Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Anerkennung der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für Berufsschulweg

Aktenzeichen  W 2 K 17.1456

Datum:
18.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16508
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchBefV § 1, § 3, § 4, § 7
SchKfrG Art. 2, Art. 3
VwGO § 91
LKrO Art. 37

 

Leitsatz

1. Der Einsatz eines privaten Kraftfahrzeuges ist u.a. dann notwendig im Sinne des § 3 Abs. 2 S. 2 SchBefV, wenn sich dadurch die regelmäßige Abwesenheitsdauer von der Wohnung an mindestens drei Tagen in der Woche um jeweils mehr als zwei Stunden verkürzt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bewilligung im Rahmen der Kostenfreiheit des Schulweges handelt es sich um eine sog. “Massenverwaltung”, im Rahmen derer die Aufgabenträger berechtigt sind, pauschalisierende, typisierende und generalisierende Regelungen zu treffen, um dadurch den Verwaltungsaufwand auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die erhobene Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage auf Erstattung der notwendigen Kosten für die Beförderung auf dem Schulweg ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für seinen Schulweg auf der Stecke L* … nach Würzburg, weshalb sich der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 14. September 2017 als rechtmäßig erweist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Passivlegitimiert ist im vorliegenden Verfahren der Landkreis Miltenberg, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, vertreten durch das Landratsamt Miltenberg, und nicht der Freistaat Bayern, gegen den die Klage ursprünglich gerichtet war. Das Landratsamt hat beim Erlass des Bescheids vom 14. September 2017 nicht als Staatsbehörde, sondern als Kreisbehörde nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Gesetz über die Kostenfreiheit des Schulwegs (Schulwegkostenfreiheitsgesetz – SchKfrG) i.d.F. d. Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 452, BayRS 2230-5-1-K), § 1 Satz 2 Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV) i.d.F. d. Bek. vom 8. September 1994 (GVBl S. 953, BayRS 2230-5-1-1-K) als zuständiger Aufgabenträger gehandelt, so dass richtiger Beklagter der Landkreis Miltenberg als Rechtsträger des Landratsamtes als Kreisbehörde ist, Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Landkreisordnung für den Freistaat Bayern (Landkreisordnung – LkrO) i.d.F. d. Bek. vom 22. August 1998 (GVBl S. 826, BayRS 2020-3-1-I).
Die Klage konnte vom Kläger mit Schreiben vom 19. Januar 2018 auf den Landkreis Miltenberg als richtigen Beklagten umgestellt werden. Das stellt keine subjektive Klageänderung (Parteiwechsel) dar, die aber jedenfalls aufgrund Sachdienlichkeit zulässig wäre (§ 91 Abs. 1 VwGO). Da der Kläger den Klagegegenstand, nämlich den angefochtenen und den begehrten Verwaltungsakt, von vornherein eindeutig bezeichnet hat, stellt die nachträgliche Umstellung auf einen anderen (den richtigen) Beklagten zwar eine Veränderung, aber keinen Wechsel des Streitgegenstandes dar und berührt auch nicht dessen einmal gegebene Rechtshängigkeit. Die Umstellung ist darum im Verhältnis zum alten Beklagten keine Klagerücknahme. Sie ist daher stets sachdienlich und auch nach Ablauf der Klagefrist noch möglich (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 91 Rn. 23).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Benutzung seines privaten Kraftfahrzeugs auf den gesamten Schulweg von L* … bis nach Würzburg (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO), weil der Einsatz seines privaten Kraftfahrzeugs auf dieser Strecke nicht als notwendig im Sinne § 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV eingestuft werden kann. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG erstattet der Aufgabenträger für Schülerinnen und Schüler im Teilzeitunterricht an öffentlichen Berufsschulen die Kosten der notwendigen Beförderung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 SchKfrG, soweit die nachgewiesenen vom Unterhaltsleistenden aufgewendeten Gesamtkosten der Beförderung eine Familienbelastungsgrenze nach § 7 SchBefV (420,00 EUR) je Schuljahr übersteigen. Auch für Fälle des Erstattungsanspruchs gilt nach § 4 Nr. 1 Halbs. 2 SchBefV, dass die Aufgabenträger nach § 3 Abs. 2 SchBefV die Beförderungspflicht vorrangig mithilfe des öffentlichen Personenverkehrs zu erfüllen haben. Andere Verkehrsmittel (z.B. ein privates Kraftfahrzeug) sind nur einzusetzen, soweit dies notwendig oder insgesamt wirtschaftlicher ist, § 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV.
2.1 Der Einsatz des privaten Kraftfahrzeugs war vorliegend schon nicht notwendig.
Weder das Gesetz noch die Schülerbeförderungsverordnung definieren näher, was unter „notwendig“ zu verstehen ist. Der Begriff „notwendig“ ist als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich voll überprüfbar. Der Beklagte orientiert sich bei seiner Entscheidung zunächst an der formell am 1. August 1982 außer Kraft getretenen Verordnung über die Kostenfreiheit des Schulweges vom 30.11.1970 (GVBl S. 661), in der Fassung der 5. Änderungsverordnung vom 14.5.1981 (GVBl S. 133). Dies wird in der Praxis allgemein so gehandhabt und von der Rechtsprechung als zulässig anerkannt (z.B. für viele: BayVGH, B.v. 3.12.2010 – 7 ZB 10.2368 – juris). Dieses Vorgehen sichert eine einheitliche Handhabung der Erstattung von Kosten des Schulweges und ist im Hinblick auf die zu beachtende Gleichbehandlung der Schüler nicht nur zulässig, sondern geboten. Die vom Beklagten vorgenommene Auslegung des Begriffs „notwendig“ hält sich in dem durch diese Rechtsvorschrift eröffneten Rahmen und ist keineswegs willkürlich. Nachdem diese Verordnung aber aufgehoben wurde, haben die zur Feststellung der Notwendigkeit des Einsatzes eines privaten Kraftfahrzeugs durchzuführenden Berechnungsgrundlagen zwar keine normative Wirkung mehr. Aber soweit aufgrund der Verwaltungspraxis der Begriff der Notwendigkeit nach § 3 Abs. 2 S. 2 SchBefV in Sinne dieser Verordnung nach wie vor immer gleich ausgelegt wird, hat sich der Beklagte damit in zulässiger Weise an einen objektiv nachvollziehbaren Bewertungsrahmen gebunden, der auch im Falle des Klägers Anwendung findet.
Eine Notwendigkeit in diesem Sinne ist zum einen dann gegeben, wenn eine Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich ist oder falls bei Vorliegen einer dauernden körperlichen Behinderung oder aus anderen gesundheitlichen Gründen eine andere Beförderung nicht nur vorübergehend nicht zumutbar ist. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht einschlägig.
Der Einsatz eines anderen Verkehrsmittels, wie hier des privaten Kraftfahrzeuges, ist deshalb nur dann notwendig, wenn sich dadurch die regelmäßige Abwesenheitsdauer von der Wohnung an mindestens drei Tagen in der Woche um jeweils mehr als zwei Stunden verkürzt (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 7 C 13.2199 – juris, BayVGH, U.v. 18.9.2002 – 7 B 04.92 – juris).
2.1.1 Die Notwendigkeit der Nutzung eines privaten Kraftfahrzeugs war im vorliegenden Fall nur für die Teilstrecke von L* … zum Aschaffenburger Hauptbahnhof notwendig. Eine Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln war hinsichtlich der besagten Teilstrecke nach zutreffender Ansicht des Beklagten nicht möglich, weil ab L* … am Morgen keine geeignete Verbindung besteht, mit der mit einem öffentlichen Verkehrsmittel die Schule rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn um 08:00 Uhr hätte erreicht werden können.
2.1.2 Ab dem Aschaffenburger Hauptbahnhof bestehen allerdings adäquate Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, um den Unterricht rechtzeitig erreichen zu können. Auch liegen im vorliegenden Fall keine der oben genannten Voraussetzungen vor, welche eine Nutzung des privaten Kraftfahrzeugs hinsichtlich der Gesamtstrecke notwendig machen würden. Die dazu erforderliche Zeitersparnis kann bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs auf der gesamten Strecke nicht angenommen werden. Die Berechnungen des Landratsamtes und der Regierung von Unterfranken sind insoweit nicht zu beanstanden.
Die bei einer Nutzung des privaten Kraftfahrzeugs bis zum Aschaffenburger Hauptbahnhof pauschal vom Landratsamt Miltenberg für die Parkplatzsuche und Fußweg zum Bahnsteig angesetzten zehn Minuten sind vorliegend nicht zu beanstanden. Wegen der großen Zahl der zu bearbeitenden Fälle sind Pauschalierungen notwendig. Diese werden nicht nur beim Beklagten, sondern u.a. auf Empfehlung des Landkreisverbandes auch bei den anderen Schulkostenträgern in Bayern angewandt. Hierzu gehören die für die Benutzung der Busse als auch eines eigenen Kraftfahrzeugs verwendeten Wegezeiten, Wartezeiten an der Bushaltestelle bzw. der Zeitaufwand für die Suche eines Parkplatzes. Es handelt sich bei der Bewilligung im Rahmen der Kostenfreiheit des Schulwegs um eine sog. „Massenverwaltung“, im Rahmen derer die Aufgabenträger berechtigt sind, pauschalierende, typisierende und generalisierende Regelungen zu treffen, um dadurch den Verwaltungsaufwand auf ein vertretbares Maß zu reduzieren (vgl. BayVerfGH, U.v. 28.10.2004 – Vf. 8-VII-3 – juris). Der Beklagte weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die Berücksichtigung potentieller individueller Besonderheiten eines jeden Einzelfalles – also jeden einzelnen Schulweges – mit vertretbarem Aufwand nicht zu bewältigen ist, was auch im Sinne einer Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler, für die pauschale Angaben angewandt werden, geboten erscheint. Die Darlegungen des Klägers hinsichtlich der erschwerten Parklatzsituation bzw. der Dauer der Parkplatzsuche am Aschaffenburger Hauptbahnhof können insoweit keine Berücksichtigung finden.
Auch der Einwand des Klägers, die Berechnung der Fahrzeiten sei nicht mit den tatsächlichen Fahrtzeiten im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel vereinbar, führt im Ergebnis nicht zu einer unzutreffenden zeitlichen Berechnung des Beklagten. Der Beklagte hat auf die zum Zeitpunkt der Antragsstellung zur Verfügung stehenden Fahrpläne der Deutschen Bahn AG zurückgegriffen. Die Verwaltung muss und darf bei den Vergleichsberechnungen auf die Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs als einfach zugängliche und objektive Informationsquelle zurückgreifen. Der Verwaltungsaufwand, behauptete Verspätungen auf bestimmten Linien jeweils im Einzelfall festzustellen, wäre nicht leistbar, insbesondere in jedem Einzelfall zu entschieden, wo die Grenze liegt, ab wann die Benutzung einer Linie nicht mehr zumutbar ist (vgl. BayVerfGH, U.v. 28.10.2004 – Vf. 8- VII-3 – juris). Auch im Falle von gehäuften Zugverspätungen hätte der Kläger im Übrigen keinen Kostenerstattungsanspruch, sondern lediglich einen Anspruch darauf, dass der Beklagte bei der Deutschen Bahn AG auf die Einhaltung oder Änderung der Fahrpläne hinwirkt, da der Aufgabenträger seine Verpflichtung grundsätzlich im Zusammenwirken mit Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs erfüllt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG).
Die Berechnung der Fahrtzeit der Gesamtstrecke mit dem Kraftahrzeug von einer Stunde und 18 Minuten ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Prüfung der Schulwegkostenerstattung darf der Aufgabenträger auf die zum Zeitpunkt der Prüfung zur Verfügung stehenden Routenplaner zurückgreifen. Das Landratsamt hat vorliegend auf die sich zum Zeitpunkt der Prüfung laut Google-Maps errechneten Fahrtzeiten zurückgegriffen. Die Tatsache, dass eine Anwendung des identischen Routenplaners durch den Kläger an einem anderen Tag bzw. zu einer anderen Uhrzeit auch ein abweichendes Ergebnis erzeugt, ist aufgrund unterschiedlicher Verkehrslagen nicht zu vermeiden. Das Landratsamt ist nicht verpflichtet, mehr als einen gängigen Routenplaner zu verwenden, oder diesen mehrfach hinsichtlich etwaiger sich ändernder Zeitberechnungen zu überprüfen. Auch insoweit erfolgt nicht in jedem Einzelfall eine individuelle Betrachtung unter Einbeziehung von möglichen Staus oder sonstigen denkbaren Verzögerungen bei der Nutzung des Kraftfahrzeugens. Das wäre im Übrigen bei der derzeitigen und bereits seit längerem bestehenden Situation auf der Autobahn A3 zwischen Aschaffenburg und Würzburg für den Kläger wohl eher ungünstiger.
In diesem Zusammenhang wird auf die zutreffenden und ausführlichen Berechnungen der jeweiligen Dauer der verschiedenen Möglichkeiten der Zurücklegung des Schulweges im Widerspruchsbescheid vom 27. November 2017 verwiesen. Es ergibt sich an keinem Tag die erforderliche Zeitersparnis von zwei Stunden.
2.2 Die Nutzung des privaten Kraftfahrzeugs war vorliegend auch nicht wirtschaftlicher als die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Bei Berücksichtigung von 66 Schultagen ergeben sich Kosten bei der Benutzung des privaten Kraftfahrzeugs in Höhe von 2.442,00 EUR. Dieser Betrag ergibt sich aus der Multiplikation der zurückzulegenden Fahrstrecke von 74 km mit zwei (Hin- und Rückweg) und 0,25 EUR pauschal pro Kilometer an 66 Unterrichtstagen. Die Kosten bei der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Nutzung eines privaten Kraftfahrzeugs auf der Stecke von L* … zum Bahnhof in Aschaffenburg belaufen sich auf 1.823,30 EUR. Dies errechnet sich aus 14,8 km Entfernung mal 2 mal 0,25 EUR mal 66 Schultage, plus Schülerwochenkarte DB 83,10 EUR mal 14 Wochen und plus Wochenkarte VVM 12,25 EUR mal 14 Wochen.
Nach all dem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus (§ 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr.11 ZPO)


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