Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Befreiung von Mietfahrzeugen zur Personenbeförderung von Ausstattung mit Alarmanlagen; auch keine Genehmigungsfiktion über § 15 Abs. 1 S. 5 PBefG!

Aktenzeichen  M 23 E 19.2635

Datum:
18.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15013
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BOKraft § 25 Abs. 2 S. 1, § 43 Abs. 1 S. 1
PBefG § 12, § 15 Abs. 1 S. 4, § 15 Abs. 1 S. 5
VwGO § 123
VwVfG Art. 42a
GG Art 12 Abs. 1 S. 1, Art 12 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die sich aus § 15 Abs. 1 S. 5 PBefG ergebende Genehmigungsfiktion reicht nicht weiter als der Gegenstand der Genehmigung. Dieser Genehmigungsumfang ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 5 PBefG, wonach die Genehmigung für den „Betrieb“ erteilt wird. (Rn. 19) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Mit § 43 Abs. 1 BOKraft einerseits und § 12 PBefG andererseits sind zwei sich auf unterschiedliche Regelungsbereiche beziehende Anträge vorgesehen, die nicht zu einem einheitlichen Antrag verbunden werden können mit der Folge, dass sich die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 S. 5 PBefG auf beide Regelungsbereiche bezieht. Während durch eine Genehmigung nach § 15 PBefG nämlich der Berufszugang i.S.d. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG  geregelt wird, betreffen die Regelungen der BOKraft ausschließlich die Berufsausübung i.S.d. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG. (Rn. 20) (red. LS Alexander Tauchert)
3. Angesichts dieser unterschiedlichen Regelungsbereiche besteht folglich auch keine systemwidrige unbewusste Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 S. 5 PBefG auf § 43 Abs. 1 BOKraft zuließe. Einer solchen steht überdies entgegen, dass § 43 Abs. 1 BOKraft auf die Befreiung von einer gesetzlichen Verpflichtung gerichtet ist, wohingegen § 12 i.V.m. § 15 PBefG auf eine positive Erteilung gerichtet ist. (Rn. 21) (red. LS Alexander Tauchert)
4. Die zuständige Behörde hat gem. § 43 Abs. 1 BOKraft nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie eine Ausnahme bewilligt. Nur im Ausnahmefall besteht ein Anspruch auf unmittelbare Eintragung bzw. Genehmigung, sofern sich das Ermessen derart verdichtet hat, dass die Eintragung bzw. Genehmigung als einzig richtige Entscheidung in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null). (Rn. 24) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Ergänzung der ihr zur geschäftsmäßigen Personenbeförderung mit Mietwagen erteilten Genehmigung um den Zusatz, dass das Fahrzeug von der Ausstattung mit einer Alarmanlage befreit ist.
Am 26. September 2017 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt München (im Folgenden: Landratsamt) für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen M-VY 35 eine Genehmigung für den Verkehr mit einem Mietwagen. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung von der Ausstattung mit einer Alarmanlage.
Nachdem das Landratsamt den Antrag auf Nutzung dieses Fahrzeugs als Mietwagen im Gelegenheitsverkehr nicht verbeschieden hatte, verpflichtete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 29. April 2019 (11 CE 19.750) zur Bescheinigung des Eintritts der Genehmigungsfiktion für den Mietwagenverkehr mit dem Fahrzeug M-VY 35.
Am 6. Mai 2019 bescheinigte das Landratsamt der Antragstellerin bezüglich des Antrags auf Erteilung der Mietwagengenehmigung den Eintritt der Genehmigungsfiktion zum 26. Februar 2019 und übersandte die bis zum 17. Juli 2019 befristete Genehmigungsurkunde. Mit gleichzeitig übersandtem Bescheid vom 3. Mai 2019 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Erfordernis der Ausstattung mit einer Alarmanlage für den Mietwagen mit dem amtlichen Kennzeichen M-VY 35 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Antragstellerin keine mit einer Alarmanlage gleichwertigen Maßnahmen zum Schutz des Fahrzeugführers treffe. So habe bei einer Betriebsprüfung am 10. Juli 2018 festgestellt werden können, dass auch Fahrgäste befördert würden, die der Antragstellerin unbekannt seien. Auch könne der Fahrgast nicht anhand der im Mietwagentagebuch vorgenommenen Eintragungen im Nachhinein nachvollzogen werden.
Gegen diesen – der Antragstellerin am 8. Mai 2019 zugestellten – Ablehnungsbescheid legte sie am 22. Mai 2019 Widerspruch ein. Eine Entscheidung hierüber steht noch aus. Gleichzeitig forderte die Antragstellerin das Landratsamt auf, auch im Hinblick auf den Antrag auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Erfordernis einer Alarmanlage die Genehmigungsfiktion zu bescheinigen. Dies lehnte das Landratsamt mit Schreiben vom 28. Mai 2019 ab.
Mit am 31. Mai 2019 eingegangenem Schreiben vom 28. Mai 2019 beantragte die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Genehmigungsurkunde vom 3. Mai 2019 für das Fahrzeug M-VY 35 dahingehend zu ergänzen, dass das Fahrzeug vom Erfordernis der Ausstattung mit einer Alarmanlage befreit ist.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, über den Antrag sei nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 15 Abs. 1 Satz 5 Personenbeförderungsgesetz – PBefG – entschieden worden, sodass auch insoweit Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Schließlich habe es sich bei dem Antrag vom 26. September 2017 um einen einheitlichen Antrag gehandelt, für den insgesamt § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG Anwendung finde. Letztlich liefe es dem Zweck des § 15 Abs. 1 PBefG zuwider, wenn sich dessen Wirkung nicht auch auf die dem PBefG nachgeordneten Vorschriften der BOKraft erstrecken würde.
Die Antragsgegnerin beantragte schriftsätzlich am 12. Juni 2019, den Antrag abzulehnen.
Es sei kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da der Antragstellerin bereits am 31. August 2018 eröffnet worden sei, den Antrag abzulehnen. Im Übrigen fehle es am Anordnungsanspruch. Auf die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG könne sich die Antragstellerin für die Ausnahmegenehmigung nicht berufen, da diese Regelung hierauf keine Anwendung finde.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch (ein subjektiv öffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln) und einen Anordnungsgrund (die besondere Eilbedürftigkeit) glaubhaft macht. Ist der Antrag – wie hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann nur in Betracht, wenn ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und der Antragstellerin ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist. Schließlich fehlt es an einem Anordnungsanspruch.
Weder kann sich die Antragstellerin auf eine Genehmigungsfiktion berufen (hierzu 1.) noch hat sie unmittelbar einen Anspruch aus § 43 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr – BOKraft – (hierzu 2.).
1. Die beantragte Ausnahmegenehmigung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 BOKraft gilt nicht als erteilt.
Nach Art. 42a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Die Frist beträgt drei Monate, soweit durch Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt ist, Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG.
Eine solche, die Genehmigungsfiktion anordnende Rechtsvorschrift existiert für einen Antrag nach § 43 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 BOKraft nicht und ist auch nicht in § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG zu erblicken.
Die sich aus § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG ergebende Genehmigungsfiktion reicht nicht weiter als der Gegenstand der Genehmigung. Dieser Genehmigungsumfang ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 5 PBefG, wonach die Genehmigung für den „Betrieb“ erteilt wird. Nicht umfasst von der Genehmigung sind damit die zum Betrieb erforderlichen Anforderungen an den Bau und die Einrichtungen der in dem Unternehmen verwendeten Fahrzeuge (vgl. Heinze/Fehling/Fiedler/Heinze, 2. Aufl. 2014, PBefG § 9 Rn. 2) sowie die an die Sicherheit und Ordnung des Betriebs gestellten Anforderungen. Insoweit hat der Verordnungsgeber – gestützt auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 PBefG – mit der BOKraft die die Art und Weise der Betriebsführung regelnden Durchführungsbestimmungen erlassen, die in § 43 BOKraft eine gesonderte, sich von § 15 PBefG unterscheidende (Ausnahme-) Genehmigungssystematik aufweist.
Mit § 43 Abs. 1 BOKraft einerseits und § 12 PBefG andererseits sind somit zwei sich auf unterschiedliche Regelungsbereiche beziehende Anträge vorgesehen, die nicht – wie die Antragstellerin meint – zu einem einheitlichen Antrag verbunden werden können mit der Folge, dass sich die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG auf beide Regelungsbereiche bezieht. Während durch eine Genehmigung nach § 15 PBefG nämlich der Berufszugang i.S.d. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz – GG – geregelt wird, betreffen die Regelungen der BOKraft ausschließlich die Berufsausübung i.S.d. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG.
Angesichts dieser unterschiedlichen Regelungsbereiche besteht folglich auch keine systemwidrige unbewusste Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG auf § 43 Abs. 1 BOKraft zuließe. Einer solchen steht überdies entgegen, dass § 43 Abs. 1 BOKraft auf die Befreiung von einer gesetzlichen Verpflichtung gerichtet ist, wohingegen § 12 i.V.m. § 15 PBefG auf eine positive Erteilung gerichtet ist.
2. Die Antragstellerin hat auch nicht unmittelbar aus § 43 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 BOKraft einen Anspruch auf Ergänzung ihrer Genehmigungsurkunde.
Nachdem die Antragstellerin unmittelbar die Ergänzung der Genehmigungsurkunde begehrt, kann ihr Antrag in sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) nur dahingehend verstanden werden, dass ihr die Ausnahmegenehmigung unmittelbar zu erteilen ist mit der Folge, dass die Befreiung in ihrer Genehmigungsurkunde kenntlich gemacht wird. Denn nachdem keine Genehmigungsfiktion eingetreten ist (siehe hierzu 1.) und die begehrte Urkundenergänzung der Systematik des § 43 BOKraft folgend einer Genehmigung bedarf, ist ihr Ziel nicht anders erreichbar. Legt man ihren Antrag zu ihren Gunsten dahingehend aus, geht die Antragstellerin von einem gebundenen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung aus.
Einen solchen Anspruch hat die Antragstellerin allerdings nicht. Vielmehr hat die zuständige Behörde gem. § 43 Abs. 1 BOKraft nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie eine Ausnahme bewilligt. Nur im Ausnahmefall besteht ein Anspruch auf unmittelbare Eintragung bzw. Genehmigung, sofern sich das Ermessen derart verdichtet hat, dass die Eintragung bzw. Genehmigung als einzig richtige Entscheidung in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null).
Nachdem der vorliegende Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, sind erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs zu stellen (s.o.). Dass für die Antragstellerin in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein solcher gebundener Anspruch zu erwarten ist, hat die Antragstellerin nicht ansatzweise glaubhaft gemacht.
Zwingende zu einer Genehmigung oder Eintragung der Befreiung führende durchgreifende Gründe sind weder dargelegt noch ersichtlich. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin am 14. August 2018 (BA Bl. 198 ff.) angekündigt hatte, ihre Fahrzeuge bis zum Jahresende mit Alarmanlagen auszustatten. Auch ist nicht zu erwarten, dass für die Antragstellerin angesichts der lediglich noch bis zum 17. Juli 2019 geltenden Genehmigungsfiktion für den Gelegenheitsverkehr mit dem Kraftfahrzeug M-VY 35 ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 47.5, 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ausgehend von dem Regelstreitwert des § 52 Abs. 3 GKG, da der Antrag nicht auf eine Mietwagengenehmigung gerichtet war, hat das Gericht diesen – auch wenn die Streitsache auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet war – unter Berücksichtigung der Erwägungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in dessen Beschluss vom 29. April 2019 (11 CE 19.750) nochmals herabgesetzt.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben