Verwaltungsrecht

Isolierte Untätigkeitsklage auf Verpflichtung des Bundesamts zur Entscheidung

Aktenzeichen  13a B 16.30951

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 113698
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75, § 113 Abs. 5
AsylG § 29
AsylVfG § 27a

 

Leitsatz

Angesichts der europarechtlichen Entwicklungen im Asylrecht kann im Rahmen einer Untätigkeitsklage isoliert die Verpflichtung des Bundesamts zur Entscheidung über den Asylantrag begehrt werden. Das Verwaltungsgericht ist nicht gehalten, selbst inhaltlich über das Asylbegehren zu befinden und unmittelbar hierüber zu entscheiden. (Rn. 17)

Verfahrensgang

Au 3 K 16.31394 2016-08-18 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. August 2016 verpflichtet, über den Asylantrag vom 22. Oktober 2014 zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Zwar hat das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig angesehen, jedoch ist das nicht der Fall. Sie war gemäß § 75 VwGO als Untätigkeitsklage zulässig und auch das Rechtsschutzbedürfnis war gegeben.
Nach § 75 VwGO konnte die Klage schon vor der Entscheidung über den Asylantrag erhoben werden, weil das Bundesamt über den Asylantrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.
Eine Entscheidung über den Asylantrag liegt nicht vor. Auch ist die Klage gemäß § 75 Satz 2 VwGO nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Asylantrag erhoben worden. Dieser datiert vom 22. Oktober 2014, Klage hat die Klägerin fast zwei Jahre später, am 11. August 2016, erhoben. Damit war die Dreimonatsfrist schon lange verstrichen. Einer Entscheidung bedarf deshalb auch nicht die weitere Frage, wie sich diese Dreimonatsfrist zur Regelung in § 24 Abs. 4 AsylG bzw. Art. 23 Abs. 2 VerfRL a.F. verhält, die dem Asylbewerber nach Ablauf von sechs Monaten ein Informationsrecht einräumen oder zu Art. 31 Abs. 3 VerfRL n.F., wonach das Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht werden muss. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob sich hieraus zugleich ein Anhaltspunkt für die Angemessenheit der Frist gibt, innerhalb derer das Bundesamt zu entscheiden hat, weil auch der Zeitraum von sechs Monaten abgelaufen war.
Ferner gibt es keinen zureichenden Grund dafür, dass der beantragte Verwaltungsakt, die Entscheidung über das Asylbegehren, noch nicht erlassen ist. Es ist deshalb auch nicht geboten, das Verfahren gemäß § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen. Ob ein zureichender Grund anzunehmen ist, bemisst sich nach objektiven Gesichtspunkten, wobei das Maß der für die Behörde erkennbaren Dringlichkeit für den Kläger und die die Bearbeitungsdauer bedingenden Umstände zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen (Dolde/Porsch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 75 Rn. 12). Wichtig ist für die Beurteilung, ob die Behörde eine ihr erkennbare Dringlichkeit auf Seiten des Klägers angemessen in den Blick genommen und im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren die Bearbeitung weniger dringlicher Angelegenheiten zurückgestellt hat, wobei nicht aus dem Auge verloren werden darf, dass dort auch die Drei-Monatsfrist gilt. Generell lässt sich das nicht beantworten, sondern es bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 1.3.1994 – 7 B 151.93 – Buchholz 112 § 37 VermG Nr. 2). Zwar war das Bundesamt aufgrund der Flüchtlingsströme im Jahr 2015 bekanntlich einer hohen Geschäftsbelastung ausgesetzt, jedoch stellt das vorliegend keinen zureichenden Grund in diesem Sinn dar, über den Asylantrag nicht zu entscheiden. Zum einen hat die Klägerin ihren Asylantrag bereits im Oktober 2014 gestellt. Zum anderen rechtfertigt die Arbeitsbelastung eine längere Zeitdauer nur, wenn es sich um eine vorübergehende Erscheinung handelt, auf die durch organisatorische Maßnahmen nicht ohne weiteres reagiert werden konnte (Dolde/Porsch, a.a.O., § 75 Rn. 8). Das ist hier nicht der Fall.
Der Klägerin fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
Den in § 75 VwGO auch bei gebundenen Entscheidungen – wie hier – vorausgesetzten Antrag hat sie gestellt. Ob es sich insoweit um eine nicht nachholbare Prozessvoraussetzung oder nur eine Sachurteilsvoraussetzung handelt, kann deshalb dahingestellt bleiben. Da vorliegend zwischen dem Asylantrag und der Klageerhebung fast zwei Jahre liegen, ist dem Gesetzeszweck, dass der Behörde vor Klageerhebung ausreichend Zeit für eine Bearbeitung zur Verfügung gestanden haben muss, zweifellos Rechnung getragen. Eine (zusätzliche) Mahnung vor Klageerhebung ist nicht erforderlich (vgl. zum Ganzen Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 75 Rn. 5 m.w.N; Dolde/Porsch, a.a.O., § 75 Rn. 5).
Dass die Beklagte, wie sie einwendet, bereits kraft Gesetzes zur Entscheidung verpflichtet ist, nimmt der Klägerin ebenfalls nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ebenso wie das Bundesamt zur Entscheidung über den Asylantrag verpflichtet ist, obliegt dem Gericht die Entscheidung über die Klage. Das Begehren der Klägerin zielt vielmehr dahin, dass nicht das Gericht unmittelbar in der Sache über ihren Anspruch entscheidet, sondern vorrangig das Bundesamt. Nachdem dieses jedenfalls fast zwei Jahre ab Asylantragstellung untätig war, kann der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis insoweit nicht abgesprochen werden.
Schließlich fehlt das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht deswegen, weil die Klägerin im Rahmen ihrer Verpflichtungsklage gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Verpflichtung des Bundesamts begehren müsste, sie als Asylberechtigte anzuerkennen bzw. ihr internationalen Schutz zuzuerkennen. Sie kann sich vielmehr gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zulässigerweise darauf beschränken, das Bundesamt zu verpflichten, über ihren Asylantrag zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht ist hier nicht gehalten, selbst inhaltlich über das Asylbegehren zu befinden und unmittelbar hierüber zu entscheiden.
Ausweislich der vorgelegten Akte hat sich das Bundesamt vorliegend nämlich mit der Sache noch gar nicht befasst und auch keine Entscheidung über das Asylbegehren getroffen. Über die Feststellung in einem undatierten Aktenvermerk hinaus, dass nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), mit Ablauf der Frist für die Stellung eines Übernahmeersuchens die Zuständigkeit auf Deutschland übergegangen und daher eine Entscheidung im nationalen Verfahren zu treffen sei, hat nichts weiter stattgefunden. Auch eine Anhörung ist nicht erfolgt, sondern nur das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats. Würde man bei diesem Verfahrensstand mit der Beklagten eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts zum „Durchentscheiden“ annehmen, würde dieses entgegen dem Grundsatz der Gewaltenteilung anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts selbst über den Asylantrag entscheiden, statt dessen Entscheidung zu kontrollieren. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich hierbei nicht um einige Einzelfälle handelt, sondern in Anbetracht des Flüchtlingszustroms eher von einer großen Menge an unbearbeiteten Asylanträgen auszugehen ist. Das würde umso mehr zu einer mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbaren Gewichtsverlagerung von der Exekutive auf die Judikative führen (so auch Göbel-Zimmermann/Skrzypczak, Die Untätigkeitsklage im asylgerichtlichen Verfahren, ZAR 2016, 357 [364]).
Zwar ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass das Tatsachengericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe nur BVerwG, B.v. 9.3.1982 – 9 B 360.82 – DÖV 1982, 744) grundsätzlich den Sachverhalt in dem zur Sachentscheidung erforderlichen Umfang aufzuklären und selbst über den Klageantrag zu entscheiden hat. Eine Zurückverweisung in das Verwaltungsverfahren kommt ausnahmsweise in Betracht bei Entscheidungen, für die Ermessens- und andere Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen können, wenn eine bestimmte fachliche Prüfung besonderen Behörden übertragen ist oder wenn es zur abschließenden Sachaufklärung einer mit den erforderlichen Mitteln ausgerüsteten Behörde bedarf. In der Entscheidung vom 9. März 1982 hat das Bundesverwaltungsgericht zwar noch die Auffassung vertreten, das asylrechtliche Verfahren sei keinem dieser anerkannten Ausnahmefälle zuzuordnen, weil das Bundesamt weder nach Zweckmäßigkeits- oder sonstigen Ermessenserwägungen noch aufgrund einer Beurteilungsermächtigung, sondern nach zwingendem Recht entscheide, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter erfüllt seien. Ebenso wenig bedürfe es besonderer Fachkunde zur Anhörung des Antragstellers. Angesichts der europarechtlichen Entwicklungen im Asylrecht ist diese Rechtsprechung jedoch zwischenzeitlich überholt und wird auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht mehr so vertreten (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – InfAuslR 2017, 162). Da aber in den Asylverfahrensrichtlinien alter (im AsylG bereits umgesetzt) und neuer Fassung (die nunmehr nach Ablauf der Umsetzungsfrist als Nachfolgeregelung der mit Wirkung vom 20.7.2015 außer Kraft getretenen VerfRL a.F. maßgeblich ist) dem behördlichen Asylverfahren und insbesondere der persönlichen Anhörung durch besonders qualifizierte Mitarbeiter eine wesentlich größere Bedeutung zugemessen wird, ist eine differenzierte Betrachtung geboten.
Die Verfahrensrichtlinien enthalten spezielle Verfahrensgarantien. In den Erwägungsgründen (Nr. 10 VerfRL a.F., Nr. 16 VerfRL n.F.) wird explizit darauf hingewiesen, dass es von entscheidender Bedeutung ist, dass sämtliche Entscheidungen über Asylanträge auf der Grundlage von Tatsachen ergehen und erstinstanzlich von Behörden getroffen werden, deren Bedienstete angemessene Kenntnisse in Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten haben oder die hierzu erforderliche Schulung erhalten. Jeder Antragsteller sollte einen wirksamen Zugang zum Asylverfahren (Art. 6 VerfRL a.F. und n.F.) und die Möglichkeit der Zusammenarbeit und echten Kommunikation mit den zuständigen Behörden haben, um ihnen die asylrelevanten Tatsachen vortragen zu können (Nr. 13 VerfRL a.F., Nr. 25 VerfRL n.F.). Nach Art. 8 Abs. 2 VerfRL a.F. bzw. Art. 10 Abs. 3 VerfRL n.F. stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Asylbehörde ihre Entscheidung über einen Asylantrag nach angemessener Prüfung trifft. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass genaue und aktuelle Informationen verschiedener Quellen gesammelt werden, wie etwa des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Asylbewerber und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, und den für die Prüfung der Anträge und die Entscheidungen zuständigen Bediensteten zur Verfügung stehen. Auch die Entscheidung der Asylbehörde unterliegt besonderen Anforderungen (Art. 9 VerfRL a.F., Art. 11 VerfRL n.F.). Vor allem aber wird dem Asylbewerber gemäß Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 VerfRL a.F., Art. 14 Abs. 1, Art. 15 Abs. 2 VerfRL n.F. (§§ 23, 24 AsylG) Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung unter Bedingungen gegeben, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten. All dies lässt sich nur sicherstellen, wenn die Prüfung des Asylbegehrens beim Bundesamt erfolgt und nicht (erstmals) durch das Gericht durchgeführt wird. Dort findet nämlich eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der die nötige Vertraulichkeit nicht hergestellt werden kann. Außerdem beansprucht eine den Anforderungen der Asylverfahrensrichtlinie genügende Anhörung mit Dolmetscher einen Zeitrahmen, der im gerichtlichen Verfahren nicht ohne weiteres zur Verfügung steht.
Zudem unterscheiden die Asylverfahrensrichtlinien inhaltlich zwischen verschiedenen Arten von Anträgen – unzulässige und unbegründete Asylanträge sowie Folgeanträge und Grenzverfahren – mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen, über die das Bundesamt zu entscheiden hat. Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Damit ergibt sich aus dem Asylgesetz deutlich eine Stufenfolge im Prüfungsverfahren mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen – Zulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 AsylG und materielle Sachprüfung hinsichtlich der Anerkennungsvoraussetzungen. Diese Stufenfolge kann bei der Verfahrensgestaltung nicht außer Betracht bleiben. Wenn dem Bundesamt kraft Gesetzes bestimmte Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden, muss diesem in der Konsequenz auch vorrangig die Entscheidung überlassen bleiben. Umgekehrt ist es dem Verwaltungsgericht wegen der Aufgabenzuweisung an das Bundesamt verwehrt, entgegen der gesetzlichen Vorgaben an die Stelle der primär zuständigen Behörde zu treten.
Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264.94 – NVwZ 1996, 80; siehe auch BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1.13 – BVerwGE 147, 329 = NVwZ 2014, 158) hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 13.3.1993 – 2 BvR 1988/92 – InfAuslR 1993, 229) bereits im Jahr 1995 ausgeführt, die besondere Struktur des Asylverfahrens stehe (zumindest) in den Fällen der Verfahrenseinstellung durch das Bundesamt einer auf Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht „durchzuentscheiden“ hätte, regelmäßig entgegen. Es könne in diesem Stadium des Verfahrens nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache noch gar nicht befasst gewesen sei und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht habe treffen können, über den Asylanspruch zu befinden. Für die Entscheidung über Asylanträge sei allgemein das Bundesamt vorrangig zuständig (§ 5 AsylVfG a.F.); das Gericht würde, statt die Entscheidung des Bundesamts zu kontrollieren, entgegen dem Grundsatz der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG an Stelle des Bundesamts entscheiden. § 113 Abs. 3 VwGO lasse sich jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Zudem stehe die besondere – auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete – Ausgestaltung des Asylverfahrens der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Eine solche Verpflichtung des Gerichts würde nämlich vor allem die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wie etwa bei offensichtlich unbegründeten Asylbegehren. Darüber hinaus ginge dem Antragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet sei wie die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylVfG (a.F.) vorgesehen sei. Diese Regelungen des Asylverfahrensgesetzes ließen darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist. Dass diese Nachholung gleichfalls einen Zeitverlust mit sich bringen könne, trete gegenüber dem Anliegen einer schnellen Beendigung des Aufenthalts bei rechtskräftiger Versagung von Asyl und Abschiebungsschutz zurück.
Ferner knüpft das Bundesverwaltungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung an die mittlerweile durch die Asylverfahrensrichtlinien vorgegebene klare Gliederung bei der Prüfung von Anträgen, für die die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist, spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – InfAuslR 2017, 162). Im Hinblick auf die jeweils eigenständige Zulässigkeits- und materielle Sachprüfung sei es naheliegend, den Streitgegenstand einer Klage nach einer derartigen Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt zu sehen. Dafür spreche auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt bei einer stattgebenden gerichtlichen Eilentscheidung das Asylverfahren fortzuführen habe. Der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke sei auf andere Konstellationen übertragbar und lasse darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen sei. Auch wenn Grundlage dieser Entscheidung ein Zweitantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a AsylG war, macht das Bundesverwaltungsgericht dennoch deutlich, dass die Notwendigkeit besteht, die bisherige Rechtsprechung generell an die europarechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen, die das deutsche Asylrecht zwischenzeitlich überlagert haben. Für die hier vorliegende Situation kann in der Folge nichts anderes gelten. Würde hier eine Pflicht zum „Durchentscheiden“ angenommen, würde entgegen der dargelegten europarechtlichen Vorgaben in den Asylverfahrensrichtlinien alter und neuer Fassung nicht das Bundesamt, sondern das Verwaltungsgericht über die verschiedenen Prüfungsstufen entscheiden. Das wiederum hätte zur Folge, dass die dem Bundesamt eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten entfielen und der Klägerin gleichzeitig eine Instanz genommen würde, die in den Asylverfahrensrichtlinien mit besonderen Garantien ausgestattet ist.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht allerdings – worauf sich die Beklagte bezieht – entschieden hat, dass die Pflicht des Gerichts, die Streitsache spruchreif zu machen, auch bei weiteren Asylverfahren nach § 71 AsylVfG (a.F.) gilt, in denen unter Durchbrechung der Bestandskraft des früheren Asylantrags im Wege des Wiederaufgreifens nach § 51 VwVfG erneut ein Asylantrag (Folgeantrag) gestellt wird (BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28.97 – BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861), steht dies der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, es sei nicht gerechtfertigt, hinsichtlich der Pflicht, die Sache spruchreif zu machen, zwischen den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG für das Wiederaufgreifen einerseits und den materiellen Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingseigenschaft bzw. den nachrangigen Ansprüchen andererseits zu unterscheiden und die Pflicht zur Herbeiführung der Spruchreife nur für die Wiederaufgreifensvoraussetzungen gelten zu lassen. Ebenso wie vom Kläger nicht lediglich auf „Wiederaufgreifen“ geklagt werden könne, könne auch vom Gericht nicht „isoliert“ über die Frage, ob wiederaufzugreifen sei, entschieden werden. Diese Rechtsprechung gebietet aber vorliegend keine andere Beurteilung. Zum einen unterscheidet sich die dort zugrundeliegende Fallkonstellation wesentlich von der hier gegebenen. Bei einem Folgeantrag war das Bundesamt im Erstverfahren bereits inhaltlich mit dem Asylbegehren befasst und hat beim Zweitantrag lediglich vorab zu prüfen, ob (im Vergleich zur damaligen Situation) ein Wiederaufgreifensgrund vorliegt. Schon nach den gesetzlichen Voraussetzungen wird damit an die vormalige materielle Lage angeknüpft, über die das Bundesamt bereits entschieden hat. Daran fehlt es hier. In materieller Hinsicht hat sich das Bundesamt mit dem Asylantrag vorliegend noch überhaupt nicht befasst. Zum anderen geht das Bundesverwaltungsgericht inzwischen nicht mehr davon aus, dass generell eine Verpflichtung der Gerichte zum „Durchentscheiden“ besteht und dementsprechend nur eine auf das endgültig verfolgte Ziel der Asylanerkennung bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Verpflichtungsklage allein zulässig wäre. Soweit dies in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag (BVerwG, U.v. 10.2.1998 a.a.O.) angenommen worden sei, hält das Bundesverwaltungsgericht daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest. Dies führt letztendlich auch dazu, dass die Entscheidung des 20. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 7.7.2016 – 20 ZB 16.30003 – NVwZ 2017, 335), die die die Beklagte heranzieht, überholt ist, weil sich jener maßgeblich auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 (a.a.O.) gestützt hat.
Dass die von der jüngeren Asylgesetzgebung verfolgten Beschleunigungsziele zu keiner abweichenden Beurteilung führen, hat das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 14.12.2016 a.a.O.) ebenfalls klargestellt. Bei der derzeitigen Ausgestaltung des nationalen Asylverfahrensrechts und den unionsrechtlichen Vorgaben sei es nicht gerechtfertigt, den Streitgegenstand auf die sachliche Verpflichtung zur Schutzgewähr zu erweitern und dann unter Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsprozessrecht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) die erstmalige Sachentscheidung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu verlagern. Für bestimmte Fallgestaltungen stünden dem Bundesamt im Übrigen selbst Beschleunigungsmöglichkeiten zur Verfügung, wie die Option, offensichtlich unbegründete Anträge nach § 30 AsylG abzulehnen und eine Abschiebungsandrohung mit verkürzter Ausreisefrist zu erlassen, sowie bei Folgeanträgen nunmehr auch die Möglichkeit, das Asylverfahren beschleunigt durchzuführen (§ 30a Abs. 1 Nr. 4 AsylG).
Soweit das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (B.v. 13.1.2017 – 4 A 3051/15.A – juris) einen Antrag auf Zulassung der Berufung betreffend die Pflicht des Verwaltungsgerichts zum „Durchentscheiden“ abgelehnt hat, lassen sich für vorliegenden Fall keine Erkenntnisse gewinnen. Zum einen erfolgte die Ablehnung, weil die dortige Antragsbegründung den Darlegungsanforderungen nicht genügte. Zum anderen unterscheidet sich der Sachverhalt von vorliegendem dadurch, dass eine Sachentscheidung ergangen ist und lediglich eine Anhörung des Klägers nicht stattgefunden hat. Die gegenteilige Auffassung des 20. Senats des Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 7.7.2016 – 20 ZB 16.30003 – juris) stützt sich – wie dargelegt – auf eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28.97 – BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861), an der jenes in seinem Urteil vom 14. Dezember 2016 nicht mehr festhält.
Der ausdrücklichen Festsetzung einer Frist für die Entscheidung bedarf es nicht. Wie die Beklagte selbst vorträgt, ist sie kraft Gesetzes zur Entscheidung über den Asylantrag in angemessener Frist verpflichtet (§ 5, § 24 AsylG). Dabei orientiert sich die „Angemessenheit“ der Frist an der in § 24 Abs. 4 AsylG normierten Entscheidungsfrist von sechs Monaten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob das Verwaltungsgericht bei sog. Untätigkeitsklagen in Asylrechtsstreitigkeiten die Sache selbst zu klären und abschließend zu entscheiden hat oder vorrangig eine Verpflichtung des Bundesamts zur Entscheidung geboten ist.

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