Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot leistungsfähiger Afghanen

Aktenzeichen  M 26 K 17.35228

Datum:
8.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25708
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Größere afghanische Städte wie Herat oder Mazar-e-Sharif können für Asylbewerber, die aus Kabul stammen, zumutbare innerstaatliche Fluchtalternativen sein. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zivilisten drohen auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten keine Gefahren solcher Intensität, dass die Fluchtalternative nicht in rechtlich zumutbarer Weise erreichbar wäre.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2018 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand erschienen ist. Die Beklagte wurde rechtzeitig zur Sitzung geladen und hat mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf förmliche Zustellung der Ladung und Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet. Die Beteiligten wurden mit der Ladung auf die Möglichkeit hingewiesen, dass gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG) oder subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Er hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG. Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das dreißigmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht diesbezüglich von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es ergänzt lediglich wie folgt:
„1. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG.
1.1. Der Umstand, dass der Kläger Hazara und Schiit ist, führt nicht dazu, dass ihm allein deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht. Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris m.w.N.).“
Grundsätzlich hat sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara die Lage nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes verbessert. Zwar bestehen gesellschaftliche Spannungen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.5.2018). Nach den Erkenntnissen des UNHCR werden Hazara bis zu einem gewissen Grad weiterhin diskriminiert. Insbesondere Paschtunen hätten Vorbehalte gegenüber den in der Vergangenheit an den Rand gedrängten und diskriminierten Hazara, die seit dem Sturz der Taliban 2001 deutliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht hätten. Die Hazara würfen der Regierung vor, Paschtunen zum Nachteil anderer Ethnien, insbesondere der Hazara, zu bevorzugen. In bestimmten Gebieten könne es zu Übergriffen von Taliban und anderen Regierungsgegnern kommen, die möglicherweise an die Volks- bzw. schiitische Religionszugehörigkeit anknüpften. Es gebe Berichte über Belästigungen, Einschüchterungen bis hin zu Tötungen. In den Provinzen Wardak und Ghazni gebe es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen um Weideland zwischen paschtunischen Nomaden (Kuchis) und dort sesshaften Hazara (vgl. UNHCR: Eligibilty Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19. April 2016, S. 67 f., 75 f.). Im Jahr 2015 habe es Entführungen von Hazara auf der Fernstraße zwischen Kabul und Kandahar sowie der Straße von Maidan Shahr nach Bamiyan in der Provinz Wardak gegeben. Mehrere Hazara seien vermutlich von Anhängern des sog. Islamischen Staates getötet worden. Der sogenannte Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISPK) führt zunehmend Anschläge gegen die schiitische Minderheit der Hazara durch, die auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Brennpunkt des ISPK steht. Landesweit schreibt UNAMA dem ISPK 899 zivile Opfer (209 Tote und 690 Verletzte) im Jahr 2016 und 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) im Jahr 2017 zu und spricht von einer Verzehnfachung der von dem ISPK verursachten Opferzahl gegenüber dem Jahr 2015. Über die Hälfte der 2016 getöteten und verletzten Zivilisten, nämlich 85 Tote und 413 Verletzte, fiel einem Anschlag auf eine Demonstration in Kabul am 23. Juli 2016 zum Opfer, an der in erster Linie Angehörige der Hazara teilnahmen. Anschläge des ISPK auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebiet in der zentralen Hochlandregion sind aber bislang nicht bezeugt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017, Stand Juli 2017, vom 28.7.2017, S. 10).
Seit Anfang 2016 kam es mehrfach zu tödlichen Angriffen auf schiitische Moscheen und Kulturzentren in Kabul und anderen Städten des Landes (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31.5.2018; UNAMA Special Report „Attacken gegen religiöse Stätten, religiöse Führer und Gläubige“ vom 7. November 2017, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_report_on_attacks_against_places_of_worship_7nov2017_0.pdf). Am 9. März 2018 wurde ein Selbstmordanschlag vor einer schiitischen Moschee in Kabul verübt, bei dem neun Menschen ums Leben kamen. Am 25. März 2018 kam es in Herat ebenfalls zu einem Angriff auf eine schiitische Moschee, bei der ein Mensch getötet und 14 verletzt wurden. Am 22. April 2018 wurde ein Anschlag vor einer afghanischen Behörde verübt, welche für die Wahl notwendige Ausweispapiere ausgibt. Dabei starben mindestens 60 Menschen und 129 wurden verletzt. Der betroffene Stadtteil ist schiitisch geprägt. Der ISKP bekannte sich zu den Anschlägen.
Weitere Entführungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara durch vermutlich andere Tätergruppen habe es in den Provinzen Ghazni und Farah gegeben (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 6.11.2015, Stand November 2015). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen registrierte 2015 20 Entführungsfälle durch Regierungsgegner mit mindestens 146 entführten Hazara, von denen 13 ermordet worden seien. Sieben von ihnen seien nach ihrer Verschleppung in die Provinz Zabul die Kehlen durchgeschnitten worden. Soweit bekannt, seien die Motive Lösegelderpressung, Gefangenenaustausch, unterstellte Zugehörigkeit zu den Sicherheitskräften oder die Weigerung illegale Abgaben zu entrichten, gewesen. Bis auf einen ereigneten sich die Fälle in gemischtethnischen Gebieten der Provinzen Ghazni, Balkh, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jawzjan und Ghor (vgl. UNAMA, Stand Februar 2016: Afghanistan. Annual Report 2015, Protection of Civilians in Armed Conflict. Kabul, S. 49 f.).
Unter Zugrundelegung dessen, dass die Zahl der Hazara in Afghanistan auf rund 3 Millionen geschätzt wird (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31.5.2018), kann aus den geschilderten Vorfällen aber nicht geschlossen werden, dass einem Angehörigen dieser Volksgruppe allein deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht. Vielmehr handelte es sich bei den oben geschilderten Entführungen und Anschlägen erkennbar um Einzelfälle. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in der Provinz Zabul kam es in der Hauptstadt Kabul und in anderen Städten zu Protesten tausender Menschen gegen die Übergriffe auf die Angehörigen der Hazara (vgl. Human Rights Watch vom 13.11.2015: Afghan Killings Highlight Risks to Ethnic Hazaras, https://www.ecoi.net/local_link/315034/453623_de.html, Abruf am 14.01.2016; UNAMA a.a.O., S. 50). Dies zeigt, dass der von sunnitischen Extremisten gegen die überwiegend schiitischen Hazara gerichtete Hass in weiten Teilen der Gesellschaft keine Unterstützung findet. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Regierung mit Unterstützung der NATO-Truppen grundsätzlich schutzwillig ist (vgl. auch UNAMA Special Report „Attacken gegen religiöse Stätten, religiöse Führer und Gläubige“ vom 7. November 2017, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_report_on_attacks_against_places_of_worship_7nov2017_0.pdf). Die sonstigen in Einzelfällen weiterhin bestehenden Benachteiligungen stellen grundsätzlich keine Eingriffe von erheblicher Intensität dar. Anzeichen dafür, dass die Hazara allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit landesweit einer gezielten Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des § 4 AsylG unterliegen, liegen jedenfalls nicht vor (so auch st. Rspr. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris Rn. 19; VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17).
1.2. Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer unmenschlichen Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger entsprechend seinem Vortrag als Kind und Jugendlicher einer unmenschlichen Behandlung seitens seines Onkels ausgesetzt war, so sprechen stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholungsträchtigkeit im Falle der Rückkehr nach Afghanistan. Denn der Kläger ist nunmehr 21 Jahre alt und damit erwachsen, so dass er nicht mehr auf seinen Onkel angewiesen ist. Im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan ist vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrungen, die der Kläger im Haus seines Onkels gemacht hat, mit Sicherheit davon auszugehen, dass er als volljähriger junger Mann nicht mehr in diesem Haus wohnen wird. Dies ist ihm auch zuzumuten. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich der Kläger, wenn er nicht mehr bei seinem Onkel lebt und diesem „nicht mehr auf der Tasche liegt“, keiner unmenschlichen Behandlung seitens des Onkels mehr ausgesetzt sieht bzw. sich einer solchen entziehen können wird. Etwaige Geldforderungen des Onkels stellen als solche keine asylrelevante Verfolgung oder unmenschliche Behandlung dar. Eine unmenschliche Behandlung ist damit im Falle der Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.
1.3. Unabhängig davon müsste sich der Kläger jedenfalls auf internen Schutz in einer anderen Region Afghanistans gemäß § 3e AsylG bzw. § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylG verweisen lassen.
Danach wird Flüchtlings- bzw. subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn dem Schutzsuchenden in einem Teil seines Herkunftslandes keine Verfolgung und kein ernsthafter Schaden droht oder er Zugang zu Schutz hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Das setzt voraus, dass dort nicht andere, unzumutbare Nachteile drohen. Dabei sind auch nicht verfolgungsbedingte Gefahren zu berücksichtigen und zwar – im Unterschied zu Art. 16a GG – auch dann, wenn diese am Herkunftsort in gleicher Weise bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 31, 32, 16; Heilbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2016, Anm. zu § 3e AsylVfG Rn. 10 ff. und zu Art. 16a GG Rn. 216). Zumutbar ist eine Rückkehr daher insbesondere nur dann, wenn der Ort der inländischen Schutzalternative ein wirtschaftliches Existenzminimum ermöglicht. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein verfolgungssicherer Ort dem Ausländer das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann bietet, wenn er dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und der Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, etwa in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor ausgeübt werden. Nicht mehr gesichert ist das wirtschaftliche Existenzminimum, wenn der Ausländer am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100/05 – juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298/02 – juris Rn. 3; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11; U.v. 31.3.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20). Im Hinblick auf den internen Schutz gem. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG muss für den Rückkehrer in dem schutzgewährenden Landesteil die Existenzgrundlage damit soweit gesichert sein, dass von ihm erwartet werden kann, dass er sich vernünftigerweise dort aufhält. Dies geht als Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus, wobei das Bundesverwaltungsgericht bislang offen gelassen hat, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 35; U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG a. F.; NdsOVG, U.v. 19.09.2016 – 9 LB 100/15 – juris; OVG NW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 14).
Gemessen daran ist das erkennende Gericht davon überzeugt, dass vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in Afghanistan an einem Ort niederzulassen, an dem ihm nach seinem individuellen Risikoprofil kein ernsthafter Schaden droht und an dem er sein Existenzminimum sicherstellen kann. So ist es für den Kläger beispielsweise zumutbar, sich in Herat oder Mazar-e-Sharif niederzulassen.
Angesichts eines fehlenden Meldesystems in Afghanistan (vgl. Bundesamt für Migration und Asyl, Länderinformationsblatt der Staateninformation, Afghanistan, v. 2.3.2017 mit Aktualisierung v. 30.1.2018, S. 193), der Größe dieser Städte und der seit der Ausreise des Klägers inzwischen verstrichenen Zeit von vier Jahren ist unter Berücksichtigung der Natur und Motivation der vorgetragenen Bedrohung nicht davon auszugehen, dass der Kläger dort von seinem Onkel gesucht würde bzw. von diesem gefunden würde. Zwar dürfte aufgrund der hohen sozialen Kontrolle selbst in den Großstädten ein vollkommen anonymes Leben auf Dauer nur schwer möglich sein (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 31.5.2018, S. 20). Allerdings handelt es sich beim Kläger nicht um eine besonders profilierte und exponierte Persönlichkeit und auch bei seinem Onkel nicht um einen mächtigen Mann, so dass davon auszugehen ist, dass der Onkel weder über ein hinreichendes Interesse noch über die erforderlichen Ressourcen verfügt, um nach dem Kläger zu suchen, wenn dieser nicht an seinen Herkunftsort zurückkehrt, sondern sich in einer anderen größeren Stadt niederlässt.
Dem Kläger ist nach Überzeugung des Gerichts eine Rückkehr in eine größere afghanische Stadt wie beispielsweise Herat oder Mazar-e-Sharif nach seinen individuellen Verhältnissen auch zumutbar. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland in der Lage wäre, dort – notfalls auch ohne Unterstützung seiner weiterhin in Afghanistan lebenden Onkel väterlicherseits und seiner Tanten -einen Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums insoweit zu verdienen, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich dort niederzulassen. Der junge, gesunde und arbeitsfähige Kläger ist mit den Verhältnissen in Afghanistan gut vertraut, da er dort aufgewachsen ist. Er verfügt über eine Schulbildung, womit er gegenüber den vielen Analphabeten in Afghanistan klar im Vorteil ist, sowie trotz seines jungen Alters bereits über durchaus vielfältige Berufserfahrung als Schneider und im Gastronomiegewerbe. Damit hat er es vor seiner Ausreise geschafft, sich das Geld für die Flucht zu verdienen, so dass davon auszugehen ist, dass er sich auch das für seinen Lebensunterhalt erforderliche erarbeiten können wird.
In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter grundsätzlich in der Lage sind, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris Rn. 5 ff, u.a. mit Hinweis auf VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17; vgl. auch VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris). Diese Einschätzung ist nach wie vor aktuell; so hat insbesondere EASO im Juni 2018 unter Verweis auf detaillierte und differenzierte Erkenntnisse daran festgehalten, dass u.a. Mazar-e-Sharif und Herat für alleinstehende junge Männer zumutbare Fluchtalternativen darstellen (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2018, S. 106). Zudem geht auch der UNHCR nach wie vor davon aus, dass alleinstehende Männer unter bestimmten Umständen auch ohne Unterstützung ihrer Familie bzw. ihrer weiteren Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Bereichen leben können (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan v. 30. August 2018, S. 110).
Das Gericht geht auch davon aus, dass die genannten Alternativen zu Kabul von dort – als dem Zielort einer Abschiebung – aus in rechtlich zumutbarer Weise zu erreichen wären. Nach den überzeugenden Auskünften des britischen Außenministeriums (vgl. Home Office, Afghanistan: Security and humanitarian situation, Abschnitt 2.4.6 f.) gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Zivilisten auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten Gefahren solcher Intensität drohen, dass sie die unter dem Gesichtspunkt des subsidiären Schutzes rechtlich erhebliche Schwelle erreichen; dies deckt sich mit den Erkenntnissen von EASO (vgl. EASO, Afghanistan: Security Situation, Dezember 2017, S. 54 f.). Im Übrigen gibt es Inlandsflugverbindungen von Kabul nach Herat und Mazar-e Sharif.
1.4. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul, wohin wohl eine Abschiebung erfolgen würde, und in den Provinzen Balch und Herat, wo der Kläger internen Schutz finden könnte, erreicht auch unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel keine Intensität, aufgrund der bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist nach den von der Rechtsprechung hierfür angelegten Maßstäben unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2017 – 13a ZB 17.30756- juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris, B.v. 8.2.2017 – 13a ZB 17.30016 – juris; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f., jeweils m.w.N.). Die genannten Orte sind daher auch im Hinblick auf die Sicherheit als Orte des internen Schutzes geeignet.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf (vgl. BayVGH, U.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist somit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BayVGH, U.v. 17.1.2017 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Zur Ermittlung der für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist dabei aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei ein Risiko von ca. 1:800 oder 0,125%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.; dazu auch BayVGH, U.v. 17.1.2017 a.a.O. Rn. 6 f. m.w.N.).
An diesen, in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung gefestigten Maßstäben gemessen, ist für den Kläger nicht davon auszugehen, dass die für die Feststellung einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erforderliche Gefahrendichte auch nur möglicherweise annähernd erreicht wäre:
Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von 11.418 Opfern in Afghanistan im Jahr 2016 bzw. 10.453 Opfern im Jahr 2017 (nach UNAMA) lag die Gefahrendichte in den Jahren 2016 und 2017 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800 (vgl. für das Jahr 2016 BayVGH, B.v. 31.8.2017 – 13a ZB 17.30756 – juris). Laut dem am 15. Juli 2018 veröffentlichten Halbjahres-Update über den Schutz der Zivilbevölkerung im bewaffneten Konflikt (allgemein abrufbar unter https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports) betrug die Zahl ziviler Opfer im ersten Halbjahr 2018 5122, so dass sich auf ein Jahr hochgerechnet eine Wahrscheinlichkeit von 0,04% ergibt, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden.
Unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von 4,52 Mio. im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, in der Fassung der Einfügung am 30.1.2018, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff) und der Opferzahlen für das Jahr 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual Report 2017, February 2018, Anlage 3, S. 67 ff) errechnet sich für die Provinz Kabul eine Wahrscheinlichkeit von 0,04%, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden. Dieselbe Wahrscheinlichkeit ergibt sich unter Zugrundelegung des am 15. Juli 2018 veröffentlichten Halbjahresberichts 2018 der UNAMA. Vergleichbares gilt für die Provinz Balkh mit der Provinzhauptstadt Mazar-e-Sharif. Dort ergibt sich bei einer Einwohnerzahl von 1,38 Millionen (vgl. EASO, Afghanistan: Security Situation, Dezember 2017, S. 88) und 129 zivilen Opfern im Jahr 2017 (vgl. UNAMA) ein Risiko von 1 zu 10.697 und eine Gefahrendichte von 0,009%. Schließlich ergibt sich für die Provinz Herat nichts anderes, dort ergibt sich bei einer Zahl von 495 zivilen Opfern im Jahr 2017 (vgl. UNAMA) und einer Einwohnerzahl von 1,928 Millionen (vgl. EASO, a.a.O., S. 137) ein Risiko von 1 zu 3.894 bzw. von 0,025%. Diese Zahlen sind bei Anlegung der dargelegten Maßstäbe auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt.
Auch ist nicht ersichtlich, dass eine im Wesentlichen zunehmende Tendenz der Opferwahrscheinlichkeit gegeben wäre. Insoweit muss zwar festgestellt werden, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt seit Anfang 2016 deutlich verschlechtert hat und die Situation dort als volatil anzusehen ist (vgl. Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 1; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 1). Nach der Dokumentation von UNAMA (UNAMA first quarter 2017 civilian casualty Data, vom 27.04.2017) ist jedoch für die ersten drei Monate im Jahr 2017 eine Anzahl ziviler Opfer in Höhe von 2.181 verzeichnet worden. Dies entspricht laut UNAMA einem Rückgang von vier Prozent im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Vorjahres (2.268 zivile Opfer). Im ersten Halbjahr 2017 bewegten sich die Opferzahlen in etwa auf dem hohen Niveau des Vorjahres; laut den Daten von UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Midyear Report 2017, July 2017, S. 3) sank die Anzahl der Opfer um etwa ein halbes Prozent im Vergleich zum Vorjahr (24 Opfer weniger / 5.267 Opfer im ersten Halbjahr 2016). Nach dem am 12. Oktober 2017 veröffentlichten Bericht der UNAMA über zivile Opfer im bewaffneten Konflikt, der den Zeitraum 1. Januar bis 30. September 2017 umfasst, bewegten sich die Opferzahlen im Berichtszeitraum weiterhin auf dem Niveau des Jahres 2016 (landesweit wurde im Vergleich zur selben Periode des Jahres 2016 ein Rückgang um 6% verzeichnet, wobei jedoch die Zahl der Todesopfer um 1% gestiegen war). Wenngleich die durch Anschläge und Selbstmordattentate verursachten zivilen Opfer im Jahr 2017 im Vergleich zu den Vorjahren erheblich zugenommen hat, sank die Zahl der zivilen Opfer dem Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2018 zufolge im Vergleich zum Jahr 2016 insgesamt um neun Prozent, was den ersten Rückgang der Opferzahlen seit dem Jahr 2012 darstellt. Die Zahl der Toten sank um zwei Prozent und die Zahl der Verletzten um elf Prozent. Nach dem Halbjahresbericht 2018 der UNAMA vom 15. Juli 2018 bewegten sich die Opferzahlen im ersten Halbjahr 2018 auf demselben hohen Niveau wie im Vorjahreszeitraum, wobei die Zahl der Todesopfer um 1% gestiegen und die Zahl der Verletzten um 5% gesunken war.
Eine wesentliche Steigerung der Opferzahlen für die Zukunft implizieren die aktuellen Berichte mithin nicht; vielmehr bewegen sich die Opferzahlen seit 2016 im Wesentlichen auf demselben Niveau.
Damit ist auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. dazu BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 23) nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr im genannten Sinne auszugehen, zumal die medizinische Versorgungslage in den Nord- und Zentralprovinzen bzw. in den Städten besser ist als im Süden oder Südosten bzw. in ländlichen Gebieten (vgl. AA, Lagebericht vom 19.10.2016 – Stand September 2016 – S. 23, und Lagebericht vom 31.5.2018, S. 26 f).
Auch aus den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 ergeben sich insoweit keine Tatsachen, die nach den vorgenannten rechtlichen Maßstäben zu einer anderen Bewertung führen. Der UNHCR beschreibt darin allgemein eine volatile Sicherheitslage sowie eine Verschlechterung der Situation seit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte im Jahr 2014. Für das Jahr 2018 spricht der UNHCR von einer hohen Zahl ziviler Opfer und verweist dazu im Einzelnen insbesondere auf das o.g. Midyear Update von UNAMA. Im Übrigen betont der UNHCR, dass die Schutzberechtigung aufgrund einer Einzelfallbetrachtung („depending on the specific circumstances of the case“ zu bewerten ist (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan v. 30. August 2018, S. 37, 103 f.).
Im Übrigen geht auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weiterhin davon aus, dass in keiner Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen. Auch führe die Lage in Afghanistan nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG anzunehmen wäre (vgl. z.B. B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31287 – UA Rn. 5; B.v. 2.11.2017 – 13 a ZB 17.31033 – juris Rn. 5).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist ebenfalls der Auffassung, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletze (vgl. EGMR, U.v. 11.7.2017 – S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 Rn. 53; U.v. 11.7.2017 – Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 Rn. 51; U.v. 11.7.2017 – G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 Rn. 39; U.v. 11.7.2017 – E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 Rn. 67; U.v. 11.7.2017 – E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 Rn. 80; U.v. 16.5.2017 – M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 Rn. 120; U.v. 12.1.2016 – A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 – NvWZ 2017, 293 Rn. 59).
Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nach dessen Vorbringen nicht in einem rechtlich relevanten Maß. Diesbezüglich wird auf obige Ausführungen verwiesen.
2. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16f.).
2.1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit. Im Hinblick auf eine allgemein schlechte Sicherheitslage im Zielstaat der Abschiebung ist Art. 3 EMRK erst dann verletzt, wenn die allgemein durch Gewalt bestimmte Lage im Bestimmungsland so intensiv ist, dass sie die wirkliche Gefahr begründet, jede Abschiebung in dieses Land werde zwangsläufig Art. 3 EMRK verletzen. Das ist nur in extremen Ausnahmefällen anzunehmen und in Afghanistan nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) derzeit nicht der Fall (EGMR, U.v. 12.1.2016 – 13442/08 – A.G.R./Niederlande, NVwZ 2017, 293, Leitsatz; BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26).
Allgemein schlechte humanitäre Bedingungen können nach der Rechtsprechung des EGMR in außergewöhnlichen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen, und zwar dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind und überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff. mit Verweis u.a. auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09 – M.S.S./Belgien – NVwZ 2011, 413; v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt allerdings ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5). In Afghanistan führt die prekäre allgemeine bzw. humanitäre Lage nicht ohne weiteres dazu, dass eine Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (vgl. VG München, B.v. 17.7.2018 – M 17 S7 18.32648; BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31287 – UA Rn. 5; B.v. 2.11.2017 – 13 a ZB 17.31033 – juris Rn. 5; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 5; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 55 ff.).
Besondere, individuell erschwerende Umstände, die zu einem Abschiebeverbot führen würden, liegen beim Kläger als arbeitsfähigem, alleinstehenden jungen Mann unter Würdigung der vorliegenden Erkenntnismittel bei den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen nicht in dem erforderlichen Maße vor. Arbeitsfähige junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, sodass für alleinstehende männliche Staatsangehörige grundsätzlich keine extreme Gefahrenlage besteht (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31287 – UA Rn. 5; B.v. 2.11.2017 – 13 a ZB 17.31033 – juris Rn. 5; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris Rn. 13). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der volatilen Sicherheitslage, des teilweise fehlenden familiären und sozialen Netzwerks in Afghanistan, der angespannten Arbeitsmarktsituation und der besonderen Herausforderungen, denen sich Rückkehrer aus Europa in Afghanistan ausgesetzt sehen (VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 194 ff.; U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris; BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris m.w.N.).
An dieser Einschätzung vermögen auch der neue EASO-Bericht vom Mai 2018, der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 2018 (insbesondere S. 25 ff.) und die UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018 nichts zu ändern. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse, dass die Grundversorgung für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung darstelle (Lagebericht, IV.1.1.). Für Rückkehrer gelte dies in besonderem Maße. Viele von ihnen seien auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Laut UNOCHA benötigten 9,3 Millionen Menschen, d.h. ein Drittel der afghanischen Bevölkerung, humanitäre Hilfe. Bedarf bestehe besonders an Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Die hohe Arbeitslosigkeit werde verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen. Das World Food Programme reagiere das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Gerade der Norden – eigentlich die „Kornkammer“ des Landes – sei extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgesetzt. Für 2018 werde eine Dürre mit erheblichen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und Versorgung der Bevölkerung vorhergesagt. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten hätten dazu geführt, dass dort ca. 1 Million oder fast 1/3 aller Kinder als akut unterernährt gelten würden. Die afghanische Regierung habe 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Eine Sonderkommission arbeite an einem neuen, transparenten Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer. Daneben gebe es für Rückkehrer jedoch auch die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfen und Unterstützungsmaßnahmen (vgl. Lagebericht, S. 26). Der Mangel an Arbeitsplätzen stelle für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hänge maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (Lagebericht, S. 29). Nach den Erkenntnissen von EASO (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67f.) würden nur etwa 15% der Arbeitnehmer über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze werde über Freunde oder Verwandte erlangt.
Gleichwohl geht das erkennende Gericht weiter davon aus, dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind, sofern nicht spezifische individuelle Einschränkungen oder Handicaps festgestellt werden können, was hier jedoch nicht der Fall ist. Auf die umfangreichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 194 ff.; U.v. 09.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris), der sich die Einzelrichterin anschließt, wird Bezug genommen. Auch die Ausführungen des UNHCR (UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018) zu den Verhältnissen in Afghanistan entsprechen im Wesentlichen den Verhältnissen, wie sie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seinem Urteil vom 11. April 2018 (A 11 S 924/17 – juris) zugrunde gelegt hat. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Umstände, dass 72,4% der städtischen Bevölkerung laut aktuellem UNHCR-Bericht inzwischen in Slums lebten, (a.a.O. Rn. 227 ff.), dass „verwestlichte“ Rückkehrer besonders gefährdet seien (a.a.O. Rn. 271 ff.) und derzeit eine prekäre Lage durch die hohe Anzahl von Binnenvertriebenen bestehe (a.a.O. 235 ff.). Davon maßgeblich abweichende Erkenntnisse, die einer Abschiebung des Klägers im Sinne von Art. 3 EMRK zwingend entgegensprächen, sind den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 nicht zu entnehmen. Die dortigen Ausführungen beziehen sich zudem auf den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit von Kabul als mögliche inländische Fluchtalternative. Das Kriterium der Zumutbarkeit, nämlich die Frage, ob vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sich ein Ausländer am Ort des internen Schutzes niederlässt, ist aber nicht mit dem Fehlen einer Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK gleichzusetzen (Marx, ZAR 2017, 304 (306); VGH Baden-Württemberg, B.v. 8.8.2018 – A 11 S 1753/18 – juris).
2.2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nicht vor.
Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sowie verheiratete Ehepaare sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige und verheiratete Ehepaare im berufsfähigen Alter ohne weitere Unterhaltspflichten keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 28.3.2017 – 13a ZB 17.30212 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris m.w.N., U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 21).
Im Hinblick auf eine mögliche Eigenexistenzsicherung hat der Kläger die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit eines gesunden jungen Mannes. Seine Chancen im Verdrängungskampf um die knappen Arbeitsmarktressourcen sind auch aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt als nicht aussichtslos im Vergleich bei der derzeitigen afghanischen Konkurrenzsituation einzuschätzen. Diesbezüglich wird auf obige Ausführungen zum internen Schutz Bezug genommen.
Nach alledem ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsjobs in Kabul, wohin eine Abschiebung erfolgen würde (vgl. zum Abschiebeweg Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 26), oder in einer anderen größeren Stadt ein Einkommen zu erzielen, das ein Leben über dem Existenzminimum ermöglicht, und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
Zudem kann der Kläger Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen. Diese umfassen neben einer finanziellen Starthilfe auch Unterstützung bei beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche und Geschäftsgründung. Dabei ist es unerheblich, dass diese Hilfen teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf grundsätzlich des Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland nicht, wer eine geltend gemachte Gefährdung im Zielstaat durch zumutbares eigenes Verhalten – wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört – abwenden kann (BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38/96 – juris).
3. Die in dem angefochtenen Bescheid verfügte Androhung der Abschiebung nach Afghanistan stützt sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG, die festgesetzte Ausreisefrist auf § 38 Abs. 1 AsylG. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine kürzere Bemessung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG auf 30 Monate nicht rechtmäßig ist, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.


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