Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Anerkennung weiterer Beschwerden als Dienstunfallfolgen

Aktenzeichen  3 ZB 13.1500

Datum:
29.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 55682
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
BeamtVG § 31 Abs. 1 S. 1
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1 S. 1, Art. 100 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1 Der Kläger trägt die materielle Beweislast, dass für bestehende Beschwerden ein Dienstunfall ursächlich ist. Verneinen dies zwei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren befragte Sachverständige, so kann diese Ursächlichkeit nicht anerkannt werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht vermag die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur zu begründen, wenn dessen tatsächliche Feststellungen ersichtlich nicht zutreffen oder etwa wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der vom Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (ebenso VGH München BeckRS 2016, 42596). (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO liegt nur vor, wenn sich das Gericht zur Klärung einer entscheidungserheblichen Frage mit einem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten begnügt, das wegen fachlicher Mängel nicht verwertet werden kann (ebenso BVerwG BeckRS 2010, 47295). (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um die unterlassene Stellung eines förmlichen Beweisantrags im Berufungsverfahren zu heilen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 K 12.228 2013-05-16 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel) und des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche Schwierigkeiten) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Anerkennung einer weiterhin bestehenden Hüftkontusion und sonstiger Beschwerden als weitere Dienstunfallfolgen aus dem mit Bescheid der früheren Bezirksfinanzdirektion R. vom 4. Februar 2004 anerkannten Dienstunfall des Klägers i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, der nach Art. 100 Abs. 4 Satz 1 BayBeamtVG einem Dienstunfall i. S. d. Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG gleichsteht, vom 24. Oktober 2003 zu Recht abgewiesen. Es hat zutreffend einen Zusammenhang zwischen der durch den Dienstunfall, bei dem der Kläger, der als Polizeiobermeister (BesGr A 8) im Dienst des Beklagten steht, sich auf einer Einsatzfahrt am linken Knie verletzte und mit der linken Hüfte gegen die Mittelkonsole im Dienstfahrzeug schlug, erlittenen, inzwischen ausgeheilten Hüftprellung und der von ihm geltend gemachten Labrumläsion sowie sonstigen Hüftbeschwerden, für den der Kläger die materielle Beweislast trägt, verneint.
1.1 Das Verwaltungsgericht ist aufgrund des von ihm eingeholten unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. B. und Dr. N. vom 1. August 2012 mit Ergänzung vom 8. Januar 2013, das Dr. N. in der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2013 erläutert hat, rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die vom Kläger geltend gemachten Hüftbeschwerden nicht auf dem Dienstunfall beruhen. Die beiden Sachverständigen sind unter Auswertung aller vorliegenden ärztlichen Unterlagen, der Dienstunfallakten, der Angaben des Klägers und der Untersuchung des Klägers am 19. Juni 2012 schlüssig und nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger sich bei dem Dienstunfall am 24. Oktober 2003 lediglich eine Prellung der linken Hüfte zugezogen hat, die bis spätestens 16. November 2003 folgenlos verheilt ist, während der jetzige Zustand des Hüftgelenks des Klägers auf eine degenerative Erkrankung (Epiphysiolis capitis femoris) zurückzuführen ist.
1.2 Die hiergegen innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebrachten Einwände des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
1.2.1 Soweit der Kläger vorträgt, zu seiner Überzeugung stehe fest, dass er durch den Dienstunfall nicht nur eine fortbestehende Hüftkontusion, sondern auch eine Labrumläsion und eine Subluxation sowie eine dadurch bedingte Chondromalazie der linken Hüfte erlitten habe, die zu einer erheblichen Schädigung des Hüftgelenkpfannendachs und eines umschriebenen Bereichs am Hüftgelenkskopf geführt habe, greift er in der Sache die Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht an, ohne ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aufzuzeigen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht vermag die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO deshalb nur zu begründen, wenn dessen tatsächliche Feststellungen ersichtlich nicht zutreffen oder etwa wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Solche Fehler in der erstgerichtlichen Überzeugungsbildung legt der Kläger nicht substantiiert dar. Er beurteilt vielmehr nur das Ergebnis der Beweisaufnahme anders als das Verwaltungsgericht. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der vom Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (BayVGH, B. v. 15.2.2016 – 14 ZB 14.1016 – juris Rn. 7).
Die pauschale Bezugnahme darauf, der Kläger habe im erstinstanzlichen Verfahren eine Fülle gutachtlicher Stellungnahmen der ihn behandelnden Ärzte vorgelegt und entsprechende Beweisanträge gestellt, um die anderweitige Beurteilungsmöglichkeit zu belegen, mit denen sich das Verwaltungsgericht nicht (in der gebotenen Weise) auseinandergesetzt habe, genügt der Darlegungslast nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. Im Übrigen legt der Kläger nicht dar, warum das Urteil aufgrund dessen ernstlichen Zweifeln unterliegen sollte. Die Möglichkeit einer anderen Beurteilung der Ursache für die festgestellten Hüftbeschwerden genügt hierfür nicht. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht die abweichenden ärztlichen Stellungnahmen entgegen der Behauptung des Klägers in seinem Urteil auch hinreichend berücksichtigt. Die gerichtlichen Sachverständigen haben sich mit den abweichenden Einschätzungen und den Einwänden des Klägers ausführlich auseinandergesetzt und nachvollziehbar begründet, weshalb sie – anders als die behandelnden Ärzte, deren Stellungnahmen auch nicht auf einer vollständigen Auswertung sämtlicher Unterlagen beruhen – nicht von einer Unfallbedingtheit der Beschwerden ausgehen.
Das Beweisergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es laut Gutachten der Universitätsklinik R. vom 14. Dezember 2010 durch den Unfall zu einer strukturellen Veränderung des degenerativ geschädigten Hüftgelenks beim Kläger gekommen sei. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass dieses im Rahmen des Haftpflichtprozesses gegen den Unfallgegner erstellte Gutachten von anderen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht als das von ihm eingeholte Gutachten, so dass hieraus auch keine gegenteiligen Schlüsse gezogen werden können. Deshalb war es auch nicht gehalten, Dr. Mo. hierzu anzuhören.
Das Beweisergebnis wird auch nicht dadurch ernstlich erschüttert, dass der Kläger am 14. Januar 2015 einen Ambulanzbrief der H.-Stiftung vom 17. Januar 2014 vorgelegt hat, wonach im Widerspruch zu den Feststellungen im Urteil (UA S. 3 oben) bei der MRT-Untersuchung am 25. Oktober 2004 eine Labrumläsion nachgewiesen worden sei. Der Kläger legt nicht dar, wie die ihn behandelnden Ärzte der H.-Stiftung zu dieser Diagnose gelangt sind. Laut Befundbericht des Zentralklinikums A. vom 25. Oktober 2004 (Dienstunfallakte II Bl. 167) konnte bei der Untersuchung des Klägers gerade kein Nachweis einer Labrumläsion geführt werden. Im Übrigen wäre selbst dann, wenn damals eine Labrumläsion festgestellt worden wäre, dadurch noch kein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfall nachgewiesen.
1.2.2 Soweit der Kläger meint, das Verwaltungsgericht hätte angesichts der von ihm vorgelegten abweichenden ärztlichen Stellungnahmen ein ergänzendes Gutachten bzw. ein Obergutachten einholen müssen, legt er ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar (BayVGH, B. v. 18.1.2016 – 3 ZB 13.34 – juris Rn. 28). Ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn sich das Gericht zur Klärung einer entscheidungserheblichen Frage mit einem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten begnügt, das wegen fachlicher Mängel nicht verwertet werden kann. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn das Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt (BVerwG, B. v. 20.3.2014 – 2 B 59.12 – juris Rn. 10). Solche Mängel trägt der Kläger nicht vor. Er legt auch nicht dar, dass die behandelnden Ärzte über neue oder überlegenere Forschungsmittel bzw. größere Erfahrung verfügen würden (BVerwG, B. v. 3.2.2012 – 7 B 35.09 – juris Rn. 12). Daher musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht die Einholung eines weiteren ergänzenden Gutachtens aufdrängen. Über die Einholung eines weiteren Gutachtens entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (§ 98 VwGO i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO). Die unterbliebene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens kann dabei nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits ein Gutachten vor, muss es ein zusätzliches Gutachten deshalb nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme erkennbare Mängel aufweist (BVerwG, B. v. 25.2.2013 – 2 B 57.12 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht hat deshalb auch den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2013 gestellten Beweisantrag des Klägers, zum Nachweis dafür, dass die Hüftkontusion links mit Labrumeinriss eine weitere Folge des Dienstunfalls vom 24. Oktober 2003 darstellt und noch nicht abgeheilt ist, und aufgrund der Widersprüche im Gutachten und der Nichtvereinbarkeit mit dem Gutachten der Universitätsklinik R. vom 14. Dezember 2010 ein zusätzliches Sachverständigengutachten zu erholen, ohne Verstoß gegen § 86 Abs. 2 VwGO abgelehnt. Unlösbare Widersprüche oder sonstige Mängel des Gutachtens zeigt der Kläger insoweit nicht substantiiert auf.
1.2.3 Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht sei den von ihm schriftsätzlich gestellten Beweisanträgen nicht nachgegangen, liegt darin gleichfalls kein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um die unterlassene Stellung eines förmlichen Beweisantrags im Berufungsverfahren zu heilen. Es hätte dem anwaltlich vertretenen Kläger oblegen, durch Stellung eines Beweisantrags (§ 86 Abs. 2 VwGO) auf eine aus seiner Sicht notwendige Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. Jedenfalls hat der Kläger nicht dargelegt, weshalb sich dem Verwaltungsgericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B. v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9). Soweit er beantragt hat, zum Nachweis dafür, dass für eine eindeutige Diagnose betreffend die Verletzung des linken Hüftgelenks bei einer Radiologie/CT-Aufnahme zwei/drei Portale anzulegen seien, um eine genaue Übersicht über Verletzungen des Labrums zu gewinnen, Herrn K. als sachverständigen Zeugen anzuhören und ein radiologisches Gutachten zu erholen, kam es hierauf für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht an. Hieraus folgt nicht im Umkehrschluss, dass am 25. Oktober 2004 ein Labrumeinriss vorhanden gewesen wäre bzw. dass der Kläger einen solchen infolge des Unfalls erlitten hätte. Welche Erkenntnisse insoweit eine Einvernahme des Diplom-Sozialpädagogen Herrn K. erbringen sollte, zeigt der Kläger nicht auf. Aus den unter 1.2.1 dargelegten Gründen war auch die Einvernahme von Dr. Mo. entbehrlich.
2. Aus den unter 1. dargestellten Gründen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache nicht die behaupteten besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist.
3. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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