Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Asyl, Zuerkennung internationalen Schutzes oder Feststellung eines Abschiebungsverbots für afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 25 K 15.31037

Datum:
11.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a Abs. 1
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, 2, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Die Sicherheitslage in der Ostregion Afghanistans, zu der die Provinz Kunar gehört, hat sich nicht dergestalt verändert, dass ein Angehöriger der Zivilbevölkerung allein aufgrund des Aufenthalts in dieser Region einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Mann aus Afghanistan, der dort Familienangehörige hat, ist es möglich und zumutbar, in dieses Land zurückzukehren und dort zu leben. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
2. Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 29. Juni 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden.
2.1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
2.1.1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – zur Definition dieser Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden. Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nicht staatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (BVerfG (Kammer), B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Schutzsuchende im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
2.1.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgungsgefahr ist auch nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft.
Das Gericht geht nicht davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat politische Verfolgung als angeblicher Kollaborateur der Taliban droht. Nach eigenem Bekunden leben seine Ehefrau und seine beiden Kinder unbehelligt bei seinem Schwager. Sein Vater ist mittlerweile nach seinen Aussagen wieder freigelassen worden, weil ihm nichts vorgeworfen werden könne. Der Kläger konnte nicht glaubhaft machen, durch die afghanischen Sicherheitskräfte verfolgt zu sein. Aber auch eine Verfolgung durch die Taliban hält das Gericht nach derzeitiger Beweislage für nicht wahrscheinlich. An dieser Einschätzung ändern auch die vom Kläger vorgelegten Drohbriefe der Taliban nichts. Abgesehen davon, dass es sich bei einem dieser vier Schreiben um ein allgemeines an die Bevölkerung gerichtetes Propagandaschreiben handelt, das nahezu jeder Einwohner der Provinz erhalten hat und das eine persönliche Gefährdung des Klägers in keiner Weise belegen kann, fällt bei den übrigen drei, auf die Person des Klägers bezogenen Schreiben folgendes auf:
Eines der Schreiben, in der Umrechnung auf den 30. November 2011 datiert, beschreibt die Einquartierung der vier Personen und deren Verhaftung an exakt diesem Tag. Die Tatzeit Ende November 2011 stimmt nicht mit der Schilderung des Klägers überein, der Vorfall habe sich etwa 15 Tage vor seiner Ausreise im Jahr 2012 ereignet. Nach Angaben des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt hat seine Reise insgesamt maximal vier Monate gedauert. Bei einer behaupteten Einreise nach Deutschland am 8. Juni 2012 kann er also frühestens Anfang Februar 2012 aus Afghanistan ausgereist sein. Wenn sich der Vorfall wie von ihm geschildert etwa einen halben Monat vor seiner Ausreise zugetragen hat, errechnet sich ein Ereigniszeitpunkt etwa Ende Januar 2012. Ein entsprechender Vorfall am 30. November 2011 ist mit diesen Schilderungen nicht in Einklang zu bringen. Gleiches gilt für das Schreiben, das umgerechnet auf den 2. Januar 2012 datiert ist. Auch hier können die Taliban, legt man die Schilderung des Klägers zugrunde, diesen nicht als Verräter bereits zu Jahresbeginn 2012 benannt haben. Lediglich das auf den 4. April 2012 datierte Schreiben lässt sich in den vom Kläger aufgestellten zeitlichen Handlungsablauf einordnen. Im Übrigen geht das Gericht nicht davon aus, dass die vom Kläger vorgelegten Schreiben eine reelle Bedrohung durch die Taliban beweisen können. Sollten sich die Taliban wirklich am Kläger wegen eines angeblichen Verrats rächen wollen, hätten sie dies entweder schon längst getan oder aber sie würden es sorgsam vermeiden, ihn durch derlei Warnungen auf einen bevorstehenden Anschlag aufmerksam zu machen. Dass weder der Kläger noch seine Familie von den Taliban bedroht werden, lässt sich schon daran ablesen, dass es der Familie seiner Frau und seinen Kindern in den Jahren seit seiner Abwesenheit offensichtlich problemlos möglich war, ihr Leben unbehelligt weiter zu führen.
Das Gericht geht auch, aufgrund widersprüchlicher Angaben seitens des Klägers zum zeitlichen Ablauf des fluchtauslösenden Ereignisses nicht davon aus, dass der Kläger von Selbst Erlebtem berichtet. Trotz wiederholter Nachfrage beharrte er in der mündlichen Verhandlung darauf, dass besagte vier Personen Ende 2010 bzw. Anfang 2011 in seinen Ladengeschäft gekommen seien. Dies lässt sich aber nicht mit seiner Schilderung vor dem Bundesamt in Übereinstimmung bringen, wonach das Ereignis im Jahr 2012 stattgefunden habe. Dieser Widerspruch bleibt unaufgelöst. Hätte der Kläger wirklich Selbst Erlebtes berichtet, so würde er sich nicht bei der nochmaligen Schilderung des Vorfalls um ein ganzes Jahr verschätzen.
Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an. Selbst wenn, wie der Kläger schildert, vier bewaffnete Personen in sein Ladengeschäft gekommen sein sollten, ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger wegen dieses Vorfalls auch noch nach vier Jahren von den staatlichen Sicherheitskräften gesucht wird. Dafür liegen dem Gericht keinerlei Anhaltspunkte vor. Im Übrigen würde es sich dann lediglich um die Verfolgung kriminellen Unrechts handeln. Es ist dem Kläger zuzumuten, sich, ggf. unter Vorlage der angeblichen Drohschrieben der Taliban in einem rechtstaatlichen Verfahren gegen den Vorwurf der Beherbergung bewaffneter Aufständiger zur Wehr zu setzen. Aus diesem Grund war auch dem hilfsweise gestellten Beweisantrag nicht weiter nachzukommen.
Da das Gericht nicht davon ausgeht, dass dem Kläger Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht, scheidet auch die Zuerkennung von Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG aus.
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG. Solcher ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
3.1. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Dem Kläger droht nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe.
3.2. Weiter droht dem Kläger kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aufgrund einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG insoweit identischen Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 35 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F). Dies gilt gemäß §§ 4 Abs. 3 i.V.m. 3c, 3d AsylG auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasistaatlicher Schutz zur Verfügung steht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Mai 2015, § 4 AsylG Rn. 16).
Der Kläger hat nicht in ausreichender Weise dargelegt, dass für ihn die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht (s.o.).
3.3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
3.3.1. Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12- Diakité, zur identischen Regelung des Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004).
3.3.2. Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921).
3.3.3. Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136,377).
Der Kläger stammt aus der Provinz Kunar, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär auf diese abzustellen ist.
Die Sicherheitslage in der Ostregion von Afghanistan, zu der die Provinz Kunar, aus der der Kläger stammt, gehört, hat sich nach der Entscheidung des BayVGH vom 20. Januar 2012 nicht dergestalt verändert, dass der dort herrschende Konflikt ein solches Maß an Gewalt erreicht hat, dass der Kläger als Angehöriger der Zivilbevölkerung allein aufgrund des Aufenthalts in dieser Region einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Der BayVGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass hinsichtlich der Ostregion von Afghanistan und der Provinz Kunar die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) nicht vorliegen (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 9.1.2015, Az.: 13a ZB 14.30449 – juris). Auch aufgrund der neuesten Zahlen hinsichtlich der Zahl der Toten und Verletzten als Folge der Auseinandersetzungen in der Ostregion von Afghanistan (vgl. UNAMA Afghanistan Annual Report 2015 Protection of Civilians in Armed Conflict S. 8, wonach in der Ostregion die Zahl der verletzten oder getöteten Zivilpersonen im Jahr 2015 bei 1.646 lag und im Verhältnis zur Zahl für das Jahr 2014 von 1.813 ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen ist) ist davon auszugehen, dass das Risiko, Opfer der Auseinandersetzungen zu werden, weiterhin bei etwa 0,1% liegt.
Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob beim Kläger individuelle, gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Neben den im Urteil des BayVGH angesprochenen Zweifeln spricht gegen eine individuelle Gefährdung insbesondere der Umstand, dass die gesamte Familie des Klägers, Eltern und Geschwister, weiterhin in seiner Heimatregion wohnen.
4. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12, juris, Rn. 24) auch dann in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind.
4.1. Dem Kläger drohen im Heimatland weder durch staatliche Organisationen noch durchprivate Dritte derartige Gefahren.
4.2. Eine unmenschliche Behandlung droht dem Kläger auch nicht aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in Afghanistan.
Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot in diesem Sinn begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend sind“. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind. Wenn jedoch die Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen, ist zu berücksichtigen, ob es den Betroffenen gelingt, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (EGMR U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681 ff.; EGMR U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – N/Vereinigtes Königreich; BVerwG U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau der Gefährdung auszugehen (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris).
In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – Rn. 26 – juris; BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107 – juris Rn. 25). Besondere individuelle Umstände, aufgrund derer der Kläger einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung unterworfen wäre, liegen nicht vor (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107- juris Rn. 25).
4.3. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Die schlechte Versorgungslage in Afghanistan für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung stellt eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht rechtfertigen kann.
4.4. Hinsichtlich des Klägers besteht auch kein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog wird die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – Rn. 15 ff. juris).
Der Kläger wäre aber bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in seine Herkunftsregion und insbesondere im Hinblick auf die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen nicht mit der für die analoge Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan weiterhin schlecht (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: November 2015, S. 23 f.). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden. Nach eigenen Angaben wohnen noch Verwandte des Klägers in der Herkunftsregion. Jedenfalls aber drohen dem Kläger bei einer Abschiebung nach Kunar keine konkreten Gefahren für Leib und Leben aufgrund der humanitären Lage. Der Kläger ist volljährig, gesund und arbeitsfähig. Nachdem sein Familie in … wohlbehalten lebt, ist es ihm möglich und zumutbar, sich seiner Familie und seinem Schwager anzuschließen.
5. Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keinen Aufenthaltstitel und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bezeichnende Staaten, in die eine Abschiebung nicht erfolgen darf, sind nicht ersichtlich. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich unmittelbar aus § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZP


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