Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Aktenzeichen  AN 11 K 18.01242

Datum:
19.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15413
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 4, § 54 Abs. 2 Nr. 9
GG Art. 6

 

Leitsatz

Die Durchführung eines Visumverfahrens in Vietnam für die Dauer von acht bis zwölf Wochen führt auch bei einem kleinen Kind zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls, insbesondere da die Möglichkeit besteht, die Ausreisemodalitäten mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienfreundlich wie möglich zu gestalten. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerseite über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Nach sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) begehrt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Juni 2018 das Einreise- und Aufenthaltsverbot aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 4. Januar 2017 aufzuheben, hilfsweise über die beantragte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
B.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsakts, noch einen Anspruch auf Neuverbescheidung. Die Ablehnung der Befristung „auf Null“ bzw. die Ablehnung der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots war nicht rechtswidrig und verletzte den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 12. Juni 2018 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der Bescheid vom 12. Juni 2018 auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Insbesondere ist die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat den maßgeblichen familiären Belang, die deutsche Tochter des Klägers, gesehen und entsprechend gewürdigt, indem sie das ursprünglich auf fünf Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den Tag der Ausreise verkürzt hat. Ein „Soll-Anspruch“ auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist vorliegend nicht gegeben, da nach Aktenlage nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen vorliegen. Im Übrigen wurde dies auch nicht vorgetragen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten besteht mit Blick auf eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auch keine Ermessensreduzierung auf Null, da die Ausreise des Klägers und die Durchführung eines Visumverfahrens nicht unzumutbar sind und nicht zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohls führen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hierzu mit Beschluss vom 16. März 2020 (10 CE 20.326 – juris Rn. 20) wie folgt ausgeführt:
„Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Auch ein kleines Kind, selbst wenn es wie die Tochter des Antragstellers die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Allerdings muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar sein. Dies setzt u.a. voraus, dass geklärt ist, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.; B.v. 22.1.2019 – 10 CE 19.149 – juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.06.2017 – 10 C 17.733 – juris Rn. 10; OVG Saarl, B.v. 14.2.2018 – 2 B 734/17 – juris Rn. 14).“
Die Kammer macht sich die überzeugenden Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu eigen. Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Maßstäbe ist die Durchführung eines Visumverfahrens für den Kläger zumutbar, insbesondere ist die Dauer eines solchen Verfahrens vorliegend absehbar. Zuständig für die Zustimmung nach § 31 AufenthV ist – wie auch der Klägerbevollmächtigte zutreffend erkannt hat – die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München, wobei im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden muss, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG tatsächlich gegeben sind. Nach Auskunft der Deutschen Vertretung in Vietnam (abrufbar unter https://vietnam.diplo.de/vn-de/service/05-VisaEinreise/-/2187642) dauert die Bearbeitung eines nationalen Visums in der Regel acht bis zwölf Wochen. Ein solcher Zeitraum führt auch bei einem kleinen Kind zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls, insbesondere da es der Kläger in der Hand hat, die Ausreisemodalitäten mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienfreundlich wie möglich zu gestalten.
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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