Verwaltungsrecht

Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Kontakt zum Christentum sowie christliche Aktivitäten im Iran, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Evangelisch-Lutherische, Kirchengemeinde Sankt Markus B., , Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Erlöserkirche B., persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Internet, Referate, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde

Aktenzeichen  W 8 K 21.30835

Datum:
4.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30552
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60
RL 2011/95/EU Art. 9
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 Buchst. b

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. August 2021 werden aufgehoben.     
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. August 2021 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG war nicht zu entscheiden.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris; U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 6.7.2021 – 6 A 31/20.A – juris; U.v. 21.6.2021 – 6 A 2114/19.A – juris; B.v. 6.1.2021 – 6 A 3413/20.A – juris; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist – unter den vorstehenden Voraussetzungen – eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da der Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass er ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung des Klägers vorliegt und dass er auch bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich der Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben des Klägers zu seiner Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; sowie etwa OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris; B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass dieser ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte der Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Der Kläger schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und seine christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen des Klägers sind plausibel und in sich schlüssig. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe des Klägers, seine Konversion zum Christentum sowie seine christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde seine Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Der Kläger hat glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Der Kläger erklärte, er sei als Moslem geboren und habe einen religiösen Vater gehabt, der praktizierender Moslem gewesen sei. Außerdem sei die islamische Propaganda sehr massiv gewesen und habe die jungen Leute beeinflusst. Der Kläger beschrieb weiter, wie er erste Zweifel am Islam bekommen habe, als er mit anderen Personen, auch intellektuellen Persönlichkeiten, zusammengetroffen sei. Er habe aber nie an Gott gezweifelt, sondern seine Probleme hätten ausdrücklich mit der islamischen Religion bestanden. Der Kläger schilderte ausführlich die Situation im Iran aus seiner Sicht, wobei er auch einräumte, dass er zunächst keine ausreichenden Kenntnisse über das Christentum gehabt habe und auch kein Interesse daran. Er verwies auf die von ihm sogenannte „sozialistische Diktatur“ (gemeint wohl: gesellschaftliche Diktatur). Er, der Kläger, habe wissen wollen, was in der Gesellschaft los gewesen sei. Es sei immer wieder zu einer Neuorientierung bei ihm gekommen. Es sei eine intellektuelle Bewegung gewesen. Der Kläger legte Fotos von Treffen mit intellektuellen bekannten Persönlichkeiten vor. Infolge des Kontakts mit diesen Leuten habe er begriffen, welche Probleme es mit der islamischen Regierung gegeben habe. Er habe während seiner Militärzeit gesehen, wie die Proteste im Jahr 2009/2010 niedergeschlagen worden seien. Er sei mit religiösen Intellektuellen in Kontakt gewesen und er habe die Verbrechen aus nächster Nähe erlebt. In der Folgezeit – auch beeinflusst von seinem älteren Bruder sowie einem weiteren Bekannten – sei er dazu bewogen worden, sich dem Christentum zuzuwenden. Er sei der christlichen Religion nähergetreten. Von großem Einfluss sei eine längere Taxifahrt mit einem Bekannten über mehrere Stunden gewesen, mit dem er ins Gespräch gekommen sei und sich auch über das Christentum unterhalten habe. Über den betreffenden Fahrgast sei er auch in einen Kreis gekommen, bei dem Personen zusammengekommen seien und sich über die Religion unterhalten hätten, über die christliche Religion. Er habe sich eine Bibel besorgt sowie weitere Informationen aus dem Internet, unter anderem auch bei YouTube, und sich diese auf USB-Stick und CD gebrannt. Er habe diese vervielfältigten Medien mit christlichen Inhalten auch anderen Leuten weitergegeben. Er habe eine „ewige Energie“ durch das Christentum bekommen, indem er an das Christentum geglaubt habe, das ihn immer weitergetrieben habe. Aufgrund dieser Energie habe er seine religiösen Aktivitäten gestaltet und habe, wie es in der Bibel stehe, auch schon im Iran missioniert. Die Energie habe ihn immer wieder vorangetrieben. Die Missionierung habe nicht er vorgenommen, sondern Jesus Christus habe durch ihn missioniert. Er habe schon im Iran an Jesus Christus geglaubt und habe gespürt, dass dieser sein ganzes Wesen eingenommen habe. Alles, was er getan habe, sei im Sinne von Jesus Christus gewesen. Diese Energie von Jesus Christus bringe ihn immer wieder auf neue Ideen, auch hier in Deutschland. In Deutschland habe er dann sechs bis sieben Monate vor der Taufe die Kirche in Nürnberg besucht. Die Pfarrerin habe ihm vorgeschlagen, dass er sich taufen lassen könne. Die Pfarrerin erklärte als Beistand in der mündlichen Verhandlung, sie habe schon gemerkt, dass sich der Kläger viel mit dem Christentum beschäftigt und Wissen mitgebracht habe. Der Kläger habe an Online-Veranstaltungen teilgenommen. Coronabedingt hätten die Taufvorbereitung sowie auch weitere Aktivitäten nicht so laufen können wie ohne Corona. Der Kläger beschrieb weiter seine YouTube-Aktivitäten, indem er immer wieder Berichte im Internet mit christlichen Themen veröffentliche. Weiter lade er auch andere ein, den Weg mit ihm zu gehen. Er wolle auch weiter Speisen für Bedürftige abgeben. Das geschehe alles aus der christlichen Nächstenliebe, dies sei das Allerwichtigste für ihn. Auch jetzt in B. in der neuen Gemeinde nach der Umverteilung nehme er an Gottesdiensten teil. In Nürnberg sei in der christlichen Gemeinde für ihn übersetzt worden. Die Gottesdienste jetzt fänden auf Deutsch statt, aber er verstehe auch manche Sachen. Er habe schon immer mit den Geistlichen über christlichen Themen gesprochen und auch der jetzige Pfarrer sei immer bereit, ihm seine Fragen zu beantworten und ihm zur Verfügung zu stehen. Schon in Nürnberg habe er zusammen mit anderen in einer Art Bibelkreis zusammengesessen und aus der Bibel vorgelesen. Dies tue er auch jetzt und übersetze für andere. Zu den Schilderungen der christlichen Aktivitäten des Klägers ist anzumerken, dass Einschränkungen aufgrund coronabedingter infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen dem Kläger nicht angelastet werden können.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass der Kläger seinen Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass er sich auch für seinen Glauben engagiert. Der Kläger erklärte: Er bzw. Jesus Christus durch ihn habe schon im Iran missioniert, indem er andere Leute angesprochen und ihnen Bibeln sowie weitere Medien mit christlichem Inhalten gegeben habe. Er habe christliche Informationen weitergegeben. Durch den Glauben an Jesus Christus habe er gewusst, wem er vertrauen könne und wem er nicht vertrauen könne. Er habe so fremde Menschen missioniert. Es sei dabei aber gar nicht um ihn gegangen. Aufgrund der von ihm schon erwähnten ewigen Energie, die er von Jesus Christus erhalten habe, habe er seine religiösen Aktivitäten gestaltet einschließlich der Missionierung. Seine Aktivitäten und seine Missionierung habe er auch in Deutschland fortgesetzt, wobei er keine negativen, sondern eher positive Erfahrungen gemacht habe. Ein Teil seiner Missionierung, also die Werbung für das Christentum, erfolge nicht nur dadurch, dass er anderen Personen die Bibel oder eine CD oder dergleichen gebe, sondern auch, dass er im Internet Hörbücher und Clips über christliche Themen veröffentliche. Der Kläger gab weiter an, dass nicht nur seine Eltern wüssten, dass er konvertiert sei, sondern dass auch seine Geschwister sowie seine Großmutter konvertiert seien und auch seine Mutter von Jesus Christus überzeugt sei. Wie auch schon in der Vergangenheit sei es seine Pflicht, andere zu missionieren. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass der Kläger bei seiner Glaubensbetätigung auch nicht vor seiner Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbestätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Der Kläger verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft seine Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte er – in seinen Worten und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit seinen Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte der Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass er dies verinnerlicht hat. Der Kläger erklärte: Jesus Christus habe sein ganzes Wesen eingenommen. Er habe die ewige Energie erhalten, die ihn zu seinen religiösen Aktivitäten veranlasst habe. Das Allerwichtigste für ihn im Christentum sei die Nächstenliebe. Jesus Christus sei in ihm spürbar. Jesus Christus habe eine Wirkung auf sein Leben, und er werde von ihm gelenkt. Wenn der Geist Jesu in ihm sei, dann tue er viele Dinge in seinem Sinne. Im Islam gebe es demgegenüber nur einen Gott der Angst und nicht einen Gott der Liebe. Es gebe nur Pflichten und Verpflichtungen, und man könne keine direkte Verbindung zu Gott herstellen. Selbst bei den Personen, die im Islam diesen Verpflichtungen nachgingen, bestehe nur die Chance, dass sie eventuell in den Himmel kämen. Die religiösen Befehle im Islam stammten nach seiner Erfahrung alle vom Judentum ab. Jesus Christus sei gekommen und alle, die getauft seien, seien Teil des Körpers von Jesus Christus. Im Koran sei Jesus Christus nur ein Prophet. Die Christen betrachteten Jesus Christus als Gott. Jesus Christus sei auf die Erde gekommen, damit uns die Sünden vergeben werden konnten. Er habe sein Leben geopfert. Sündige Menschen würden nicht das Ewige Leben finden. Deshalb sei Jesus Christus auf die Erde gekommen. Die Sünden hingen mit der Geschichte von Adam und Eva zusammen. Eva habe Adam verführt, vom verbotenen Obst zu essen. Daher kämen die Sünden und auch die Sache von Gut und Böse. Jesus Christus sei Gott in einem menschlichen Körper, der auf die Erde gekommen sei, um den Menschen die Sünden zu vergeben.
Der Kläger offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die seine Glaubensentscheidung und seinen Gewissensschritt zusätzlich belegen. Der Kläger benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte der Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Der Kläger bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Der Kläger erklärte glaubhaft weiter, er könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Jesus Christus lebe in ihm und es könne nicht sein, dass er aus seinem Körper gehe. Gotte habe ihn auserwählt und habe ihm seine Liebe geschenkt, damit er diese weitergeben könne. Es könne überhaupt nicht sein, dass dies einmal anders werde. Bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran könnte er auch seine Konversion nicht verheimlichen. Schon als er im Iran Journalist gewesen sei, hätten sie mitbekommen, dass er konvertiert wäre. Er könne es nicht verheimlichen. Es sei auch seine Pflicht, Jesus Christus anderen vorzustellen. Es liege alles nicht in seiner Hand. Es würde unwillkürlich passieren.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten des Klägers vor und nach seiner Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihm vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass der Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in seine Heimat seiner neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Der Kläger hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar seine Motive für die Abkehr vom Islam und seine Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Er hat seine Konversion anhand der von ihm gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch seine Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass der Kläger missionarische Aktivitäten entwickelt, indem er bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran seine Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Der Kläger hat insgesamt durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung seiner Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass er nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Dazu tragen auch die Ausführungen seiner Beistände aus den christlichen Gemeinden in der mündlichen Verhandlung bei. Die Pfarrerin aus Nürnberg erklärte: Sie habe den Kläger sehr engagiert erlebt. In seinen Online-Gruppen sei er sehr offen und referiere sehr offen. Auch im persönlichen Gespräch habe er sowohl philosophische als auch religiöse Kenntnisse gezeigt und sei sehr intellektuell. Er frage auch immer und ringe mit sich selbst. Der Kläger habe eigene Meinungen und spreche immer neue Themen an. Davon hätten auch die Anderen profitiert. Sie habe keinen Zweifel, dass der Kläger die Konversion sehr ernsthaft meine, sonst wäre sie auch nicht hier. Der Kläger habe sich schon viel mit dem Christentum beschäftigt gehabt und er habe Wissen aus dem Iran mitgebracht. Sie taufe keinen, von dem sie nicht überzeugt sei, dass er Christ sei.
Der Pfarrer aus B. erklärte: Er könne nur unterstreichen, was die Pfarrerin gesagt habe. Er habe sich öfters mit dem Kläger getroffen und auch unterhalten. Der Kläger habe sich sehr intensiv mit dem Christentum beschäftigt. Der Kläger sei über viele Jahre den langen Weg gegangen. Das Christentum habe ihm eine Antwort auf seine Fragen gegeben. Der Kläger sei immer tiefer eingedrungen. Der Kläger sei redlich, aufrichtig, fragend und offen. Er gehe seinen Weg immer weiter. Das Christentum sei ein Teil von ihm geworden.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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