Verwaltungsrecht

Kein Absehen vom Visumsverfahren trotz fehlender deutscher Auslandsvertretung in Afghanistan

Aktenzeichen  Au 9 E 21.474

Datum:
17.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9353
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 3 S. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 3 lit. a, § 60 Abs. 2 S. 1
AufenthV § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Nachholung des Visumverfahrens ist auch unter Berücksichtigung der erschwerten Bedingungen in Afghanistan aufgrund der derzeit fehlenden deutschen Auslandsvertretung nicht unzumutbar. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Duldung bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 25. November 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der durch Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 2. Mai 2017 (Az. *) abgelehnt wurde. Es wurde festgestellt, dass bezüglich Afghanistan keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG vorliegen. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Das Asylverfahren des Antragstellers ist seit 17. Juli 2020 rechtskräftig abgeschlossen. Der Antragsteller ist im Besitz eines bis 17. März 2025 gültigen Reisepasses (Behördenakte, Bl. 2329).
Am 7. August 2020 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Ehegattennachzugs (Behördenakte, Bl. 302).
Mit Bescheid vom 11. August 2020 wurde dem Antragsteller eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt und eine Duldungsbescheinigung ausgestellt (Behördenakte, Bl. 319ff.). Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass die Erteilung der Duldung ausschließlich aufgrund der Einschränkungen der Rückkehr- und Rückführungsmöglichkeiten durch die Corona-Krise erfolgte (Behördenakte, Bl. 318).
Am 31. August 2020 heiratete der Antragsteller in Deutschland eine afghanische Staatsangehörige, der mit Bescheid des Bundesamts vom 4. Mai 2017 subsidiärer Schutz zuerkannt worden war.
Mit Bescheid vom 16. November 2020 wurde der mit Schreiben vom 7. August 2020 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Behördenakte, Bl. 420 ff.), weil der Antragsteller ohne das erforderliche Visum zum Familiennachzug in das Bundesgebiet eingereist sei (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Von dieser Erteilungsvoraussetzung könne auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, weil der Antragsteller wegen der unerlaubten Einreise keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis habe und die Nachholung des Visumsverfahrens nicht unzumutbar sei.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2021 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass der tatsächliche Duldungsgrund der Corona-Pandemie zwischenzeitlich entfallen sei und die Duldungsbescheinigung deshalb mit dem Vermerk „ungültig“ zu versehen ist (Behördenakte, Bl. 486 ff.). Die weitere Ausübung der Erwerbstätigkeit wurde untersagt.
Am 22. Januar 2021 wurde der Ehefrau des Antragstellers eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt (Behördenakte, Bl. 566 f.).
Am 25. Januar 2021 beantragte der Antragsteller unter Verweis auf das unbefristete Bleiberecht seiner Ehefrau die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sowie erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Nr. 3a AufenthG.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2021 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Duldung mit Beschäftigungserlaubnis ab. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf die Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da seiner Abschiebung weder tatsächliche noch rechtliche Gründe entgegenstünden. Es seien insbesondere keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Ehefrau auf die Lebenshilfe des Antragstellers dringend angewiesen sei. Ihr sei es möglich, ihren Lebensunterhalt durch staatliche Leistungen zu sichern. Die in Kenntnis der vollziehbaren Ausreisepflicht geschlossene Ehe sei nicht schutzwürdig. Tatsächliche Hindernisse stünden der Ausreise nicht entgegen, da die Identität des Antragstellers geklärt sei und die Corona-Pandemie einer Abschiebung nicht mehr entgegenstehe. Dem Antragsteller sei die Nachholung des Visumsverfahrens auch zumutbar. Er könne sich nach Islamabad oder Neu-Delhi begeben, um ein Visum zu beantragen. Es liege für ihn bereits ein gültiger Nationalpass vor, sodass nicht ersichtlich sei, warum bei der Durchführung des Visumsverfahrens Schwierigkeiten auftreten sollten.
Mit Schriftsatz vom 3. März 2021 wandte sich der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das Verwaltungsgericht Augsburg und beantragt,
1. Der Beklagte wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO verpflichtet, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
2. Der Beklagte wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO verpflichtet, bis zur Entscheidung der Hauptsache eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 GG zu erteilen und die Erwerbstätigkeit zu erlauben.
Zugleich ließ der Antragsteller Klage erheben (Au 9 K 21.472) mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Februar 2021, zugestellt am 3. März 2021, dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 3a AufenthG i.V.m. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV zu erteilen. Ferner wurde beantragt, den Beklagten zu verpflichten, dem Antragsteller gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 GG eine Duldung mit ausreichender Geltungsdauer mindestens bis zur Entscheidung über einen Aufenthaltstitel zu erteilen und die Erwerbstätigkeit zu erlauben.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Rahmen der Ablehnung der beantragten Duldung wesentliche persönliche Umstände nicht berücksichtigt worden seien. Der Antragsteller sei seit dem 31. August 2020 mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet, die mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Abschiebung des Antragstellers sei deshalb aufgrund Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich, sodass dieser einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG habe. Zudem erfülle der Antragsteller alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 3a AufenthG i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 5 AufenthV. Auf die Durchführung des Visumsverfahrens könne der Antragsteller nicht verwiesen werden. Jedenfalls wäre die Durchführung des Visumsverfahrens dem Antragsteller nicht zumutbar. Seine erst 18-jährige Ehefrau befinde sich noch in der schulischen Ausbildung und sei zu ihrer Lebensunterhaltssicherung auf den Antragsteller angewiesen. Es lägen damit besondere Umstände im Sinn von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vor, sodass von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abgewichen werden könne. Da es in Afghanistan keine deutsche Botschaft mehr gebe, müsse der Antragsteller zur Nachholung des Visumverfahrens nach Pakistan oder Indien ausweichen. Das Visumsverfahren erfordere deshalb nicht nur einen kurzen, verlässlich begrenzten Zeitraum. Die Ehefrau des Antragstellers sei nicht in der Lage, die lange Trennungszeit selbstständig wirtschaftlich zu überbrücken. Auch die Auswirkungen der derzeitigen Corona-Pandemie führten zu einer nicht mehr mit Art. 6 GG zu vereinbarenden vorübergehenden Trennung der Ehegatten. Es sei mit einer langen, dem Antragsteller nicht zumutbaren Trennung zu rechnen.
Mit Schriftsatz vom 12. März 2021 ergänzte der Antragsteller sein Vorbringen dahingehend, dass sich aus der Internetseite der Botschaft in Islamabad ergebe, dass im Rahmen der Visaerteilung im Zusammenhang mit einem Familiennachzug mit einer Bearbeitungszeit von mindestens zwölf Monaten zu rechnen sei. Dies führe zu einer nicht mehr mit Art. 6 GG zu vereinbarenden Trennung der Ehepartner. Gemäß einer Weisung des Bundesministeriums des Innern, Bau und Heimat vom 27. Januar 2021 seien beim Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit auch im Rahmen der Ermessensausübung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG die derzeit in den jeweiligen Ländern bestehenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Reise und Risikokonstellation sowie auf die Arbeitsfähigkeit der Visastellen an den deutschen Auslandsvertretungen zu berücksichtigen. Es sei dem Antragsteller aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie deshalb nicht zumutbar, sich mindestens ein Jahr lang in Afghanistan aufzuhalten. Auch finde vorliegend § 39 Nr. 5 AufenthV Anwendung. Entscheidend sei nicht, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bestand. Es werde vielmehr vorausgesetzt, dass der Ausländer bis zum Zeitpunkt der Eheschließung geduldet war und dass er während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Eheschließung erworben hat. Diese Voraussetzungen seien im Fall des Antragstellers erfüllt. Da dem Antragsteller die Duldung auf rechtswidrige Art und Weise entzogen worden sei, greife auch nicht das Argument, dass § 39 Nr. 5 AufenthV nicht mehr anwendbar sei. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe nicht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG finde diese keine Anwendung, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Es treffe zu, dass dies als strikter Rechtsanspruch zu verstehen sei. Aufgrund der besonderen Einzelfallsituation bestehe im Rahmen der Ermessensausübung die Möglichkeit auf das Visumsverfahren zu verzichten.
Der Antragsgegner ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 11. März 2021 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Abschiebung sei rechtlich möglich. Es seien keine Umstände erkennbar, die eine vorübergehende Ausreise zur Durchführung des Visumsverfahrens aus familiären Gründen unzumutbar erscheinen ließen. Es liege im Verantwortungsbereich des Antragstellers, die Ausreise so familienfreundlich wie möglich zu gestalten. Es wäre ihm seit seiner Heirat am 31. August 2020 möglich und zumutbar gewesen, die erforderlichen Schritte, wie die Vereinbarung eines Termins bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung sowie die Einholung einer Vorabzustimmung, in die Wege zu leiten. Diesbezügliche Nachweise seien vom Antragsteller jedoch nicht erbracht worden. Dem Antragsteller sei eine vorübergehende Trennung von seiner Ehefrau auch zumutbar. Die Heirat habe zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem beiden Ehegatten bewusst gewesen sei, dass der Antragsteller kein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland besitzt. Auch habe der Antragsteller keinen Anspruch auf die Genehmigung einer Erwerbstätigkeit, da kein Duldungsgrund vorliege. Dem Antragsteller stünde auch kein Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu. Dem stehe bereits die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen, da der Antragsteller nicht die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes begehre. Die Titelerteilungssperre finde vorliegend Anwendung, da der Antragsteller keinen strikten Rechtsanspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels habe. Ein solcher Rechtsanspruch sei nur dann gegeben, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und der Behörde kein Ermessensspielraum zustehe. Da der Antragsteller jedoch nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei, fehle es bereits an der Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Bei den Ausnahmetatbeständen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG handle es sich um Ermessenstatbestände, sodass ein strikter Rechtsanspruch nicht bestehe. Die Durchführung des Visumsverfahrens sei auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in Verbindung mit § 39 Nr. 5 AufenthV entbehrlich. Zwar sei die Abschiebung des Antragstellers im Zeitpunkt der Heirat am 31. August 2020 aufgrund der Corona-Pandemie tatsächlich ausgesetzt gewesen, doch habe er mit der Eheschließung keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben, da die Ehefrau zu diesem Zeitpunkt lediglich im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG gewesen sei. Nun finde § 39 Nr. 5 AufenthV keine Anwendung, da die Abschiebung des Antragstellers nicht mehr nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesetzt sei.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass von aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug abgesehen wird.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
2. Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg auf den geltend gemachten Anordnungsanspruch berufen. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die Abschiebung des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre.
a) Der Antragsteller ist seit dem 17. Juli 2020, dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens, vollziehbar ausreisepflichtig. Nach § 58 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar, eine gewährte Ausreisefrist abgelaufen und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist.
Der Antragsteller ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, weil er einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Die Ausreisepflicht ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch vollziehbar. Die mit Bescheid des Bundesamts vom 2. Mai 2017 gewährte Ausreisefrist von 30 Tagen ist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens abgelaufen. Die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht ist nicht gesichert, da der Antragsteller offensichtlich nicht zur freiwilligen Ausreise bereit ist.
Zwar hat der Antragsteller mit Schreiben vom 25. Januar 2021 erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG beantragen lassen, jedoch war er zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels und hielt sich auch nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Beantragung keine Erlaubnisfiktion nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG auslöste und die Ausreisepflicht vollziehbar blieb. Ein Anspruch aus § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG besteht nicht, da sich der Antragsteller nicht erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat oder aufhält, sondern seit der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags nach § 50 Abs. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist.
b) Der Antragsteller hat ohne vorherige Durchführung eines Visumsverfahrens auch keinen Anspruch gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) AufenthG auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu seiner Ehefrau.
(1) Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, wonach einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden darf. Durch die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll im Interesse einer effektiven Steuerung und Begrenzung der Einwanderung die missbräuchliche Stellung von Asylanträgen sanktioniert und der Anreiz für die Schaffung von Bleiberechten nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens reduziert werden. Die Titelerteilungssperre greift zwar nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Dabei muss es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber um einen strikten Rechtsanspruch handeln, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das bedeutet, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und der Behörde kein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Hierfür genügt weder eine Soll- noch eine Ermessensvorschrift, selbst wenn im Einzelfall ein atypischer Fall vorliegt oder das Ermessen „auf Null“ reduziert ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27; BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15.14 – juris Rn. 15).
(2) Da der Antragsteller ohne das erforderliche Visum zum Familiennachzug (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, erfüllt er nicht die regelhaften allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, die vorliegen müssen, um einen zwingenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu begründen.
(3) Die Einreise ohne das erforderliche Visum steht der Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis auch entgegen, da der Antragsteller nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen.
Nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV ist das Visumsverfahren dann entbehrlich, wenn die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer aufgrund einer Eheschließung, der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen lagen zu keiner Zeit vor. Im Zeitpunkt der Heirat am 31. August 2020 konnte der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erwerben, da seine Ehefrau zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG war. Bei Erteilung der Niederlassungserlaubnis und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die Abschiebung des Antragstellers darüber hinaus nicht (mehr) nach § 60a AufenthG ausgesetzt.
(4) Von der Visumspflicht kann zwar gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen. Jedoch steht das Absehen vom Visumserfordernis im Ermessen der Behörde, mit der Folge, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis besitzt. Der Aufenthaltserlaubnis steht somit die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen.
c) Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung hat, da Art. 6 GG und Art. 8 EMRK der Abschiebung des Antragstellers aus der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegenstehen.
(1) Grundsätzlich gewährt Art. 6 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, wonach der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es aber grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumsverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumsverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 15.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 14 m.w.N.). Erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 15 m.w.N.). Andernfalls sind dem im Bundesgebiet lebenden Familienmitglied grundsätzlich Anstrengungen zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft durch Besuche oder nötigenfalls zur Gänze im Ausland herzustellen (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 33). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumsverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. In Fällen wie dem vorliegenden soll die vorherige Durchführung des Visumsverfahrens gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 35). Es ist daher anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall zu prüfen, ob es dem Ausländer zumutbar ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise kurzfristig zu unterbrechen. Je intensiver der Schutzbereich der familiären Lebensgemeinschaft betroffen ist, desto stärker müssen die berechtigten öffentlichen Belange für eine Ausreise sein.
(2) Die Nachholung des Visumsverfahrens ist vorliegend auch unter Berücksichtigung der aufgrund der derzeit fehlenden deutschen Auslandsvertretung in Afghanistan erschwerten Bedingungen nicht unzumutbar. Es lag und liegt im Verantwortungsbereich des Antragstellers, die Ausreisemodalitäten möglichst familienverträglich zu gestalten. Insbesondere wäre es ihm möglich und zumutbar gewesen, ein Visumsverfahren bereits in Gang zu bringen und mit dem Antragsgegner die Möglichkeiten einer freiwilligen Ausreise zu besprechen. Der Antragsteller hat jedoch weder substantiiert vorgetragen, dass ihm dies nicht möglich gewesen wäre, noch hat er dies in irgendeiner Art und Weise, insbesondere durch die Vorlage entsprechender Unterlagen glaubhaft gemacht. Vielmehr hat der Antragsteller zu erkennen gegeben, dass er zu einer freiwilligen Ausreise nicht bereit ist. Für die verstrichene Zeit, die der Antragsteller für geeignete Schritte zur Vorbereitung seines Visumsverfahrens von Deutschland aus hätte nutzen können, um die Zeit der Trennung von seiner Ehefrau so kurz wie möglich zu halten, trägt er damit selbst die Verantwortung. Darüber hinaus fand die Eheschließung zu einem Zeitpunkt statt, zu dem das Asylverfahren des Antragstellers bereits rechtskräftig abgeschlossen war, sodass beiden Ehegatten bewusst gewesen sein musste, dass der Antragsteller als abgelehnter Asylbewerber die Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich (zumindest vorübergehend) zu verlassen hat. Daher ist sowohl dem Antragsteller selbst als auch seiner Ehefrau eine zeitweilige Trennung zumutbar. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Ehefrau des Antragstellers nach dem Vortrag der Bevollmächtigten des Antragstellers auf dessen finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Insoweit ist die Ehefrau des Antragstellers, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG verfügt, auf die (vorübergehende) Inanspruchnahme staatlicher Hilfe zu verweisen. Der Antragsteller und seine Ehefrau befinden sich letztlich in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumsverfahren vom Ausland aus durchführen und ebenfalls vorübergehend (noch) nicht zusammen im Bundesgebiet leben können. Der Antragsteller hat es weiterhin selbst in der Hand, durch Absprache mit den zuständigen Behörden den Ausreisezeitpunkt und die Ausreisemodalitäten so zu gestalten, dass eventuell eintretende familiäre Belastungen so gering wie möglich gehalten werden können. Bei entsprechender Kooperation des Antragstellers ist auch mit einer einvernehmlichen Regelung zwischen den Beteiligten zu rechnen, dass der Antragsteller die Wartezeit bis zur Beantragung des Visums in Deutschland verbringen kann und eine Ausreise erst dann erfolgen muss, wenn der Termin bei der deutschen Botschaft unmittelbar bevorsteht. Durch eine solche Einigung mit dem Antragsgegner und eine freiwillige Ausreise hat es der Antragsteller selbst in der Hand, die Trennungszeit zu verkürzen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als der im Rechtsstreit Unterlegene hat der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben des §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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