Aktenzeichen 13a B 19.31153
EMRK Art. 3
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
Leitsatz
Für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige sind auch angesichts der aktuellen Auskunftslage weiterhin im Allgemeinen nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben (wie bisherige Rechtsprechung). (Rn. 32, 49 und 54)
Verfahrensgang
M 26 K 16.35268 2017-11-22 VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 22. November 2017 wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das streitgegenständliche Urteil des Verwaltungsgerichts war dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.
1. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) hat der Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass in seinem Fall ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans gegeben ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Zum einen sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans nicht gegeben.
aa) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 25). Auch wenn die Bewertung der allgemeinen Situation der Gewalt im Rahmen des § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK am Maßstab des Konventionsrechts zu messen ist, so kann doch wegen der insoweit bestehenden methodischen Vergleichbarkeit im Rahmen dieser Bewertung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur erheblichen individuellen Gefahr im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) zurückgegriffen werden, soweit sie sich auf die Gefahrendichte bezieht (vgl. OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 91 ff. m.w.N.). Danach bedarf es neben einer quantitativen Ermittlung der Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Relation zur Gesamteinwohnerzahl auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen – Todesfälle und Verletzungen – bei der Zivilbevölkerung; ein Schädigungsrisiko von etwa 1:800 ist insoweit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 22 f.).
Soweit – wie in Afghanistan – ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – Asylmagazin 2019, 311 = juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489 = juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 = juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681 – Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 19; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 = juris Rn. 17; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 104 ff. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176 f.). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner neueren Rechtsprechung zu Art. 4 GRCh darauf ab, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 ff.).
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (U.v. 28.6.2011, a.a.O., Rn. 278, 282 f.) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167) macht letztlich deutlich, dass von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 20 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 51 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 111 f. m.w.N.).
Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51 – juris Rn. 22). Bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 21; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 43 ff. m.w.N; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 43 m.w.N.).
bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind vorliegend die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans nicht gegeben.
(1) Dies gilt zunächst mit Blick auf den individuellen Verfolgungsvortrag des Klägers.
So ist das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan – insbesondere nach Kabul – aufgrund der vorgetragenen Streitigkeit mit der Familie eines getöteten Mädchens eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestünde.
Zum einen ist der diesbezügliche Vortrag des Klägers in wesentlicher Hinsicht widersprüchlich. So hatte der Kläger beim Bundesamt noch vorgetragen, dass er nur telefonischen Kontakt mit dem Mädchen gehabt hätte und sich nicht einmal an ihr Gesicht erinnern habe können (Anhörungsprotokoll beim Bundesamt, VA S. 51). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat der Kläger hingegen angegeben, dass es neben Telefonaten auch gelegentlich Besuche des Mädchens in seinem Mobilfunkladen gegeben habe (Protokoll zur mündlichen Verhandlung, S. 3). Zudem hatte der Kläger beim Bundesamt vorgetragen, dass sich die Geschichte mit dem Mädchen Anfang 2015 abgespielt habe, Anfang 2015 habe er auch von einer verwandten Familie namens „Mussa“ erfahren, dass das Mädchen getötet worden sei (Anhörungsprotokoll beim Bundesamt, VA S. 50 f.). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat der Kläger hingegen angegeben, dass er erst nach seiner Ausreise aus Afghanistan Ende 2015 vom Tod des Mädchens erfahren habe und dies zudem von seinen Eltern (Protokoll zur mündlichen Verhandlung, S. 2).
Zum anderen soll die Beziehung mit dem Mädchen nach Angaben des Klägers Anfang 2015 stattgefunden haben (Anhörungsprotokoll beim Bundesamt, VA S. 50 f.; Protokoll zur mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgerichtshof, S. 2). Die Ausreise des Klägers aus Afghanistan ist jedoch erst im November 2015 erfolgt (Anhörungsprotokoll beim Bundesamt, VA S. 48). Ein kausaler Zusammenhang zwischen der vorgetragenen Verfolgungsgeschichte und der Ausreise des Klägers aus Afghanistan ist somit nicht ersichtlich. Vielmehr war es dem Kläger offenbar möglich, nach der Beziehung mit dem Mädchen annähernd das gesamte Jahr 2015 in Afghanistan zu verbleiben, ohne dass die verfeindete Familie ihn behelligt hätte. Für eine fehlende Kausalität zwischen der vorgetragenen Verfolgungsgeschichte und der Ausreise des Klägers aus Afghanistan spricht auch, dass der Kläger in seiner Berufungserwiderung nicht konkret auf die Streitigkeit mit der Familie eines getöteten Mädchens eingegangen ist, sondern lediglich auf alte schwelende Konflikte sowie darauf verwiesen hat, dass Teile seiner Familie die Taliban unterstützt hätten, seine Familie jedoch die afghanische Regierung und die Amerikaner unterstützt habe, wofür sie als Verräter angesehen worden seien (Berufungserwiderung v. 8.11.2019, S. 2).
Letztlich erscheint es dem Senat auch nicht plausibel, dass eine Tochter – selbst im muslimisch-konservativen Afghanistan – durch ihre eigene Familie aufgrund einer im Kern nur telefonischen „Beziehung“ mit einer unerwünschten Person getötet worden sein soll. Dieses drastische Vorgehen erscheint ohne das Hinzukommen weiterer Umstände nicht realistisch.
Soweit es den klägerischen Vortrag aus der Berufungserwiderung betrifft, dass Teile seiner Familie die Taliban unterstützt hätten, seine Familie jedoch die afghanische Regierung und die Amerikaner unterstützt habe, wofür sie als Verräter angesehen worden seien, so ist dieser völlig unsubstantiiert und pauschal und daher nicht geeignet, einen Schutzstatus zu begründen. Der Kläger hat hierzu auch in der mündlichen Verhandlung nichts ausgeführt.
(2) Auch aus den allgemeinen Lebensverhältnissen in Afghanistan ergibt sich vorliegend keine Verletzung von Art. 3 EMRK.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2019 – 13a ZB 19.32670 – juris Rn. 6 f.; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14, 16 ff.; B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris Rn. 5; B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris Rn. 5; B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris Rn. 6; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Der Senat geht insoweit davon aus, dass ein alleinstehender und arbeitsfähiger Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Trotz großer Schwierigkeiten bestehen grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind auf dem Arbeitsmarkt allein aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position. Auf ein stützendes Netzwerk in Afghanistan oder einen vorherigen Aufenthalt im Heimatland kommt es hierbei nicht an; ausreichend ist vielmehr, dass eine hinreichende Verständigung in einer der afghanischen Landessprachen möglich ist (siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.10.2019 – 13a ZB 19.32670 – juris Rn. 6 f.; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6 m.w.N.; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14, 22; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris Rn. 6; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris Rn. 13; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 4; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris).
An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel fest (vgl. in diesem Sinne: VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 105 ff.; U.v. 12.12.2018 – A 11 S 1923/17 – juris Rn. 190 ff.; U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 391 ff.; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 115 ff. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 55 ff.).
(a) Dies gilt zunächst mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan.
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts ist zu entnehmen, dass die Taliban und andere bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen zum Jahreswechsel 2014/15 mit größerer Bewegungsfreiheit agierten. Die Taliban versuchten, den Einfluss in ihren Kernräumen – paschtunisch geprägten ländlichen Gebieten, vornehmlich in den Provinzen Helmand, Kandahar, Uruzgan und zunehmend auch Farah im Westen und Süden sowie Kunduz und Faryab im Norden – zu konsolidieren und auszuweiten, auch wenn es ihnen bislang nicht gelungen sei, eine Provinzhauptstadt dauerhaft zu erobern. Nach Einschätzungen des unabhängigen Think Tanks „Long War Journal“ übten die Taliban im Juli 2019 in 65 Distrikten Afghanistans die alleinige Kontrolle aus. In 140 Distrikten übten sie trotz fortdauernder Präsenz von staatlichen Sicherheitskräften und Verwaltungsstrukturen Einfluss aus. Nach einem abweichenden Schema stufte der US-Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) im Januar 2019 12 Distrikte als von Aufständischen kontrolliert, 38 als beeinflusst und 138 als umkämpft ein. Als weiterer Faktor sei seit 2015 der sogenannte „Islamische Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) hinzugekommen, dessen Einflussbereich hauptsächlich auf wenige Provinzen im Osten (Nangarhar, Kunar, Laghman) begrenzt ist (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 2.9.2019, S. 22 f.).
Laut dem UNHCR habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Monaten weiter verschlechtert; auch Kabul sei inzwischen hochgefährlich. Die Taliban hätten dramatisch wieder an Boden gewonnen, es gebe Terroranschläge und ständige Menschenrechtsverletzungen (siehe zum Ganzen: UNHCR v. 11.6.2019, UNHCR warnt vor umfassenden Abschiebungen nach Afghanistan). Auch laut einer aktuellen Einschätzung des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl bleibe die Sicherheitslage in Afghanistan volatil. Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl 2018 seien zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert worden (BFA, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan, 1.3.2019, S. 1 ff.). Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) weist in seinem aktuellen Bericht darauf hin, dass sich laut UNAMA im Jahr 2018 die Kämpfe besonders im Osten, Südosten und in einigen südlichen Bereichen Afghanistans intensiviert hätten. Die Taliban hätten die Kontrolle über einige dünn besiedelte Gebiete erlangt und ihre Positionen in Gebieten, in denen es seit Jahren keine Kampfhandlungen gegeben habe, ausgebaut. Human Rights Watch habe festgestellt, dass durch die willkürliche Anwendung von Gewalt seitens der Taliban hunderte von Zivilisten getötet und verletzt worden seien (siehe zum Ganzen: EASO, Afghanistan Security Situation, 1.6.2019, S. 21). Auch das Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Accord) dokumentiert diverse Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle sowie staatliche und nicht-staatliche Akteure in den Jahren 2018/19 (Accord, Überblick über die Sicherheitslage v. 2.10.2019; Accord, Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e-Scharif v. 2.10.2019).
Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung ist die für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderliche Gefahrendichte in Afghanistan jedoch grundsätzlich weiterhin nicht gegeben. Zwar weist auch der aktuelle UNAMA-Bericht vom 17. Oktober 2019 darauf hin, dass im dritten Quartal 2019 die höchste Zahl ziviler Opfer seit 2009 dokumentiert worden sei; dies unterstreiche, dass Afghanen seit vielen Jahren einem extremen Gewaltniveau ausgesetzt seien (UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in armed Conflict: 1 January to 30 September 2019, S. 1). Zugleich gibt UNAMA jedoch an, dass vom 1. Januar bis 30. September 2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) dokumentiert worden seien und dies in etwa demselben (hohen) Niveau des vergleichbaren Berichtszeitraums 2018 entspreche (UNAMA, S. 1). Bei einer proportionalen Hochrechnung der Opferzahlen für 2019 insgesamt (10.985 zivile Opfer; 3.417 Tote, 7.568 Verletzte) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von etwa 27 Mio. Menschen (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 20; die National Statistics and Information Authority Afghanistan – NSIA – geht für 2019/20 sogar von 32,2 Mio. Einwohnern Afghanistans aus) ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2.458. Selbst wenn man die Provinz Kabul zugrunde legt, für die UNAMA in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 die höchste absolute Zahl an zivilen Opfern registriert hat (1.491 zivile Opfer; UNAMA, S. 2 f.), ergibt sich bei einer proportionalen Hochrechnung der Opferzahlen für 2019 insgesamt (1.988 zivile Opfer) und einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 4.679.648 Menschen (BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung v. 29.6.2018, S. 45, mit Einfügungen 4.6.2019, S. 90) ein Schädigungsrisiko von 1:2.354. Auch dieser Wert ist jedoch derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch bei wertender Gesamtbetrachtung nicht von einer in Afghanistan oder Teilen hiervon aufgrund der Sicherheitslage jeder Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit tatsächlich drohenden, Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 f. zu einem Schädigungsrisiko von 1:800). Ein sich in diesem Bereich bewegender Gefahrengrad vermag auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt zu begründen (vgl. HessVGH, U.v. 27.9.2019 – 7 A 1923/14.A – juris Rn. 117 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 63).
Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletzt (vgl. EGMR, U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 – Rn. 53; U.v. 11.7.2017 – Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 – Rn. 51; U.v. 11.7.2017 – G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 – Rn. 39; U.v. 11.7.2017 – E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 – Rn. 67; U.v. 11.7.2017 – E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 – Rn. 80; U.v. 16.5.2017 – M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 – Rn. 120; U.v. 12.1.2016 – A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 – NVwZ 2017, 293 – Rn. 59). Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 9. April 2013 (H. and B./United Kingdom, Nr. 70073/10 – Rn. 92 f.) festgestellt, dass es in Afghanistan keine allgemeine Gewaltsituation gibt, die zur Folge hätte, dass allein wegen der Abschiebung einer Person dorthin tatsächlich die Gefahr von Misshandlungen gegeben sei. In den vorgenannten Urteilen hat er angesichts der ihm mittlerweile vorliegenden Informationen an dieser Einschätzung festgehalten (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 10).
(b) Auch aus der aktuellen humanitären bzw. wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ergibt sich grundsätzlich kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Denn ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen und daher die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind, ist weiter nicht gegeben.
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2. September 2019 ist zu entnehmen, dass Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt sei (Human Development Index 2018: Platz 168 von 189 Staaten). Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Das Wirtschaftswachstum sei zuletzt von 2,7 v.H. (2017) auf 1 v.H. (2018) zurückgegangen. Für 2019 gehe die Weltbank von einer leichten Erholung aus (realer BIP-Zuwachs von 2,5 v.H.). Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibe aber auf hohem Niveau (2017: 11,2 v.H.). Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. Laut UNOCHA seien 6,3 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe (z.B. in Form von Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung) angewiesen. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen, verschärft durch die Dürre 2018, hätten dazu geführt, dass ca. zwei Mio. afghanische Kinder unter fünf Jahren als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 habe sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibe sie im regionalen Vergleich zurück. Die Zahlen der Rückkehrer aus dem Iran seien auf einem hohen Stand (2017: 464.000; 2018: 775.000), während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen sei (2017: 154.000; 2018: 46.000). Für Rückkehrer leisteten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Das Fehlen sozialer oder familiärer Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 2.9.2019, S. 27-31).
Laut dem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom 1. Juni 2019 habe die Dürre im Jahr 2018 mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen; die Einkommen seien halbiert worden. Laut einem Hungersnotfrühwarnsystem sei die Versorgungslage in Kabul und Mazar-e-Sharif im Dezember 2018 angespannt gewesen. Herat sei in die Kategorie „Krise“ eingestuft worden. Der Hauptfaktor hinsichtlich des Zugangs zu Nahrungsmitteln sei die Fähigkeit einer Person, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; dies könne bei Vertriebenen besonders schwierig sein. 72 v.H. der afghanischen städtischen Bevölkerung lebe in Slums oder unzureichenden Unterkünften. Etwa 70 v.H. der Bevölkerung Kabuls lebe in informellen Siedlungen. Die afghanischen Großstädte böten jedoch gerade für Alleinstehende die Option relativ billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Laut ALCS habe sich der Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen in Afghanistan bedeutend verbessert. Jedoch bleibe der Zugang zu Trinkwasser für viele Afghanen ein Problem, die sanitären Anlagen seien weiterhin schlecht. Laut dem afghanischen Gesundheitsministerium hätten im April 2018 60 v.H. der Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt. Laut der Afghanistan Living Conditions Survey (ALCS) habe 2016/17 die Arbeitslosenquote 23,9 v.H. betragen, zu diesem Zeitpunkt hätten 54,5 v.H. der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze gelebt. Für Rückkehrer sei das erweiterte familiäre Netzwerk überaus wichtig, um Zugang zu Arbeit und Unterkunft zu erhalten. Selbst mit einem solchen Netzwerk blieben jedoch unbegleitete Minderjährige, alleinstehende Frauen bzw. Haushalte mit Frauen als Haushaltsvorstand besonders vulnerabel. Viele Rückkehrer ohne familiäre Netzwerke würden sich in den Großstädten in der Annahme niederlassen, dass die Sicherheitslage und die Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, dort besser seien. Zum Teil würden nach Afghanistan abgeschobene Personen in der Anfangsphase auch Reintegrationshilfen erhalten. Angesichts der allgemeinen Lage sei es generell – vorbehaltlich individueller Umstände – zwar nicht unzumutbar, sich in den Großstädten Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif niederzulassen. In diesem Zusammenhang sei jedoch der Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk oder finanziellen Mitteln von besonderer Bedeutung (siehe zum Ganzen: EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2019, S. 132-135).
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juni 2018 seien von den 2.1 Mio. Personen, die in informellen Siedlungen lebten, 44 v.H. Rückkehrer. Die Zustände in diesen Siedlungen seien unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81 v.H. der Menschen in informellen Siedlungen seien Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26 v.H. hätten keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24 v.H. lebten in überfüllten Haushalten. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. IPSO und AMASO), die die Reintegration in Afghanistan finanziell, durch Bereitstellung von Unterkunft, Nahrungsmitteln oder sonstigen Sachleistungen sowie durch Beratung unterstützten. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie oder einer sonstigen Gemeinschaft mangels konkreter staatlicher Unterbringungen für Rückkehrer der zentrale Faktor. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die afghanische Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (zwei Wochen). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stelle eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar; Unterstützungsnetzwerke könnten sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion sowie aus „professionellen“ (Kollegen, Kommilitonen etc.) oder politischen Verbindungen ergeben (siehe zum Ganzen: BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 29.6.2018, S. 314-316, 327-332, mit Einfügungen 4.6.2019, S. 357-360, 371-376).
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 seien die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55 v.H. (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7 v.H. (2007/08) bzw. 38,3 v.H. (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45 v.H. der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54 v.H. der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4 v.H. der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55 v.H. der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien (siehe zum Ganzen: UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.).
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2019 würden Rückkehrer in der Regel de facto zu Binnenvertriebenen, da sie aufgrund der bewaffneten Konflikte und fehlender Netzwerke meist nicht in ihre afghanischen Herkunftsorte zurückkehren könnten. Rückkehrer wie Binnenvertriebene lebten meist in informellen Siedlungen und notdürftigen Unterkünften. Der Zugang zu Grunddienstleistungen sei für die gesamte afghanische Bevölkerung eingeschränkt, Rückkehrer und Binnenvertriebene seien jedoch noch stärker betroffen. So hätten rückkehrende Familien einen nur eingeschränkten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen. Rückkehrer und Binnenvertriebene benötigen meist langfristige Unterstützung, um sich lokal integrieren zu können. Insbesondere alleinstehende Frauen, ältere Menschen, unbegleitete Minderjährige und andere verletzliche Personengruppen seien auf spezielle Unterstützung angewiesen. Der Mangel an Grunddienstleistungen wie Wasser, adäquate sanitäre Einrichtungen, Unterkunft und Lebensmittel beeinträchtige den Gesundheitszustand der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer. Die Suche nach Unterkünften gehöre zu den absoluten Prioritäten sowohl der Binnenvertriebenen als auch der Rückkehrer. Durch die Dürre habe sich die Lage zusätzlich zugespitzt. Der Zugang zu Lebensmitteln und Wasser bilde in Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,5 – 5,5 Mio. Menschen) eine der größten Herausforderungen. Gemäß einer Studie von Oxfam seien die meisten Rückkehrer bezüglich Unterkunft und Unterstützung von ihren Verwandten abhängig. Die hohe Zahl an Rückkehrer und intern Vertriebenen verstärke die Nachfrage nach Dienstleistungen, sozialer Infrastruktur und beeinträchtige die Aufnahmefähigkeit des Landes (siehe zum Ganzen: SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2019, S. 20-23).
Zusammenfassend lassen sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln zur humanitären Lage in Afghanistan keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Situation in Afghanistan weiterhin sehr besorgniserregend ist. Jedoch liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zuließen, dass jeder alleinstehende, arbeitsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher weiterhin nicht erfüllt. Zudem liegen Erkenntnisse dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, trotz hoher Rückkehrzahlen nicht vor (vgl. zum Ganzen bereits BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 32).
Auch die aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 gehen letztlich weiterhin (vgl. bereits UNHCR, Richtlinien v. 19.4.2016, S. 99) davon aus, dass alleinstehende leistungsfähige afghanische Männer sowie verheiratete Paare in erwerbsfähigem Alter als Rückkehrer grundsätzlich auch ohne ein Unterstützungsnetzwerk ihren zumutbaren Lebensunterhalt in Afghanistan sicherstellen könnten, soweit im Einzelfall keine besonderen Gefährdungsfaktoren gegeben sind. Diese Personen könnten unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung böten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stünden (siehe zum Ganzen: UNHCR, a.a.O., S. 125; vgl. bereits BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 9; vgl. auch OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 282 ff.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 113; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 422 f.). Zum selben Ergebnis gelangt auch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen in seinem Bericht vom 1. Juni 2019 (EASO, a.a.O., S. 137).
Soweit der UNHCR in seinen aktualisierten Richtlinien zu der Auffassung gelangt, dass eine inländische Fluchtalternative in Kabul mit Blick auf Grenzen der Aufnahmekapazität der Stadt und die humanitären Lebensbedingungen in den dortigen sog. informellen Siedlungen generell nicht zur Verfügung stehe (UNHCR, a.a.O., S. 129), so beschränkt sich diese Aussage bereits auf Kabul, ohne jedoch das Vorhandensein hinreichender Lebensbedingungen für Rückkehrer im restlichen Afghanistan – insbesondere den sonstigen Großstädten – in Frage zu stellen. Zudem gilt, dass der Ausschluss Kabuls im Kontext der Zumutbarkeit als inländischer Fluchtalternative i.S.v. Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU erfolgt ist (vgl. UNHCR, S. 128: „Die Zumutbarkeit von Kabul als interner Schutzalternative“). Hiernach muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage jedoch so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält; dieser Zumutbarkeitsmaßstab bzw. dieses Zumutbarkeitsniveau geht über das Fehlen einer im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK maßgeblichen Sicherung des Existenzminimums hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 8.8.2018 – A 11 S 1753/18 – juris Rn. 22). Ohnehin beruht die Bewertung des UNHCR auf von ihm selbst angelegten Maßstäben, die sich von den gesetzlichen Anforderungen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterscheiden können (BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 9; vgl. auch OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 188 ff.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 114 f.).
Auch die klägerseitig in Bezug genommene Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen von Stahlmann (Asylmagazin 8-9/2019, S. 276 ff.) führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Studie begegnet durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Repräsentativität, des methodischen Vorgehens sowie der Validität, Belastbarkeit und Objektivität der erhobenen Daten. Dies ergibt sich bereits aus dem Beitrag von Stahlmann selbst über die Studie im Asylmagazin, in dem derartige Probleme eingeräumt werden, ohne diese ausräumen zu können. Doch selbst wenn man die in der Studie beschriebenen Fallbeispiele zugrunde legen wollte, ließen diese schon aufgrund ihrer geringen Zahl nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass jeder Rückkehrer oder auch nur eine weit überwiegende Zahl der vielen Rückkehrer von schwerwiegenden Folgen betroffen wäre. Erst recht erlaubte dies nicht den weiteren Schluss auf die Folge, dass den Betreffenden damit stets auch der Zugang zu sozialen Netzwerken, zu Wohnung und Arbeit sowie jeder Art von Existenzsicherung verwehrt wäre (vgl. zu entsprechenden Angaben von Stahlmann über konkrete Fälle abgeschobener Afghanen als Sachverständige des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg: VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 124 ff.; U.v. 12.12.2018 – A 11 S 1923/17 – juris Rn. 207 ff.; U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 19 ff., Rn. 408 ff.).
(c) Im Einzelfall des Klägers sind auch keine besonderen individuellen Umstände gegeben, die ausnahmsweise zum Vorliegen der Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans führen.
Soweit es die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan angeht, gilt, dass in der Person des Klägers keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände gegeben sind.
Soweit es die humanitäre bzw. wirtschaftliche Lage in Afghanistan betrifft, wäre der alleinstehende Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage, für sich als Einzelperson das Existenzminimum zu bestreiten. Denn der 24-jährige Kläger spricht eine der afghanischen Landessprachen (Paschto) und wäre somit in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul oder einer anderen afghanischen Großstadt ein hinreichendes – wenn auch kleines – Einkommen zu erzielen.
Ohne dass dies entscheidungserheblich wäre, ist vorliegend zusätzlich hervorzuheben, dass der Kläger über Berufserfahrung in Afghanistan (Arbeit bei einer NGO, Betreiben eines eigenen Mobilfunkgeschäfts in Kabul) verfügt. Insbesondere könnte er in seinem Heimatland erneut ein Mobilfunkgeschäft betreiben. Überdies verfügt der Kläger über eine für Afghanistan deutlich überdurchschnittliche Schulbildung, er hat nach seinen Angaben Abitur (siehe zum Ganzen: Anhörungsprotokoll beim Bundesamt, VA S. 49 f.). Ob der Kläger auch auf familiäre Unterstützung im Heimatland zählen kann (wofür seine Angaben beim Bundesamt sprechen) oder seine gesamte Familie tatsächlich – wie nunmehr vorgetragen – zwischenzeitlich nach Pakistan übergesiedelt ist, ist nicht entscheidungserheblich und kann daher offenbleiben.
Der hinreichenden Arbeitsfähigkeit des Klägers stehen auch die vorgelegten ärztlichen Dokumente nicht entgegen. Soweit es die ärztliche Bescheinigung der Allgemeinmedizinerin vom 7. November 2019 betrifft, vermag die dort getroffene Diagnose („schwere depressive Symptomatik“) bereits deswegen nicht zu überzeugen, da sie nicht von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gestellt worden ist (vgl. zum Facharzterfordernis BayVGH, B.v. 2.12.2013 – 11 ZB 13.30303 – juris Rn. 8). Unabhängig davon geht offensichtlich auch die Allgemeinmedizinerin von einer grundsätzlichen Erwerbsfähigkeit des Klägers aus, da sie ausführt, dass der Kläger eine Ausbildung beginnen bzw. eine Arbeit aufnehmen wolle und daher einen schriftlichen Asylbescheid benötige. Soweit es den abschließenden Arztbrief der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 6. März 2019 und die dortige Diagnose einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome betrifft, so ist dieses Dokument zwar von entsprechenden Fachärzten ausgestellt. Allerdings ist es zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2019 bereits etwa 8 Monate alt gewesen und daher aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr geeignet, eine relevante Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu begründen. Denn es ist letztlich völlig offen, ob die im Arztbrief vom 6. März 2019 genannten Diagnosen und die medikamentöse Behandlungsbedürftigkeit aktuell noch fortbestehen. Ohnehin ist im inmitten stehenden Arztbrief ausgeführt, dass der Kläger in gebessertem Zustand in die ambulante Weiterbehandlung habe entlassen werden können, ohne dass fachliche Rückhaltegründe bestanden hätten. Zum Zeitpunkt der Entlassung hätten sich keine Hinweise auf eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung ergeben, insbesondere kein Anhalt für akute Suizidalität. Letztlich hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die ausdrückliche Frage des Verwaltungsgerichtshofs, ob er arbeiten könne und wolle, mit „Ja“ geantwortet (Protokoll zur mündlichen Verhandlung, S. 3). Ein aktuelles ärztliches Attest seines behandelnden Nervenarztes wurde klägerseitig nicht vorgelegt. Es wurde durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung lediglich vorgetragen, dass der Nervenarzt regelmäßig bei Bedarf aufgesucht werde und dem Kläger beruhigende Medikamente – wahrscheinlich Psychopharmaka – verschreibe; weitere Medikamente nehme er wegen seiner psychischen Beschwerden nicht ein. Auch mache er derzeit keine Therapie, entsprechende intensive Bemühungen seien gescheitert (Protokoll zur mündlichen Verhandlung, S. 3 f.). Hiervon ausgehend sind jedoch keine relevanten Einschränkungen der Erwerbstätigkeit des Klägers ersichtlich. Unabhängig davon geht das Gericht davon aus, dass handelsübliche Beruhigungsmittel für den Kläger grundsätzlich auch in Afghanistan erhältlich und über eine entsprechende Erwerbstätigkeit des Klägers selbst auch finanzierbar sind (vgl. OVG NW, B.v. 5.9.2016 – 13 A 1697/16.A – juris Rn. 13-15).
b) Auch die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im Fall des Klägers hinsichtlich Afghanistans nicht vor.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
aa) Zunächst ist das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan – insbesondere nach Kabul – aufgrund der vorgetragenen Streitigkeit mit der Familie eines getöteten Mädchens eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestünde. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen.
bb) Ferner sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers auch nicht mit Blick auf die humanitäre Lage in Afghanistan gegeben.
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten – insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage – kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – NVwZ 2012, 244 – juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 u.a. – juris Rn. 3; vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 40 m.w.N; VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris Rn. 131 ff.; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 313 ff.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 188 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel sind die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 41 m.w.N.).
cc) Auch mit Blick auf die vorgetragenen Erkrankungen des Klägers sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine solche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen; diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD-10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Es ist gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG. Konkret ist eine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn die Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – InfAuslR 2012, 261 – juris Rn. 34).
Durch die vorgelegten ärztlichen Dokumente ist bereits nicht dargelegt, dass beim Kläger aktuell eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung gegeben ist, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Zur Begründung wird auf die Ausführungen zur hinreichenden Arbeitsfähigkeit des Klägers im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen. Überdies enthalten die vorgelegten ärztlichen Dokumente keine hinreichenden Aussagen zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Insbesondere bleibt offen, in welchem zeitlichen Abstand nach der Abschiebung die etwaigen Folgen eintreten würden. Somit kann jedoch nicht beurteilt werden, ob eine konkrete Gefahr gegeben ist.
c) Die durch den Senat vorgenommene Bewertung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan entspricht – soweit ersichtlich – der einhelligen Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte (VGH BW, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris; U.v. 12.12.2018 – A 11 S 1923/17 – juris; U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris). Eine Auseinandersetzung mit einer abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen durch andere Oberverwaltungsgerichte (vgl. allg. BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18.12 – juris Rn. 10) ist daher nicht geboten.
2. Auch soweit es die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids betrifft, ist die Berufung begründet. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtlich einwandfrei. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt sich in Fällen, in denen – wie hier – keine nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rn. 16; B.v. 28.11.2016 – 11 ZB 16.30463 – juris Rn. 4).
3. Die Kosten beider Instanzen hat der Kläger zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.