Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot für einen palästinensischen Volkszugehörigen jordanischer Staatsangehörigkeit mit Aufenthalt in Syrien

Aktenzeichen  3 L 130/19

Datum:
17.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0317.3L130.19.00
Normen:
Art 3 MRK
§ 60 Abs 5 AufenthG 2004
Art 8 MRK
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Nach der Erkenntnislage gibt es keine über Einzelfälle hinausgehende Praxis der jordanischen Behörden, Palästinensern, die dauerhaft oder überwiegend in Syrien gelebt haben, die jordanische Staatsangehörigkeit zu entziehen.(Rn.30)
(Rn.43)
(Rn.47)

2. Es ist davon auszugehen, dass es einem 49-jährigen jordanischen Staatsangehörigen, der zuvor in Syrien gelebt hatte, dort selbständig als Maler und Elektriker tätig war und nicht unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet, gelingen wird, in Jordanien eine Arbeitstätigkeit auszuüben und damit ein Einkommen zu erzielen, das es ihm ermöglicht, den existenziellen Lebensunterhalt zu sichern.(Rn.59)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 2. Mai 2019, 7 A 91/17 HAL, Urteil

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der vollstreckungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der jetzt 49-jährige Kläger ist arabischer und palästinensischer Volkszugehöriger. Er wurde in D-Stadt (Syrien) geboren und lebte in Syrien als jordanischer Staatsangehöriger. Am 18. August 2015 reiste er, nachdem er sich zuvor im Libanon, in Katar, in Jordanien, in der Türkei, in Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich aufgehalten hatte, in die Bundesrepublik Deutschland ein und stelle am 13. Januar 2016 einen Asylantrag, den er auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkte. Der Kläger ist im Besitz eines jordanischen Reisepasses mit einer Passnummer. Der Pass wurde am 4. März 2012 ausgestellt und war bis zum 3. März 2017 gültig.
Nachdem Ungarn ein Übernahmeersuchen abgelehnt hatte, hörte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Kläger zu dessen Asylgründen an. Er erklärte: In D-Stadt habe er die Schule bis zur 9. Klasse besucht, aber ohne Abschluss beendet. Er sei als Elektriker und Maler angelernt worden und habe als Selbständiger in diesen Berufen gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Gelegentlich habe er sich in Jordanien aufgehalten, um seinen dort lebenden Bruder zu besuchen. Gewohnt habe er dort nicht. Es habe für ihn in Syrien kein Leben mehr gegeben. Er habe dort nicht mehr arbeiten können. In seinem Alter sei es schwierig, etwas Neues zu lernen. Er habe nicht für den Lebensunterhalt der Familie sorgen können. In Syrien gebe es viele Kontrollposten. Da sein Reisepass jordanisch sei, habe es dort Schwierigkeiten gegeben. In Syrien nehme man mittlerweile jeden für den Militärdienst, der das passende Alter habe. Viele würden an den Kontrollposten verhaftet und seien dann verschwunden. Man habe in Syrien keine Sicherheit und müsse ständig damit rechnen, getötet zu werden. Manche Soldaten hätten sich mit den Papieren nicht ausgekannt und von ihm verlangt, syrische Papiere vorzulegen. Man könne sich in Syrien nicht bewegen und sein Beruf verlange Mobilität. Auch in Jordanien sei das Leben schwer. Dort sei alles teuer und er könne sich nichts leisten. Er könne auch nicht mehr wie früher arbeiten. Seine Familie lebe in D-Stadt und dort sei das Leben noch besser als in Jordanien. Probleme mit den syrischen oder jordanischen Behörden habe er nicht gehabt.
Mit Bescheid vom 28. März 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, drohte die Abschiebung nach Jordanien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Kläger sei kein Flüchtling i.S. des § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus seien nicht erfüllt. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Jordanien führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Der Kläger habe keinerlei gefahrenerhöhende Umstände vorgetragen. Aus seinen Ausführungen sei nicht ersichtlich, warum es ihm nicht gelingen sollte, ein zumindest existenzsicherndes Einkommen auch in Jordanien für sich und eine Familie zu erzielen. Dem Kläger drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei angemessen.
Der Kläger hat am 26. April 2017 Klage erhoben und vorgetragen: Ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil er sich aus begründeter Flucht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen einer vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens aufhalte. Auch eine Abschiebung nach Jordanien komme nicht in Betracht. Kinder von Palästinensern mit jordanischem Ausweis dürften nicht gemeinsam mit ihren Eltern in das Land einreisen. Von den Familien werde verlangt, ihre Kinder allein in Syrien zurückzulassen. Unzählige Palästinenser seien verhaftet und nach Syrien abgeschoben worden. Andere würden in Cyber City, einem geschlossenen Lager im Norden Jordaniens, unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt. Jordanien habe zwar die jordanische Staatsangehörigkeit an die dort lebenden Palästinenser verliehen. Dies habe sich im Juli 1988 geändert, als der jordanische König Hussein die Loslösung des Westjordanlandes von Jordanien verfügt habe. Als Folge dieser Entscheidung hätten die Palästinenser im Westjordanland auf einen Schlag die jordanische Staatsangehörigkeit verloren. Auch für viele Palästinenser in Jordanien habe dies dramatische Auswirkungen gehabt. Noch in jüngster Vergangenheit sei einer Vielzahl von Palästinensern die jordanische Staatsangehörigkeit gestützt auf das Dekret des Königs entzogen worden. Allein zwischen 2004 und 2008 habe dies über 2.700 Menschen betroffen. Nach der Entscheidung Husseins, das Westjordanland von Jordanien loszulösen, seien die „Disengagement Rules“ erlassen worden, nach denen die Bewohner des Westjordanlandes als Palästinenser und nicht als Jordanier angesehen, alle Familienbücher der palästinensischen Bewohner des Westjordanlandes annulliert würden und sich Inhaber grüner Reisedokumente nicht länger als einen Monat in Jordanien aufhalten dürften. Weitgehend ungeklärt sei der Status derjenigen Palästinenser, die vor dem 31. Juli 1988 weder im Westjordanland noch im heutigen Jordanien ihren Aufenthalt gehabt hätten. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass diese ebenfalls vom Entzug der jordanischen Staatsangehörigkeit umfasst seien. Wenn die betroffenen Personen außerhalb des Westjordanlands und außerhalb Jordaniens über die grünen Reisedokumente verfügten, würden sie nach Art. 15 der Disengagement Rules nicht mehr als jordanische Staatsangehörige angesehen. Er, der Kläger, wäre daher gezwungen, sich in Jordanien in ein palästinensisches Flüchtlingslager zu begeben. Daraus ergebe sich ein prima-facie-Beweis für eine drohende Gefahr, so dass die Beweislast auf den Staat übergehe. Darüber hinaus werde die Situation palästinensischer Flüchtlinge in Syrien nach allgemeinen Erkenntnissen als vulnerabel beschrieben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen
und den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid bezogen.
Mit Urteil vom 2. Mai 2019 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes. Er habe nicht vorgetragen, dass im Hinblick auf Jordanien Fluchtgründe vorlägen oder ihm bei einer Rückkehr nach Jordanien ein ernsthafter Schaden drohe. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor. Soweit der Kläger vorgetragen habe, Palästinenser würden in Jordanien verhaftet und nach Syrien abgeschoben oder in Cyber City unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt, sei dem entgegenzuhalten, dass dies für palästinensische Flüchtlinge (überwiegend aus Syrien) zutreffen möge, jedoch nicht für den Kläger als jordanischen Staatsangehörigen gelte. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nicht vor. Gefahren im Sinne dieser Vorschrift seien weder ersichtlich noch vom Kläger substantiiert dargelegt worden.
Der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit die Klage auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG und entsprechende Aufhebung des Bescheides vom 28. März 2017 gerichtet ist. Die Berufung hat der Kläger wie folgt begründet: Obwohl kein jordanisches Gesetz das Vorliegen der jordanischen Staatangehörigkeit vom Besitz gelber und grüner Reisedokumente abhängig mache, würden in ständiger Praxis der jordanischen Behörden nur diejenigen Personen weiterhin als jordanische Staatsangehörige betrachtet, die entweder über gelbe Reisedokumente oder über einen gültigen Nachweis der jordanischen Staatsangehörigkeit verfügten. Sofern diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien, würden diese Personen ebenfalls staatenlos. Ihm drohe daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach Ankunft in Jordanien der Entzug seiner Staatsangehörigkeit und damit die Staatenlosigkeit. Vor dem Hintergrund des Artikel 15 der Disengagement Rules sei es überwiegend wahrscheinlich, dass er vom Entzug der jordanischen Staatangehörigkeit umfasst sei. Er werde dann gezwungen sein, sich in Jordanien in das palästinensische Flüchtlingslager Cyber City zu begeben, wo ihm eine menschenrechtsunwürdige Behandlung drohe. Human Rights Watch berichte in diesem Zusammenhang darüber, dass die jordanischen Sicherheitskräfte Palästinenser abwiesen, die von Syrien aus in das Land einreisen wollten. Offiziell dürften Palästinenser mit jordanischer Staatsangehörigkeit einreisen, aber de facto würden Personen mit abgelaufenen jordanischen Pässen, die von Syrien aus in das Land Jordanien einreisen wollten, abgewiesen. Zum Teil würden ihnen willkürlich die Papiere abgenommen und sie müssten nach Syrien zurückkehren. Weiter sei zu beachten, dass seine Ehefrau sowie drei gemeinsame Kinder noch in Syrien lebten. Kinder von Palästinenserinnen und Palästinensern mit jordanischem Ausweis dürften nicht gemeinsam mit ihren Eltern in das Land einreisen. Von den Familien werde verlangt, die Kinder allein in Syrien zurückzulassen. Damit ergäben sich weitere Abschiebungshindernisse aus einer drohenden dauerhaften Trennung der Familie. Diese Situation sei mit der EMRK nicht vereinbar und führe zu einem Abschiebungsverbot.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 2. Mai 2019 zu ändern und
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen und
den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2017 hinsichtlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Die Quellenlage zur Frage, inwiefern Palästinenser, die am 31. Juli 1988 ihren Wohnsitz nicht im Westjordanland oder im heutigen Jordanien gehabt hätten, staatenlos geworden seien, sei schwierig und ergebe keine eindeutigen Erkenntnisse. Ein Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2010 komme zu dem Schluss, dass rechtlich keine Grundlage für den Entzug der jordanischen Staatsangehörigkeit bestehe. Mehrere in diesem Bericht genannte Quellen gingen davon aus, dass diese Personen ihre Staatsangehörigkeit nicht verlören. Eine Äußerung des jordanischen Innenministeriums aus dem Jahr 2009 könne man aber so deuten, dass Palästinenser mit jordanischer Staatsangehörigkeit und grünen Dokumenten, die ihren Wohnsitz zur Zeit des Disengagements nicht auf dem Gebiet des heutigen Jordaniens gehabt hätten, ebenfalls vom Entzug der Staatsangehörigkeit betroffen seien. Die rechtliche Grundlage für die Entziehung der Staatsangehörigkeit, die seit den frühen 2000-er Jahren erneut in geringerem Maße stattfinde, sei nicht aufzufinden. Es handele sich um Praktiken, die nicht auf eindeutigen Gesetzestexten beruhten. In der Regel würden betroffene Personen von den jordanischen Behörden nicht informiert, sondern erführen vom Entzug erst bei routinemäßigen Verwaltungstätigkeiten. Daher sei es nicht möglich, gesicherte Aussagen darüber zu treffen, zu welchem Zeitpunkt Palästinensern aus Syrien die jordanische Staatsangehörigkeit aberkannt werden würde. Die Kriterien seien unklar. Verschiedene Quellen hätten Zusammenhänge zwischen dem Verlust einer israelischen Aufenthaltsgenehmigung für das Westjordanland oder der Arbeit für Behörden der Palästinensischen Autonomiebehörde und dem Verlust der jordanischen Staatsangehörigkeit festgestellt. Es gebe auch Aussagen darüber, dass Palästinensern, die sich für die jordanische Wahl hätten registrieren lassen, die Staatsangehörigkeit entzogen worden sei. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger nunmehr vom Entzug der jordanischen Staatsangehörigkeit bedroht sein solle, wenn er in der Vergangenheit nicht betroffen gewesen sei. Es sei ihm vielmehr möglich gewesen, Ausweise zu beantragen und diese auch zu erhalten. Er sei mit seinem Reisepass nach Jordanien eingereist. Dies spreche dafür, dass er weiter als Staatsangehöriger betrachtet werde, denn üblicherweise seien die Einreisebestimmungen für Staatenlose äußerst restriktiv. Für Personen ohne jordanische Staatsangehörigkeit gälten die landesüblichen Einreisebestimmungen für Ausländer. Dies zeige auch der Vergleich mit der Behandlung von Palästinensern, die nicht als Staatsangehörige angesehen würden. Palästinenser, insbesondere solche aus Syrien, sähen sich einer besonderen Behandlung durch Jordanien ausgesetzt. Bereits im April 2012 seien jordanische Behörden zögerlich bei der Aufnahme von Palästinensern aus Syrien gewesen; im Januar 2013 sei ein offizieller Aufnahmestopp ergangen. Bis 2013 seien noch ein paar Tausend nach Jordanien eingereist, aber seit 2014/15 bleibe ihnen eine legale Einreise verwehrt. Von einzelnen Grenzöffnungen für syrische Kriegsflüchtlinge hätten nur syrische Staatsangehörige, aber nicht Palästinenser aus Syrien profitieren können. Über die Jahre hinaus seien immer wieder Fälle von Verstößen gegen das Non-Refoulement-Gebot bekannt geworden, in denen Jordanien Palästinenser aus Syrien nach Syrien zurückgeführt haben solle. Ausnahmen bildeten in den meisten Fällen Palästinenser mit jordanischer Staatsangehörigkeit aus Syrien. Allerdings seien auch in solchen Fällen Zurückweisungen bekannt geworden, wenn die jordanischen Dokumente abgelaufen gewesen seien. UNRWA lägen Kenntnisse von mehr als 50 Fällen seit 2011 vor, in denen Palästinensern aus Syrien die jordanische Staatsangehörigkeit entzogen worden sei. Im Übrigen sei nach Artikel 17b des jordanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes auch ein erneuter Erwerb der Staatsangehörigkeit möglich.
Palästinenser aus Syrien fielen unter die Zuständigkeit der UNRWA und dürften daher nicht in Flüchtlingslagern für syrische Geflüchtete unterkommen. Hätten sie keine jordanischen Dokumente, erhielten sie höhere Bargeldauszahlungen, weil die Geflüchteten mit jordanischen Dokumenten staatliche Hilfsleistungen in Anspruch nehmen könnten. Es gebe diverse Hilfsleistungen. Die Versorgung von Leistungsberechtigen durch das UNRWA sei allerdings durch finanzielle Schwierigkeiten des Hilfswerks gefährdet. Daher seien Kürzungen der Zuwendungen möglich. Zwar hätten palästinensische Flüchtlinge in großen Teilen durch ihre jordanische Staatsangehörigkeit Zugang zu öffentlichen Diensten, jedoch bleibe der Bedarf am Angebot der UNWRA hoch. Palästinenser ohne Staatsangehörigkeit stünden regelmäßig vor Problemen. So könnten sie nicht als Anwälte oder Ingenieure arbeiten, da der Zugang zu diesen Berufen die Mitgliedschaft in Berufsverbänden verlange, die jordanischen Staatsangehörigen vorbehalten sei. Beim Kläger sei unter Berücksichtigung der Rückkehrhilfen, der familiären Unterstützung und der UNRWA die Schwelle für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht überschritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die vom Senat nur hinsichtlich der Feststellung eines in der Person des Klägers liegenden Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zugelassene Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG sind in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht erfüllt. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies umfasst das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in welchem dem Ausländer Folter oder unmenschliche oder erniedrigender Strafe oder Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK droht.
Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des EGMR zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6). Eine Behandlung ist „unmenschlich“, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend“ ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – NVwZ 2044, 413 Rn. 200).
Nach der Rechtsprechung des EGMR sind die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. Humanitäre Verhältnisse verletzten Art. 3 EMRK in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 – 8319/07 – NVwZ 2012, 681, Rn. 278).
Die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung gefährden die Rechte des Schutzsuchenden aus Art. 3 EMRK, wenn er seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält bzw. sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – juris Rn. 65; EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff. und – C-163/17 – juris Rn. 90 ff.).
2. Nach der Auskunftslage ist die rechtliche Situation palästinensischer Volkszugehöriger in Jordanien im Hinblick auf Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und Einreisemöglichkeiten wie folgt zu beurteilen:
a) Nach Auskunft des Auswärtigen Amts können jordanische Staatsangehörige grundsätzlich nach Jordanien einreisen und zurückkehren (Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 4. August 2021). Auf die Frage, ob ein jordanischer Staatsangehöriger, der immer nur in Syrien lebte und Palästinenser ist, mit Einschränkungen und Nachteilen im Falle seiner Rückkehr zu rechnen habe, führt das Auswärtige Amt aus, dass für die jordanischen Behörden der Besitz der jordanischen Staatsangehörigkeit entscheidend sei. Es sei nicht bekannt, dass ein überwiegender Wohnort in Syrien bzw. palästinensische Herkunft allein einen Nachteil darstellen könnten, es sei denn die betreffende Person stelle nach Ansicht der jordanischen Behörden aufgrund von Kontakten zu Konfliktparteien in Syrien ein Sicherheitsrisiko dar (Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 17. Mai 2017).
b) Das jordanische Nationalitätengesetz aus dem Jahr 1954 habe den palästinensischen Flüchtlingen, die nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 nach Jordanien und in das von Jordanien kontrollierte Westjordanland gekommen seien, die jordanische Staatsbürgerschaft gewährt (ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin an Asylum Research and Documentation, 15. Januar 2018, S. 1, Anfragebeantwortung zu Jordanien: Status eines palästinensischen Vaters in Jordanien; US Department of State [USDOS], 11. März 2020, Jordan 2019 Human Rights Report; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen Asyl – BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jordanien vom 16. April 2020, S. 25; Goethe-Universität Frankfurt am Main, Zentrum für Europäische Integration und Internationale Wirtschaftsordnung, Laissez-Passer-Dokumente, Umgang mit Palästinensern hinsichtlich der Staatsangehörigkeit durch Jordanien, vom 9. Februar 2010).
Laut ACCORD (a.a.O., S. 1 bis 3), das sich auf Berichte von BADIL, einer unabhängigen Organisation zum Schutz der Rechte von palästinensischen Flüchtlingen, und des in Beirut und Amman tätigen Think Tanks Al Quds Center for Political Studies bezieht, seien die erste Kategorie von Jordaniern palästinensischer Abstammung diejenigen, die über einen fünf Jahre gültigen Reisepass und eine nationale Identitätsnummer verfügten.
Palästinenser, die 1967 nach Jordanien vertrieben worden seien und noch über einen Aufenthaltstitel für das Westjordanland verfügten, hätten jedoch nicht mehr die jordanische Staatsbürgerschaft erhalten, sondern zeitweilige Reisepässe mit einer Gültigkeit von zwei Jahren ohne nationale Identifikationsnummern. Es handele sich über einen zeitlich begrenzten Aufenthaltsstatus, der die Bewegungsfreiheit einschränke, da er nicht das Recht beinhalte, nach Jordanien zurückzukehren. Diese Personen erhielten keinen vollständigen Zugang zu Regierungsdiensten und zahlten in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen und Ausbildungszentren die Tarife für Nichtstaatsbürger. Sie seien meist vollständig von der angebotenen Unterstützung der UNRWA abhängig (so USDOS, a.a.O.). Die für zwei Jahre ausgestellten „Pässe“ ohne nationale Identifikationsnummer seien, wie ACCORD (S. 8) das Forced Migration Review zitiert, im Endeffekt nur Aufenthaltsgenehmigungen, deren Erneuerung im Ermessen des jordanischen Staats liege.
In den 1980-er Jahren seien die ersten zwei Kategorien von Ausweisdokumenten entstanden. Palästinensern, die gewöhnlich im Westjordanland gelebt hätten, habe man grüne Ausweisdokumente (für den Grenzübergang) ausgestellt. Palästinenser, die in Jordanien gelebt, aber familiäre oder materielle Beziehungen zum Westjordanland gehabt hätten, seien mit gelben Ausweisdokumenten ausgestattet worden.
Als sich Jordanien 1988 offiziell vom Westjordanland losgesagt habe, seien im Zuge der „Disengagement Regulations“ diejenigen Palästinenser, die vor dem 31. Juli 1988 ihren Wohnsitz im Westjordanland hatten, nicht mehr als jordanische Staatsangehörige angesehen worden (vgl. hierzu auch VG Berlin, Urteil vom 14. Januar 2021 – 34 K 540.18 – juris Rn. 30; VG Freiburg, Urteil vom 2. November 2020 – A 1 K 10261/17 – juris Rn. 45 ff.). In diesem Zusammenhang seien die grünen und gelben Ausweispapiere ein Kriterium geworden, um die Staatsangehörigkeit von Palästinensern festzulegen. Besitzer von gelben Karten seien zu jordanischen Staatsbürgern erklärt worden, während Besitzer einer grünen Karte von nun an als „palästinensische Bürger“ gegolten hätten. Mehr als eineinhalb Millionen Palästinenser seien durch diese Maßnahme staatenlos geworden.
Eine dritte Kategorie seien Palästinenser mit gelben Ausweispapieren, die zwar nach der Lossagung Jordaniens vom Westjordanland ihre jordanische Staatsbürgerschaft behalten hätten, jedoch seit Kurzem von der Aufhebung ihrer jordanischen Staatsangehörigkeit und der mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte betroffen seien.
Die vierte Kategorie seien Palästinenser mit blauen Ausweisdokumenten. Hierbei handle es sich um Palästinenser, die 1967 aus Gaza nach Jordanien geflohen seien und nie Staatsbürgerschaftsrechte erlangt hätten. Da sie nicht als Jordanier gelten, hätten sie keinen Zugang zu öffentlichen Schulen und zum Gesundheitssystem. Sie könnten keinen Führerschein erlangen, Bankkonten eröffnen oder Grundbesitz kaufen. Die meisten Gaza-Palästinenser würden in Flüchtlingslagern in der Gegend Dscherasch leben, insbesondere im „Gaza Refugee Camp“, welches als das Flüchtlingslager mit den schlechtesten Lebensumständen in Jordanien bekannt sei. Bei der fünften Kategorie handle es sich um Palästinenser, die ursprünglich in Jerusalem gelebt hätten.
c) Unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen (USDOS vom 3. März 2017, Arab Renaissance for Democracy and Development, eine jordanische NGO, Mai 2015) berichtet ACCORD (a.a.O. S. 9), dass die jordanische Regierung Palästinenser, die nach Jordanien einreisen wollten, wieder zurückgewiesen habe. Im September 2016 seien 24 Fälle von Refoulement von Palästinensern nach Syrien bekannt geworden. Diejenigen, die irregulär oder mit syrischen Ausweisdokumenten nach Jordanien eingereist seien, seien Gefahr gelaufen, nach Syrien abgeschoben zu werden. Laut Human Rights Watch (HRW) seien auch jordanische Palästinenser und deren Nachkommen ausgewiesen worden. Es seien Fälle von jordanischen Palästinensern dokumentiert, denen ihre jordanische Staatsangehörigkeit entzogen worden sei und die nach Syrien zurückgeschickt worden seien.
HRW berichtet im August 2014 (Not Welcome – Jordan’s Treatment of Palestinians Escaping Syria, 7. August 2014), dass die jordanischen Sicherheitskräfte seit Mitte des Jahres 2012 Palästinenser abwiesen, die von Syrien aus in das Land einreisen wollten. Im Januar 2013 habe die Regierung ein offizielles Einreiseverbot verkündet. Die Sicherheitskräfte verhafteten auch dann Palästinenser und schöben sie ab, wenn diese versuchen, an inoffiziellen Grenzübergängen mit gefälschten, syrischen Pässen einzureisen, oder wenn sie durch Schleusernetzwerke irregulär in das Land gelangten. Im Prinzip dürfen Palästinenser mit jordanischer Staatsbürgerschaft einreisen, aber auch bei diesen Palästinensern hätten die jordanischen Behörden Personen mit abgelaufenen jordanischen Pässen die Einreise verweigert, ihnen in einigen Fällen die Staatsangehörigkeit entzogen und sie zwangsweise nach Syrien abgeschoben. T., Leiter des Königlichen Hofes und ehemaliger Premierminister, habe die Abweisungspolitik bei einem Treffen mit HRW im Mai 2013 mit der Begründung gerechtfertigt, dass eine große Zahl von Palästinensern aus Syrien das demographische Gleichgewicht des Königreichs stören und zu Instabilität führen würde. Wenn man ihnen die Einreise gestatten würde, suchten Hunderttausende Palästinenser Zuflucht in Jordanien; damit würde die Zahl der Einwohner palästinensischer Herkunft steigen.
Laut HRW (vom 7. August 2014, a.a.O.) hätten viele Palästinenser aus Syrien aufgrund der jordanischen Politik keine ordnungsgemäßen Aufenthaltspapiere in Jordanien und seien daher anfällig für Ausbeutung, Abschiebung und Verhaftung. Palästinenser ohne Papiere aus Syrien könnten wegen der Gefahr der Verhaftung und Abschiebung den Schutz der jordanischen Regierung nicht in Anspruch nehmen. Im Gegensatz zu Syrern könnten Palästinenser nicht legal in den offiziellen Flüchtlingslagern für Syrer leben und hätten keine andere Wahl, als Wohnungen in jordanischen Städten zu mieten, könnten aber nicht legal arbeiten, um Geld für die Miete zu verdienen. Die nicht staatliche Überwachungsgruppe Syria Needs Analysis Project (SNAP), die eine unabhängige Analyse der humanitären Lage der von der Syrienkrise Betroffenen erstellt habe, berichte – so HRW -, dass jordanische Sicherheitsdienste seit 2013 über 100 Palästinenser festgenommen und nach Syrien zurückgebracht hätten. UNRWA habe im Jahresbericht zur Reaktion auf die Krise in Syrien von September 2013 festgestellt, dass SNAP zahlreiche Fälle von Zwangsrückführungen dokumentiert habe, auch von Frauen und Kindern. HRW dokumentierte die Zurückweisung von sieben Palästinensern aus Syrien in den Jahren 2013 und 2014 und die Überstellung von vier weiteren nach Cyber City, einer geschlossenen Aufnahmeeinrichtung für palästinensische und syrische Flüchtlinge. Im damaligen Zeitpunkt (2014) hätten etwa 180 Palästinenser und 200 Syrer in dieser Einrichtung gelebt. Einigen Bewohnern sei ein nur kurzzeitiges Verlassen der Einrichtung alle zwei bei drei Wochen für Verwandtenbesuche in jordanischen Städten erlaubt. Ansonsten könnten die in Cyber City lebenden Palästinenser das Lager nur verlassen, um nach Syrien zurückzukehren.
Jordanien habe Palästinensern mit gültigen jordanischen Dokumenten die Einreise ins Land zwar im Allgemeinen erlaubt. Diese Personen liefen jedoch Gefahr einer willkürlichen Entziehung der Staatsangehörigkeit und der Abschiebung, wenn sie versuchten, staatliche Hilfsleistungen in Anspruch zu nehmen. Dokumentiert sei die Verhaftung und Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei zehn Palästinensern, die jordanische Staatsangehörige gewesen seien. Inzwischen liegen laut UNWRA Kenntnisse von mehr als 50 Fällen vor, in denen palästinensischen Volkszugehörigen die jordanische Staatsangehörigkeit entzogen worden sei (so USDOS, Jordan 2020 Human Rights Report, S. 24). Laut HRW (a.a.O.) seien die Entziehungen der Staatsangehörigkeit nicht durch offizielle Nachricht, sondern im Rahmen von Routineverfahren wie der Verlängerung eines Reisepasses oder Personalausweises oder der Registrierung einer Eheschließung oder Geburt erfolgt. Einige Palästinenser, die nach Syrien deportiert worden seien, insbesondere diejenigen, denen die jordanische Staatsbürgerschaft aberkannt worden sei, seien ohne jegliche Form eines gültigen Ausweises nach Syrien zurückgekehrt. Daher hätten sie die Kontrollpunkte der Regierung oder der Opposition nicht passieren können und seien dazu gezwungen gewesen, auf unbestimmte Zeit in kleinen Grenzdörfern ohne Zugang zu humanitärer Hilfe zu bleiben. Laut HRW stehe die Politik der Nichtzulassung von Palästinensern in deutlichem Gegensatz zu Jordaniens Behandlung syrischer Staatsangehöriger, denen Jordanien keine formellen Einreisebeschränkungen auferlegt habe.
3. Die allgemeine Situation von Palästinensern in Jordanien wird wie folgt beschrieben:
Nach Auskunft des Auswärtigen Amts (vom 17. Mai 2017) hätten ca. 50 % der Einwohner Jordaniens palästinensische Wurzeln. In den größten Städten des Landes Amman und Zarqa seien sogar 90 % der Bevölkerung palästinensischen Ursprungs. Das BFA (Länderinformationsblatt, a.a.O., S. 24) geht davon aus, dass knapp 60 % der Bevölkerung Jordaniens palästinensischer Herkunft seien, davon gut die Hälfte registrierte Palästina-Flüchtlinge. Sofern es sich um jordanische Staatsangehörige handele, hätten sie die gleichen Rechte wie alle anderen jordanischen Bürger. Sie könnten frei am gesellschaftlichen Leben in Jordanien teilnehmen und unterlägen keinen Einschränkungen z.B. bei der Berufswahl. Der Eintritt in den Staatsdienst stehe ihnen frei (AA vom 17. Mai 2017, a.a.O.; BFA, a.a.O., S. 24). Obwohl Palästinenser mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachten und die jordanische Wirtschaft auf das Kapital und Know-How der palästinensischstämmigen Bevölkerung angewiesen sei, seien Palästinenser bislang politisch nicht angemessen repräsentiert. Der Zugang zu Posten im öffentlichen Dienst und bei den Sicherheitskräften sei zwar möglich, aber erschwert. Ein Teil der in Jordanien lebenden Palästinenser fühle sich zunehmend von erneuter Staatenlosigkeit bedroht.
Jordanien ist eines der wichtigsten Flüchtlingsländer. Die größte Flüchtlingsgruppe sind die Palästinenser. Laut dem Palästina-Flüchtlingshilfswerk UNRWA lebten in Jordanien derzeit über zwei Millionen registrierte Palästina-Flüchtlinge, von denen mehr als die Hälfte die jordanische Staatsangehörigkeit besäßen. Jordanien gewähre geflüchteten Personen vorübergehenden Schutz, wende aber strenge Kriterien für die Einreise neuer syrischer Flüchtlinge an, was viele an der Einreise hinderte (BFA, a.a.O. S. 30). HRW berichtet, dass Jordanien seine jahrelange Politik fortsetze, Syrern, die in Jordanien Asyl beantragen wollten, die Einreise zu verweigern (HRW, Jordan, Events of 2020). Bis Ende 2020 hätten nach Erkenntnissen von HRW (Jordan, Events of 2020) über 660.000 Menschen aus Syrien in Jordanien Zuflucht gesucht. Laut UNHCR lebten über 85 % der Syrer außerhalb von Flüchtlingslagern in Mietwohnungen. In Jordanien gebe es zehn offizielle palästinensische Flüchtlingslager, in denen mit fast 370.000 Menschen etwa 18 % der insgesamt in Jordanien lebenden Flüchtlinge lebten. Fast 10.000 palästinensische Flüchtlinge aus Syrien hätten die Unterstützung der UNRWA in Jordanien erbeten. Die Mehrheit dieser Flüchtlinge dürfte in bitterer Armut leben und über einen unsicheren rechtlichen Status verfügen (BFA, a.a.O. S. 25).
Laut BFA (a.a.O., S. 24 f.) sind die meisten palästinensischen Flüchtlinge im Besitz der vollen jordanischen Staatsangehörigkeit. Auch langjährigen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Gaza-Streifen und ohne jordanische Staatsangehörigkeit werde jedoch weiterhin die Arbeitssuche und andere grundlegende Rechte verwehrt (BFA, a.a.O. S. 30). Nach Berichten von USDOS (a.a.O.) lebten einige palästinensische Flüchtlinge aus Syrien und andere Flüchtlinge im König-Abdullah-Park, einem ungenutzten, eingezäunten öffentlichen Raum, der seit 2016 für die Unterbringung von palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien, syrischen Familien gemischter Herkunft und einigen Personen anderer Nationalitäten, die aus Syrien kamen, genutzt worden sei. Im August 2019 seien dort 479 Personen untergebracht gewesen, darunter 330 Palästinenser auf Syrien, 135 Syrer und 14 Personen anderer Nationalitäten. Zivile Dokumente der Flüchtlinge würden von den Behörden während ihres Aufenthalts im Lager aufbewahrt. Die Bewohner müssten einen Antrag stellen, um das Lager verlassen zu können, was ihre Bewegungsfreiheit stark einschränke. Viele palästinensische Flüchtlinge aus Syrien, die keinen legalen Status in Jordanien hätten, schränkten ihre Bewegungsfreiheit selbst ein, um den Kontakt mit den Behörden zu vermeiden (USDOS, a.a.O.). Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien säßen in der Nähe von Rukban, einem inoffiziellen Lager entlang der jordanischen Grenze zu Syrien, fest. Seit 2016 erlaubten die jordanischen Behörden keine Hilfslieferungen in das Lager. Im Juni 2017 genehmigten die Behörden eine einmalige Verteilung von Hilfsgütern. Im Jahr 2020 hätten jordanische Behörden Syrer nach Rukban abgeschoben (HRW, a.a.O.). Die Lagerbewohner würden seit 2018 von syrischen Regierungskräften belagert und hätten nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und medizinischer Hilfe (BFA, a.a.O. S. 32, HRW, a.a.O., amnesty international, 28. Mai 2018, Jordanien 2017/18).
4. Aufgrund dieser Erkenntnislage sind die Lebensumstände für den Kläger im Falle seiner Einreise nach Jordanien wie folgt zu beurteilen:
a) Unzweifelhaft hatte der Kläger jedenfalls noch in der Zeit seiner Ausreise aus Syrien die jordanische Staatsangehörigkeit. Es kann dahinstehen, auf welcher Grundlage er bzw. einer seiner Vorfahren als palästinensischer Volkszugehöriger die jordanische Staatsangehörigkeit erhalten hat; auch der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Angaben machen können. Jedenfalls hat der Kläger einen jordanischen Reisepass mit einer Identitätsnummer vorgelegt, der am 4. März 2012 ausgestellt wurde und bis zum 3. März 2017 gültig war. Dabei handelt es sich nicht um einen zeitweiligen Reisepass ohne Identifikationsnummer, deren Inhaber – wie oben ausgeführt – nicht als jordanische Staatsangehörige angesehen werden, sondern um einen fünf Jahre gültigen Reisepass, der die vollwertige jordanische Staatsangehörigkeit dokumentiert. Der Kläger war von dem Entzug der jordanischen Staatsangehörigkeit im Rahmen der Disengagement Regulations im Jahr 1988 nicht betroffen; andernfalls hätte man ihm im Jahr 2012 und in den Jahren zuvor keinen Reisepass ausgestellt. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, wurde ihm der erste Pass bereits mit dem Erreichen des Volljährigkeitsalters ausgestellt; seitdem wurden immer wieder nach Ablauf der Gültigkeitsdauer von fünf Jahren neue Pässe ausgestellt. Der Kläger ist auch nicht Inhaber einer grünen oder blauen Ausweiskarte, die keine jordanische Staatsangehörigkeit und einen schlechteren Aufenthaltsstatus vermitteln.
b) Wie oben ausgeführt, sind jedenfalls einige Fälle von jordanischen Palästinensern aus Syrien dokumentiert, denen ihre jordanische Staatsangehörigkeit entzogen wurde und die nach Syrien zurückgeschickt worden seien. Dabei gehörte der Kläger offensichtlich nicht zu der Gruppe von Palästinensern, die seit Mitte 2012 faktisch an der Einreise aus Syrien gehindert wurden und gegen die im Januar 2013 ein offizielles Einreiseverbot verhängt wurde. Denn der Kläger, dem zuletzt im März 2012 ein jordanischer Reisepass ausgestellt wurde, konnte noch in der ersten Jahreshälfte 2015 von Katar aus auf dem Luftweg nach Jordanien einreisen. Es gab, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berichtet hat, nach seiner Einreise zwar eine Befragung durch jordanische Sicherheitskräfte, jedoch wurde ihm die Einreise nicht verweigert. Anschließend hat er sich für etwa einen Monat bei seinem seinerzeit in Jordanien lebenden Bruder aufgehalten und ist dann weitergereist.
c) Nach der Auskunftslage ist allerdings davon auszugehen, dass es Fälle gegeben hat, in denen palästinensischen jordanischen Staatsangehörigen die Einreise jedenfalls von Syrien aus verweigert wurde. Es sind – wie ausgeführt – auch Fälle dokumentiert, in denen die Staatsangehörigkeit nicht im Zusammenhang mit der Einreise oder durch offizielle Nachricht, sondern im Rahmen von Behördengängen entzogen wurde. Die Anzahl der von solchen Maßnahmen Betroffenen ist nach der Auskunftslage jedoch verhältnismäßig gering. Wie ausgeführt, liegen UNWRA Kenntnisse von 50 Fällen von Entziehungen der jordanischen Staatsangehörigkeit seit 2011 vor. Hierbei handelt es sich angesichts der Vielzahl von Flüchtlingen – auch jordanischer Staatsangehöriger – aus Syrien nur um einen kleinen Anteil, auch wenn man von einer gewissen Dunkelziffer unbekannt gebliebener Fälle ausgehen kann.
d) Es ist nicht eindeutig zu beurteilen, ob von der Entziehung der Staatsangehörigkeit und Abschiebung nach Syrien bestimmte Gruppen von Palästinensern in besonderer Weise betroffen sind oder ob es sich um eine willkürliche Praxis handelt. Die Beklagte zitiert in ihrem Schriftsatz vom 7. März 2022 eine Äußerung von Takkenberg und Albanese (Lex: Palestinian Refugees International Law, 2nd Edition 2020, S. 205 f.), nach denen sich die Gründe für die Entziehung der Staatsangehörigkeit im Laufe der Zeit offenbar verändert hätten. Während die Gründe in den 1990er Jahren mit der systematischeren Fortführung des Disengagement verbunden gewesen seien, seien die Entziehungen der Staatsangehörigkeit seit Mitte der 2000er Jahre offenbar eher politisch motiviert. Ob diese Bewertung so zutrifft und ob den Erwägungen der Beklagten zu folgen ist, dass die Entziehungen im Zusammenhang mit dem Verlust einer israelischen Aufenthaltsgenehmigung für das Westjordanland, der Arbeit für die Palästinensischen Autonomiebehörden oder der Registrierung für die jordanische Wahl stehen könnten, kann dahinstehen. Denn jedenfalls lässt sich der Auskunftslage nicht entnehmen, dass es eine über Einzelfälle hinausgehende Praxis der jordanischen Behörden gibt, Palästinensern, die dauerhaft oder über überwiegend in Syrien gelebt haben, die jordanische Staatsangehörigkeit zu entziehen. Dagegen spricht schon die – im Verhältnis zur Gesamtzahl der nach Jordanien geflüchteten Palästinenser mit jordanischer Staatsangehörigkeit – geringe Zahl dokumentierter Fälle von 50 seit dem Jahr 2011. Angesichts dieser Zahl ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko einer Entziehung der Staatsangehörigkeit aufgrund einer allgemeinen Verschlechterung der Stimmung gegenüber Flüchtlingen und Palästinensern in den letzten Jahren erheblich vergrößert hätte. Für die Annahme, dass es sich um Einzelfälle handelt, spricht auch der Umstand, dass in den Erkenntnisquellen Zurückweisungen von Geflüchteten ohne jordanische Staatsangehörigkeit hervorgehoben werden, etwa derjenigen, die versucht hätten, mit gefälschten oder mit syrischen Ausweisdokumenten nach Jordanien einzureisen. Wie ausgeführt, geht auch HRW davon aus, dass Palästinenser mit jordanischer Staatsbürgerschaft „im Prinzip“ einreisen dürfen.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger – etwa aufgrund begangener oder vom jordanischen Staat angenommener politischer Aktivitäten – einem besonderen individuellen Risiko der Entziehung der Staatsangehörigkeit ausgesetzt wäre. Dagegen spricht schon, dass der Kläger – wie ausgeführt – mehrfach (zuletzt im Jahr 2012) einen jordanischen Reisepass erhalten hat und ihm die Staatsangehörigkeit auch nicht anlässlich seiner Einreise nach Jordanien im Jahr 2015 entzogen wurde. Angesichts der ungehinderten Einreise ist auch nicht davon auszugehen, dass die Passausstellung bei der jordanischen Botschaft in D-Stadt ein besonderes Risiko für ein späteres Einreiseverbot oder die Entziehung der jordanischen Staatsangehörigkeit begründet. Außerdem konnte der Bruder des Klägers mit seiner Ehefrau und vier Kindern – also eine mehrköpfige Familie – nach Jordanien einreisen. Sein Bruder, dessen Ehefrau und eines der Kinder haben sich über vier Jahre in Jordanien aufgehalten, ohne dass ihnen die Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass der Kläger von der Entziehung der jordanischen Staatsangehörigkeit bedroht sein könne, weil seine Ehefrau und Kinder nach Jordanien nachreisen könnten.
Soweit Fälle bekannt geworden sind, in denen jordanische Behörden Personen mit abgelaufenen jordanischen Pässen die Einreise verweigert hat oder ihnen die Staatsangehörigkeit entzogen wurde, handelt es sich nach der Auskunftslage ebenfalls (nur) um einige Fälle („some cases“, so HRW vom 7. August 2014, a.a.O.), so dass ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass dem Kläger die Entziehung der Staatsangehörigkeit droht, weil sein Reisepass inzwischen abgelaufen ist. Abgesehen davon gibt es keinen Grund für die Annahme, die Gültigkeit seines Reisepasses könne in der jordanischen Botschaft in Berlin nicht verlängert werden.
Als jordanischer Staatsangehöriger kann der Kläger – wie ausgeführt – nach Jordanien einreisen und hat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Jordanien mit einer Abschiebung nach Syrien zu rechnen. Er hat dort – wie ebenfalls ausgeführt – grundsätzlich die gleichen Rechte wie andere jordanische Staatsangehörige. Insbesondere hat er einen Zugang zu allen für ihn in Betracht kommenden Arbeitstätigkeiten, auch wenn es faktische Benachteiligungen für Palästinenser gibt.
e) Es spricht viel dafür, dass der Kläger im Falle eines Aufenthalts in Jordanien nicht in eine allgemeine Notlage geraten wird, die es ihm nicht erlaubt, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen.
(1) Die allgemeine wirtschaftliche Lage in Jordanien beschreibt das BFA (a.a.O., S. 33 f.) wie folgt:
Jordaniens Volkswirtschaft sei schwach. Das Land verfüge nur über wenige natürliche Ressourcen und sehr begrenzte landwirtschaftliche Nutzflächen. Die Staatsverschuldung nehme weiter zu. Auf Druck des Internationalen Währungsfonds habe die jordanische Regierung im Frühjahr 2018 die Einkommensteuer erhöhen wollen, was starke Unruhen ausgelöst habe. Es komme vermehrt zu Protesten und Streiks. Es sei offen, ob ein Reformprogramm der jordanischen Regierung, das unter anderem auf den Ausbau erneuerbarer Energien sowie auf Haushaltskonsolidierung durch höhere Steuern und weniger Subventionen setze, mehr Jobs schaffen und Wachstum bewirken könne. Vermutlich werde die Einkommensungleichheit zunehmen, was die ohnehin angespannte Lage weiter verschärfen würde. Das Wirtschaftswachstum habe in den letzten Jahren bei durchschnittlich 2 % gelegen und sei zu gering gewesen, um die hohe Staatsverschuldung abbauen zu können. Aktuell stecke das Land in einer ökonomischen Krise. Mit dem niedrigen Wachstum gingen eine hohe Arbeitslosigkeit (20 %) sowie ein niedriges Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (ca. 7.500 Euro/Jahr, kaufkraftbereinigt) einher. Der staatlich fixierte Mindestlohn betrage 225 JD/Monat (ca. 270 Euro, für Ausländer 155 JD/185 Euro). Viele Jordanier verdienten tatsächlich nicht mehr – und dies bei einem geschätzten Existenzminimum von 500 JD (ca. 625 Euro) pro Monat und Familie und Lebenshaltungskosten, die real auf mitteleuropäischem Niveau lägen. Bedingt durch die regionalen Umwälzungen und insbesondere die Krise in Syrien (Kosten für Flüchtlingsintegration und zur Grenzsicherung, ausbleibende Gaslieferungen aus Ägypten, weniger Rücküberweisungen von Migranten und wegbrechende regionale Absatzmärkte) und bedingt durch verschleppte Reformen, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine der niedrigsten Frauenerwerbsquoten der Welt herrsche in weiten Teilen der Bevölkerung eine wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Jordanien sei deshalb von externen Zuwendungen abhängig: vor allem von Leistungen und Umschuldungen internationaler Geber sowie von den Geldüberweisungen der im Ausland lebenden Jordanierinnen und Jordanier. Die Präsenz von rund 1,3 Millionen Menschen aus Syrien, von denen rund 670.000 beim UNHCR registrierte Flüchtlinge seien, bedeute hohen zusätzlichen Druck auf die ohnehin knappen natürlichen Ressourcen des Landes (Wasser, Energie) sowie hohe öffentliche Zusatzausgaben, vor allem für Gesundheitsversorgung und Bildung sowie für die allgemeine Infrastruktur und die Subventionierung von Energie. Da die meisten Flüchtlinge aus Syrien keine Ersparnisse hätten und aufgrund ihrer Not bereit seien, für absolute Minimallöhne zu arbeiten, sei die in Jordanien ohnehin scharfe Konkurrenz um Arbeitsplätze noch härter geworden, vor allem zwischen Arbeitssuchenden aus Ägypten und Syrien. Die schon vorher sehr niedrigen Löhne befänden sich in einer Abwärtsspirale. Dies bedeute auch eine weitere Schwächung der ohnehin geringen Arbeitnehmerrechte sowie der Kaufkraft bedeutender Teile der Bevölkerung. Es gebe etwa 1,4 Millionen Arbeitsmigranten in Jordanien, von denen etwa eine Million keine Arbeitserlaubnis besitze, was sie besonders anfällig für Ausbeutung mache. Arbeitsrechtsorganisationen hätten die Besorgnis über schlechte Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit und sexuellen Missbrauch in den sogenannten Qualifying Industrial Zones geäußert, in denen hauptsächlich weibliche und ausländische Fabrikarbeiter Waren für den Export verarbeiten.
(2) Auch unter Berücksichtigung dieser allgemein schwierigen wirtschaftlichen Lage in Jordanien ist davon auszugehen, dass es dem Kläger gelingen wird, in Jordanien eine Arbeitstätigkeit auszuüben und damit ein Einkommen zu erzielen, das es ihm ermöglicht, den existenziellen Lebensunterhalt zu sichern, also insbesondere die Miete für eine Wohnung und die Kosten für den Lebensunterhalt auf niedrigem Niveau aufzubringen (vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 2. Oktober 2020 – 15 ZB 20.31851 – juris Rn. 10; VG München, Urteil vom 18. November 2021 – M 27 K 18.31869 – juris Rn. 23). Daran wäre auch dann nicht zu zweifeln, wenn die Ehefrau des Klägers und sein minderjähriges Kind nach Jordanien nachreisen würden, wobei dahinstehen kann, ob es seiner Ehefrau, die derzeit in Syrien als Lehrerin tätig ist, gelingen würde, auch in Jordanien eine Arbeitsstelle zu finden.
Der Kläger ist mit einem Lebensalter von 49 Jahren und ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen in der Lage, eine Vielzahl von Arbeitstätigkeiten auszuüben. Er hat jahrelang selbständig als Elektriker und Maler gearbeitet und verfügt in diesen Berufen über große Erfahrung, was für ihn auch einen Vorteil gegenüber anderen Arbeitssuchenden bedeuten dürfte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass in Jordanien keine Nachfrage nach einer Tätigkeit etwa in diesen Bereichen bestehen wird, auch wenn in Jordanien allgemein eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht und die Löhne niedrig sind. Selbst dem Bruder, der nach der Schilderung des Klägers aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht arbeitsfähig war und sich keine eigene Wohnung leisten konnte, ist es gelungen, zusammen mit Familienangehörigen über einen Zeitraum von vier Jahren mit Unterstützung von Freunden in Jordanien zu leben, ohne Leistungen der UNRWA in Anspruch nehmen zu müssen. Es spricht nichts dagegen, dass der Kläger – jedenfalls in einer Übergangszeit – ähnlich unterstützt würde. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger eine Unterkunft in einem Flüchtlingslager suchen müsste. Auf die Frage, ob bei einem Leben in Flüchtlingslagern – etwa in Cyber City – von einer Gefährdung der Rechte des Schutzsuchenden i.S. des Art. 3 EMRK auszugehen wäre, kommt es deshalb nicht an. Nach der Auskunftslage gibt es keine Hinweise darauf, dass in Jordanien außerhalb der Flüchtlingslager eine extreme Notlage besteht, etwa in beträchtlichem Ausmaß Obdachlosigkeit oder Hungersnöte herrschen. Im Übrigen hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 7. März 2022 zutreffend darauf hingewiesen, dass die UNWRA Bargeldhilfen für Bedürftige zur Verfügung stellt, die der Kläger in Anspruch nehmen könnte, sofern er in eine Notlage geraten sollte.
5. Soweit der Kläger befürchtet, er müsse bei einer Rückkehr nach Jordanien dauerhaft von seiner Ehefrau und seinen Kindern getrennt leben, die sich derzeit in Syrien aufhalten, ergibt sich daraus kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Es ist schon zweifelhaft, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG darauf gestützt werden kann, dass in dem Zielstaat ein Zusammenleben mit den in einem Drittstaat lebenden Familienangehörigen nicht möglich ist. Das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens wirkt grundsätzlich nicht zielstaatsbezogen. In der Regel begründet der Schutz der Familie im Lichte des Art. 8 EMRK im Falle einer Trennung regelmäßig allenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, auch soweit es sich um trennungsbedingte Gefahren im Zielstaat handelt (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 20. Januar 2020 – 6 A 947/19.A – juris Rn. 6; BayVGH, Beschluss vom 8. Oktober 2018 – 21 B 17.31035 – juris Rn. 17). Da der Kläger derzeit von seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Kind getrennt lebt, käme ein Zusammenleben im Bundesgebiet ohnehin nur in Betracht, wenn diese Familienangehörigen ein Recht auf Familiennachzug zu dem Kläger ins Bundesgebiet hätten. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 AufenthG für den Familiennachzug sind indes nicht erfüllt. Aus Art. 8 EMRK kann auch keine generelle Verpflichtung eines Staates abgeleitet werden, die Wahl des Familienwohnsitzes eines verheirateten Paares zu respektieren oder eine Familienzusammenführung auf seinem Gebiet zu gestatten (vgl. EGMR, Urteil vom 3. Oktober 2014 – Nr. 12738/10 -; BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 – 1 C 45.20 – juris Rn. 18).
Es bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK in Betracht kommt, um dem betroffenen Ausländer eine Zusammenführung mit seinen im Ausland lebenden Familienangehörigen zu ermöglichen. Denn nach der Erkenntnislage steht einem Zusammenleben des Klägers mit seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Kind in Jordanien nichts entgegen.
Ausländische Ehefrauen und Kinder von männlichen jordanischen Staatsangehörigen erhalten nach Informationen des Auswärtigen Amts (Auskunft vom 17. Mai 2017) Aufenthaltserlaubnisse für Jordanien, wenn alle sonstigen ausländerrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Eheliche Kinder von jordanischen Vätern erhalten die jordanische Staatsangehörigkeit durch Geburt (AA, Auskunft vom 17. Mai 2017; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen Asyl, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jordanien vom 16. April 2020). Der Geburtsort des Kindes ist dabei irrelevant (AA, Auskunft vom 17. Mai 2017). Für die Annahme des Klägers, Kinder von Palästinenserinnen und Palästinensern mit jordanischem Ausweis dürften nicht gemeinsam mit ihren Eltern nach Jordanien einreisen, gibt es keine Anhaltspunkte. Soweit in der vom Kläger bezeichneten Kleinen Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vom 24. März 2016, BT-Drucks. 18/8001 vom 24. März 2016) ausgeführt wird, Kindern von Palästinensern mit jordanischem Ausweis werde die gemeinsame Einreise mit ihren Eltern nach Jordanien untersagt, geht dies aus der dort genannten Quelle (Zusammenfassung des Berichts von HRW vom 7. August 2014, a.a.O., www.hrw.org/de/news/2014/08/07/jordanienaus-syrien-fliehende-palastinenser-abgewiesen) in dieser Allgemeinheit nicht hervor. Insbesondere ergibt sich aus dem Bericht von HRW (a.a.O.) nichts für eine generelle Praxis der jordanischen Behörden, Kindern und Ehefrauen jordanischer Staatsangehöriger die Einreise zu verweigern. Gegen eine solche Praxis spricht auch, dass die Ehefrau und die Kinder des Bruders des Klägers nach Jordanien einreisen durften.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.


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