Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot bei Trisomie 21 und Verdacht auf Epilepsie

Aktenzeichen  M 5 K 19.34234

Datum:
25.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19915
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Trisomie 21 stellt kein erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis dar. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verdacht auf Epilepsie begründet kein Abschiebungsverbot. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einkommenslose Personen in Uganda bleiben trotz Fehlens eines staatlichen Systems der Existenzsicherung nicht unversorgt, da Familienverbände und vorwiegend aus dem Ausland bzw. von kirchlichen Stellen finanzierte Nichtregierungsorganisationen diesen Personenkreis auffangen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.  
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
2. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes/AufenthG liegen nicht vor.
a) Hinsichtlich der festgestellten Trisomie 21 und der weiteren festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen ist zunächst auf die Ausführungen im Beschluss vom 11. Februar 2020 (M 5 S 19.34236) zu verweisen:
„Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (OVG NRW, B.v. 15.9.2003 – 13 A 3253/03.A – juris). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat gleichwertig ist mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Soweit im ärztlichen Attest von Dr. K. vom … Dezember 2019 darauf hingewiesen wird, dass Kinder mit Trisomie 21 häufig verschiedene Erkrankungen hätten, die jederzeit auch beim Antragsteller auftreten könnten, ist das nicht maßgeblich. Das gilt auch für die angegebene Betreuungsbedürftigkeit aufgrund einer Herzproblematik. Wenn in diesem Attest auf die Fördermöglichkeiten und Therapieoptionen in Deutschland abgestellt wird, die in Uganda nicht zur Verfügung stünden, ist das rechtlich irrelevant. Wie oben dargestellt ist allein maßgeblich, ob eine fehlende Behandlung zu einer gravierenden eine beim Ausländer vorliegende Erkrankung ohne Behandlung in Uganda den Gesundheitszustand konkret absehbar wesentlich verschlechtern bis hin zu einer lebensbedrohlichen Lage verschlimmern würde (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179, juris Rn. 34 m.w.N.). Das folgt daraus nicht. Im Übrigen kommt einem ärztlichen Attest nicht die Kompetenz zu, die Behandlungssituation in einem anderen Land zu beurteilen.
Auch aus dem Attest der Kinderärztin T. vom … Dezember 2019 folgt nichts anderes. Dort ist hinsichtlich der Herzprobleme von einer Kontrolluntersuchung die Rede. Soweit dort ein Verdacht auf Epilepsie angegeben ist, ist das nur ein Verdacht und keine konkrete Diagnose. Soweit auf eine intensive Betreuung und Förderung für eine adäquate körperliche und geistige Entwicklung hingewiesen wird, bedingt das – wie bereits oben dargestellt – kein Abschiebungshindernis.“
Auch in dem sehr kurzen Attest von Dr. K. vom … Dezember 2019 folgt lediglich ein Erfordernis einer regelmäßigen kardiologischen Kontrolluntersuchung, aber kein Hinweis auf das Vorliegen gesundheitsbedingter rechtlich relevanter Abschiebungsverbote. Hinsichtlich der mit Schriftsatz vom … Juni 2021 vorgelegten beiden Arztbriefe gilt nichts Anderes. Aus dem Arztbrief dieses Facharztes Dr. K. vom … Juni 2021 folgt, dass die kardiologischen Befunde hämodynamisch nicht bedeutsam seien. Eine Kontrolluntersuchung in 6 bis 12 Monaten sei ausreichend. Der Arztbrief einer Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde vom … Juni 2021 berichtet von einem für den … Juni 2021 geplanten ambulanten Eingriff die Rede, um eine mögliche therapiebedürftige Hörstörung zu behandeln. Aus beiden medizinischen Mitteilungen folgen keine Anhaltspunkte für ein erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis beim Kläger. Das liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179, juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Diese Voraussetzungen lassen sich aus beiden Arztbriefen nicht ableiten.
b) Hinsichtlich der Absicherung des Existenzminimums ist der minderjährige Kläger auf seine Mutter angewiesen. Es ist auf die Beurteilung der entsprechenden Gründe der Mutter des Klägers (Klägerin zu 1 im Verfahren M 5 K 17.38991) im dortigen Urteil zu verweisen:
„Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin zu 1 eventuelle auftretende Kosten für eine psychiatrische Behandlung in Form von Medikamenten aufbringen könnte, ebenso dass ausgeschlossen wäre, dass sie das Existenzminimum für sich und ihre drei minderjährigen Kinder absichern könnte. Insoweit ist auf eine gemeinsame Rückkehr der Klägerin zu 1 mit ihren drei Kindern nach Uganda abzustellen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – BVerwGE 166, 113, juris Rn. 17 ff.).
Die Klägerin zu 1 hat angegeben, als angestellte Friseurin in Uganda gearbeitet zu haben. Damit kann sie gezeigt, dass sie in der Lage ist, ihr Existenzminimum grundsätzlich absichern zu können. Zwar mag sie in ihrer Erwerbstätigkeit aufgrund des Umstands, dass sie drei kleine Kinder hat, eingeschränkt sein. Andererseits ist sie nicht völlig auf sich allein gestellt. Sie hat Kontakt zum Vater ihrer Kinder, der nach einem erfolglosen Asylverfahren nach Uganda zurückgekehrt ist und dort lebt. Das hat sie in der mündlichen Verhandlung bekräftigt und relativ genaue Angaben zu den Lebensumständen des Vaters der Kinder der Klägerin zu 1 gemacht. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es ihr nicht möglich wäre, mit ihm zusammen ihre Existenz sowie die ihrer Kinder abzusichern sowie erforderliche Medikamente für sich eventuell zu erwerben. Das umfasst auch die Suche und Wahrnehmung von Arbeitsmöglichkeiten, die grundsätzlich auch für ungelernte Arbeitssuchende bestehen. Den vorgelegten fachärztlichen Attesten ist nicht zu entnehmen, dass die 36-jährige Klägerin zu 1 aufgrund ihrer Erkrankung völlig erwerbsunfähig wäre. Das gilt auch mit Blick darauf, dass beim jüngsten Sohn der Klägerin zu 1 (Kläger im Verfahren M 5 K 19.34234) eine Trisomie 21 besteht und er daher einer besonderen Betreuung auch mit fortschreitendem Alter bedarf. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 zusammen mit dem Vater der Kinder hierzu nicht in der Lage wäre, das zu leisten. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 zusammen mit dem Vater der Kinder auch bei dieser zusätzlichen Belastung ihr Existenzminimum nicht absichern könnten.
Im Übrigen besteht zwar in Uganda kein staatliches System der Existenzsicherung. Einkommenslose Personen bleiben aber nicht unversorgt, da Familienverbände und vorwiegend aus dem Ausland bzw. von kirchlichen Stellen finanzierte Nichtregierungsorganisationen diesen Personenkreis auffangen. Traditionell ist bei den Baganda (zu dieser Volksgruppe gehört die Klägerin zu 1, die sich als Muganda – Singularform von Buganda, siehe wikipedia Stichwort „Baganda“) der Familienverband zumindest subsidiär verpflichtet, Mutter und Kind zu versorgen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG München vom 2.7.2014).
Andererseits ist auch mit in den Blick zu nehmen, dass es der Klägerin zu 1 möglich war, zusammen mit dem Vater ihrer Kinder die nicht unerheblichen Kosten für eine Reise aus Uganda zunächst in die Türkei und dann weiter nach Deutschland aufbringen konnte. Wenn die Klägerin zu 1 in der Lage war, diese Kosten in Uganda aufzubringen, kann angenommen werden, dass sie bei einer Rückkehr das Existenzminimum für sich und ihre Kinder absichern kann. Dabei ist – wie oben dargelegt – nicht auf sich allein gestellt.
Das gilt auch mit Blick auf die geltend gemachten Drohungen der Familie des Vaters der Kinder in Bezug auf die Klägerin zu 1 und das behinderte Kind. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum sich der Vater den – bislang sehr vage formulierten – Drohungen nicht entgegenstellen könnte. Diese sind auch widerrechtlich, weshalb grundsätzlich auch staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Zudem sind diese Drohungen sehr vage gehalten. Eine konkrete Person, die die Drohungen geäußert hätte, wird nicht benannt, auch nicht Zeitpunkt, Form oder konkreter Inhalt. Dieser Umstand ist daher auch zurückhaltend zu bewerten.“
3. Es sind daher auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnten. Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid vom 26. Oktober 2018 verwiesen (§ 77 Abs. 2 Asylgesetz/AsylG).
4. Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
5. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 155 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen hat der Kläger als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.
Soweit das Verfahren nach Klagerücknahme eingestellt wurde, ist das Urteil unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Im Übrigen ergeht folgende


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