Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot aufgrund unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Zielstaat

Aktenzeichen  W 2 K 19.30456

Datum:
24.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18119
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Außergewöhnliche Umstände in der Person der Ausländerin, die über die allgemeine Beeinträchtigung ihrer Lebenserwartung im Herkunftsland hinausgehen, sind trotz der Schwangerschaft nicht erkennbar, sodass kein Abschiebungsverbot aufgrund unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Zielstaat vorliegt. (Rn. 17 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 6 des Bescheids des Bundesamts vom 19. Februar 2019 verpflichtet, über die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit einer Partei mündlich verhandelt werden konnte, ist zulässig, jedoch weit überwiegend unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 19. Februar 2019 ist hinsichtlich der Erteilung von Abschiebungsverboten in der Ziffer 4 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Gericht folgt insoweit der Begründung des verfahrensgegenständlichen Bescheides und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen, § 77 Abs. 2 AsylG. Hinsichtlich der Schwangerschaft der Klägerin wird Folgendes ausgeführt:
1. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 – juris Rn. 11). Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Antragstellers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Antragstellers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.200 – 26565/05, U.v. 28.6.2011 – 8319/07).
Solche Umstände liegen in der Person der Klägerin jedoch – auch unter Berücksichtigung ihrer Schwangerschaft und der daraus resultierenden zukünftigen Unterhalts- und Betreuungslasten für das im Oktober 2019 erwartete Kind nicht vor. Dabei wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG für die allgemeine wirtschaftliche und soziale Situation alleinstehender Frauen in der Elfenbeinküste auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bundesamtsbescheid Bezug genommen, die sich das Gericht zu eigen macht. Auch die kanadischen Immigrationsbehörden gehen zwar davon aus, dass es für alleinlebende Frauen unter 30 Jahre etwas komplizierter ist, alleine zu leben, differenzieren dabei jedoch zwischen dem Leben in Großstädten wie Abidjan oder Bouaké und dem ländlichen Raum. Im Wesentlichen sei dies eine Frage der finanziellen und ökonomischen Verhältnisse (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Côte d’Ivoire: Situation of educated women living alone, whether single or divorced, particularly in Abidjan and Bouké; whether they can find work and housing, support services available to them (2014-April 2016) [CIV105508.FE], 2.5.2016). Mithin kommt es für das Bestehen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG wesentlich darauf an, ob es der Klägerin voraussichtlich möglich sein wird, sich in den Arbeitsmarkt der Elfenbeinküste zu integrieren und ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu erwirtschaften. Dabei sind insbesondere ihre bisherige Berufsausbildung, ihre aktuelle gesundheitliche Situation und bestehende Unterhalts- und Betreuungslasten zu berücksichtigen. So resultieren aus den Beschwerlichkeiten der Schwangerschaft und der zukünftigen Geburt ihres Kindes zwar eine jedenfalls kurz- bis mittelfristig bestehende Einschränkung ihrer körperlichen und zeitlichen Leistungsfähigkeit und ein durch die Versorgung des Kindes längerfristig gestiegener Bedarf, jedoch steht dem die zu erwartende finanzielle Unterstützung durch den Kindsvater gegenüber, der mit der Anerkennung der Vaterschaft seine Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung dokumentiert hat. Mit ihrer mehrjährigen Schulbildung und ihrer bereits erworbenen Erfahrungen im Geschäftsleben ist davon auszugehen, dass es der Klägerin gelingen wird, sich in der Elfenbeinküste wieder eine Existenzgrundlage aufzubauen. Dabei kann sie auf die Unterstützung ihrer Eltern, bei denen ihre beiden älteren Kinder leben, auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen. Darüber hinaus sind im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK die finanziellen Rückkehr- und Starthilfen aus europäischen, Bundes- und Landesmitteln für freiwillige Rückkehrer zu berücksichtigen, mit denen die Klägerin – selbst ohne finanziellen oder persönlichen Beistand des Kindsvaters oder ihrer in der Elfenbeinküste verbliebenen Verwandten – die erste Zeit nach einer Rückkehr überbrücken und sich ein neues soziales Netzwerk aufbauen könnte.
Insgesamt ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die Lebenssituation der Klägerin in wirtschaftlicher, sozialer und gesundheitlicher Sicht wesentlich von den allgemeinen Lebensbedingungen in der Elfenbeinküste abweichen wird. Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK allein aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zu befürchten.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen im für § 60 Abs. 7 AufenthG relevanten Schweregrad sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auftreten und Erscheinungsbild der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gaben ebenfalls keinen Anlass an einem stabilen Gesundheitszustand zu zweifeln. Allein die aktuelle Schwangerschaft ohne Komplikationen kann keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in einem für § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG relevanten Schweregrad im Sinne einer Reiseunfähigkeit begründen, so dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
2. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 36 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind.
3. Allerdings ist die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 6 des verfahrensgegenständlichen ermessenfehlerhaft und deshalb aufzuheben. Die Beklagte konnte zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht berücksichtigen, dass ein Kind erwartet wird. Der Umgang des Vaters mit dem erwarteten Kind kann derzeit realistisch nur in Verbindung mit der Anwesenheit der Mutter in Deutschland realisiert werden. Der Kindsvater hat seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland. Mithin sind im Lichte von Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK die ggf. im Rahmen der ausländerrechtlichen Vorschriften bestehenden Möglichkeiten der Visumserteilung und Aufenthaltsgestattung zur Ermöglichung des Umgangsrechts des Vaters in Deutschland bei der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auch der Kindsmutter zu berücksichtigen.
Die Beklagte war daher zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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