dabeigehabt, aber sein Passwort nicht verraten wollen. Denn er habe private Aufnahmen auf dem Laptop gehabt, Fotos und insbesondere ein Video, bei dem er bei sexuellen Handlungen zu sehen sei. Sein Partner in dem Film sei der indonesische Freund gewesen. Bei einer Herausgabe des Passworts an die Bassidsch hätte er deswegen noch größere Probleme bekommen. Aufgrund der Weigerung der Herausgabe des Passworts habe er sein Laptop und die anderen Sachen nicht mitnehmen dürfen. Ihm sei vielmehr gesagt worden, diese blieben da und kämen zu Ettelaat. Dann könne er sie dort wieder abholen.
Wegen seiner Sicherheit sei er aber anschließend nicht zu seinen Eltern, weil die Bassidsch deren Adresse gehabt hätten, sondern zu seinem Bruder. Er habe seinen Flug organisiert, sei nach Berlin geflogen und mit dem Flix-Bus nach Ungarn gefahren.
Der Kläger erläuterte, auf Frage des Gerichts mit Bezug zu seiner im Bundesamtsbescheides kritisch gesehen Aussage, sein Freund habe wie ein Homosexueller ausgesehen, weiter: Sein Freund in Park sei leicht geschminkt gewesen, wie er durch Gesten unterstrich. Aufgrund dessen sowie aufgrund von dessen Kleidung und des Umstands, dass der Park als homosexueller Treffpunkt bekannt und sie da gewesen seien, habe er angegeben, dass sein Freund nach außen hin homosexuell ausgesehen habe.
Der Kläger gab weiter an, seine Eltern wüssten bis heute nichts und auch sein Bruder nicht. Vielmehr sagten sie ihm, dass er endlich heiraten soll.
Der Kläger fuhr mit seinen Angaben fort, dass es auch in Deutschland nicht so einfach sei. Zwar hätten viele Interesse an ihm gezeigt, aber er habe kein Interesse an den Anderen. Denn es sei so, dass viele nur einen One-Night-Stand wollten. Aber das sei nicht sein Ding. Er wolle eher eine längere Beziehung. Auch den Umzug in die spezielle LGBT Unterkunft sei erfolgt, weil in der vorherigen Unterkunft problematisch gewesen sei, das Zimmer mit einem Moslem teilen müssen, der die ganze Zeit die LGBT beleidigt habe (vgl. die Bestätigung der „Rosa Hilfe“ vom 25.5.2022). Außerdem sei er eigentlich konfessionslos.
Der Kläger erläuterte zu seinem Gefühlsleben: Wenn er zurückblicke, sei das Leben im Iran für ihn ein Albtraum gewesen. Er habe seine Probleme dadurch überdeckt, dass er immer viel Sport getrieben habe. Er habe gegen Depressionen Sport getrieben. Er habe den Albtraum gehabt, dass er zu Hause bei sich in der Wohnung der Eltern sei und sein Freund sei zu Besuch und dann kämen die Eltern zurück. Diese Albträume habe er immer noch. Genauso habe er den Traum, in dem er zurückgereist sei und am Flughafen befragt werde. Deshalb habe er auch Angst gehabt, wenn sein Visum irgendwo abgelaufen sei und er es habe verlängern müssen. Der Kläger verdeutlichte, dass seine Sorgen aber noch weit darüber hinausgingen. Wie schon erwähnt, habe er in Ungarn vermieden, mit den iranischen Studenten Farsi zu sprechen. Er habe Angst gehabt, dass er in den Iran zurückmüsse. Dies sei ein moslemisches Land. Er sei konfessionslos.
Der Kläger gab weiter an, dass jemand nach seiner Ausreise bei seinem Vater angerufen und sich nach ihm erkundigt habe. Später sei auch mit einem Foto in der Nachbarschaft nach ihm gefragt worden. Außerdem seien nochmals Personen bei seinem Vater an der Tür gewesen, die nach ihm gefragt hätten.
Der Kläger erklärte weiter, dass die Frauen, mit denen er eine Beziehung gehabt habe, seines Wissens nach nicht bisexuell gewesen seien, und auch nicht gewusst hätten, dass er bisexuell sei. Die Männer, mit denen er eine Beziehung gehabt habe, seien – soweit er wisse – alle homosexuell gewesen.
Der Kläger zeigte weiter glaubhaft auf, dass es nach seiner Auffassung ein großer Unterschied sei, was das Ausleben der sexuellen Orientierung im Iran und Deutschland anbelange. Im Iran zeige man bei der speziellen App zur Kontaktaufnahme nicht sein Gesicht, sondern andere Körperteile. In Deutschland sei alles offen über das Gesicht. Im Iran wisse man nicht, wenn man mit jemanden spreche, wer der Andere auf der anderen Seite sei. In Deutschland gebe es ein Gesetz, dass alles zulässig sei, im Iran sei immer die Angst dabei. In Deutschland gebe es diese Gay-Parade mit den Regenbogen-Fahnen, den Christopher-Street-Day. Dort seien auch Familien mit Kinder, die diese Bewegung unterstützten.
Der Kläger betonte weiter, dass es für ihn sehr wichtig sei, seine sexuelle Orientierung ausleben zu können, ohne Angst zu haben. Wenn er Angst habe, dann müsse er immer überlegen, wie er sich verstecken könne und könne sich bei den anderen Dingen nicht konzentrieren. Er müsse immer aufpassen und darüber nachdenken, wenn (wie im Iran) im Gesetz stehe, es sei verboten und sein Verhalten sei ein Krieg gegen Gott. In Deutschland sei dies ganz anders. Auch die Leute im Iran hätten eine ganz andere Einstellung. Für ihn sei es wichtig unter Leuten zu leben, die seine sexuelle Orientierung auch akzeptieren würden. Im Iran sei für ihn sowohl die Strafdrohung durch den Staat als auch die gesellschaftliche Reaktion als auch seine Eltern gleichermaßen schlimm, gerade im Hinblick auf die Gefahr der Entdeckung. Früher habe er aufpassen müssen. Hier sei es ganz anders. Der Kopf sei frei, er habe keine Angst. Er müsse hier keine Angst vor der Familie oder der Polizei haben. Er habe sich vollständig verändert, im Vergleich zu der Zeit, in der er dauernd unter Druck gestanden habe. Er wolle hier in Deutschland ein Leben führen so wie es im Iran nicht möglich gewesen sei.
Zusammenfassend hat der Kläger seine homosexuelle bzw. bisexuelle Entwicklung geschildert mit homosexuellen bzw. bisexuellen Kontakten schon im Iran, in Malaysia, in Ungarn und zuletzt in Deutschland. Der Kläger hat wiederholt sexuelle Beziehungen, insbesondere auch zu anderen Männern unterhalten und lebt auch hier in Deutschland seine sexuellen Neigungen weiter aus, so dass davon auszugehen ist, dass er dies auch im Fall einer Rückkehr in den Iran tun wollte, wenn es gefahrlos möglich wäre.
Nach dem Gesamteindruck bestehen für das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu seiner Bisexualität. Das Gesamtbild der umfassenden und vielschichtigen klägerischen Aussagen ist in sich stimmig. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger aus seiner Sicht die Wahrheit gesagt hat. Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit repressiven Maßnahmen von Vertretern des iranischen Staates bzw. von Privatpersonen zu rechnen hätte, sofern er seine Homosexualität/Bisexualität und deren Ausleben nicht aus Angst vor Verfolgung unterdrücken und verheimlichen würde. Vor diesem Hintergrund ist es dem Kläger angesichts der im Iran herrschenden Verhältnisse nicht zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren.
Denn Homosexuellen droht im Iran nach den Informationen aus den vorliegenden Erkenntnisquellen flüchtlingsrelevante Verfolgung.
Im Iran ist die Homosexualität im Gegensatz zur Transsexualität nicht legalisiert. Die Homosexualität ist eine krankhafte Todsünde. Die Transsexualität ist im Iran eine heilbare Krankheit. Dies ist auf einen entsprechenden Rechtsspruch des früheren Ayatollah Khomeini zurückzuführen, der zu Geschlechtsumwandlungen feststellte: „Die sexuelle Identität jeder Person beruht auf ihrer Wahrnehmung von sich selbst“ (Die Welt vom 13.2.2014 „Iranische Nationalspielerinnen als Männer entlarvt“; Handelsblatt vom 7.9.2009 „Iran: Wo die Geschlechtsumwandlung boomt“ – vgl. näher zur Verfolgung Transsexueller VG Würzburg, U.v. 17.12.2014 – W 6 K 14.30391 – juris – m.w.N.).
Homosexualität ist im Iran strafbar. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches „Coming Out“ selten. Das iranische Strafgesetzbuch sieht für sexuelle Handlungen unter Männern die Todesstrafe vor. Allerdings sind die Beweisanforderungen hierfür sehr hoch (vier männliche Zeugen, Ermittlungsverbot in Fällen, in denen zu wenige Zeugenaussagen vorliegen, hohe Strafen für Falschbeschuldigungen). Bei Minderjährigen, in weniger schwerwiegenden Fällen sowie bei sexuellen Handlungen, die die Beweisanforderung für die Todesstrafe nicht erfüllen, sind Peitschenhiebe vorgesehen (auch hierfür sind zwei männliche Zeugen erforderlich). Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden mit bis zu 100 Peitschenhieben, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe geahndet. Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umstand der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität jedoch nicht eindeutig bestimmen. Dennoch werden homosexuelle Beziehungen im entsprechenden soziokulturellen westlich beeinflussten, liberalen Umfeld in Einzelfällen auch de facto geduldet bzw. ignoriert. Geschlechtsumwandungen gelten häufig als Weg, um eine von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierung oder Identität in die Legalität zu bringen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 28.1.2022, Stand: 23.12.2021, S. 15). Die letzten dem Auswärtigen Amt bekannten und durch die iranische Justizverwaltung bestätigten Fälle sind die am 4. September 2011 in Ahvaz wegen homosexueller Handlungen erfolgten Hinrichtungen von drei Männern (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 9.12.2015, Stand: November 2015, S. 24; siehe auch Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 30.6.2007: „Sanktionen bei Verstoß gegen moralische Normen“, S. 11; UNHCR vom Januar 2002: Stellungnahme zur Verfolgungssituation Homosexueller in der islamischen Republik Iran). Häufig wird der Vorwurf der Homosexualität zusätzlich zu anderen Delikten erhoben, um die Verhafteten moralisch zu diskreditieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 9.12.2015, Stand: November 2015, S. 24; Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 6.2.2008).
Derartige Fälle werden auch vom Deutschen Orient-Institut bestätigt. Danach gibt es Berichte über Straftäter, die wegen gravierender Delikte wie Vergewaltigung, Prostitution oder Mord angeklagt oder verurteilt werden und bei denen zusätzlich mitgeteilt wird, dass es sich um Homosexuelle gehandelt habe, wobei die Homosexualität nicht im Vordergrund gestanden habe (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 15.4.2004 an das VG Köln). Nach Erkenntnissen des UNHCR im Jahre 2002 (vgl. Stellungnahme zur Verfolgungssituation Homosexueller in der islamischen Republik Iran, Januar 2002) stammte eine bekannt gewordene Hinrichtung durch Steinigung wegen wiederholter homosexueller Handlungen und Ehebruch aus dem Jahr 1995. Auch insoweit konnte allerdings nicht geklärt werden, ob die betroffenen Personen allein aufgrund homosexueller Handlungen verurteilt wurden oder ob zusätzliche Anklagen erhoben wurden. Nach Auffassung des UNHCR ist es jedoch nicht angebracht, nur von einer theoretischen Gefährdung auszugehen. Diskriminierende Gesetze und entsprechendes politisches Vorgehen gegen Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten im Iran erhöhen das Risiko, Opfer von Belästigungen oder sogar tödlicher Gewalt zu werden; sexuelle Minderheiten im Iran werden sowohl von staatlichen als auch privaten Akteuren schikaniert (vgl. VG Bayreuth, U.v. 5.3.2012 – B 3 K 11.30113 – juris, mit Bezug auf einen Bericht von Human Rights Watch vom Dezember 2010 „Diskriminierung und Gewalt gegen sexuelle Minderheiten im Iran“).
Sexuelle Minderheiten werden im öffentlichen Raum häufig Opfer von verbalen, gewalttätigen oder gar sexuellen Übergriffen durch Polizisten oder Sicherheitskräfte sowie von Familienmitgliedern oder anderen Privatpersonen. Sie haben dabei keine Möglichkeit gegen diese Übergriffe Schutz zu suchen, was zu einer Straflosigkeit der Täter führt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nufer/Lipp, Zulässigkeit der Wegweisung eines homosexuellen Iraners, Newsletter 30.5.2011).
Auch das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beschreibt die Situation der sexuellen Minderheiten und insbesondere die Repressalien gegen Homosexuelle im Iran (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 23.5.2022, S. 75 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Danach erfahren sexuelle Minderheiten im Iran regelmäßig Diskriminierungen, Belästigungen und Missbrauch – auch durch nichtstaatliche Akteure wie Familienmitglieder und durch die Gesellschaft. Homosexualität gilt als Krankheit, kann also angezeigt werden, befreit auf Antrag vom Militärdienst und sperrt Betroffene von der Ausübung der Beamtenfunktionen aus. Aus Furcht vor Bestrafung werden Missbrauchsfälle Homosexueller nicht angezeigt. Über Belästigungen und Diskriminierung sexueller Minderheiten wird aufgrund der Kriminalisierung und Verborgenheit dieser Gruppen nicht ausreichend berichtet. Die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht verboten. Verboten ist im Iran, unabhängig von der Religionsangehörigkeit, jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen. Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als „Verbrechen gegen Gott“ gelten, steht offiziell Auspeitschung; sie können auch mit dem Tod bestraft werden. Dies besagen diverse Fatwas, die von allen iranischen Klägern, ausgesprochen wurden. Die Beweisanforderungen sind allerdings sehr hoch. Bei minderjährigen und weniger schwerwiegenden Fällen sind Peitschenhiebe vorgesehen. Im Fall von „Lavat“ (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den passiven Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfindet, ansonsten für den Vergewaltiger. Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden bis zu 100 Peitschenhieben bestraft, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe. Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist z.B. schwerwiegender als jene für Frauen. Die Todesstrafe für Homosexualität wurde in den letzten Jahren nur punktuell und meist in Verbindung mit anderen Verbrechen verhängt. Der Iran soll zwischen 2015 und 2020 mindestens sechs Männer wegen „Lavat“ gehängt haben. Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umfang der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen der Homosexualität nicht eindeutig bestimmen. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches „Coming Out“ selten. Die Regierung zensiert alle Materialien, die sich auf den Status oder das Verhalten von Sexuellen beziehen.
Seit der iranische Revolution 1979 sollen vermutlich bereits 5.000 Schwulen und Lesben hingerichtet worden seien. Im Jahr 2019 ist ein Mann wegen verschiedener Anschuldigungen, darunter Sodomie, öffentlich hingerichtet worden, ebenso zwei Männer im Jahr 2014. In Haftanstalten sind homosexuelle Männer im besonderen Maße Misshandlungen ausgesetzt (vgl. VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris Rn. 31 ff. m.w.N.).
Nach Amnesty International (AI – Amnesty International, Report 2021/2022; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Iran 2021) wurde im Mai 2021 ein Mann ermordet, der sich selbst als nichtbinären schwulen Mann bezeichnete. Die Tat machte deutlich, dass die Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen und geschlechtlicher Nichtkonformität durch Strafen, die von Auspeitschen bis zur Todesstrafe reichten, Gewalt und Diskriminierung von LGBTI+ Vorschub leistete. So genannte Konvertierungsbehandlungen, die Folter und anderen Misshandlungen gleichkommen, waren staatlich anerkannt und wurden nach wie vor häufig angewandt, auch bei Minderjährigen. Die nicht geschlechtskonformen Personen liefen Gefahr, strafrechtlich verfolgt zu werden, es sei denn sie strebten eine legale Geschlechtsangleichung an, die eine entsprechende Operation und die Sterilisation erforderte. Die Militärbehörden stufen Homosexualität weiterhin als „Perversion“ ein. Vom Militär ausgestellte Bescheide, die homosexuelle und transgeschlechtliche Personen vom Militärdienst ausnahmen, enthüllten indirekt die sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität der Betreffenden, ohne dass sie dem zugestimmt hätten, und setzten sie damit der Gefahr von Gewalt aus.
Auch Human Rights Watch (HRW, World Report 2022 Iran) berichtet, dass das iranische Gesetz gleichgeschlechtliche Beziehungen als Verbrechen behandelt, das mit dem Tod bestraft werden kann oder auch durch die unmenschliche Strafe der Auspeitschung. Nach iranischem Recht wird außerehelicher Sex mit Auspeitschung bei Unverheirateten oder Tod bei Verheirateten unter Strafe gestellt. Auch gleichgeschlechtliches Verhalten wird mit Auspeitschung und bei Männern mit der Todesstrafe geahndet, obwohl der Iran Operationen zur Geschlechtsumwandlung für Transgender-Personen erlaubt und subventioniert, verbietet kein Gesetz ihre Diskriminierung.
Betreffend die Homosexualität ist man im Iran noch weit davon entfernt, an Homosexuelle auch nur zu denken. Homophobie, Diskriminierung und drakonische Strafen für homosexuelle Handlungen sind Gründe, warum Iraner auch nach Deutschland fliehen, um hier zu einem selbstbewussten Umgang mit ihrer sexuellen Identität zu finden. Gemäß den Lehren des Islams gelten homosexuelle Handlungen als sündhaft. Homosexuellen Personen bleibt aus Furcht vor Strafe und Repressalien oftmals nur die Flucht ins Exil. Im Iran wissen, wenn überhaupt, oftmals nur enge Familienmitglieder und gute Freunde von der Homosexualität ihrer Verwandten oder Freunde (Iran Journal vom 29.6.2015 „Der lange Weg zum ‚Proud to be Gay‚“).
Die Behörden im Iran verfolgen Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen gleichen Geschlechts sind verboten. Homosexuelle sind Schikanen und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. In einigen Fällen wurden von Sicherheitskräften Razzien in Häusern durchgeführt und auch Websites überwacht. Nicht nur der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist kriminalisiert, sondern auch andere Handlungen, darunter Berühren und intimes Küssen, die mit Peitschenhieben bestraft werden können. Darüber hinaus haben Regierungsvertreter, Mitglieder der Bassidsch-Milizen und Vertreter der Strafverfolgung und der Geheimdienste die Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichem Verhalten als Vorwand benutzt, um eine Überwachung und Regulierung privater einvernehmlicher Beziehungen zwischen Menschen zu etablieren und grundlegende Rechte von Menschen zu verletzen, die beschuldigt wurden, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu unterhalten. Es kam zu Massenverhaftungen von Männern, die man verdächtigte, schwul zu sein (Amnesty International, Report 2015 Iran; queeramnesty, Offener Brief von internationalen NGOs an den Präsidenten der islamischen Republik Iran vom 29.12.2013 – http://www.queeramnesty.de/laender/artikel/kategorie/iran/view/offener-brief-an-den-praesidenten-der-islamischen-republik-iran.html).
Die vorstehend zusammenfassend skizzierte Auskunftslage belegt, dass offen gelebte Homosexualität – insbesondere von Männern – im Iran ein erhebliches Gefährdungspotenzial für (vornehmlich auch) staatliche Verfolgung in sich birgt und sich dieses Potenzial im Einzelfall zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit asyl- bzw. flüchtlingsrelevanter Bedrohung verdichten kann (vgl. zur Verfolgung Homosexueller zuletzt etwa VG Stuttgart, U.v. 12.1.2022 – A 11 K 4437/19, 7717038 – juris; VG Trier, U.v. 11.1.2022 – 8 K 2761/21.TR – Milo; VG Bayreuth, U.v. 15.11.2021 – B 10 K 19.30077 – juris; VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 14 ZB 20.31647 – juris; B.v. 20.1.2020 – 14 ZB 19.30324 – juris; siehe im Übrigen die Nachweise bei VG Würzburg, U.v. 15.2.2017 – W 6 K 16.31039 – juris Rn. 50; U.v. 13.12.2015 – W 6 K 15.30648 – juris Rn. 40).
Nach dieser Erkenntnislage droht dem Kläger bei einer Rückkehr flüchtlingsrelevante Verfolgung.
Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er sexuelle Handlungen vorgenommen hat, die die skizzierten Straftatbestände des iranischen Strafrechts erfüllen. Der Kläger hat überzeugend dargelegt, dass er schon seit seiner Jugendzeit bisexuelle Neigungen hat und auch entsprechend bisexuell bzw. homosexuell geprägt ist. Vor diesem Hintergrund kann es ihm nicht verwehrt werden, seine Bisexualität, einschließlich der Homosexualität auszuleben, wie er dies zum Teil auch schon in der Vergangenheit praktiziert hat. Zwar hat er bisher seine Homosexualität im Privaten und Verborgenen bzw. im Ausland ausgelebt, weil er seine Homosexualität zum einen mit Rücksicht auf seine Familie wegen der fehlenden Akzeptanz und der damit verbundenen Folgen sowie auch aus Furcht vor Strafverfolgung und wegen der sozialen und gesellschaftlichen Ächtung im Iran verheimlicht hat. Der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf ein Ausleben der Homosexualität bzw. die Unterdrückung und Verheimlichung der eigenen Homosexualität kann dem Kläger jedoch nicht zu seinem Nachteil angelastet werden. Ein unter der im Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf homosexuelle Betätigung hindert die Anerkennung des Flüchtlingsschutzes nicht. Aus der gleichen Erwägung ist unschädlich, dass der Kläger neben der Angst vor der Verfolgung durch staatliche Behörden bzw. aus Angst vor Repressalien seitens der Gesellschaft, auch aus Angst vor seiner Familie im Iran von einem Ausleben der Homosexualität absieht bzw. dies tunlichst verheimlicht. Dem Kläger kann darüber hinaus nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr weiter seine sexuelle Identität zu verheimlichen oder Zurückhaltung zu üben. Der Kläger droht bei einer Rückkehr vielmehr verfolgt zu werden, wenn er sich seiner Sexualität entsprechend verhalten würde und wie dies bei dem zwei von ihm geschilderten Vorfällen auch schon passiert ist. Im Übrigen wäre selbst – anders als hier – eine bisher fehlende Verfolgung wegen Verheimlichung der Homosexualität im Iran unschädlich. Vielmehr sind in der Person des Klägers die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben.
Im Übrigen ist anzumerken, dass mittlerweile geklärt ist, dass homosexuelle und auch bisexuelle Personen asylrechtlich als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind und dass bei der Prüfung des Asylantrags nicht erwartet werden darf, dass homosexuelle Asylbewerber ihre Homosexualität im Herkunftsstaat geheim halten oder sich bei deren Auslebung zurückhalten (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 14 ZB 20.31647 – juris Rn. 10 mit Bezug auf EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2013:720 Rn. 41 ff., 70 ff.). Auch im Iran bilden homosexuelle bzw. bisexuelle Menschen eine bestimmte soziale Gruppe gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Schon wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe droht homosexuellen bzw. bisexuellen Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 AsylG (VG Stuttgart, U.v. 12.1.2022 – A 11 K 4437/19, 7717038 – juris S. 10 f.; VG Bayreuth, U.v. 15.11.2021 – B 10 K 19.30077 – juris S. 10 und S. 16; VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris Rn. 26 ff., 36).
Denn die dem Kläger bei einer Rückkehr drohende Verfolgung hat die Qualität einer relevanten Verfolgung im Sinne von § 3 ff. AsylG. Die drohenden Verfolgungshandlungen knüpfen an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG an, konkret an § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Die homosexuelle Ausrichtung des Klägers ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung so bedeutsam und prägend für seine Identität, dass er nicht gezwungen werden kann, darauf zu verzichten. Die befürchteten Verfolgungsmaßnahmen knüpfen an seine geschlechtliche Identität unmittelbar an (vgl. auch Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 3b Rn. 22 ff.).
Ergänzend wird angemerkt, dass die vom Kläger vorgebrachten Verfolgung durch staatliche Akteure, wozu auch die Bassidsch gehören, nicht auf diese beschränkt ist. Denn nach § 3c Nr. 3 AsylG kann eine Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der iranische Staat wie hier nicht in der Lage und nicht willens ist, hinreichend Schutz vor Verfolgung zu bieten. Homosexuelle bzw. Bisexuelle haben indes im Iran keinen Anspruch auf staatliche Schutzgewährleistung. Im Gegenteil, der iranische Staat würde den Kläger als Homosexuellen bei einem Bekanntwerden seiner sexuellen Orientierung vielmehr selbst verfolgen.
Da dem Kläger seitens staatlicher Akteure gemäß § 3c Nr. 1 AsylG Verfolgung droht scheidet ein Rückgriff auf staatliche oder anderweitige Schutzakteure (§ 3d AsylG) aus. Auch kommt die Inanspruchnahme internen Schutzes (§ 3e AsylG) wegen der landesweit drohenden staatlichen Verfolgung nicht in Betracht.
Gesamtbetrachtet wäre der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund seiner Homosexualität bzw. Bisexualität der ständigen Gefahr einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Dem Kläger kann weiter nicht zugemutet werden, auf das Ausleben seiner Homosexualität zu verzichten. Ein Schutz durch den iranischen Staat ist nicht gegeben. Eine Rückkehr in den Iran ist dem Kläger unter diesem Vorzeichen nicht zumutbar.
Vor dieser Hintergrund spricht weiter viel dafür, ohne dass dies noch vertieft werden muss, dass auch die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vorliegen, wonach bei einer gegebenen Vorverfolgung eine wirkliche tatsächliche Vermutung steht, dass sich die früheren Handlungen und Bedrohungen – wie sie der Kläger in der mündlichen Verhandlung durchaus glaubhaft geschildet hat – bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen würden, sofern nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Betreffende erneut vor solcher Verfolgung bedroht würde.
Nach alledem war dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen und der angefochtene Bundesamtsbescheid insoweit in seinen Nummern 1 und 3 bis 6 aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) sowie zur nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG).
Neben der Aufhebung der entsprechenden Antragsablehnung im Bundesamtsbescheid sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und Ausreisefristbestimmung rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidung entfallen sind (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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